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02 2022

Offener Brief: Wem gehört die Öffentlichkeit?

Jörg Heiser, Hito Steyerl, Clemens von Wedemeyer

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An den Senator für Kultur und Europa Klaus Lederer, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, den Regierenden Bürgermeister a.D. Michael Müller, die Mitglieder des Aufsichtsrats der Tempelhof Projekt GmbH, den Berliner Rechnungshof, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth sowie Bundespräsident Frank Walter Steinmeier als Schirmherr der Ausstellung “Diversity United”:

Wir schreiben Ihnen, weil wir alarmiert sind davon, dass die Stadt Berlin bzw. deren Funktionsträger sich ohne Not mit der räumlichen und finanziellen Unterstützung einer sogenannten „Kunsthalle Berlin“ von privaten Vereinen, Unternehmen und Personen rund um den „Kulturmanager“ Walter Smerling haben instrumentalisieren lassen. Diese betreiben am zentralen und prominenten Ort Flughafen Tempelhof nicht nur das leider vielerorts übliche Spiel, sich private Vernetzungs-, Repräsentations- und Profitinteressen aus öffentlichen Mitteln alimentieren zu lassen. Sondern sie betreiben auch aktiv und mitten in einer geopolitischen Krise höchsten Ausmaßes – dem schwelenden Russland-Ukraine-Konflikt – eine fehlgeleitete „Kulturdiplomatie“, die sich vor allem dadurch äußert, dass man Wladimir Putin zum Schirmherr der einen Ausstellung macht („Diversity United“) und am Vorabend der Eröffnung der anderen (Bernar Venet) das designierte Gazprom-Aufsichtsratsmitglied Gerhard Schröder als Hauptredner aufbietet – in den Ausstellungsräumen, beim Firmen-Neujahrsempfang des Hauptsponsors, des Bauunternehmers Christoph Gröner.[1]

Wir sind alarmiert, weniger, weil wir einen anderen Kulturbegriff haben als diese Akteure (auch wenn insbesondere bei „Diversity United“ mit zwölf weißen, männlichen Mitgliedern des Projektbeirats der Etikettenschwindel schwer zu übersehen war) oder weil wir glauben, dies sei der einzige Fall, wo privaten Marktinteressen mit öffentlichen Mitteln eine Bühne bereitet wird (dem ist leider nicht so), sondern weil wir die Gefährlichkeit des Systems Smerling schon seit Jahren kennen und nun sehen, wie leichtgläubig bis verantwortungslos man sich in Berlin hat vor den Karren spannen lassen.

Dementsprechend unsere Forderungen:

• Wir fordern bei allen, die sich qua Funktion oder Profession der zeitgenössischen Kunst verbunden fühlen, ein Umdenken im Umgang mit ethisch und politisch fragwürdigen „Partnern“, insbesondere was deren Alimentierung aus öffentlichen Sach- und Geldmitteln betrifft. Einige von uns haben bereits 2017 gegen eine Smerling-Ausstellung aus solchen Gründen öffentlich protestiert; wir solidarisieren uns mit all jenen, die kritisch recherchiert und berichtet haben, die ihren Protest kundgetan haben, etwa unter dem Hashtag #boycottkunsthalleberlin, oder ihre Beteiligung an aktuellen Smerling-Ausstellungen beenden.

• Wir fordern, dass die Vergabe der Räume an die Betreiber der „Kunsthalle Berlin“ sofort beendet und deren Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln eingestellt wird.

• Wir fordern die Offenlegung des Vorganges der getätigten Vereinbarung zwischen der „Stiftung Kunst und Kultur e.V“ und der „Tempelhof Projekt GmbH“, die im Auftrag der Stadt den Ort verwaltet, sowie eine politische Aufarbeitung im Berliner Senat über das Entstehen der Vereinbarung und die Entscheidungen der zuständigen Akteure.

• Wir fordern eine finanz-und steuerrechtliche Überprüfung des Vorgangs durch die dafür zuständigen Behörden. Die Senatsverwaltung für Finanzen hat bereits mitgeteilt, dass bei Zwischennutzungen ein Mieterlass in Kombination mit gleichzeitiger Bezuschussung von Betriebskosten „kaum zu rechtfertigen“ sei.[2] In diesem Fall wurden nicht nur zwei Hallen im „denkmalgeschützte[n] und ikonische[n] Gebäude“[3] (Eigenaussage der Tempelhof Projekt GmbH) mietfrei überlassen. Vielmehr werden 50 Prozent der monatlichen Betriebskosten jedes Hangars übernommen, die Medienberichten zufolge je bis zu 100.000 Euro betragen könnten, was bei einer Laufzeit von zwei Jahren einer Summe von bis zu 2,4 Millionen Euro entspricht.[4]

• Wir fordern, dass die Berliner Kulturpolitik endlich die Kunst und die Kunstszene ernst nimmt und aufhört zu versuchen, die chronische Unterfinanzierung der bestehenden Institutionen dadurch zu kompensieren, dass man auf private Player setzt. Die interessierte Öffentlichkeit und fachliche Expertise muss durch ordentliche Verfahren eingebunden, Instrumentalisierung unterbunden werden. Wir fordern, dass öffentliche Mittel ohne sich einkaufende Mittelsleute direkt für Künstler:innen und öffentliche Institutionen eingesetzt werden.

• Die Staatsministerin für Kultur und Medien ist „für kulturelle Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung“ zuständig.[5] Wenn der Gründung einer ernstzunehmenden, diesen Namen verdienenden Kunsthalle Berlin durch eigenmächtige Selbstbezeichnung vorgegriffen wird, so zeigt dies Handlungsbedarf an. Wir fordern daher, dass auch von staatlicher Seite ethische Leitlinien in Bezug auf das Verhältnis von öffentlicher Hand und privaten Interessen bzw. Sponsoren entwickelt werden, die solchen und ähnlichen Instrumentalisierungen vorbeugen.

Die Hintergründe:

Die „Kunsthalle Berlin" ist keine Kunsthalle – insbesondere nicht im Sinne der Trägerschaft einer Kommune, des Landes oder des Staats, sondern eine private Initiative von Walter Smerling, der private Interessen verfolgt. Dies ist nicht das erste Mal, dass Walter Smerling Begriffe benutzt und deren Sinn entleert, um einen öffentlichen Auftrag vorzutäuschen. Seine „Stiftung Kunst und Kultur e.V.“ ist keine Stiftung, sondern ein Verein.

Jeder kann sich Kurator:in nennen, auch Walter Smerling, aber so wird auch dieser Begriff entleert. Walter Smerling betreibt ein Programm, in dem Kunst instrumentalisiert wird, um öffentliche Gelder in private Anlässe für das Networking von Unternehmern und Politikern umzumünzen. Damit wird gleichzeitig Reputationswäsche dubioser Firmengeflechte aus der Rüstungs-, Immobilien-, oder Öl/Gasbranche betrieben. Wie man später an Beispielen sehen kann, ist es in solchen Geflechten aufgrund ihrer Intransparenz schwer, Geldwäsche und Steuerbetrug auszuschließen. Auch die Aufwertung von problematischen Wirtschaftsbeziehungen mit China oder Russland durch eigenmächtige „Kulturdiplomatie“ gehört zum System. Im Ausland veranstaltet Smerling dazu privat organisierte Großausstellungen im Namen Deutschlands und sieht sich dabei von hochrangigen (Ex-)Politikern unterstützt – von Gerhard Schröder über den ehemaligen Berliner Bürgermeister Michael Müller bis zu Sigmar Gabriel oder Frank-Walter Steinmeier. Strukturell und politisch skandalös ist hier wie dort die Verwendung öffentlicher Ressourcen für private Interessen – und zur Aufwertung autoritärer Regime und intransparenter, wiederholt in Skandale verwickelter Firmengeflechte.

Angesichts dieser Praktiken ist es daher inakzeptabel, dass Walter Smerlings sogenannte Kunsthalle Berlin bei der Vergabe von Ressourcen durch die Berliner Politik begünstigt wird und sich Berliner Senatsverwaltungen aktiv zum Teil dieses Systems gemacht haben.[6] Die Methode Smerling funktioniert in etwa so: Durch die Förderung immer wieder derselben Künstler werden deren Arbeiten am Markt aufgewertet. Die Ausstellungen werden nicht selten öffentlich gefördert, die Verkaufserlöse der aufgewerteten Künstler kommen sowohl ihnen als auch ihren Sammlern zugute. Strategisch werden großspurige Ausstellungstitel erfunden, deren Zielsetzungen durch Auftritte hochrangiger Politiker öffentlich legitimiert werden. Dadurch wird der öffentliche Raum gekapert: Städte werden mit Kunstwerken aus privater Hand möbliert, wie man am Beispiel Bonn sehen kann, wo Skulpturen auf Drängen Smerlings den Stadtraum erobern und die öffentliche Diskussion um ihre Legitimation nicht abreißt.[7] Die Funktionsweise des Systems zeigt sich auch, wenn Finanzierungslücken öffentlicher Institutionen ausgenutzt werden um – wie 2018 im Fall des Haus der Kunst in München – kurzfristig abgesagte Ausstellungen renommierter Künstlerinnen wie Adrian Piper und Joan Jonas durch die Installierung von z.B. Markus Lüpertz zu ersetzen.[8] Wie auch schon vorher 2012 im Fall der Bundeskunsthalle Bonn werden so notorisch städtische oder staatliche Ausstellungsflächen durch Künstler aus Smerlings Portfolio bespielt.[9] Der öffentliche Raum und öffentliche Institutionen werden strategisch zum Wertsteigerungsdurchlauferhitzer und undemokratisch an Wettbewerben und an unparteiischen Auswahlgremien vorbei mithilfe teils zweifelhafter Sponsoren besetzt.[10] Vieles an dieser Methode ist kein Alleinstellungsmerkmal von Smerling oder seinem Verein, versuchen doch auch andere kulturelle Player, ihre Einsätze durchzusetzen. Doch hier geht es mitnichten „nur“ um Kunst, sondern primär um die Kultivierung eines Netzwerkes aus Politik und Wirtschaft.

Insbesondere im Ausland werden Kunstwerke zur Dekoration eigenmächtiger „kultureller Diplomatie“ im Dienste oft problematischer Wirtschaftsbeziehungen eingesetzt. Die Ausstellung „Diversity United“ kann etwa als gescheitertes Begleitprogramm für die Pflege wirtschaftlicher Beziehungen innerhalb eines erweiterten Nord-Stream 2-Netzwerks verstanden werden. Dass die dabei instrumentalisierten Kunstarbeiter:innen wenig divers waren, ganz abgesehen vom Projektbeirat, ist dabei nur ein nahezu unvermeidlicher Nebeneffekt, der hinter den geopolitischen und umweltschädlichen Konsequenzen zur absurden Farce wird.

Art Washing als Imagegewinn für Rüstungsfabrikanten gehört ebenfalls zur Methode, wie sich am Beispiel des größten Rüstungskonzerns Deutschlands, Rheinmetall, festmachen lässt, der als Hauptsponsor der Ausstellung „Deutschland 8“ 2017 in Peking auftrat. Die Ausstellung „Diversity United“, die derzeit in Moskau zu sehen ist, wird u.a. durch Meridian Capital gefördert: eine Firma aus dem Umfeld des ehemaligen kasachischen Energieministers, die von kasachischen Steuerzahlern finanzierte Bailout-Gelder auf Privatkonten in Steueroasen umlenkte – ein Umstand, der von den sogenannten Paradise Papers aufgedeckt wurde.[11] Ein weiterer Sponsor, Lars Windhorst, ist ebenfalls am kasachischen Energiesektor beteiligt.[12] In den letzten Monaten tauchten Vorwürfe gegen Windhorst auf: Er soll an Geldwäscheaktivitäten eines Ölmanagers aus den Emiraten beteiligt gewesen sein. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass dies keine justiziablen Vorgänge sein sollten, bleibt die Frage, warum hiesige Steuerzahler:innen und die Berliner Verwaltung ein Projekt mit solchen Partnern und Implikationen fördern sollten – anstatt damit pandemiegebeutelte Künstler:innen oder öffentliche Institutionen zu unterstützen? Diese Verbindungen von Rüstungsproduzenten, Briefkastenfirmen und fossilen Energiekonzernen karikieren die prinzipiell richtige Idee des kulturellen Austauschs und internationaler Verständigung, auch und vor allem wo dies durch Zensur und Unterdrückung erschwert ist. Um wessen Austausch geht es hier?

Denn trotz hoher Budgets der von der „Stiftung Kunst und Kultur e.V.“ organisierten Gruppenausstellungen mit staatlicher Beteiligung werden keine Honorare an Künstler:innen bezahlt, wie am Beispiel „Diversity United“ zu sehen ist – die Eintrittskarte zum Netzwerk wird als ausreichende Vergütung angesehen. Auch Künstler und Künstlerinnen müssen sich in Zukunft fragen, ob die reine Aussicht darauf, womöglich einem Geldwäscher die Hand schütteln zu dürfen, als Motivation für den unentgeltlichen Beitrag zum System Smerling ausreicht. Waren bis dato Informationen zu diesem System verstreut und nur (vor allem rheinländischen) Insidern bekannt, was seine Akquise – auch hinter dem Deckmantel zuarbeitender Kurator:innen – vereinfachte, hat sich die Situation nun geändert und Künstler und Künstlerinnen, die sich für die Zusammenarbeit mit der „Stiftung Kunst und Kultur e.V“ entscheiden, tun dies von nun an in Kenntnis zumindest einiger Zusammenhänge. Nur um eins klarzustellen: die Situation würde sich kein bisschen verbessern, wenn Smerling auf die Idee käme, womöglich diversere – gar weibliche oder lokale Berliner Künstler:innen für seine Interessen einzuspannen. Es ist völlig egal, welche demografische Gruppe als Schaufensterdekoration für die dahinterliegenden Interessen abgestellt wird, es verändert nichts am zugrundeliegenden System. Künstler:innen, die sich daran beteiligen, ließen sich in jedem Fall zur Imagepflege von Sponsoren und Vereinsmitgliedern instrumentalisieren. Wir plädieren nicht dafür, das System Smerling bunter zu machen, sondern es auszurangieren.

An Smerling, der Joseph Beuys als Inspiration nennt, kann beobachtet werden, was passiert, wenn sich „soziale Plastik“ in sich selbst verheddert und als old boys network toxisch wird: als Werkzeug eines profitablen Systems zur Kurzschaltung von Kunst, Politik und Wirtschaft. Immer die gleichen weißen Maler und Bildhauer von vorgestern, um deren Marke am Leben zu erhalten; immer neue teils sehr fragwürdige Sponsoren, um frisches Kapital zu generieren. Dabei spielt die politische Ausrichtung keine Rolle, sondern vor allem die Machtstellung und die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen und Netzwerke zu pflegen. Der erwähnte Hauptsponsor der „Kunsthalle Berlin“, der Bauunternehmer Christoph Gröner, ist Besitzer des Bildes „Der Anbräuner“ (2019) von Neo Rauch (ein fäkales Beleidigungsbild gegen den Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich[13]). Mit Gröner ist nun nicht nur ein weiterer Sponsor aus der Immobilienbranche für die Gentrifizierung des Flughafenareals Tempelhof am Start, sondern zudem jemand, der den Russland-Gaslobbyisten Gerhard Schröder im Juni 2021 als Berater angeheuert hat. Schröder tourt gleichzeitig durch die Medien, um als Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und womöglich zukünftiger Aufsichtsrat des russischen Staatskonzerns Gazprom Stimmung gegen die Ukraine zu machen.[14]

Gentrifizierung, Kunst- und Diversitätswashing, die Aufwertung von Öl- und Gaskonzernen, Rüstungsbetrieben und Briefkastenfirmen, unterstützt durch Industrielobbyisten, Kunstspekulanten und konservative Männerbünde: Das ist verkürzt die Methode Smerling – auf Kosten von zivilgesellschaftlichen und demokratischen Spielregeln. Die Instrumentalisierung von Kunst durch intransparente Seilschaften wird mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Wenn Kunst und ihre Förderung zunehmend als eine Art Ablasshandel zur Reputationswäsche und Vorwand für Sektempfänge der Hochverdienenden verstanden werden – und nicht als gesellschaftlicher Diskurs und Aufgabe – erodiert ein demokratischer Begriff der Öffentlichkeit. Sie wird auf diese Weise schleichend privatisiert.

Die Causa Smerling wirft letztlich folgende Fragen auf: Wem gehört die Öffentlichkeit? Wie käuflich ist sie und was kostet sie? Erfüllen Politiker, die einer intransparenten Privatisierung öffentlicher Ausstellungsflächen Vorschub leisten, noch ihren Auftrag?

Tatsächlich ist Smerling nur ein besonders exponiertes Beispiel einer Vorgehensweise, die vor allem auch in der internationalen Kunstwelt gang und gäbe ist. Smerlings Rolle in dieser ist allerdings marginal. Seine Verbindungen beziehen sich auf die westdeutsche Wirtschaftsszene und vor allem rheinländische Klüngel. International ist Smerling in der Kunstszene fast unbekannt, seine Reichweite geht – was die Kunst betrifft – über die westdeutsche Provinz kaum hinaus. Der Vorzug europäischer Kunstsysteme gegenüber z.B. US-amerikanischen war bislang, dass sie zumindest teilweise demokratisch legitimiert und demokratischer Bewusstseinsbildung verpflichtet waren. Diese demokratisch mitbestimmte Form der Öffentlichkeit scheint jedoch vielen deutschen Politikern mittlerweile lästig geworden zu sein. Gerade international jedoch ist Reputationswäsche durch Kunstsponsoring, das sich zum Beispiel aus Steuervermeidung, Waffen– und sogar (legalem) Drogenhandel speist, nicht länger unumstritten. Dies zeigten etliche erfolgreiche Protestbewegungen, wie etwa gegen das Mäzenatentum von Mitgliedern der Pharmaunternehmer-Familie Sackler, gegen Tränengasfabrikanten und andere Kunstsponsoren. Es ist nicht einzusehen, wieso in Deutschland ausgerechnet jene Geschäftspraxen jetzt und zukünftig unterstützt werden sollen, die andernorts schon aufgrund heftiger Proteste als überkommene Relikte aus einer anderen Ära zurückgefahren werden (müssen). Die deutsche Kulturpolitik hofft hier noch auf einen Zug aufzuspringen, der anderenorts schon längst abgefahren ist.

Deshalb fordern wir auch alle in Kunst und Kulturpolitik Aktiven dazu auf, nicht nur das System Smerling, sondern auch die Logik der Reputationswäsche zweifelhafter Sponsoren insgesamt zu hinterfragen und sich schleichender Privatisierung zu entziehen. Auch kann es nicht bei zunehmend schüchternen, naiven und handzahmen Medienberichten (mit wenigen, markanten Ausnahmen) über diese unhaltbaren Zustände bleiben. Einige von uns sind als Künstler und Künstlerinnen Smerling und seinem System zunächst auf den Leim gegangen. Daher möchten wir allen anderen – inklusive Besucher:innen, Kritiker:innen, Journalist:innen etc. – von künftigen Vertrauensvorschüssen dringendst abraten. Für uns lautet die Konsequenz: Nein – ohne danke.

Im Fall der Causa Smerling ist jedoch zusätzlich auch eine juristische und politische Aufarbeitung nötig: Es geht um Steuergelder, öffentliches Eigentum und den politischen Auftrag. Ist eine Vergabe landeseigener Immobilien durch einen scheidenden Regierenden Bürgermeister nach Gutsherrenart, abgesegnet von einer in Verantwortung und Auftrag der Berliner Stadtregierung eingesetzten Projekt-GmbH, überhaupt legal? Wie kann es sein, dass das Geschäftsgebaren von Smerlings Verein mit Berliner Steuergeldern durch die Senatsverwaltung ohne öffentliche Diskussion und Prüfung finanziert wird? Wird in der Stadt Berlin nicht mindestens der Gleichheitsgrundsatz gebrochen, wenn an anderer Stelle die temporäre Vergabe von Ateliers verweigert wird, aber hier eine Fläche von 8000 m2 ohne öffentliche Diskussion und mit Übernahme von 50% der Nebenkosten ohne Prüfung in private Hand übergeht? Nachdem die Nutzung eben dieser Flächen selbstorganisierten Künstler:innen verweigert wurde und ein von der Stadt Berlin mehrmalig initiiertes Projekt für neue Nutzungspläne im Sande verlaufen ist? Wie würden eigentlich der Rechnungshof oder auch Richter:innen des Verwaltungsgerichts diesen Fall sehen?

Was soll noch passieren, bis sich etwas an solchen Praktiken ändert? Wen akzeptiert die Berliner Politik als Co-Sponsor ihrer privaten Kunsthalle noch? Ist oder war Palantir tatsächlich als Sponsor baldiger Multimedia-Ausstellungen im Gespräch? Nur zur Erinnerung – Palantir, gegründet von Trump-Unterstützer Peter Thiel, ist eine der berüchtigsten digitalen Überwachungs- und Analysefirmen der Welt, die nicht nur eng mit militärischen Stellen sondern z.B. auch mit der US-amerikanischen Immigrations(-verhinderungs) Behörde ICE kooperiert.

Wenn wir in Zukunft einen verantwortungsvolleren Umgang mit öffentlichen Mitteln und nachhaltige Entscheidungen wollen, muss sich schnell etwas ändern. Nicht erst seit dem Skandal um die Flick-Collection wissen wir, dass Politiker:innen gern ein Auge zudrücken, wenn es um Kunst- und Kultursponsoring geht, insbesondere im Umgang mit institutionellen und privaten Kunstsponsoren, deren Kapital oft auf Ausbeutung während der Nazizeit zurückgehen.

Die Stadt Berlin hat bei der Vergabe von Raum und Fördermitteln für die Hangars in Tempelhof in ihrem politischen Auftrag versagt, öffentliche Teilhabe zu gewährleisten und eine genaue Prüfung der beteiligten Geldgeber:innen vorzunehmen. Daher müssen die kulturellen und kulturpolitischen Akteure in Berlin und anderswo gemeinsam Grundsätze entwickeln, welche die Instrumentalisierung der Kunst sowie die weitere Privatisierung der Öffentlichkeit verhindern.

verfasst von Jörg Heiser, Hito Steyerl, Clemens von Wedemeyer, Berlin den 13.2.2022

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Ulf Aminde, Künstler, Berlin
Julieta Aranda, Künstlerin, Berlin
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Christoph Balzar, Kurator, Berlin
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Rosa Barba, Künstlerin, Berlin
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Beatrice von Bismarck, Kunsthistorikerin, Berlin
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Alice Creischer, Künstlerin, Berlin
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​​Aleksandra Domanović, Künstlerin, Berlin
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Constant Dullaart, Künstler, Berlin
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Maria Eichhorn, Künstlerin, Berlin
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Anselm Franke, Kurator und Autor, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
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Gago Gagoshidze, Künstler, Berlin
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Eiko Grimberg, Künstler, Berlin
Asta Gröting, Künstlerin, Berlin
Eva Grubinger, Künstlerin, Berlin
Krist Gruijthuijsen, Direktor KW Institute for Contemporary Art, Berlin
Heinz Havemeister, Kunsthistoriker und Musiker, Berlin
Nanna Heidenreich, Professorin für Transkulturelle Studien, Universität für Angewandte Kunst Wien
Jörg Heiser, Kunstkritiker und Kurator, Berlin
Tom Holert, Kulturwissenschaftler und Kurator, Berlin
Laura Horelli, Künstlerin und Filmemacherin, Berlin
Gabriele Horn, Direktorin Berlin Biennale for Contemporary Art, Berlin
Andrea Hummer, eipcp Linz
Leon Kahane, Künstler, Berlin.
Vika Kirchenbauer, Künstlerin, Berlin
Stefan Kobel, Kunstkritiker, Wiesbaden
Alexander Koch, Direktor Gesellschaft der Neuen Auftraggeber, Galerist KOW
Radek Krolczyk, Kunstkritiker und Galerist, Bremen
Mischa Kuball, Künstler, Düsseldorf
Thomas Locher, Künstler, Berlin
Isabell Lorey, Berlin, Professorin Kunsthochschule für Medien Köln
Antje Majewski, Künstlerin, Berlin
Jumana Manna, Künstlerin, Berlin
Benjamin Meyer-Krahmer, Prorektor Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Zoë Claire Miller, Künstlerin, Berlin
Marina Naprushkina, Künstlerin, Berlin
Marcel Odenbach, Künstler, Köln
Ahmet Öğüt, Künstler, Berlin
Philipp Oswalt, Architekt und Publizist, Berlin
Matteo Pasquinelli, Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe
Heiko Pfreundt, Künstler und Kurator, Berlin
María Inés Plaza Lazo, Kunstkritikerin und Kuratorin, Berlin
Andrea Pichl, Künstlerin, Berlin
Juliane Rebentisch, Professorin für Philosophie und Ästhetik, Offenbach a.M./Berlin
Sabine Reinfeld, Künstlerin, Berlin
Mykola Ridnyi, Künstler und Filmemacher, Kiew
Natascha Sadr Haghighian, Künstlerin, Berlin
Christoph Schäfer, Künstler, Hamburg
Eva Scharrer, Kritikerin und Kuratorin, Berlin
Andreas Schlaegel, Kunstkritiker und Künstler, Berlin
Petra Schmidt-Dreyblatt, Geschäftsführerin des BVBK e.V., Berlin
Lisa Susanne Schorm, Projektraumbetreiberin, Berlin
Maya Schweizer, Künstlerin, Berlin
Maximilian Schmoetzer, Künstler, Berlin
Andreas Siekmann, Künstlerin, Berlin
Bettina Steinbrügge, Kuratorin, Berlin
Noemi Smolik, Kritikerin, Bonn
Raimar Stange, Kritiker, Berlin
Hito Steyerl, Filmemacherin, Autorin, Berlin
Ana Teixeira Pinto, Autorin und Kulturtheoretikerin, Berlin
Mark Terkessidis, Kulturwissenschafter und Autor Berlin.
Susanne Titz, Direktorin Museum Abteiberg, Mönchengladbach
Nasan Tur, Künstler, Berlin
Milos Trakilovic, Künstler, Berlin
Christopher Uhe, Musiker, Berlin
Christina Végh, Direktorin Kunsthalle Bielefeld
Anton Vidokle, Künstler, New York
Janneke de Vries, Direktorin Weserburg Museum, Bremen
Raul Walch, Künstler, Berlin
Mark Waschke, Schauspieler, Berlin
Clemens von Wedemeyer, Künstler, Berlin
Susanne Weiß, Kuratorin, Berlin
Ming Wong, Künstler, Berlin
Didem Yazici, Kuratorin, Karlsruhe
Elena Zanichelli, Juniorprofessorin für Kunstwissenschaft und Ästhetische Theorie, Bremen/Berlin
Tobias Zielony, Künstler, Berlin

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Gregor Jansen, Direktor Kunsthalle Düsseldorf
Renata Rara Kaminska / Artist / Berlin
Imke Kannegiesser, Künstlerische Leitung und Geschäftsführung Kunstverein Reutlingen
Carlos Kong, Kunstkritiker und Kunsthistoriker, Berlin
Clemens Krümmel, Berlin
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Fette Sans, Künstlerin, Berlin
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Carola Spadoni, Künstlerin, Berlin
Paolo Stolpmann, Leiter Museumsdienst Berlin, Berlin
caner teker, artist, Berlin
Ivonne Thein, Künstlerin, Berlin
Wolfgang Ullrich, Kunstwissenschaftler, Leipzig
Jan Verwoert, art critic and professor, Berlin
Joanna Warsza, curator, Berlin
Joshua Wicke, Dramaturg, Zürich/Berlin
Florian Wüst, film curator, Berlin
Christof Zwiener, bildender Künstler, Berlin

https://www.e-flux.com/notes/450386/offener-brief-wem-gehrt-die-ffentlichkeit

 

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[1] Vgl. https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/sendung-vom-1-februar-2022-100.html.

[2] Siehe https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/berliner-exzess-beim-streit-um-die-kunsthalle-17780364.html.

[3] Siehe https://www.thf-berlin.de/standortinfos/.

[4] Siehe https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/berliner-exzess-beim-streit-um-die-kunsthalle-17780364.html.

[5] Siehe https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/kultur/kunst-kulturfoerderung#:~:text=The%20Federation%20%C3%BCbears%20with%20round,Art%20and%20Culture%20develop%20k%C3%B6nnen.

[6] Zum System Smerling und der Förderung durch die Stadt Berlin siehe insbesondere die Artikel von Niklas Maak in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23.1 2022 und 4.2.2022: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/stiftung-fuer-kunst-und-kultur-wer-ist-walter-smerling-17743829.html und https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/berliner-exzess-beim-streit-um-die-kunsthalle-17780364.html.

[7] Siehe auch https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/walter-smerlings-skulpturenprojekt-fuer-bonn-16676474.html.

[8] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/kultur/haus-der-kunst-adrian-piper-joan-jonas-markus-luepertz-bernhard-spies-1.4272235.

[9] Vgl. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/bundeskunsthalle-bonn-von-tiefpunkt-zu-tiefpunkt-11797790.html.

[10] Siehe auch https://ga.de/bonn/stadt-bonn/denkmal-fuer-august-macke-in-bonn-gestoppt_aid-43263869 und https://ga.de/bonn/stadt-bonn/weg-frei-fuer-balkenhol-skulptur-im-hofgarten_aid-43415265.

[11] Siehe https://offshoreleaks.icij.org/nodes/82005612.

[12] Siehe https://www.wiwo.de/unternehmen/mittelstand/wunderkind-der-wirtschaft-oel-und-gas-aus-kasachstan/9807346-4.html.

[13] Siehe https://www.monopol-magazin.de/feindbild-werden-wolfgang-ullrich-neo-rauch-anbraeuner.

[14] Siehe https://www.zeit.de/politik/2022-01/gerhard-schroeder-ukraine-saebelrasseln-osteuropa-russland.