02 2015
100 Geflüchtete protestieren in Neuburg an der Donau
Am Dienstag, 10.02.2015 gingen ca. 100 Geflüchtete gegen die deutsche Asylpolitik und die Bedingungen in der Gemeinschaftsunterkunft in Neuburg an der Donau auf die Straße. Mit selbstgebastelten Plakaten und Bannern zog die dreistündige Demonstration von der Gemeinschaftsunterkunft zum Landratsamt und dem Neuburger Rathaus. Die Geflüchteten äußerten dort lautstark ihren Unmut über die miserablen Bedingungen, forderten ein Ende der Lagerpflicht, „gleiche Rechte für alle“ und prangerten das Lagersystem als Gefängnissystem an.
Unter den Demonstrierenden befanden sich viele Frauen und Kinder. Ein besonderer Fokus des Protests lag auf der untragbaren Situation von Familien und alleinstehenden Frauen: Diese leben in der Unterkunft äußerst beengt, häufig kam es zu Unfällen mit den Kindern. Zudem gibt es keine getrennten Sanitärräume für Frauen.
Einen Tag vor dem Protest war einer der Anmelder der Demonstration und dessen Familie überraschend in eine andere Unterkunft umverteilt worden. Aufgrund von Aussagen der Lagerleitung ist klar, dass damit versucht wird politischen Aktivismus in der Unterkunft zu unterbinden. Die Geflüchteten werden sich davon nicht einschüchtern lassen! Am kommenden Montag werden Vertreter von ihnen bei der Anti-Pegida-Demonstration in München sprechen.
Unten stehend finden Sie das Statement der Geflüchteten, aus dem Sie gerne zitieren dürfen.
Die Medienvertreter_innen der Gruppe sind unter folgender Nummer (Englisch) erreichbar: 0152 17582655 oder 0152 17708343.
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Statement der Protestierenden vom 09.02.2015
Geflüchtete
sind Menschen!
Kein Mensch ist illegal!
Gegen die Diskriminierungen von Menschen in Lagern!
Lager abschaffen!
Freiheit für alle!
Stopp allen Abschiebungen!
WIR NEHMEN DIE SITUATION IM LAGER NEUBURG NICHT MEHR HIN!
In unserem Lager in Neuburg leben mehr als 500 Menschen und mehr als 100 Kinder.
Es gibt keinen Raum für die Kinder, keinen ruhigen Ort, wo Hausaufgaben für die Schule gemacht werden können. Unsere Kinder bekommen oft keinen Platz im Kindergarten. 4-5 Personen schlafen in jedem Raum und zusätzlich muss dort auch noch gekocht werden. Es gibt sehr wenig Platz, deshalb gab es viele Unfälle in den Küchen. Zum Beispiel haben sich Kinder mit heißem Wasser verbrüht oder werden krank wegen des schlechten Zustands des Hauses.
Mehr als 60 Menschen müssen zwei Toiletten benutzen. Es gibt keine Toiletten für Frauen und Kinder, dabei gibt es mehr als 35 Frauen im Lager, deshalb benutzen wir Babytöpfchen in den Zimmern. Dieser Zustand ist nicht tragbar!
Es wird
uns nicht erlaubt, selbst nach Wohnungen für uns zu suchen. Es gibt keine
Häuser für uns in Neuburg!
Lagerleben als Gefängnissystem
Um die Post abzuholen haben alle Menschen im Lager nur 30 Minuten Zeit, von 14.00 bis 14.30 Uhr. Alle Menschen müssen in ein Büro kommen. Wenn du nur drei Minuten zu spät kommst, dann bekommt du keine Post. Das ist in anderen Lagern auch anders. Wir wissen, dass es Lager gibt, in denen jede_r ein eigenes Postfach hat und jederzeit die Post abholen kann. Sogar fürs Waschen der Kleidung braucht es eine Erlaubnis. Um einen Termin zu bekommen hast du von 09.00 – 9.15 Uhr Zeit. Das ist ein Gefängnissystem!
Mangelnde Versorgung
Für Winterkleidung hat das Landratsamt jeder Person einen Gutschein über 40 Euro gegeben. Dieser deckt ein halbes Jahr ab. Damit musst du dir Schuhe, Jacken und alles was du brauchst kaufen. Der Gutschein berechtigt nur für das Kaufen gebrauchter Sachen von der Caritas. Wir wissen von Freund_innen in anderen Lagern, dass ihnen 200 Euro oder mehr gegeben werden, um neue Kleidung zu kaufen.
Warum können wir nicht die gleichen Rechte haben? Warum sind wir anders?
Für jedes Neugeborene werden nur 30 Euro für gebrauchte Babykleidung von der Caritas zur Verfügung gestellt. Für unserer Kinder, die in Deutschland geboren werden, muss verpflichtend Asyl im Landratsamt beantragt werden.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Die Menschen, die den Status der Duldung haben, können kein Konto eröffnen, da das Landratsamt dazu keine Erlaubnis gibt. In anderen Städten ist das möglich.
Selbst wenn Menschen die Erlaubnis zum Arbeiten haben und eine Arbeit finden, müssen sie das Landratsamt um Erlaubnis fragen, wegen der Vorrangigkeitsprüfung. Menschen aus dem Lager in Neuburg zahlen viel Geld um nach München und in andere Städte zu fahren (zum Beispiel 23 Euro um nach München zu fahren) und wenn sie eine gute Arbeitsstelle finden, lehnt das Landratsamt das ab, da eine deutsche Person Vorrang hat. Nur schlechte Arbeit wie Putzen ist erlaubt. Wir sehen das als Teil eines rassistischen Systems, und wir kämpfen für unsere Freiheit!
Eingeschränkte medizinische Versorgung
Menschen, die im Lager wohnen, können nicht selbst einen Arzt/ eine Ärztin aussuchen, der/m sie vertrauen, so wie andere Menschen in Deutschland. Sie müssen zu einem Arzt in Neuburg gehen, der uns nicht gut betreut. Wir wollen unsere Ärztinnen und Ärzte selbst aussuchen, wie jede_r andere!
Wir Geflüchtete in Neuburg, wir fragen die Regierung: Wenn ihr nicht für uns sorgen könnt, dann müsst ihr uns an einen besseren Ort verlegen! Wir bitten die verantwortlichen Personen nur ein paar Wochen in unserem Lager zu wohnen, um zu verstehen, welchen Schmerz wir dort spüren.
In anderen Städten in Deutschland bekommen Menschen Wohnungen, sie müssen nicht für viele Jahre im Lager sitzen, wie in Neuburg. Wir fragen euch: Sind wir andere Menschen, sind wir andere Geflüchtete als in anderen Städten in Deutschland?
Dieses Lager macht die Menschen krank, sowohl körperlich als auch psychisch. Menschen haben sich in der Vergangenheit umgebracht, weil sie so viele Jahre im Lager saßen. Manche leben mehr als 10 Jahre dort, manche sind gerade im Krankenhaus wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes. Einer von ihnen war 13 Jahre im Lager und das Leben im Lager hat seine Gesundheit zerstört.
Wir wollen nicht in den Lagern sterben! Wir haben keine Freiheit selbstständig irgendetwas zu machen.
Wir entscheiden, dorthin zu gehen, wohin wir wollen, wir entscheiden, dort zu leben, wo wir wollen.
Neuburg ist kein Platz für uns zum Leben. Wir wollen dort nicht sterben.
Wir werden diesen Protest nicht stoppen, bis wir Freiheit bekommen.
refugeeprotestneuburg@gmail.com