03 2022
Feministinnen in Russland protestieren gegen Putins Krieg
Übersetzung: Nikolas Perneczky
Der Feminismus gehört in Russland zu den wenigen Oppositionsbewegungen, die der staatlichen Repression standgehalten haben. Die Bewegung ruft in diesen Tagen Feministinnen weltweit dazu auf, sich Wladimir Putins Krieg entgegenzustellen.
Der folgende Text ist ein Manifest von Feministinnen in Russland, die sich gegen die Besetzung und den Krieg in der Ukraine zusammengeschlossen haben. Mehrere Dutzend feministische Basisgruppen sind aktuell in mindestens dreißig Städten aktiv. In diesem Manifest rufen Feministinnen, die in die Antikriegsproteste in Russland involviert sind, Feministinnen auf der ganzen Welt dazu auf, sich gegen die militärische Aggression der Putin-Regierung zu wehren.
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Am 24. Februar gegen 5.30 Uhr Moskauer Zeit kündigte der russische Präsident Wladimir Putin eine »Sonderoperation« auf dem Gebiet der Ukraine an, um diesen souveränen Staat zu »entnazifizieren« und »entmilitarisieren«. Die Operation war von langer Hand geplant. Seit mehreren Monaten waren russische Truppen an die ukrainische Grenze vorgerückt. Zugleich leugnete die Führung unseres Landes die Möglichkeit eines militärischen Angriffs. Nun sehen wir, dass dies eine Lüge war.
Russland hat seinem Nachbarn den Krieg erklärt. Es hat der Ukraine das Recht auf Selbstbestimmung und jedwede Hoffnung auf ein friedliches Leben abgesprochen. Wir stellen fest – und das nicht zum ersten Mal – dass die russische Regierung seit acht Jahren Krieg führt. Der Krieg im Donbass ist eine Folge der illegalen Annexion der Krim. Wir sind der Ansicht, dass Russland und sein Präsident sich für das Schicksal der Menschen in Luhansk und Donezk nicht interessieren und dies auch nie getan haben und dass die Anerkennung beider als Republiken acht Jahre später nur ein Vorwand für den Einmarsch in die Ukraine unter dem Deckmantel der Befreiung war.
Als russische Bürgerinnen und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg. Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besatzung stehen. Die feministische Bewegung in Russland kämpft für benachteiligte Gruppen und die Entwicklung einer gerechten, gleichberechtigten Gesellschaft, in der Gewalt und militärische Konflikte keinen Platz haben dürfen.
Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und fehlende Zukunft. Er ist unvereinbar mit den grundlegenden Werten und Zielen der feministischen Bewegung. Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft menschenrechtliche Errungenschaften um viele Jahre zurück. Krieg bringt nicht nur die Gewalt der Bomben und Geschosse mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt: Wie die Geschichte zeigt, steigt zu Kriegszeiten das Risiko, vergewaltigt zu werden, für alle Frauen um ein Vielfaches. Aus diesen und vielen anderen Gründen müssen russische Feministinnen und alle, die feministische Werte teilen, entschieden gegen diesen von der Führung unseres Landes entfesselten Krieg auftreten.
Der gegenwärtige Krieg wird, wie Putins Ansprachen zeigen, auch unter dem Banner jener von Regierungsideologen verkündeten »traditionellen Werte« geführt, die Russland in der ganzen Welt missionarisch zu verbreiten vorgibt, indem es Gewalt gegen diejenigen anwendet, die sich weigern, diese Werte zu akzeptieren oder andere Ansichten vertreten. Alle, die zu kritischem Denken fähig sind, verstehen, dass zu diesen »traditionellen Werten« die Ungleichheit der Geschlechter, die Ausbeutung der Frauen und die staatliche Unterdrückung von Menschen gehören, deren Lebensweise, Selbstverständnis und Handeln solch engen patriarchalischen Normen nicht entsprechen. Dass die Besetzung eines Nachbarstaates mit dem Ansinnen gerechtfertigt wird, derart verdrehte Normen sowie eine demagogische »Befreiung« zu befördern, ist ein weiterer Grund, warum sich Feministinnen in ganz Russland diesem Krieg mit aller Kraft entgegenstellen müssen.
Feministinnen sind heute eine der wenigen aktiven politischen Kräfte in Russland. Lange Zeit wurden wir von den russischen Behörden nicht als gefährliche politische Bewegung wahrgenommen und waren daher vorübergehend weniger von staatlicher Repression betroffen als andere politische Gruppierungen. Derzeit sind mehr als fünfundvierzig verschiedene feministische Organisationen im ganzen Land tätig, von Kaliningrad bis Wladiwostok, von Rostow am Don bis Ulan-Ude und Murmansk. Wir rufen russische feministische Gruppen und einzelne Feministinnen auf, sich dem Feministischen Widerstand gegen den Krieg anzuschließen und ihre Kräfte zu vereinen, um sich aktiv gegen den Krieg und die Regierung, die ihn begonnen hat, zu stellen. Außerdem rufen wir Feministinnen in der ganzen Welt auf, sich unserem Widerstand anzuschließen. Wir sind viele, und gemeinsam können wir viel erreichen: In den letzten zehn Jahren hat die feministische Bewegung eine enorme mediale und kulturelle Macht erlangt. Es ist an der Zeit, diese in politische Macht umzumünzen. Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird.
Wir rufen Feministinnen auf der ganzen Welt auf:
Beteiligt euch an friedlichen Demonstrationen, startet Offline- und Online-Kampagnen gegen den Krieg in der Ukraine und Putins Diktatur, und organisiert eure eigenen Aktionen. Gerne könnt ihr das Symbol des Feministischen Widerstands gegen den Krieg in euren Materialien und Publikationen verwenden, ebenso wie die Hashtags #FeministAntiWarResistance und #FeministsAgainstWar.
Verbreitet Informationen über den Krieg in der Ukraine und Putins Aggression. Wir brauchen die ganze Welt, um die Ukraine in diesem Moment zu unterstützen und Putins Regime jede Unterstützung zu entziehen.
Teilt dieses Manifest mit anderen. Es ist notwendig zu zeigen, dass Feministinnen gegen diesen Krieg sind – und gegen jede Art von Krieg. Ebenso wichtig ist es zu beweisen, dass es noch russische Aktivistinnen gibt, die bereit sind, sich zum Widerstand gegen Putins Regime zusammenzuschließen. Wir alle laufen jetzt Gefahr, vom Staat verfolgt zu werden und brauchen eure Unterstützung.
Dieser Text erschien zuerst bei Jacobin Magazin auf https://jacobin.de/artikel/feministinnen-in-russland-protestieren-gegen-putins-krieg-ukraine-invasion-putin-opposition/.