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12 2014

Antifa-Klassismus

Der Schriftsteller Michael Köhlmeier redet über Demokratie und demonstriert dabei vor allem paradigmatischen Intellektuellendünkel

Jens Kastner

Es gibt eine Verherrlichung des „Volkes“, in einigen Teilen der (antiimperialistischen) Linken ebenso wie in ethnologischen und anthropologischen Theorieansätzen. Sicher. Aber muss man, um dies zu thematisieren, gleich ein Maximum an klassistischem Ressentiment auffahren und historische Tatsachen verdrehen, wie der Schriftsteller Michael Köhlmeier es in seinem Text „Was wir meinen, wenn wir von Demokratie reden“ tut? Wohl kaum.

Noch im April 2014 hatte Köhlmeier den Europaabgeordneten Andreas Mölzer von der rechtspopulistischen FPÖ verklagt. In einer öffentlichkeitswirksamen Aktion hatte der Schriftsteller, gemeinsam mit der antirassistischen Organisation SOS Mitmensch, Tausende Unterschriften zur Unterstützung seiner Anzeige gesammelt. Mölzer hatte zuvor die Europäische Union ein „Negerkonglomerat“ genannt und sie zugleich mit dem „Dritten Reich“ gleichgesetzt.

Diese Haltung Köhlmeiers gegen den Rechtspopulismus erscheint nun allerdings in neuem Licht. Auch seine eigene Einschätzung des Nationalsozialismus erhellt sich unangenehm grell. In einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Der Standard (06.12.2014) veröffentlichte Köhlmeier einen Artikel, den er als Vortrag auf einem Symposium zu Fragen der Demokratie vorgetragen hatte.[1] Darin versteigt sich der Schriftsteller zu einer Tirade gegen Pöbel, Mob und Masse und fährt mit bedenklichen Thesen auf. Man könnte sie getrost mit der bitteren Erkenntnis ad acta legen, dass in Österreich selbst die linksliberalen Intellektuellen rechts drauf sind. Aber die Argumente scheinen zu paradigmatisch, um sie so beiseite zu schieben.

Köhlmeier zufolge sind es vor allem Arme, Angehörige der sogenannten Unterschichten, die er als „Fress-, Sauf- und Fickmaschinen“ diffamiert, die die Masse ausmachen. Wie gut, dass man als Intellektueller, der so etwas in der reichsten Gemeinde Österreichs (Lech am Arlberg) vorträgt, nicht mit ihnen in Berührung kommt. Denn Intellektuelle sind in diesem Bild nämlich nie Masse. Denn sie wissen sich zu distinguieren. Köhlmeier selbst führt es dünkelkhaft vor:

„Es gehört vielleicht nicht zu den bürgerlichen, wohl aber zu den plebejischen Freiheiten, einen verheerenden Geschmack haben zu dürfen, das heißt: übel zu riechen, schlecht gekleidet zu sein, nicht in ganzen Sätzen sprechen zu können, mit einem denkbar geringen Wortschatz möglichst laut möglichst viel zu reden und via Postings in Verbalfäkalien zu baden, schlicht blöd zu sein wie die Nacht dunkel und in Ausübung der Demokratenpflicht eine Partei zu wählen, die sich mit nichts anderem als mit Unfähigkeit und Korruptheit hervorgetan hat.“

Da sage noch jemand, Pierre Bourdieus These von der Reproduktion von Klassenverhältnissen mittels Geschmack (und seiner Ab- und Aufwertung) sei anachronistisch! Aber nicht genug damit, dass hier der Hass auf die Armen auch noch mit dem peinlichen Stolz des grammatikfesten Parfümbenutzers vorgetragen statt verschämt versteckt wird. Er wird letztlich auch noch antifaschistisch gerechtfertigt: Wenn die Armen alle FPÖ wählen, kann man auch gegen die Armen sein. Unnötig zu erwähnen, dass RechtspopulistInnen zwar in den letzten Jahren starken Zulauf aus den unteren Klassen hatten, der Populismus aber auch (definitionsgemäß!) gerade darin besteht, dass er klassenübergreifend funktioniert. Und die Rechtfertigung der intellektuellen Überheblichkeit geht noch weiter. Sie wird zudem durch – ebenso abenteuer- wie ungeheuerliche – historische Analogien abgestützt. Um die vermeintliche Bös- und Blödheit der Unterprivilegierten zu unterstreichen, scheut Köhlmeier nicht einmal davor zurück, die Geschichte umzuschreiben. „Der Faschismus und der Nationalsozialismus waren demokratische Bewegungen.“ Ist schon klar: Gesagt sein soll, auch Faschismus und NS wurde von den „einfachen Leute“ mitgetragen. Das ist sicher richtig. Aber Demokratie ist eben kein sozialstruktureller Begriff, sondern er enthält eine Perspektive auf Gerechtigkeit, die durch die Beteiligung aller erzielt werden soll. Und diese wurde von Faschismus und Nationalsozialismus nicht geteilt, im Gegenteil. Dass man das einem Schriftsteller überhaupt entgegenhalten muss, ist skandalös. Denn natürlich weiß er es selbst, denn sonst könnte er am Ende seines Textes nicht die attische Demokratie für ihre Ausschlüsse von Frauen, Sklaven und anderen kritisieren. Er misst sie genau an dieser, der Demokratie innewohnenden Gleichheitsperspektive. Umso niederträchtiger ist seine NS-Behauptung, weil sie nur der Legitimierung des eigenen Klassenhasses dient.

Dann stellt Köhlmeier noch die Behauptung auf, die Marxisten hätten mit der These vom „Volk für sich“ – nebenbei: wo soll Marx, der Klassentheoretiker, so was geschrieben haben, Mister Bildungsbürger? – direkt in den „stalinistischen Terror“ geleitet. Auch das ist eine schlimme These. Denn sie sagt: Hält man sie nicht für Fress- und Fickmaschinen, sondern traut ihnen Historisches zu, führt das nur ins Verderben. Der antiimperialistischen Verirrung, das Volk stets für gut zu halten, wird hier einfach mit der spiegelverkehrten Anmaßung begegnet. Ebenso ahistorisch und verallgemeinernd. Zudem besteht darin eine wahnsinnige Naturalisierung: Die Behauptung tut so, als gäbe es keine Möglichkeit, einem warum auch immer desinteressierten, lethargischen, passiven Leben einen Dreh zu geben, und – auch kollektiv! – aufzubegehren. Das stünde ja auch dem Selbstbild des Intellektuellen als Demokratieerfinder im Weg. Also ziehen wir es nicht in Betracht, wenn wir Köhlmeiers sind, produzieren stattdessen lieber selbst die Anderen, die wir verachten können, und setzten ihrer angeblichen Dumpfheit die wortgewandte Arroganz der Privilegienhalter entgegen. Das haben wir toll gemacht. Nur: Demokratisch ist das nicht.