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05 2002

Grenzcamp // Strasbourg // 19. bis 28. Juli 2002

Harald Kuemmer

In der elsässischen Stadt im deutsch-französischen Grenzland ist bis heute spürbar, dass ihre nationale Zugehörigkeit innerhalb der letzten 500 Jahre fünfmal gewechselt hat. Das Europäische noborder netzwerk <noborder.org>, das zum aktuellen Grenzcamp in Strasbourg aufruft, hatte jedoch anderes im Sinn: Die virtualisierten Grenzen in und rund um die Festung Europa, die unabhängig von Territorien überall dort aufgebaut werden, wo Staatsbedienstete Zugriff auf Datenbanken haben und Menschen als Datensätze erfasst werden. Die zentrale Einheit des SIS (Schengen Informations Systems) befindet sich seit ihrer Implementierung 1991 in Strasbourg. Dort werden Daten über ImmigrantInnen gesammelt, die bei der Gewährung von Visa und bei Asylverfahren eine zentrale Funktion haben.

Spätestens seit den massiven Protesten gegen die ökonomische Globalisierung werden auch Daten über DemonstrantInnen und KritikerInnen integriert. Auf die Auswirkungen solcher informationstechnologischen Überwachungsmechanismen hinzuweisen, sich mit virtualisierten Grenzen auseinander zu setzen und politische Aktionsformen im Umgang damit zu entwickeln, ist das Anliegen des Strasbourger Grenzcamps. In Strasbourg wie auch bei anderen Camps <noborder.org/camps/02> und Aktionen im Sommer 2002 wird es wieder darum gehen, Bewegungsfreiheit zu fordern und störend in die Abschiebemaschinerie einzugreifen. <noborder.org/strasbourg>

<während einer antirassistischen demonstration in woomera/australien im märz 2002, gelang es migrantInnen die zäune des anhaltelagers zu durchbrechen und sich zu befreien>

Die Idee der Grenzcamps ist in Europa seit 1998 in Texten und Bildern, Diskussionen und Aktionen präsent. Mit der verstärkten Harmonisierung von Asyl- und Einreisepolitiken und der massiven Repression gegen MigrantInnen und Flüchtlinge, die sich in Österreich nicht zuletzt im Tod von Marcus Omofuma <no-racism.net/racismkills> dokumentierte, wurde die Notwendigkeit einer europäischen antirassistischen Vernetzung offensichtlich. Auch aus der Lust, Diskussionen zu verbreitern, den eigenen Blickwinkel zu erweitern und die frechen widerständigen Ideen mit anderen zu teilen, entstand 1999 bei den Protesten gegen den EU-Migrationsgipfel in Tampere das europäische noborder netzwerk.

Die Aktionen wurden ausgeweitet und die Ideen verbreiteten sich. So kam es im letzten Sommer zu einer Grenzcamp-Kette <noborder.org/camps/01>, die im südspanischen Tarifa (Spanien-Afrika) startete und sich über Krykni (Polen-Ukraine), Lendava (Slowenien) und die interne Grenze am Frankfurter Flughafen (Deutschland) bis hin zum Borderhack in Tijuana (Mexico) und den Aktionen gegen die Flüchtlingslager in Woomera (Australien) fortsetzte. Unter permanenter Grenzüberschreibung brachte die noborderTOUR auf einer 6 wöchigen Fahrt <no-racism.net/nobordertour> die Grenzcamps mit anderen Orten des Widerstands einschließlich Genua und Salzburg in Verbindung. Verbindungen wurden auch im virtuellen Raum hergestellt: Der "Borderstream" <noborder.org/stream> am 7. Juli visualisierte drei gleichzeitig stattfindende Grenzcamps als übergreifende Intervention und machte zusätzlich Bilder und Stimmungen aus anderen Aktionen des Jahres greifbar. Strasbourg 2002 ist nun das erste Event das vom gesamten noborder netzwerk als gemeinsame Aktion organisiert wird, mit antirassistischen sozialen Bewegungen, Gruppen und einzelnen Personen aus 15 verschiedenen Ländern.

<noch während des camps in tarifa (südspanien) landete ein schiff an der küste, auf dem sich migrantInnen versteckt hatten, um den spanischen einreisebehörden zu entgehen. durch das camp, die vielen anwesenden menschen und eine lokale organisation, die sich offen zur reiseunterstützung von menschen ohne papieren bekennt, war es möglich, viele der ankommenden migrantInnen bei ihrer weiterreise ins landesinnere zu unterstützen und die polizeikontrollen zu umgehen.>


"SIS is a d.sec*.
Every d.sec is a target.
We will destroy each d.sec."

Der Titel (d.sec - database systems to enforce control) bezeichnet das Problem, mit dem sich Teccies, Migrants, Hackers, Activists, Artists und andere intensiv auseinander setzen werden. Gleichzeitig werden sie Interventionsformen entwickeln, die den d.sec's, den database systems, entgegengesetzt werden können. Als thematischer Strang während des Grenzcamps stellt d.sec einen Rahmen dar, in dem die Möglichkeiten wechselseitiger Vernetzung ausgelotet und in kreative und lustvolle Aktionen verwandelt werden können. <dsec.info>

Cyberfeminism, die Rückeroberung des Körpers, neue Identitäten in einer vernetzten Welt und die Erweiterung einer freien Kommunikation werden ebenso wesentliche Themen sein, wie das praktische Weitergeben von Know How, Auseinandersetzungen mit der sozialen Bedeutung von freier Software und einer kritischen Infragestellung der eigenen Verwendung von Technologie: websites, email, IT: what for?

<im mai 2002 kam es bei einer demonstration gegen ein abschiebegefaengnis in der schweiz zur befreiung eines gefangenen. die eisengitter wurden mit einer säge durchschnitten und der mann konnte durch das fenster der zelle in die freiheit gelangen.>


dsec/ptc // zone.noborder.org

In der Innenstadt von Strasbourg wird die VolxTheaterKarawane eine noborderZONE/Medialounge aufbauen <zone.noborder.org>. LiveVideo- und Radiostreams, aktuelle Berichte in mehreren Sprachen werden via Internet über Strasbourg, das SIS, und die Aktionen in und rund um das Camp informieren. In enger Zusammenarbeit mit freien Radios in Europa und dem ptc-TV. Die Lounge steht offen für BesucherInnen, für TouristInnen, für AktivistInnen. Workshops und theatrale Praxen, über Menschen, die sich über Grenzen bewegen und an elektronischen und physischen Trennlinien arbeiten. Gegen Instrumente der Kontrolle und Repression sowie die europäischen Institutionen und ihre Interessen wird sich die VolxTheaterKarawane vielfältig artikulieren.


hack the street be pink and silver on the net

Als sich im Sommer 2000 der WEF in der kleinen schweizerischen Stadt Davos traf, brachen HackerInnen in den zentralen Computer der Vorbereitungsorganistion ein. Sie klauten die Daten von führenden Wirtschaftskompetenzen und Staatschefs und veröffentlichten sie im Internet. In einer Stellungnahme protestierten sie mit ihrer Aktion gegen die ständig zunehmende Kontrolle an den Grenzen und die Einschränkung von Reisefreiheit. Sie stellten einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Weitergabe von persönlichen Daten, Kontrollmechanismen und einer rein ökonomischen Globalisierung her, die es gleichzeitig für nötig hält, die Bewegung von Menschen, von Körpern, von freier Information und Kommunikation immer weiter zu beschränken.

Im August 2001 schrieb ein Kolumnist in der Frankfurter Allgemeinen, dass die eigentlichen "Freunde der Globalisierung" gerade den Frankfurter Flughafen belagern. Einen der ausgemachten Gegner einer globalen Vernetzung sah der Journalist in Georg Bush. Noch bei den Protesten in Seattle sprachen sich viele der ProponentInnen gegen Globalisierung aus. Die Missverständlichkeit dieser Herangehensweise und die Retorsionsfähigkeit ihrer Inhalte führte letztlich auch zu einer wesentlichen Verbreiterung des Diskurses. Themen wie Migration, rassistische Entwicklungen und ein neu aufflammender Antisemitismus wurden zentrale Bestandteile der Auseinandersetzung rund um den Begriff der Globalisierung. In Genua, während der Proteste gegen die G8, demonstrierten 70000 Menschen zum Thema Migration, die den direkten Bezug herstellten zwischen anhaltender Ausbeutung, dem Denken in einer Logik des Marktes und der ständigen Einschränkung von Bewegungs- und Reisefreiheit. Wie bei den Protesten in Genua werden auch in Strasbourg die eigenen Medien, die eine Gegenöffentlichkeit herstellen, wesentlicher Bestandteil des Widerstands gegen Kapitalismus und Repressionsapparate sein.

Technologien können, wie beim Borderstream in Genua und Brüssel, bei Internet Kampagnen wie der deportation-alliance <www.deportation-alliance.com>, bei der Onlinedemo gegen die Lufthansa oder bei der Davoser Datenbefreiung als Werkzeug, als Plattform oder als Sprachrohr zur politischen Artikulation dienen. Gleichzeitig werden sie, wie im Fall des SIS, zur lückenlosen Kontrolle und Überwachung von Menschen benutzt. Liegt darin ein Widerspruch? Was bewirkt die Transformation der Kommunikation in andere, in virtuelle Räume? Sind Internet und Cyborg das Ende des Sozialen oder der Beginn einer neuen Gesellschaft <volxbad deklaration - www.make-world.org> - oder vielleicht nur ein kurzer Moment in einer historischen Entwicklung, die morgen bereits völlig überholt sein wird?

d.sec wird diese Möglichkeiten in Strasbourg ausloten. Hack the System, als leere Phrase, als risky game, als Intervention in öffentlichen und virtuellen Räumen, als Workshop, diskursive Praktik oder theatrale Inszenierung. The caravan goes on ...