Cookies disclaimer

Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to keep sessions open and for statistical purposes. These statistics aren't shared with any third-party company. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device.

I agree

02 2005

Strategien der (Un)Sichtbaren Zahlreichen

Jean Paul Martinon

Übersetzt von: Larissa Buchholz

Translators
languages

Zeitgenössische KünstlerInnen und politische „grassroots“ AktivistInnen machen in letzter Zeit für die Durchführung ihrer Aktionen von – wie ich sie nennen würde – unsichtbaren Strategien Gebrauch. Diese Strategien greifen geheime, anonyme, verdeckte oder verborgene Taktiken auf. Sie scheinen vier Ziele zu haben:

-          Die Absicherung, dass ihre Aktionen wirksam sind
-          Der Schutz der Identität von Aktivisten und Künstlern vor denen, die die Macht inne haben
-          Die Erkennbarkeit untereinander
-          Die Unterminierung von Repräsentations- und Kommodifizierungsprozessen


Jüngste Beispiele dieser Strategien umfassen Graffitis, „guerilla gardening“ (von Baumpflanzungsprojekten bis zu improvisierter Landwirtschaft), „culture jamming“ (Unterwanderung konventioneller Medienbotschaften), unabhängige Internetnetzwerke (z.B. Indymedia), improvisierte „stand-ins“ (wenn jemand vorgibt, die temporäre Vertretung zu sein), „sit-ins“, oder wenn AktivistInnen ein Gebäude oder einen öffentlichen Platz besetzen und so lange nicht verlassen, bis ihre Forderungen erfüllt oder verhandelt worden sind, etc.   In Anbetracht dieser neuen Richtung unter KünstlerInnen und AktivistInnen, würde ich gerne zwei Ausgangspunkte zur Analyse dieser Strategien vorschlagen. Der erste möchte einerseits die übliche Wir/Sie - Unterscheidung zwischen KünstlerInnen und AktivistInnen und andererseits die der Institution oder des globalen Marktes in Frage stellen. Der zweite Ausgangspunkt erlaubt es einem selbst einen apodiktisch romantischen Zugang zu diesen Strategien aufrecht zu erhalten. Der erste Ausgangspunkt verweist sich auf die Idee, dass eine Aktivität, die unsichtbar oder verborgen bleiben muss um wirksam zu sein, nicht länger innerhalb der binären Ökonomie von Innen / Außen, klandestin / institutionalisiert betrachtet werden sollte, etc. Sich für eine Strategie der (Un)Sichtbarkeit (man beachte hier die Bedeutung der Klammern) zu entscheiden bedeutet nicht, sich auf eine räumliche Ordnung zu beziehen: Ich, hier, unterprivilegiert, illegal arbeitend und du, dort, im institutionalisiertem Rahmen, auf der Seite der Macht, mich daran hindernd eine Identität anzunehmen oder ein Ziel zu verfolgen. Eine (un)sichtbare Strategie ist im Gegenteil eine, die in Beziehung zur zeitlichen Ordnung agiert. Die Idee besteht darin, diese Strategie in Beziehung zu dem, was kommen wird, zu setzen. In anderen Worten, wenn man sagt, dass man im klandestinen Modus handelt, heißt das, dass man einen gewissen Grad an Geheimhaltung bewahren muss, um eine Aktion wirkungsvoll werden zu lassen, setzt man sich selbst nicht in Beziehung zu dem anderen (wie auch immer dieser andere definiert sein mag), sondern in Beziehung auf Zeit bzw. um präziser zu sein, auf die Zukunft, also auf eine andere Form der Andersartigkeit. Die Erklärung hierfür ist einfach. Außerhalb der intendierten Wirksamkeit implizieren alle Strategien, ob sichtbar oder unsichtbar, Enthüllung. Man kann der Enthüllung oder dem Ausgesetztsein nicht entgehen, d.h., der Moment, in dem die Aktivität aufhört, persönlich, geheim oder unsichtbar zu sein und die schnell vergängliche Sphäre der Sichtbarkeit betritt (Ich werde gleich darauf zurückkommen). Sichtbare und unsichtbare Strategien gleichzusetzen bedeutet nicht, klandestine Strategien zu unterminieren und diese innerhalb des Normativen institutionalisierter Strategien zu kompensieren. Dies ist schlicht und ergreifend eine Tatsache, die jegliche Strategie oder Aktion betrifft. Wenn man gegen den IMF oder die Weltbank kämpft, ob in einem künstlerischen oder aktivistischen Kontext, kann der Kampf nur mit der Offenlegung des Kampfes enden: Also, wenn eine bestimmte Öffentlichkeit erreicht wurde, oder die Medien über den Protest oder die Ausstellung berichten und man schließlich Notiz davon nimmt. Eine Strategie der (Un)Sichtbarkeit nicht im Rahmen von räumlichen Unterscheidungen (wir/sie, innen/außen, illegal/institutionalisiert) zu artikulieren, sondern im Rahmen einer zeitlichen Unterscheidung der Enthüllung (sichtbar/unsichtbar) ist letztlich mit zwei Zielen verbunden: Das erste bezieht sich auf die Tatsache, dass es nicht so etwas gibt wie etwas Sichtbares, als gäbe es einen Horizont des Intelligiblen in dem Sprache sich ostensiv zeigt. Das heißt aber nicht, dass wir uns nur im Verborgenen befinden, oder dass es nur Unsichtbarkeit gäbe. Es gibt keinen Horizont  des Intelligiblen, in dem Sprache als Sichtbares exponiert wird; diese Idee liegt den beiden folgenden Gedanken zugrunde. Der erste und prägnanteste Gedanke ist das, was sich nur im Zwielicht zwischen Tag und Nacht von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zeigt, d.h., ein zögerlicher Zustand zwischen zwei Absoluten, zwischen etwas radikal Vergangenem oder Zukünftigem und etwas, das sich nur im Chiaroscuro zeigt. Der Zustand des absolut Sichtbaren oder Unsichtbaren liegt jenseits linguistischer Kategorien. Dem Tod nicht unähnlich, kann das Sichtbare oder Unsichtbare nur mit einem rhetorischen Bild oder einer dekonstruktiven Geste dargestellt werden, welche lediglich den Abgrund andeuten kann, der von den Begriffen selbst hervorgerufen wird. Folglich, zu sagen, dass es so etwas wie etwas Sichtbares nicht gibt, ist zu sagen, dass es nur Zwielicht gibt, ein Zustand weder wirklich sichtbar noch wirklich unsichtbar. Der zweite Gedanke liegt in der Variation/Graduation zwischen unseren verschiedenen Vorstellungen über diese Welt und unseren Investitionsniveaus, was im Verhältnis zu dem steht, was die Aurora der Sichtbarkeit in die Welt zu bringen verspricht. PolitikerInnen (dies beinhaltet auch solche Sprecher der Antiglobalisierungsbewegung wie George Monbiot oder Naomi Klein, um nur wohlbekannte westliche Namen zu nennen), die auf der öffentlichen Bühne agieren, glauben, dass politische Veränderungen allein innerhalb der absoluten Sichtbarkeit stattfinden können, das heißt im Parlament und in den Medien. PolitikerInnen glauben an ein öffentliches Leben. Er oder sie glaubt an seine oder ihre Rolle in der Geschichte. In gewisser Weise sind PolitikerInnen vom Glauben an die Sprache wie auch von ihrem Verständnis dieser Welt geblendet. Sie werden dadurch zu sichtbaren AkteurInnen dramatischer Auftritte und berühmten AutorInnen wichtiger Gesetzgebungen. Im Gegensatz hierzu steht der handelnde Klandestin, der Aktivist oder der Künstler, der sich, sie oder er in eine Lage der nicht gewährleisteten Sichtbarkeit positioniert. Dies bedeutet nicht, dass er oder sie darum weiß, dass so etwas wie Sichtbarkeit nicht existiert, dies bedeutet nur, dass die Strategie, an eine mögliche Sichtbarkeit zu glauben vermieden wird. Wenn ich aus dem Stehgreif entscheide, ein Projekt auf dem Parlamentsgelände im Zentrum Londons zu planen, wird die Planung selbst unsichtbar bleiben, während aber das Ergebnis für alle wahrnehmbar sein wird. Ein Plantageprojekt (vor allem Cannabis) wird selbstverständlich nicht lange andauern. Solch eine Aktion setzt voraus, dass der handelnde Klandestin sich mehr für die Aktion selbst interessiert und für die unmittelbare Schockwirkung, als sichtbare und beständige Gesetze zu etablieren. Dies zeigt, dass er oder sie weiß, dass Sprache nichts Zuverlässiges oder Beständiges ist; diese absolute Sichtbarkeit ist nicht notwendigerweise effektiv. Infolgedessen ist es eine Tatsache, dass der handelnde Klandestin allenfalls auf ein lokales Straßenpublikum hoffen kann oder darauf, auf der ersten Seite Schlagzeilen zu machen, das heißt, dass ihm gestattet ist, zu provozieren oder an einer kurzen öffentlichen Diskussion teilzunehmen, aus dem er oder sie sich ausgeschlossen fühlt. Was der heimlich tuende Stratege zudem besagt, ist, dass Sprache in einer performativen Dimension bleiben kann, entsprechend der Phase der Äußerungen oder des Protestes, ohne zwingend ein Archiv zu konstituieren. Er oder sie sagt uns, dass Sprache in einem permanenten Zustand des Ausschlusses, des Ausgesetztseins oder der Festschreibung verbleiben kann, ohne in die Fallen der Kommodifizierung, der Institutionalisierung oder der festgeschriebenen Gesetzgebung zu tappen. Schließlich befinden wir uns heute in einer Postproduktionsgesellschaft, in der wir nicht länger so tun müssen, als ob wir etwas Neues herstellen könnten. Heute wissen wir, dass wir all das neu formulieren oder wiederholen müssen, was bereits hergestellt wurde und im Archiv vorhanden ist, und dass diese Spaltungen Aktionen des Schaffens selbst sind. Ich schlage daher vor, sich das Ziel dieser Strategien anzuschauen, im Zwielicht, als Versuch, den Kampf im Stadium des Kampfes zu erhalten. Dabei ist die Strategie zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in dem Moment zu belassen, wo es sich dem anderen offen legt. (der andere hier im zeitlichen Sinne verstanden). Dies führt mich zu dem zweiten Ziel des zeitlichen Fokus: Die Tatsache anzuerkennen, dass die wahre Absicht dieser Strategien der (Un-) Sichtbarkeit nicht darin besteht eine ideale Welt zu erreichen, sondern die Welt als eine reale zu gestalten. Um eine politische Strategie durch eine zeitliche und nicht räumliche Achse zu artikulieren (strikt einem hegelianischen oder marxistischen Modell folgend) bedeutet aus heutiger Sicht einen großen Rückschlag der gesamten linkspolitischen Arbeit seit dem Fall der Mauer und dem, was wir das Ende der großen Erzählungen nennen. Es ist nicht mehr möglich, irgendeine Form des politischen Ideals in der Zukunft zu verorten. Es ist zudem nicht mehr möglich, die Idee des Politischen auf der Basis des Endzeitversprechens oder des Zukunftsversprechens oder des Parusieversprechens aller zu übertragen. Wenn man sich dieses Rückschlages bewusst ist, der uns seit den 1990ern plagt, hat man folglich keine Wahl, außer die Beziehung zwischen dem Politischen und der Zeit zu überdenken. Hier ist nicht der Ort, um die anthropologischen und ontologischen Feinheiten dieser partikulären Beziehung im Detail zu untersuchen. Das einzige, was ich an dieser Stelle vorschlagen kann, ist den Fokus auf das dringende Thema des Rückschlages zu richten und folgende Frage zu stellen: Welche politische Praxis kann in einer Situation vorgeschlagen werden, in der es in der Zukunft kein Ideal mehr gibt? Vielleicht ist die einzige Antwort auf diese Frage der Vorschlag, das Zukunftsideal (Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Proletariat, absolutes Wissen) von seinem Immer-gerade-erst-zu-Kommenden wiederherzustellen und es zentral in allen menschlichen peripheren Handlungen zu platzieren. In anderen Worten, und in einer Umkehrung der hegelianischen und marxistischen Logik, liegt die Idee, das Ideal als das sich überall und zu allen Zeiten Ereignende wahrzunehmen, direkt im Moment des Handelns (jedoch ist dieses Handeln bestimmt und somit auch das Resultat). Das Ideal, hier verstanden als die einzig mögliche Umsetzung der Welt oder die einzige Umsetzung, die der Welt bekannt ist, befindet sich nicht mehr irgendwo schlafend in der Zukunft, sondern es wirkt konkret ein oder lässt sich in jeder menschlichen Handlung im Hier und Jetzt verorten. Um ein Beispiel zu geben: Gleichheit ist nicht mehr ein Ziel, das erreicht werden müsste, sondern wird zur Voraussetzung, welche permanent zu verifizieren ist. So gedacht, sind alle Formen der politischen Prognose, Projektion, Hoffung, etc. (und ich berücksichtige hier auch die Hoffungen von jemandem wie Osama Bin Laden), was in der Vergangenheit auf die zu kommende Zeit angewandt, verwendet, ausgedehnt wurde, folglich sich den Ereignissen im Hier und Jetzt auszusetzen, in allen Fällen zu einem Zeitpunkt, der kein anderer Zeitpunkt ist als der gegenwärtige Zeitpunkt. Politischer Aktivismus wird daher nicht zur Folge von politischen oder sozialen Zielen, sondern der Maßstab von Identität selbst, eine, die nicht von dem Kommenden abhängig ist, sondern von den Ereignissen der heutigen Welt, d.h., von dem, was hier und jetzt passiert, in welcher Form auch immer es sich äußert, ob Hungersnot, Kriege, korporative Habgier oder religiösen Fanatismus. Von dieser Seite her gesehen kann man durchaus sagen, dass es nie einen besseren Augenblick geben wird, es kann nur einen Akt der Differenzierung geben, einen Akt, der einen Unterschied machen wird, daher also ein Maßstab für Identität ist, d.h. ein Akt des politischen Werdens (das auch ein Akt der kreativen Zerstörung sein kann). Das wahre Ziel dieser Strategien der (Un)Sichtbarkeit ist daher nicht, eine neue Weltordnung vorzuschlagen, sondern an dem zu partizipieren, was Jean-Luc Nancy unter der endlosen Schaffung der Welt versteht.[1] Das Word Schaffung wird von Nancy verstanden als Wachstum ohne Vernunft von Raum und Zeit, also als das, was wir Welt nennen. Konsequenterweise ist die Welt weder die internationale Gemeinschaft noch die Menschheit an sich, es ist die polymorphe Verräumlichung unserer Existenz, das heterogene Ausgesetztsein unseres Zusammenseins. Um an der unendlichen Schaffung der Welt zu partizipieren ist daher nicht eine Welt als positivistische Erkenntnis oder als programmatische Vernunft vorauszusetzen, sondern eine Welt, die sich selbst denkt. In anderen Worten, dies bedeutet nicht den Sinn der Welt vorauszusetzen, sondern die Welt als Sinn. Frei vom Zwang eines in der Zukunft liegenden Ideals, ist politisches Engagement deshalb ein kreativer Akt, der dem zu Kommenden Form gibt, der multiple erscheinenden, gegensätzlichen Welt, an der AktivistInnen, PolitikerInnen, KünstlerInnen und PhilosophInnen unerschütterlich arbeiten. Dieser kreative Akt besteht darin, uns als Subjekte ohne Objekte und vor allem ohne Objektivität zu erkennen. Dieser kreative Akt ohne Erscheinung findet jedes Mal statt, sobald ein Mensch, er oder sie, sich engagiert, in einer passiven oder aktiven, konstruktiven oder destruktiven Art, in der allgemeinen Erfindung der Welt, d.h. in der Schaffung einer Welt, die sich selbst der Darstellbarkeit entzieht, was keinen Sinn mehr hat, sondern seinen Sinn im Prozess des Sinn-Machens findet.[2] Daher ist es angebracht, die politische Strategie von der räumlichen Ökonomie des Antagonismus und der Agonie zu verwandeln in eine zeitliche Ökonomie des Handelns, wo der politische Aktivist nicht in einem sterilen selbstreferenziellen Zirkel arbeitet, verfechtet und kämpft, sondern in und für den Beginn des Schaffens als solchen. In anderen Worten, es gibt nur einen Kampf, nämlich den, den Kampf aufrecht zu halten, so dass kein nach dem Kampf erreicht wird, sondern, wie Nancy anmerkt, die unersättliche und unendlich endliche Aufgabe, welche der Anfang der Handlung der Welt als Welt ist.[3]

Der zweite Ausgangspunkt besteht darin, sich eine romantische Annäherung an diese Strategien der (Un-) Sichtbarkeit zu erlauben, sie zu erkennen und zu erhalten. Ich benutze hier das Wort Romantik nicht im wörtlichen Sinne (das ist alles, was von exzessiver Passion bis hin zu grenzenlosem Idealismus geht), sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung, die sich in der Atheaneum-Periode von Friedrich Schlegel in Jena, im Deutschland am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, entwickelte. Bevor ich diese These untersuche, sind einige Vorraussetzungen zu klären. Die Tragweite der frühen romantischen Periode zu beleuchten bedeutet nicht, an den etwas heiklen politischen Forderungen einer radikalen Demokratie zu haften, die von Friedrich Schlegel vorangestellt wurden. Schnelle, praktische politische Lösungen epochaler Ereignisse (im Falle Schlegels die Französische Revolution) sind in gewisser Weise das notwendige Korrelat für jegliches Denken des Politischen und können nicht angefochten werden (denken sie zum Beispiel an Georges Batailles falschen Gebrauch des Marshall Plans in „The Accursed Share“). Ziel ist also nicht, die Ungereimtheiten der verschlungenen Wege von Schlegels Leben und Werk zu analysieren oder die von ihm vorgeschlagenen praktischen Lösungen, sondern die politische Verpflichtung zu dieser anderen Seite der Aufklärung zu verdeutlichen, die sich in der frühen Athenaeum-Theorie niederschlägt. Des Weiteren ist die Idee der Romantik als irrationale Gegenbewegung zum Projekt des Rationalismus zu reklamieren, wie er durch die Aufklärung gefordert wurde. Die Idee der Romantik, wie sie von Friedrich Schlegel formuliert wurde, sollte nicht gemäß Habermas gesehen werden, d.h., als antagonistisch zum Rationalismus und zum Fortschritt, als eine Struktur, in welcher die Irrationalität dachte, dass das Prisma der Zersplitterung alle politischen Strategien beinhalte. Und zuletzt, sei die Kakophonie der postmodernistischen und poststrukturalistischen Argumentation nicht zu ignorieren, zu vermeiden oder zu verwerfen. Ganz im Gegenteil, die Idee, ganz im Sinne von Deleuze oder Derrida, ist dieses Erbe zu erhöhen oder zu intensivieren, um dann fortzuschreiten zu dem, was auch immer als Nächstes kommen mag. In anderen Worten, ich schlage weder vor, zurückzukehren, noch schlage ich eine idealisierte und ästhetisierte Welt (das mythische Ideal in Zentrum der Romantik) vor, sondern ich befürworte den Imperativ dessen zu erkennen, das die fundamentale Struktur unserer Existenz in dieser Welt konstituiert, wie es in der Aufklärung und ganz besonders in den metaphysischen (und/oder literarischen) Theorien gedacht wurde, die durch Schlegel in der frühen deutschen romantischen Periode entwickelt wurde. Meine These lautet, dass, wenn es zu der metaphysischen und politischen Dimension unserer Moderne kommt, wir immer noch zur Aufklärung und ganz besonders zur romantischen Periode gehören; eine Periode, die uns definiert durch  die Logik der (Re-) Petition und der (Re-) Iteration. Und gerade deswegen haben Deleuze, Derrida und Lévinas, um nur drei Beispiele zu nennen, alle versucht, Hegels Ende der Geschichte zu übertreffen, indem sie Begriffe wie Multiplizität, Différance und die Irreduzibilität des Antlitz anboten. Und einmal abgesehen von diesen außergewöhnlichen Repetitionen, sind die Aufklärung und die spezifisch romantische Periode auf seltsame Weise noch in uns präsent. Indes ist vieles an Repetition und Reiteration eine Bewegung in Richtung der Möglichkeit von etwas anderem; indes, vieles an Mimesis bedingt einen Bruch und eine Differenzierung von sich selbst, wir sind noch immer von der zeitlichen und metaphysischen Ordnung abhängig, die während der Aufklärung imaginiert wurde. Der Kern dieses Vermächtnisses, das die fundamentierende Struktur unserer Moderne charakterisiert und so oft in Kunst, Philosophie und Politik zu sehen ist, ist das Dementi unserer Zeit. Diese Verneinung ist keine Tabula Rasa im negativen Sinne, sondern die Struktur der Negativität selbst, d.h., die Gestaltung der Welt ist im Hier und Jetzt der gewöhnlichen Grenzüberschreitung. In anderen Worten, die Verneinung ist nicht überflüssiger Nihilismus oder leere Wiederkehr, sondern die immer währende Suche nach dem bzw. die Herstellung dessen, was uns schon-immer-und-ohnehin beeinflusst (der  Idealismus von Hegel, der Kommunismus von Marx, der absolute Deterritorialisierung bei Deleuze, die absolute „hospitality“ bei Derrida oder die radikale Ordnung bei Lévinas, um nur einige wohl bekannte Beispiele zu nennen). In gewisser Weise haben wir nie die Welt des Subjektes, des Seins oder des Absoluten verlassen, selbst wenn es als Ereignis, als Spur oder Immanenz bezeichnet wird, und dies lediglich, weil unser Ausgangspunkt immer eine radikale und nicht endende Kritik an der Gegenwart ist, eine Kritik als die Bewegung einer Erfahrung, offen für die Zukunft und das Kommende. Um es zu präzisieren, in welchem Umfang auch immer wir verfolgt werden von der Différance, durch rhizomatische Strukturen, durch Multiplizität und durch Gemeinschaften und kollektive Praktiken, so werden wir auch durch die Tatsache, dass es eine Krise gibt, verfolgt; dass irgendetwas getan werden muss, hier, unmittelbar. In einem anderen Kontext und um dem Thema eine andere Wendung zu geben, unabhängig davon, welchen Text wir lesen oder welche Position wir beziehen, wird es immer das, was uns ohnehin beeinflusst, ein neuer Text oder eine neue Meinung, eine neue (Er-) Findung oder (Re-) Iteration (nennen sie es Nancy, Agamben oder Badiou) sein, das unmittelbar operativ wird; in anderen Worten, dies zwingt uns, unsere Gegenwart zu negieren und neu zu erfinden. Heutzutage, wenn es um die Zeitlichkeit der Politik geht, ist diese Negation, welche auch ein Akt der ReSchaffung als Selbst-Event nicht nur in der Sprache der Politik und der multinationalen Unternehmen  und ihrem stets wachsenden Begehren, die Welt zu besitzen, sondern auch in der Rethorik der Anti-Globalisierungsbewegung und im Besonderen von „grassroots“ - Revolutionen und NetzaktivistInnen. Diese Negierung geht einher mit dem Gefühl, dass nie ausreichend Zeit vorhanden ist; dass man immer hinterher ist, dass Märkte und Länder erobert werden müssen oder, dass politische Aktionen sofort stattfinden müssen, so dass die Welt gerettet werden kann. Dieses Gefühl der Dringlichkeit ist, im Gegensatz zu dem was Reinhart Koselleck behauptet, nichts, was durch die Beschleunigung der Zeit geschuldet wäre[4]. Dieses Gefühl der Dringlichkeit ist eine ganz simple und sehr humane Reaktion, nämlich sich der Erkenntnis über den Beginn unserer eigenen Räumlichkeit zu verweigern. Es ist genau diese Verweigerung, die uns das Gefühl vermittelt, immer hinterher zu sein. Hier ist nicht der Ort, den ontologischen Grund dieser Verweigerung gerade im Kontext von Heidegger zu erforschen. Es genügt hier, zu erwähnen, dass die Verweigerung eine entscheidende politische Dimension hat. Die Konsequenz daraus ist, dass in dieser Welt, in der die Zukunft endlich von allen Formen der Zukunftsvisionen bereinigt wurde, die Tatsache, dass wir unsere Zeit kreieren, eine neue Wendung genommen hat: die Erhöhung des Performativen der Welt über die Errungenschaften der Welt. Heute haben wir keine Zeit, um komplexe Zukunftsvisionen zu entwerfen, es ist nur Zeit vorhanden, um in der Welt zu agieren. Dieser Sinn für die fehlende Zeit ist ein Akt des Schaffens par excellence, dadurch, dass keine Zeit dafür vorhanden ist, sich ein Ideal vorzustellen, können wir nur beim Voranschreiten schaffen. In der Tat, gleichgültig wo man sich in dem großen Schwarm der Möglichkeiten und Ausweglosigkeiten befindet, die unsere zeitgenössische Welt konstituieren, so ist man notwendigerweise immer in einer Position der Produktivität und der Ausgabe, am Rande des Abgrundes der Dekonstruktion, in der Aussparung der deleuzianischen Falte, im Zentrum der Entstehung von Investition und Sprache. In anderen Worten, wir sind immer noch an dem Punkt, die Krise verstehen oder lösen zu müssen, uns für oder gegen hegemoniale Strukturen zu engagieren, alles innerhalb des einfachen Prozesses der Erfindung von Protokollen (ethische oder andere), die dazu dienen, Konzepte im Feld des Wahrnehmbaren zu aktualisieren. Die Tatsache, dass wir immer noch zur Aufklärung gehören und im Besonderen zur Romantik, bedeutet nicht, dass wir nicht im Umfeld der Aporie dieser Epoche arbeiten können. In ähnlicher Weise bedeutet die Tatsache, dass unsere Zukunft von jeglicher Form des Gestaltbaren bereinigt wurde, nicht, dass es keine Zukunft mehr gäbe. Mit der Intensivierung unseres Erbes und durch die Anerkennung der Negierungsprozesse und der Schaffung, erlauben wir tatsächlich alle Möglichkeiten der Fortbewegung in eine Zukunft, wie auch immer diese aussehen wird. In anderen Worten, durch das Bewusstsein der Negationsprozesse und der Schaffung oder Mimesis und Re-Iteration, die unser Sein in der Welt strukturieren, öffnen wir uns für die Möglichkeit von etwas anderem, das in einer Weise den Prozess übernimmt und sich selbst aufrecht erhält, in einer Weise, die es ermöglicht, die Handlung der Welt als performativ wahrzunehmen und nicht als Projektion oder Vollendung. Der Schlüssel zu dieser Konkretisierung ist die notwendige zeitliche Fragmentierung unseres Verhältnisses zur  Zeit und bedeutet im besonderen, die Zukunft zu akzeptieren. Dies ist in der Tat befreit von der Singularität der Gestaltung, oder offen für das Zukünftige oder den anderen. Es ist nicht mehr einzig oder authentisch, sondern eine Öffnung, durch die Kommendes nur als unzusammenhängende Fragmente und unhaltbare Gegensätze in Wogen, Schimmern und Bögen des Lichtes erscheint. War es nicht Schlegel selbst, der insistierte, dass Dinge immer in kleinen zusammenhangslosen Wellen erscheinen, dass Dinge zu mangelhaft sind, um ein Ganzes zu ergeben oder diese nur einen nicht zufrieden stellenden Zweck erfüllten? Wie die frühe romantische Periode uns gelehrt hat und wie Nancy in seiner eigenen Analyse über diese Epoche klar herausgestellt hat, ist, dass das, was kommen wird immer fragmentarisch verbleiben wird[5]. Die Konsequenz aus diesem unvermeidlich fragmentarisch Kommenden ist, dass politische Gesten bzw. die Antworten (poetisch oder politisch) an eine unbekannte und unzusammenhängende Zukunft zwangsläufig als fragmentarische Folge (ironisch) strukturiert werden müssen, die kein anderes Ziel haben, als weiter mit dem Prozess des Negierung/Erfindung fortzufahren, der unsere Modernität charakterisiert. In anderen Worten, es gibt keine Möglichkeiten, dem Hin und Her der Fragmentierung zu entfliehen oder auszuweichen. Fragmentierung, so wie es Schlegel verstanden haben wollte, ist das, was der Vernunft, oder Zielsetzung fehlt und vervollständigt sich in der Unvollständigkeit seiner eigenen Unendlichkeit. Fragmentierung also, hindert uns nicht nur vor der Konstituierung jegliche Art rationaler oder uniformer Welt, sondern es hilft uns auch, gegen hegemoniale Strukturen und DiktatorInnen aller Welt zu kämpfen, zu keinem anderen Zweck, als die Welt unhaltbar zur Welt werden zu lassen. Dies bedeutet nicht, dass Fragmentierung, oder eine fragmentierte Welt die einzige Lösung für eine Welt darstellt, die von einem exzessiven Kapitalismus und Fundamentalismus dominiert wird. Dies bedeutet nur, dass Fragmentierung dasjenige konstituiert, was unser Handeln in der Welt auf eine bestimmte Art und Weise antreibt; es ist jenes, das uns den Kampf um Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit erlaubt, auch wenn (und weil) wir nicht eine einzige Definition dieser Wörter bestimmen können. Fragmentierung, eine Welt entleert von Objekten, Zielen, ontologischen Determinationen oder theologischen Endzielen, ist gewissermaßen unsere gnadenvolle Rettung oder die Perpetuierung des jüngsten Gerichts, um eine benjaminische Terminologie einzubringen. Diese vergessene Fragmentierung wurde lange vor Hegels Mythos des Fortschritts gedacht, es ist das, was hier oder dort operativ ist, aber immer im Jetzt, in unzusammenhängenden Fragmenten (sichtbar oder unsichtbar), nie wirklich erreicht, nie wirklich entschlossen oder frei. Nun liegt zwangsläufig das Hauptproblem der schlegelschen Idee der Fragmentierung darin, dass es als Wiederholung oder Re-Internierung verstanden werden könnte. Die alte Prämisse von der Ausbreitung, der Differenz und des Werdens wurde in den letzten vierzig Jahren ganz und gar als Ablösung des Endes der Geschichte durch Hegel und Marx gedacht. Wie auch immer, dies ist bloß eine Erscheinung, denn schlegelsche Fragmentierung postuliert nicht die Frage des Ursprungs oder des Ziels, Öffnung oder Schließung, da dieses vbereits schon-immer-und-ohnehin fragmentiert  und de- territorialisiert erscheint. Fragmentierung, in der Weise wie Schlegel es vor Hegel verstanden hat, ist eine Totalität, die sich selbst in ihrer eigenen Unvollständigkeit Rechnung trägt. Man kann nur in und durch eine permanente Fragmentierung leben. Dies bedeutet nicht, dass wir uns im Sinne von Deleuze nur von Chaos zu Chaos bewegen, sondern, dass wir allein durch Fragmentierung als das erhaltende Prinzip unser eigenen (und der Welten) Laufbahn getragen werden können. Dies führt uns weder in einen psychotischen oder chaotischen Zustand der absoluten Instabilität oder permanenten zivilen Unruhe, noch führt es uns zum Abgrund der absoluten Unbestimmbarkeit oder der permanenten Beeinträchtigung des Geschehens; jedoch mit unserem einzigen Imperativ, d.h., dasjenige, welches den Erhalt der Fragmentierung als Fragmentierung oder dasjenige, welches die Welt als Welt aufrechterhält. Dieses Aufrechterhalten, das nicht die Bewahrung noch die Sicherung, aber das kreative Fortsetzen des Kampfes impliziert, noch das Prinzip der Gestaltung, d.h., die Projektion eines Idealbildes einer auch in Zukunft aufrechterhaltenen Welt, würde im Gegenzug die Mittel oder die Methode zur Verfügung stellen, die Welt aufrechtzuerhalten. Ganz im Gegenteil, innerhalb einer von gestalterischer Zukunft entleerten Zeitlichkeit, kann dieses Aufrechterhaltende nur eine Fiktion sein. Der Begriff Fiktion (oder Literatur), welche zur Zeit des Athenaeum sich im Zentrum aller metaphysischen und poetischen Theorien befand, ist hier im griechischem Sinne der schlegelschen Auffassung als modernisierend, Form gebend und modellierend zu verstehen. Unser Imperativ, die Welt aufrechtzuerhalten, ist daher ein Imperativ zur Verwirklichung (d.h., der Fiktion) unseres eigenen Gemeinschaftsgrades. Fragmentierung kann nur als eine Fiktion aufrechterhalten werden. In anderen Worten, die fragmentierte Version des Politischen liegt in der Fiktionalität, welche selbst Form gebend wirkt, und in der Unentschiedenheit, welche hier und dort kreative Hindernisse hegemonialer Strukturen (oder das Eindringen in) erlaubt, so dass die Aufrechterhaltung der Welt als Welt garantiert ist. Es gibt keinen weiteren Imperativ für diese Strategien des Unsichtbaren. Denn nur mit einer fiktionalen, und nicht gestalteten, Idee dessen, wie wir uns selbst als wir oder als Welt, in der wir handeln, wahrnehmen, können wir die Handlungen der Welt formen und gestalten.


Bei diesem Essay handelt es sich um eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, vorgetragen auf der Konferenz „Strategies of (In)visibility)“, Camden Arts Center, London, 3. bis 4. Februar 2005. Das Motto der Konferenz wurde ursprünglich von Anna Harding  entworfen. Es wurde anschließend durch Celia Jameson verändert und umstrukturiert. Ich möchte gerne den folgenden Personen für ihre Anregungen und ihr Engagement für diesen einführenden Textes danken: Gavin Butt, Celia Jameson, Susan Kelly, Stephen Nock and Gerald Raunig.



[1] Jean-Luc Nancy, La creation du monde ou la mondialisation, Galile, Paris, 2002, S. 53.

[2] Siehe Ignaas Devischs Analyse zu Nancys Verständnis des Begriffes “Welt” in:  Being mondaine: Jean-Luc Nancys Enumerations of the World, in : Cultural Values, Band 6, Nr. 4, 2002, S. 383-394. Und darüber, wie die Welt Sinn durch sich selbst generiert, siehe: Jean-Luc Nancy, The Compearance: From Existence of Communism to the Community of Existence, in Political Theory, 1992, Band 20, Nr. 3, S. 371-98.

[3] Nancy 2002, S. 64.

[4] Das Problem mit Kosselecks Idee einer beschleunigenden Zeit kann unter einer einzigen Fragestellung subsumiert werden, die aber nicht zu beantworten ist: Wie kann eine sich selbst bescheunigende Zeitlichkeit, ohne sich außerhalb dieser Zeitlichkeit zu begeben die Geschwindigkeit wahrnehmen in der sie sich bewegt? Siehe in: Reinhart Koselleck, Futures Past: On the Semantics of Historical Time, translated by Keith Tribe, Columbia University Press, New York, 2004.

[5] Philippe Lacoue-Labarthe & Jean-Luc Nancy, L’absolute litteraire: Theorie de la litterature du romantisme allemand, Seuil, Paris, 1978, p. 423.