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01 2005

KOLLEKTIVITÄT? Sie meinen Kooperation!

Bojana Cvejic

Übersetzt von Therese Kaufmann

Ungefähr vor einem Jahr, als Emil Hrvatin und ich ein Performance-Projekt vorschlugen, in dem es um Kollektivität gehen sollte, konnte ich nicht vorhersehen, welchen Widerstand und welche Verwirrung allein schon der Begriff mit sich bringen sollte.

Die Antworten eines Dutzends von künstlerischen LeiterInnen, KritikerInnen und TheoretikerInnen aus dem experimentellen Tanz- und Performancebereich in Europa, die wir um eine kritische Reflexion des Projektvorschlags gebeten hatten, fanden sich in einer Übereinstimmung von Fragen:

„Sind Sie sich nicht bewusst, wie ideologisiert und unzeitgemäß dieser Begriff ist? Meinen Sie Kollektivität als modus operandi oder als Forschungsgegenstand? In anderen Worten, arbeiten Sie kollektiv oder über Kollektivität? Wir würden es vorziehen, wenn Sie „Kollektivität“ durch einem Begriff ersetzen könnten, der zeitgenössischen Praxen besser entspricht, nämlich jenen der Kooperation, da diese einen Raum der Verhandlung individueller Differenzen bedingt.“

Während Kooperation heute im Preformancebereich als buzzword für einen Arbeitshabitus dient, wird der Begriff der Kollektivität aufgegeben oder sogar unterdrückt und in seiner Grundbedeutung verabscheut. Das Unbehagen an der Kollektivität ist mehr als ein Symptom für eine Politik des liberalen Individualismus in diesem Bereich.

Sie umfasst verschiedene einander überlagernde Konzepte: Kollektivität und Community, Kritik und Konzeptualisierung. Ich möchte hier einige Fragen und Punkte aufgreifen, die ich in einem Beitrag im Jänner 2004 bei Context #1 in Berlin im Hebbel am Ufer diskutiert habe.


Kollektivität: das Erbe der Freizügigkeit

Was zeigt die Untersuchung eines Konzepts, das, wie man uns sagt, eher ein sozial-historisches als künstlerisches und zeitgenössisch, ist, über die aktuelle Situation des experimentellen Performance-Bereichs in Europa? Ist AutorInnenschaft immer automatisch den InitiatorInnen eines Projekts zuzuschreiben? Wie kann eine Initiative, die verschiedene AutorInnen zu einem für Forschungsprojekt einlädt, Zusammenarbeit auf der Basis von Gleichheit und einen Kollektivitätsrahmen ohne zentrale Führung sicherstellen?

Beschwört Kollektivität in heutigen westlichen Gesellschaften nur Bilder jener sehr ideologischen kollektiven politischen Maßnahmen, die nach 1989 aufgegeben wurden? Muss Kollektivität als ein Instrument emanzipatorischer Politik verstanden und damit auch abgelehnt werden, das einem überholten Modell von Theater- Performancepraxen der 60er folgt?

„Wenn wir fühlen, fühlen wir die Notsituation: Wenn wir die Notsituation fühlen, werden wir handeln: Wenn wir handeln, werden wir die Welt verändern.“ (Julian Beck, Living Theatre)

Es sind die Kollektive, die auf der Grundlage essentialistischer Voraussetzungen von aktiver Menschlichkeit oder dem Mythos der Einheit von Arbeit und Leben in den 60er Jahren gegründet wurden, die umso mehr dafür verantwortlich sind, dass das Interesse am Kollektivismus für beendet erklärt wird. Die Dramaturgie der aufsteigenden rituellen Reise eines Individuums innerhalb des Kollektivs, sei es im Leben einer Stammesgemeinschaft, sei es in einer Aufführung auf der Bühne, wie von den Theaterkollektiven der 60er Jahre betrieben, zerstört selbst ihr Projekt sozialen oder politischen Wandels, weil sie es in der Schlussphase des Prozesses auf die abstrakte Idee individueller Freiheit beschränkt. Was ich damit sagen will, ist, dass wir den historischen Kollektiven der 60er Jahre dafür dankbar sein sollten, dass sie die Grundlage für den heutigen liberalen Individualismus geschaffen haben. Sie haben uns das Erbe einer depolitisierenden, libertären Theorie hinterlassen: praktiziere Freiheit als Ausübung des freien Willens. Nehmen Sie etwa einen der Imperative von Living Theatre, wie „Veränderung ist der natürliche Seinszustand“, befreien Sie ihn von seinem anarchistischen 1960er-Stil und Sie bekommen den Slogan „frei, verschieden, kreativ“. Wer? Die heute souverän und individuell Wählenden: AutorInnen, künstlerische LeiterInnen (IntendantInnen), Publikum.

In den für diese Betrachtung ausgewählten Modellen, wird Kollektivität auf ideologische Katastrophen oder soziale Zusammenbrüchen reduziert, als ob sie immer dazu verurteilt wäre, faschistischen Kollaborationsregimes anheim zu fallen. Was wichtiger sein sollte, ist, die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation, nämlich warum Kollektivität nicht nur aufgegeben wird, sondern unterdrückt, beziehungsweise warum das Konzept der Kollektivität an sich abstoßend ist, - oder: Können wir es in einer neuen Form denken, das in der Lage ist, den kritischen Bedürfnissen unserer Zeit zu dienen?

Solche Szenen in den Performances von Living Theatre, Performance Group, und sogar in einigen des Judson Dance Theatre wurden zu einer verborgenen Matrix der Selbstdarstellung, die wir heute im Format von Solo-Arbeiten oder gemeinschaftlicher Improvisations-Setups finden.

Die individualistische Selbstdarstellung macht aus dem Tanz in westlichen Gesellschaften eine Sphäre der Fetischisierung: „Welche Erfahrungen hast du gemacht? Was hast du gefühlt? Was hast du mitgenommen? Welche Formen der Öffnung konntest für dich schaffen?“ Diese Fragen, die wir so oft hören, spiegeln eine New Age-mäßige Beschäftigung sowohl der PerformerInnen als auch der BetrachterInnen mit ihrem individuellen Ich wieder. Darüber hinaus ist der Individualismus von Kunst- oder Kulturschaffenden - besonders in der körperlichen Erscheinung des/r TänzerIn - das hervorragende Kapital für Werte wie Kreativität, Komplexität, Mobilität, Flexibilität oder Innovation.

Es ist nicht das kollektive, sondern das individuelle Unternehmen Performance, das die Figur der ArbeiterIn heute im Neoliberalismus bestimmt. Sind diese ArbeiterInnen heute in das Schema der Kollektivität oder jener der Gemeinschaft einzuordnen?


Die undarstellbare Gemeinschaft: Networking

Die politische Geschichte des Wortes Gemeinschaft, das vergessen wurde bzw. vor mehr als 20 Jahren für die Europäische Gemeinschaft reserviert wurde, zeigt, dass "Gemeinschaft" als passenderer Begriff anstelle von "Kommunismus" 15 Jahre nach dem Mai 1968 auftaucht, als linke französische Intellektuellen wieder die Diskussion um Kollektivität führten.

1983 schlägt der Herausgeber der Zeitschrift Aléa, Jean-Christophe Bailly, das Thema "Gemeinschaft", "la communauté, le nombre", vor:

"Auf den Zusammenbruch des Kommunismus antwortet man derart nur mit einer überstürzten Verdrängung der Frage des Gemein-sam-seins selbst (das der 'real' genannte Kommunismus seinerseits hinter einem gemeinsamen Sein verdrängt hatte)." (Nancy, singulär plural sein, Berlin: diaphanes 2004, S. 76.)

Doch wir genießen sozusagen ein „Gemein-sam-sein“ im Neoliberalismus. Was wir gemeinsam haben, sind Kommerz und Kommunikation – in einem Wort: das Netzwerk.

Networking schafft die Illusion der Überschreitung der Grenzen der lokalen Community in dem Bereich und des Eindringens in das internationale Feld des zeitgenössischen Tanzes. Diesen Mechanismus illustrieren der bekannte Cartoon und die Metapher von Willy Kojote und dem Road Runner, was ich auch mit einer Gruppe von PerformerInnen im Tanzquartier LABor im April 2003 besprochen habe.

Unverdrossen verfolgt der Kojote den Vogel auf der flachen, grenzenlosen Fläche der Wüste, immer im gleichen, nie überwindbaren Abstand zu dem Vogel, solange, bis er über eine Klippe am Ende der Straße stürzt. Er stirbt nie, sondern hinterlässt immer nur seinen gesamten Körperabdruck auf dem Boden des Abgrunds.

Die Wüste erweitert sich in einer Bewegung der Deterritorialisierung, wobei jede Handlung einen Neuaufbruch und eine Fluchtlinie erzeugt, die nur durch Erfindungsgeist und die Geschwindigkeit der Bewegung messbar ist. Forschung findet nach diesem Modell eines ständigen Hin-und-Her dann statt, wenn sie neue, sich möglicherweise zu einem Feld entwickelnde Wege beschreitet.

Und das plötzliche Ende der Verfolgungsjagd, das den Sturz von den Klippen markiert, die unausweichliche Sogkraft der Community, die Lokalisierung – zieht das flüchtige Individuum hinunter in die persönliche Geschichte und kulturelle wie politische Regulationskontexte.

Das Feld ist nicht nur eine Immanenzebene, wie es im gängigen deleuzianischen Diskurs heißen würde. Eigentlich wird es gebildet durch die Netzwerke von Veranstaltungsorten, Festivals, Forschungslabors, herumfliegenden Programmverantwortlichen, Schaukastenbühnen, Online-Diskussionforen, etc. - mit einem Wort, dem institutionellen Markt, auf dem die Kunstschaffenden eingeladen sind, Nischen zu schaffen für eine begehrte Ware.

Die einzige Taktik, sich gegen den institutionellen Markt zu wehren, besteht für Freelance-KünstlerInnen darin, selbst zu Vermittlungsmaschinen zu werden, die Produktivität und selbstbestimmte Vernetzung schaffen. Ihre Arbeit wird zu einer Vervielfältigung von Aktivitäten, Kontakten, Arbeitsformen, Kooperationen und Präsentationen, die es dem Work-in-Progress-Charakter ermöglichen, fast ihr gesamtes Werk zu übernehmen, ein Arbeiten ohne Arbeit.

Die immaterielle Arbeit von KünstlerInnen soll entweder unter der Gegebenheit der selbstorganisierten Zusammenarbeit mit anderen selbstorganisierten KünstlerInnen stattfinden – unabhängig von Nachfrage und davon, was künstlerische Orte bieten – oder die Produktion eines einzelnen individuellen Selbst als spektakelhafte Ware auf dem institutionellen Markt hervorbringen. Letzteres formt die immaterielle Produktion als Information in Form eines performativen Versprechens: „Ich bin das Projekt meiner selbst“, wobei die Performancearbeit als temporäre, unvollendete „Vorschauen“ eines prozessualen Projekts verstanden werden. Um eine so genannte unabhängige Position auf dem institutionellen Markt einzunehmen, sind Freelance-KünstlerInnen gezwungen, sich mit den ProgrammgestalterInnen, deren materielle ProduzentInnen sie auf der Basis dieses Versprechens sind, zu vergemeinschaften. Wenn sie jedoch, wie ich in voriger Taktik beschrieben habe, diese Beziehung verlassen, müssen sie in Zusammenarbeit mit anderen KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen ihr eigenes Feld organisieren, was unbedingt auch eine Transformation und Mobilisierung der Gemeinschaft in etwas mit sich bringt, das mehr auf der Notwendigkeit von Zusammenarbeit, einem Rahmen der Kollektivität, basiert.

Egal, ob von staatlich oder privat finanzierten Systemen betrieben oder von einem freien, unternehmerischen Selbst des Autors/der Autorin gehackt, die künstlerische Community gleicht einer Gemeinschaft ohne Projekt und Endprodukt, einer communauté desoevrée (undarstellbaren Gemeinschaft), in der desoeuvrement (Undarstellbarkeit und Untätigkeit) als politisch-ethische Begriffe verstanden werden sollten.

Gemeinschaft ist eine Tatsache, und nicht sosehr eine Vermittlerin von Mobilisierung, denn es gibt nichts, wofür man kollektiv mobilisieren müsste. Die Forderungen, die die PerformancekünstlerInnen der 60er Jahre zu neuen, experimentellen Arbeitsformen gebracht haben, sind heute erfüllt: Es gibt Netzwerke zur Unterstützung experimenteller Arbeit; der Drang zu experimentieren und transdisziplinär arbeiten zu wollen, gilt nicht mehr als grenzüberschreitend. Das darauf folgende dringende Bedürfnis nach Zusammenarbeit entstand aus dem Klima politischer und sozialer Bewegungen, die dies einforderten.

Damit KünstlerInnen aber selbst als ihre eigenen ProduzentInnen agieren können statt als selbstproduzierte Ware der Programmierung, müssen sie Kooperation und Produktion jenseits des Bedürfnisses nach individueller Selbstaffirmation neu definieren und wiederherstellen.


Selbstbestimmung und die Frage künstlerischer Arbeit

In den heute praktizierten Formen von Kollektivität und Kooperation dominiert eine instrumentelle Logik: künstlerische Affinität in Kombination mit praktisch-rationellen Gründen zusammenzuarbeiten. Eine große Anzahle von Theatergruppen und Schauspielkollektiven, die ohne Regie arbeiten, wie Tg Stan, Dood Paard, De Roovers, ´t Barreland entstanden in den Benelux-Ländern unter dem Einfluss der damals innovativen Praxen von Maatschappij Discordia, und kreierten ein Verbreitungssystem, das unabhängig war von Stadttheatern und Repertoirehäusern.

Diese Gruppen stellen ein stabiles Modell kontinuierlicher Zusammenarbeit dar, das seine Basis Methode aber nicht in Frage stellt und oder politisches und soziales Handeln anstrebt. Gleichzeitig bevorzugt die zeitgenössische Programmierung ein Star-System, das AutorInnen wie Meg Stuart, Gary Hill, Jan Ritsema und Jonathan Burrows, Jérôme Bel und Forced Entertainment entspricht. Dadurch wird das Phänomen des zeitlich begrenzten produktiven Zusammentreffens vom Austausch verschiedener Eigenheiten motiviert, um hoffentlich auf etwas für die jeweiligen Felder der Kooperierenden Neues, und Unbekanntes, auf etwas "Drittes" zu treffen.

Die Begegnungen zwischen etablierten AutorInnen können aber auch an sich von Interesse sein, angeregt vor allem vom Geschmack und abgeschätzten Kartenverkäufen auf Seiten der IntendantInnen.

Je mehr von Zusammenarbeit geredet werde, desto mehr fehle sie, was symptomatisch für die Krise sei, meint Myriam Van Imschoot: „Wir sollten nicht vergessen, dass Zusammenarbeit die Aura des/r KünstlerIn nicht aushöhlt, sondern sie vermehrt“ (Van Imschoot, 17-18). So erscheinen Kollektivität und Kooperation nicht länger als wertvolle Modelle für Experiment und Kritik, da sie bereits von der institutionellen Ordnung und einem kulturpolitischen Trend einverleibt wurden.

Doch es ist die Kritik (criticality) als nicht-essentialistische Position, die in der Choreographie der 1990er Jahre eine neue gemeinsame Perspektive hervorgebracht hat. Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Tino Sehgal, Mårten Spångberg haben eine nicht-affirmative Perspektive auf Strategien und Taktiken entwickelt, die das Publikum mit der Aufgabe von Tanz als ästhetischem Phänomen und Objekt der Moderne konfrontiert.

Das Publikum ist gezwungen, mit seiner eigenen Disposition umzugehen, um die Choreographie als Schrift eines performativen Texts wahrzunehmen. Diese ChoreographInnen haben zu einer bestimmten Form von AutorInnenschaft beigetragen, die auf diskursiver Intervention basiert, beziehungsweise auf dem Effekt der Störung der Aufführung. Eines ist dabei klar: sie tun dies allein.

Was ich hier betonen möchte, ist dass diese Arbeit nur von den AutorInnen des Konzepts allein gemacht werden kann. Diese AutorInnen entwickeln höchstens eine diskursive Gemeinschaft, aus der gelegentlich Kooperationen entstehen können, oder sogar die vertragliche Basis für AutorInnenschaft schaffen, wie für die Performance Xavier Le Roy, die von Bel in Auftrag gegeben und gezeichnet, und von Le Roy umgesetzt wurde.

Doch es besteht keine Notwendigkeit der Kollektivität als solche, um die Eigenständigkeit dieser Interventionen von Seiten der AutorInnen zu schaffen. Beschränkt auf das Objekt "Tanz" und "Theateraufführung" richten sich diese kritischen Praxen ein Publikum des 19. Jahrhunderts, indem die Bedeutung eines Werks durch Selbstreferenzialität und Selbstbestimmung erzeugt wird.

Die Macht der Selbstbestimmung im Konzept es Tanzes könnte potenziell transformativ wirken, wenn sie auch auf die Arbeits-, Produktions- und Präsentationsbedingungen zuträfe. Im Moment ist sie in der Lage, etwas wie einen Sprechakt zu artikulieren: "Das ist eine Performance, das ist Choreographie", indem sie die Rolle analytischer oder kritischer Eigeninterpretation, ähnlich wie in der Konzeptkunst, einnimmt.

So, wie wir sie gewöhnlich wahrnehmen, produziert sie bisher offene, flexible und kontingente Definitionen von Tanz und Kritik, aber nach wie vor abhängig von inhärenten, für das Medium Tanz spezifische Fragen. Da im institutionellen Kontext des Theaters stattfindend, ist ihre Kritik auch immer an das Dispositiv des Theaters gebunden.

Würde der Kreis der konzeptuellen Methode durchbrochen werden, wenn die AutorInnen im Austausch und der Konfrontation der Konzepte zusammenarbeiten und damit deren Konstruktion aufs Spiel setzen würden? Würde ein solcher Rahmen die Produktion von Kontakten nicht im Sinne einer forcierten Suche nach neunen Phänomenen wie die Kontaktimprovisation, sondern als einer Möglichkeit einzelner Verbindungen, Brüche und Veränderungen ermöglichen ohne sie zu erzwingen, ein Experimentieren, das nach der Bereitschaft verlangt, die eigenen Vorhaben und Materialien zu verleugnen, da nicht die eigene AutorInnenschaft im Vordergrund steht?

Was wären die Bedingungen für eine solche Kollektivität von AutorInnen wie auch ihre spezifische Unterscheidung von jenen Formen der Zusammenarbeit, wie wir sie heute kennen? Ich werde diesen Text mit vier Punkten schließen, in denen ich eine solche Kollektivität in ihrer Potenzialität beschreibe.

Es gibt eine steigende Anzahl von PerformerInnen, die sich für experimentelle und neue konzeptuelle Formen in den Bereichen Performance, Theater und Choreographie interessieren. Wie immer, versammeln sich eine Reihe von TeilnehmerInnen um ein Projekt.

Wie wichtig ist die Anzahl von Personen? Die Anzahl von Beteiligten an einer Interaktion zu steigern, selbst wenn nur aus zwei drei Personen werden, verändert die Situation qualitativ. Welche Eigenschaften hat eine Interaktion, die aus der Arbeit außerhalb der Bedingungen des Arbeitsmarkts und kulturpolitischer Ausrichtungen entstehen könnte?

Es gibt keine vorgefasste Richtung, Essenz, Identität oder Bedeutung, um die man sich mit ideologischem Vertrauen sammeln oder mobilisieren müsste. Das ist in Ordnung. "Entscheidend ist hier die Idee einer unwesentlichen Gemeinsamkeit, einer Solidarität, die an keinerlei Essenz interessiert ist."

"Wir 'haben' keinen Sinn mehr, weil wir selbst der Sinn sind (...)" (Nancy 2004, S. 19). Das "wir" könnte nur für die Verbreitung von Möglichkeiten, Widerständigkeiten und Erfahrungen von Grenzen stehen, wenn die Unterschiede zwischen einander für die Zusammenarbeit konstitutiv sind.

Deshalb gibt es für "uns", oder um "wir" sagen zu können, nur so etwas wie dieses Phänomen des Stattfindens. Diese "Stattfinden" bedeutet in anderen Worten das Zusammentreffen von Eigenheiten und das Gesetz der Berührung in diesem Zusammentreffen ist nicht der Zusammenschluss, sondern die Separierung.

Es ist Heterogenität von einander berührenden Oberflächen; eine Heterogenität, die eine weitere Heterogenese und nicht Vereinheitlichung unter der Verantwortung einer/s AutorIn oder aufgrund ihrer Bedeutung anregt.

Doch das virtuelle Stattfinden braucht einen Raum für Produktion und Experiment ohne darüber schwebendes Theater-Dispositiv. Sollten wir die Institutionen (Studios, Aufführungsorte) in Ressourcenzentren oder Plattformen des Arbeitens anstelle des Präsentierens umwandeln?

Der vierte Begriff. Zusammenarbeit im Sinne unerwünschter Zusammentreffen zu denken; dass das "wir" nicht im Einklang ist, sondern dass wir Verantwortung übernehmen für das Verhältnis "mit", wenn wir miteinander arbeiten, mit keinerlei Kompromiss der Toleranz, sondern im Erhalt des Unterschiedes im Kontakt.

"Wir" als "mit" soll etwas in Richtung Gewalt treiben. Für die Sehnsucht in Widerstehen gegen einen Prozess, durch den unverminderbare und nicht erwünschte und nicht handhabbare Differenzen für Neuzusammensetzungen des Arbeitens produktiv werden, einen Prozess, durch den keine überspannenden Konzepte die Sicherheit einer früheren Selbstregulierung bieten.

Vielleicht hat die Neudefinierung eines Rahmens des "Arbeiten-mit" diese Bedingungen eher aufgreifen als das autonome selbstbestätigende AutorInnenkonzept die Kraft zu einem Ausgangspunkt zu werden für experimentelle Formen der Zusammenarbeit - eine Zusammenarbeit von AutorInnen.

Man könnte meine, dass eine solche Zusammenarbeit besser als Ansammlung bezeichnet werden sollte, wenn durch eine "Anzahl von Miteinander-arbeitenden ohne jede Essenz" definiert wird. Eine Frage wäre, wie eine Ansammlung von AutorInnen-PerformerInnen ohne Autor-InitiatorIn zustande kommen soll. Dies ist nicht nur eine technische Frage, da sie einen weitaus wichtigeren Punkt aufwirft:

Was wäre wert, heute in Tanz und Performance gegenüber der Gesellschaft zusammen getan zu werden?

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