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01 2024

Strategien nach Social Media

Raimund Minichbauer

Einleitung

Die Übernahme von Twitter durch einen neuen privaten Eigentümer im Herbst 2022 und der unmittelbar darauf begonnene Umbau, dessen Elemente oft rational kaum nachvollziehbar sind und der deshalb vor allem als Zerstörung des Netzwerks in seiner bisherigen Form wahrgenommen wird, hat den seit 2016 breiter sichtbaren Entwicklungen in den Sozialen Medien einen spektakulären Ausdruck verliehen. In der Farce der Übernahme des politisch wohl profiliertesten Netzwerks durch einen Shitposter[1], in dessen Umbau sich Rechtsruck, Free-Speech-Argumentation und ein zur Schau getragener Narzissmus mit einem rücksichtslosen – wenn auch bislang nicht erfolgreichen – Gewinnstreben verknüpfen, wiederholen sich die Probleme der letzten Jahre, von denen Brexit, Trump- und Bolsonarowahl nur die bekanntesten darstellen.

Die nun in Twitter/X öffentlich zur Schau getragene Eigentümer-Willkür bestätigt dabei in breit sichtbarer Form, dass die kommerziellen Social Media Plattformen im Zweifelsfall eher dem Modell des privaten Wohnzimmers folgen, in dem der ‚Gastgeber‘ die Regeln bestimmt, als dem vielbeschworenen des öffentlichen Platzes und politischen Erscheinungsraums[2]. Die wiederholten Zumutungen und Willkürakte konfrontieren die Betroffenen unmittelbar mit den Auswirkungen des User-Lockin, der es ihnen verunmöglicht, die Plattform einfach zu verlassen, ohne dabei ihr Netzwerk an Followers und oft jahrelange tägliche Arbeit oder auch umfangreiche Investitionen in dessen Entwicklung zu verlieren.

Dass mit dem dezentralen, föderierten und nicht-kommerziellen Netzwerk Mastodon zur Zeit des Twitter-Verkaufs und dessen ersten desaströsen Auswirkungen im Herbst 2022 in den Massenmedien bereits eine relativ weit entwickelte ‚Alternative‘ präsentiert werden konnte, verweist auf eine längere Vorgeschichte. Mastodon selbst war 2016 gestartet worden und hat damit einen ähnlichen Zeithorizont wie die breit sichtbare Krise von Social Media[3]. Und ebenso wie Social Media schon lange davor problematisch war, reicht auch die Geschichte der Dezentralisierungsansätze weiter zurück. Protokolle wie OpenMicroBlogger[4] oder OStatus[5] entstanden Ende der 2000er Jahre. Einen Durchbruch bedeutete nun das Protokoll ActivityPub[6], das im Jänner 2018 den Status eines offiziellen Webstandards[7] erhielt und nun die Basis für viel breitere föderierte Vernetzungen bildet, die als ‚Fediverse‘ bezeichnet werden und sich nicht auf Microblogging beschränken, sondern verschiedene Formate und mediale Ebenen von Social Media integrieren.

Vor diesem Hintergrund haben die Twitter-Turbulenzen drei positive Dinge bewirkt: Mastodon wurde relativ breit in den Massenmedien diskutiert und hat deutlich an Bekanntheit gewonnen[8]. Anders als z.B. bei der frühen prominenten Facebook-Alternative diaspora*, die bei ihrem Launch vor mehr als zehn Jahren auch eine breitere Medienaufmerksamkeit erreichen konnte, aber bis heute nur sehr kleine User:innenzahlen hat, gab es bei Mastodon schon seit dem Hype 2017 und verstärkt nach dem Twitter-Verkauf im Herbst 2022 auch deutliche Zuwächse bei den User:innenzahlen (die sich allerdings nicht langfristig fortgesetzt haben)[9]. Und schließlich haben diese beiden Effekte auch zu einer breiten Euphorie und Aufbruchsstimmung im gesamten Fediverse geführt.

Die Gesamtsituation ist auch mehr ein Jahr nach dem Twitter-Verkauf schwierig einzuschätzen, und sie geht weit über die Frage der Twitter-Nachfolge hinaus, schließt etwa die Entwicklungen bei Facebook seit 2016 ein, die jüngsten Turbulenzen bei reddit und auch die sich ändernden ökonomischen Rahmenbedingungen. Die monopolistischen Social Media Plattformen sind in mehrfacher Hinsicht an einem Tiefpunkt angelangt und der Bereich befindet sich potenziell im Umbruch.

Cory Doctorow hat den Niedergang der kapitalistischen Monopolplattformen als ‚Enshittification‘ bezeichnet und einen grob aus drei Schritten bestehenden Prozess beschrieben, in dem die Plattformen Wert aus ihrem jeweiligen Gesamtzusammenhang extrahieren, bis schließlich nur noch nutzloser Müll übrigbleibt. Dies ist nicht auf Social-Media-Plattformen beschränkt, sondern hebt darüber hinaus auf die für Plattformen üblichen ‚two-sided markets‘ ab. In diesen stehen die Plattformen zwischen zwei Gruppen von Nutzer:innen: einerseits den einzelnen User:innen – also den Käufer:innen auf Amazon oder den einzelnen User:innen auf Facebook oder Youtube – und andererseits den kommerziellen Kund:innen, seien es nun die Verkäufer:innen auf Amazon, Werbekund:innen oder Publishers und ‚Creators‘.

"This is enshittification: surpluses are first directed to users; then, once they're locked in, surpluses go to suppliers; then once they're locked in, the surplus is handed to shareholders and the platform becomes a useless pile of shit. From mobile app stores to Steam, from Facebook to Twitter, this is the enshittification lifecycle."[10]

Eines der Beispiele, die Doctorow näher ausführt, bezieht sich auf Facebook und die Publishers:

„First, Facebook was good to you: it showed you the things the people you loved and cared about had to say. This created a kind of mutual hostage-taking: once a critical mass of people you cared about were on Facebook, it became effectively impossible to leave, because you'd have to convince all of them to leave too, and agree on where to go. [...] Then, it started to cram your feed full of posts from accounts you didn't follow. At first, it was media companies, who Facebook preferentially crammed down its users' throats so that they would click on articles and send traffic to newspapers, magazines and blogs.
Then, once those publications were dependent on Facebook for their traffic, it dialed down their traffic. First, it choked off traffic to publications that used Facebook to run excerpts with links to their own sites, as a way of driving publications into supplying fulltext feeds inside Facebook's walled garden.
This made publications truly dependent on Facebook – their readers no longer visited the publications' websites, they just tuned into them on Facebook. The publications were hostage to those readers, who were hostage to each other. Facebook stopped showing readers the articles publications ran, tuning The Algorithm to suppress posts from publications unless they paid to "boost" their articles to the readers who had explicitly subscribed to them and asked Facebook to put them in their feeds.“[11]

Die Vorgänge in anderen Bereichen, etwa bei den Werbekund:innen, sind ident, und schließlich endet die Plattform als Ort, in dem alle gefangen sind, während es gleichzeitig für keine/n der Beteiligten befriedigend ist, mit Ausnahme des Plattformkonzerns und seiner Investor:innen. Doctorows Beschreibungen des „enshittification-lifecycle“ enden oft mit Feststellungen wie "Then, they die.", oder "It's too late to save Tiktok. Now that it has been infected by enshittification, the only thing left is to kill it with fire."[12]

Das von Doctorow beschriebene Muster ist immer wieder anzutreffen (auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt, wie etwa die aktuelle Zerstörung von Twitter) und dem Wunsch und gleichzeitig aktivistischen Aufruf, dass dies das Ende der Monopolplattformen bedeutet, ist nur zuzustimmen. Aber die Zeit ist noch nicht ganz gekommen. Dass die Internetkonzerne mittels einiger Anpassungen ihrer Geschäftsmodelle, die auch Lockerungen der Monopolstrategien einschließen könnten, und mit kleineren ‚territorialen‘ Verschiebungen untereinander ihre Macht erhalten, erscheint derzeit noch viel wahrscheinlicher als größere und nachhaltige Veränderungen in Richtung alternativer Modelle. Aber es gibt zwei positive Punkte, die schon kurzfristig möglich scheinen: Dass das Fediverse damit in Fortsetzung der Entwicklungen vor allem bei Mastodon endgültig über ein verschwindend kleines Experimentierfeld für Techheads und Privacynerds hinaus zu einer stabilen ‚Nische‘ werden kann, vergleichbar etwa mit alternativen Verlagen, Zines, freien Radios etc. in den 1990er Jahren[13].

Und zweitens könnten mit dem Fediverse ‚alternative‘ Medienformen wieder das Momentum eigenständiger Entwicklung zurückgewinnen, das sie zu Zeiten von Indymedia noch besessen und anschließend durch Web2.0 und Social Media eingebüßt haben. Der Netzaktivist Floren Cabello berichtet etwa, „dass wir bei Indymedia – damals, 1999 – noch das Gefühl hatten, dass wir die Initiative hatten. Indymedia war ohne Zweifel die Vorgängerin des gesamten Blog-Booms. Es schuf das verteilte Publikationssystem, das einem ermöglichte, Texte, Bilder und auch Videos hochzuladen. […]. Indymedia bedeutete experimentieren, Dinge vorantreiben, sogar die Grundlagen für etwas zu schaffen, das erst noch kommen wird.“[14] Bei den Sozialen Netzwerken hatte sich dieses Verhältnis umgekehrt und man konnte gleichsam den neuen Modellen der Tech-Konzerne nur noch hinterherlaufen und versuchen, ihnen zumindest punktuell etwas entgegenzustellen.[15]

Das Momentum zurückzugewinnen meint dabei nicht, in Sachen ‚Innovation‘ aufzuholen, die Nase wieder vorne zu haben, sondern weit jenseits von Industriekonzepten wie ‚Innovation‘ die Entwicklungen von Medien und Technologien wieder mit sozialer Fantasie und emanzipatorischen Begehren zu verknüpfen. Es geht hier um ganz andere Dynamiken, die nicht mehr in einem unmittelbaren Verhältnis stehen zu den quantitativen Fragen der User:innenzahlen oder praktischen Ebenen von Usability. Gleichzeitig finden diese Entwicklungen natürlich nicht in einem Vakuum statt und können nicht isoliert betrachtet werden. Das Fediverse ist, wie unten noch näher ausgeführt wird, gleichsam eine Spiegelung und potenzielle Negation von Social Media, und als solche ebenso damit verbunden wie durch die Tatsache, dass seine Entwicklung in einem massiv strukturierten Umfeld stattfindet.

Das Internet ist grundsätzlich ein Beispiel dafür, dass was als ‚Alternativen‘ erscheint oft älter ist als der Mainstream und diesem vorausgeht. Die von einigen monopolistischen Konzernen dominierten Social Media haben inzwischen aber eine derartige Dominanz entfaltet, dass Alternativen offensichtlich nur mehr in einer Negation des Status Quo ihren Ausgangspunkt finden können, und erst in zweiter Linie auch Teile der Vorgeschichte aktualisieren. Dies ist auch der Grund dafür, dass der vorliegende Text sich ausgehend vom Twitter-Verkauf mit der Gesamtsituation beschäftigt, um diesen Ausgangspunkt verorten zu können[16].

Das Potenzial des Fediverse wird in diesem Text aber nicht darin gesehen, auf einer nicht toxischen Basis die kommerziellen Sozialen Medien möglichst friktionsfrei zu spiegeln und zu reproduzieren, sondern im Gegenteil in einer konzeptionell reflektierten zunehmenden Unterscheidung, die schließlich eine Überschreitung des Modells Social Media und damit eine neue Form von Sozialität hervorbringen kann.


Verwerfungen

Die aktuelle Umbruchssituation ist vielgestaltig. Was die Twitter-‚Nachfolge‘ betrifft, gibt es neben Mastodon mehrere andere Projekte[17]. Für Diskussionen in Mastodon haben bislang vor allem Bluesky und Threads gesorgt.

Das Bluesky-Projekt[18], das derzeit (Jänner 2024) als Beta-Version nach wie vor nur mit Einladung zugänglich ist, gleichzeitig aber aktuell Ziel der meisten User:innen, die X verlassen[19], wurde von Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey noch während dessen Zeit als Geschäftsführer initiiert. Bluesky nimmt eine Zwischenposition ein zwischen den Unternehmensprojekten einerseits und dem Fediverse andererseits. Es ist föderiert, betont auch mitunter die Verwandtschaft der föderierten Projekte, nutzt aber nicht den angesprochenen öffentlichen Standard ActivityPub, sondern ein eigenes Protokoll (AT). Die Funktion ist bislang auch nur technisch implementiert und wird nur von Bluesky selbst genutzt, während unklar bleibt, wie das föderierte Netzwerk aussehen, wer sich daran beteiligen wird etc. Das Projekt finanziert sich teilweise durch Crowdfunding und plant, werbefrei zu bleiben, es wird aber gleichzeitig an Businessplänen gearbeitet, etwa auf Basis von bezahlten Services[20], und es ist unklar, ob hier letztlich auch die konzeptionelle Abwärtsspirale der gewinnorientierten Projekte einsetzen wird[21]. Für Diskussionen und einen gewissen Druck in Richtung Usability hat das Projekt in Mastodon gesorgt, weil das direkt aus der Twitter-Tradition kommende Bluesky diese gewisse ideologische Nähe[22] potenziell mit ‚mehr Professionalität‘ im Sinn friktionsfreier Industrieprodukte verknüpft.

Viel stärker als diese eigenartige Situation zwischen Nähe und Konkurrenz mit Bluesky beschäftigt das Fediverse jedoch Threads[23], das ‚Twitter-Produkt‘ des Facebook-Konzerns Meta. Threads ist eine Erweiterung von Instagram, die wegen daten- bzw. verbraucher:innenschutzrechtlicher Unvereinbarkeiten erst seit Dezember 2023 in EU verfügbar ist[24]. Zu hitzigen Diskussionen im Fediverse hat vor allem die von Meta getätigte Ankündigung[25] geführt, dass Threads ebenfalls über ActivityPub föderieren wird, d.h., dass ein direkter Austausch zwischen einem derartigen Industrieprodukt und dem Fediverse möglich würde.

Die Positionen reichen dabei von Euphorie darüber, dass damit auch einer der größten Techkonzerne das Konzept des Föderierens und das ActivityPub-Protkoll anerkennt und über die Kooperationsmöglichkeiten mit den enormen User:innenmassen von Meta das Fediverse breitest bekannt werde, bis zu großer Skepsis angesichts der Gefahr, dass das ActivityPub Protokoll durch Konzernstrategien zerstört oder angesichts des Missverhältnisses zwischen den User:innenzahlen das Fediverse untergehen, in die Maschinerie von Aufmerksamkeitsökonomie sowie struktureller Hass- und Desinformationskommunikation hineingezogen werden oder verschiedene Kollateralschäden entstehen könnten. [26] Optimistische Einschätzungen des Föderierens mit Threads sind naheliegender Weise oft mit Betonung von ‚Professionalisierung‘ und Erhöhung der Usability verknüpft, die negativen sehen oft einen Boykott von Threads durch möglichst viele Instanzen/Server im Fediverse als die effektivste Form der ‚Selbstverteidigung‘[27]. Anfang 2024 fand in San Francisco ein Meeting zwischen Vertreter:innen von Threads und Personen, die im Fediverse oder im Zusammenhang mit der Entwicklung von ActivityPub aktiv sind, statt. Es wurden auch einige Details zu den Plänen von Threads bekannt. Threads will die Möglichkeiten des Föderierens Schritt für Schritt in einem etwa ein Jahr lang dauernden Prozess implementieren. Dieser Umstand trug – wohl vor allem auch in Kombination mit der Wahrnehmung, dass Meta nicht wirklich erklären konnte, aus welchem Grund es eigentlich föderieren will – eher zu wachsender Skepsis im Fediverse als zur Vertrauensbildung bei.[28]

Auch wenn Twitter/X durch die Turbulenzen in Folge der Übernahme und den unmittelbaren Bezug zu Mastodon als möglicher Alternative der aktuell wesentlichste Fall ist, sollte man auch breitere Entwicklungen im Social Media Bereich nicht außer Acht lassen. Denn Facebook ist zwar jetzt in der öffentlichen Diskussion etwas in den Hintergrund getreten, was aber nicht so schnell in Vergessenheit bringen wird, dass es gerade dieses Netzwerk war, das besonders seit seiner zweifelhaften Rolle bei der Trump-Wahl 2016 und den nachfolgenden Datenschutzskandalen im Zentrum der Kritik gestanden ist, dass es ‚Facebook! Facebook!‘-Chöre waren, die bei Bolsonaros Amtsantritt skandiert wurden[29], und Facebook wohl die Social Media Plattform ist, die am stärksten mit Überwachsungskapitalismus, Manipulation und Datenklau gleichgesetzt wird.

Zu Turbulenzen ist es seit Juni 2023 auch bei reddit gekommen, das bislang zu den vergleichsweise wenig auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Plattformen zählte[30], nun aber einen Börsengang vorzubereiten begann und sich dadurch gerade dies veränderte[31]. Zum Konflikt führte die neue API-Policy. API ermöglichen den Austausch von Daten zwischen Programmen, worauf vor allem die Software von Drittanbieter:innen angewiesen ist[32], also etwa Handyapps oder Apps, die spezielle Funktionen anbieten wie Unterstützung der freiwilligen Moderator:innen der unzähligen thematischen Communities oder einen verbesserten Schutz von User:innen[33]. Während reddit bislang sehr offen war, was den API-Zugang betrifft, wurden nun sehr hohe Gebühren dafür angekündigt, die die finanziellen Möglichkeiten der meisten Drittanbieter:innenapps weit übersteigen. Proteste der User:innen fanden vor allem in Form eines Blackout statt, bei dem viele subreddits offline gingen. Im Fall von reddit spielen dabei die Moderator:innen, die freiwillig und unbezahlt Communities betreuen und sich jetzt mit den Auswirkungen einer verstärkten Inwertsetzung durch den Eigentümer konfrontiert sehen, eine entscheidende Rolle. Die plötzliche Einführung enormer API-Gebühren ist kein Einzelfall – Ähnliches hat etwa, verdeckt durch die sonstigen Turbulenzen, auch bei Twitter stattgefunden[34] – und geht vermutlich auf veränderte ökonomische Voraussetzungen für die kommerziellen Plattformen einerseits[35] und die verstärke Monetarisierung von Datenbeständen durch den KI-Boom andererseits zurück.[36]

Es ist nicht zu erwarten, dass diese Netzwerke dadurch in vergleichbare Krisen geraten könnten wie Twitter/X, aber an den Fringes der politischen, aktivistischen, ‚alternativen‘, künstlerischen Gruppen und Einzeluser:innen die Argumente für einen Wechsel zu geeigneteren Strukturen mehr werden. Es mag in manchen Situationen angesichts der schieren Konzernübermacht nach wie vor taktisch sinnvoll sein, z.B. auf Facebook zu bleiben - um sich nicht in ‚Randbereiche‘ abdrängen zu lassen, sich nicht von der Masse zu entfernen, wie Brecht das vor 100 Jahren genannt hätte, um Kontakte v.a. im Globalen Süden nicht zu verlieren, Verweigerungshaltungen à la Bartleby[37] zu verfolgen etc. Es stellt sich dabei aber gleichzeitig die Frage, ob es sich bei derartigen Argumentationen nicht oft auch um Versuche handelt, vor dem eigenen Userlockin die Augen zu verschließen, und/oder um einen Essenzialismus, der die Frage des medialen Kontextes gering bewertet und vermutlich auch die Möglichkeiten überschätzt, den medialen Kontext beherrschen und als Mittel für seine eigenen Zwecke einsetzen zu können. Dies ist sicher nicht generell zu beantworten, es könnten jetzt aber die Voraussetzungen dafür entstehen, sich zumindest in den oben genannten Fringes aus der Ko-Abhängigkeit mit den in den Konzernplattformen verbleibenden User:innen zu lösen und das Fediverse gleichsam als ‚default‘ zu setzen, wenn es etwa um das Veröffentlichen von Statements, das Planen von Veranstaltungen oder aktivistische Selbstorganisation geht.


Alternativen und Spiegelungen

Auf der Website alternativeto.net kann man den Namen einer Software, App, Plattform etc., die man durch eine andere ersetzen möchte, eingeben und erhält eine auf User:innenempfehlungen basierende Liste möglicher Alternativen. Im Fall von Twitter bzw. X werden derzeit[38] 157 Alternativen angezeigt, mit Mastodon an erster Stelle des auf einem eigenen Algorithmus[39] basierenden Rankings. Auch wenn diese Reihenfolge durchaus eine Priorisierung von Open Source Projekten und föderierten Netzwerken erkennen lässt, zeigt sich gleichzeitig eine generalisierte Austauschbarkeit von ‚Alternativen‘: In der Liste der Alternativen zu Twitter/X findet sich ein Eintrag zu Mastodon, und in diesem Eintrag findet sich aber wieder ein Link zu ‚122 Mastodon alternatives‘. Klickt man diesen Link an, erscheint die Liste der Alternativen zu Mastodon, in der sich an zweiter Stelle wiederum ein Eintrag zu X findet.

Dies ist nicht als Kritik an alternativeto.net gemeint: Auf der spezialisierten Website ist lediglich deutlicher erkennbar, was als inhaltlicher Effekt noch viel stärker von den zahllosen Eigenwerbungen, Blog- und Zeitschriftenbeiträgen, die man mit einer Suche nach ‚Alternativen‘ mit einer allgemeinen Suchmaschine findet, ausgelöst wird: Es wird die Ebene sichtbar, auf der ‚Alternative‘ letztlich einfach völlige Austauschbarkeit bedeutet und auf einen Beitrag zur Erhöhung der Vielfalt von Konsummöglichkeiten reduziert wird. Die Features werden gegeneinander abwägbar – etwas mehr Privacy gegen das eine oder andere fehlende Feature, Stabilität gegen Preis, Open Source oder neueste Gimmicks etc.

Die Frage, was man unter einer ‚Alternative‘ versteht, und wie sich die einzelnen Projekte davor schützen können, in dieses ‚Alternativen‘-Karussell hineingezogen zu werden, ist gerade für das Fediverse wichtig, das auf den ersten Blick wie ein Spiegelkabinett von Social Media erscheint: Es gibt nicht nur außer Mastodon eine ganze Reihe von ‚Twitter-Alternativen‘ (von Microblogging-Netzwerken, die deutlich älter sind[40] und zum Teil auch das ActivityPub Protokoll übernommen haben, über ‚klassische‘ Fediverse-Projekte wie Pleroma[41] und MissKey[42] bis zum sehr gehypten aber nun in Schwierigkeiten geratenen firefish[43] und dessen potenziellen Forks/Nachfolgeprojekten[44]), sondern auch solche zu Instagram (Pixelfed[45]), Facebook (Friendica[46]), Youtube (Peertube[47]), reddit (Lemmy[48], k/bin[49]) etc.

Ein Beispiel für den Anpassungsdruck, den das ‚Alternativen‘-Verhältnis auslösen kann, ist die Phase, in der Mastodon unmittelbar nach dem Twitter-Verkauf die erste Anlaufstelle für dieses Netzwerk verlassende User:innen darstellte. Es wurde (und wird nach wie vor[50]) immer wieder thematisiert, dass Mastodon für die von Twitter kommenden User:innen verwirrend sei, und es ist wie oben angesprochen in verschiedenen Kontexten Druck in Richtung einer Erhöhung der ‚Usabilitiy‘ entstanden. Dieser Aspekt ist in praktischer Hinsicht sicher wichtig, es wurde auch auf verschiedenen Ebenen darauf reagiert, bei Mastodon selbst[51], in Apps, die den Zugang zu einem oder mehreren Projekten ermöglichen[52], oder auch durch jüngere Projekte wie das schon erwähnte firefish. Der für neue User:innen, die von kommerziellen Plattformen kommen, verwirrendste Aspekt ist offensichtlich die Instanzen-Struktur der Fediverse-Netzwerke und damit der Umstand, dass man nicht einfach einen Account ‚bei Mastodon‘ anlegen kann, sondern dafür eine der Instanzen auswählen muss.

Jede/r hat die Möglichkeit, freie Software wie Mastodon (oder auch Pixelfed, Lemmy etc.) am eigenen Server zu installieren (oder gegen Bezahlung eine auf einem anderen Server gehostete Installation zu nutzen). Der Server wird dadurch mit dem Mastodon-Netzwerk verbunden und Teil, also eine Instanz des Netzwerks. Die Betreiber:innen des Servers können nun entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen jemand auf ihrem Server einen Mastodon-Account einrichten kann[53]. Es gibt Instanzen mit nur einem:r User:in, solche für eine Familie oder einen Freund:innenkreis, und auch viele öffentlich zugängliche, die oft auf bestimmte Themen, für spezifische Communities, Regionen etc. ausgerichtet sind. Die Fediverse-Projekte haben in der Regel eine Art von ‚Flagship‘-Instanz, die von den Entwickler:innen der Software betrieben wird (bei Mastodon: mastodon.social), die Basis des Netzwerks bildet aber die Vielzahl der Instanzen (bei Mastodon im Moment etwa 9400[54]).

Das Konzept der Instanzen ist oberflächlich schnell zu verstehen, aber um die Vorteile dieser Struktur wirklich nutzen zu können und eine für die eigenen Bedürfnisse und Interessen gute Instanz zu finden, gibt es mehrere Aspekte zu bedenken und es bedarf einer gewissen Beschäftigung mit der Frage. Da man später zu einer anderen Instanz wechseln kann, wurde den von Twitter kommenden User:innen eine Vorgangsweise nahegelegt, die dem Beitreten zu einem zentralisierten Netzwerk möglichst nahe kommt, nämlich sich erstmal bei einer großen, gut betreuten, universellen Instanz zu registrieren, in der Regel bei mastodon.social[55].

Die ohnehin schon bestehende Dominanz dieser ‚Flagship‘-Instanz wurde durch den Zustrom der neuen User:innen deutlich verstärkt, was zu Kritik innerhalb des Netzwerks führte. Auch wenn die Strategie, die komplexeren Besonderheiten des Fediverse gleichsam als potenziellen zukünftigen Benefit zu belassen und den neuen User:innen zu signalisieren, dass sie sich zumindest im Moment nicht damit beschäftigen müssen, sinnvoll erscheint, wurde das Problem der Zentralisierung (bzw. dessen deutliche Verstärkung) damit gleichsam von Twitter importiert. Zentralisierung ist dabei ein vergleichsweise offensichtliches Problem, während subtilere Fragen, die etwa die Subjektkonstituierung oder die Aufmerksamkeitsökologie betreffen, bei derartigen ‚Anpassungsprozessen‘ viel schwieriger im Blick zu behalten sind.

"Failures of imagination", so Ben Tarnoff, "can doom us to enter this loop where we just keep repeating the same logic over and over"[56]. In diesem Sinn scheint es wichtig, hier zwei Ebenen klar auseinanderzuhalten: Einerseits die pragmatische, das ‚Onboarding‘ neuer User:innen[57] zu erleichtern und auch wiedererkennbare Elemente und Funktionalitäten zu bieten, ohne dies aber zu einem Prozess sich anpassender ‚Professionalisierung‘ werden zu lassen, sondern auf einer grundsätzlichen Ebene an einer zunehmenden Unterscheidung von Social Media zu arbeiten[58].


Nachhaltigkeit

Einfach nur einen Klon zu erstellen, war immer schon zu wenig[59]. Und auch wenn der Punkt der Unterscheidung ein so wesentlicher wie Privacy und Datenschutz ist, greift dies sowohl konzeptionell zu kurz, wie sich auch bei früheren Beispielen gezeigt hat, dass dieses Argument den User:innen offensichtlich nicht genügte, um dafür das Netzwerk ihrer Facebook-Friends aufzugeben[60]. Wenn im Folgenden die Aspekte des Föderierens und der nicht-kommerziellen Ausrichtung angesprochen werden, so in dem Sinn, dass es sich dabei um unabdingbare Voraussetzungen handelt, die erhalten werden müssen, aber sie sind gleichzeitig nicht schon das ‚Ergebnis‘, sondern Basis und Ausgangspunkt für viel weitergehende Prozesse.

Was das Föderieren betrifft, soll hier auch weniger auf die grundlegenden Effekte eingegangen werden, den auf dem Lockin von User:innen basierenden Geschäftsmodell der kommerziellen Plattformen ein Modell entgegenzusetzen, das sowohl eine weitgehende Entscheidungsfreiheit der User:innen garantiert als auch von bottom-up Dynamiken geprägte offene Netzwerkstrukturen. Anschließend an das oben zum Problem der Spiegelungen und der universellen Austauschbarkeit von ‚Alternativen‘ Gesagte, ist das Föderieren der Punkt, an dem das Fediverse als Prinzip einem anderen – den kommerziellen Walled Gardens – gegenübersteht[61], und sollte einen Prozess der Hybridisierungen auslösen. Mastodon steht also nicht einfach nur Twitter gegenüber, Pixelfed nicht einfach nur Instagram, und sie unterscheiden sich nicht nur zunehmend von diesem Gegenüber, sondern entwickeln sich im Fediverse gemeinsam.

Ganz praktisch findet das schon dadurch statt, dass das Föderieren zwischen Netzwerken verschiedenen Typs ausgehandelt und weiterentwickelt werden muss. Ein Beispiel dafür findet sich im zweiten Teil von Sebastian Jambors Blogpost ‚Understanding ActivityPub‘: Für das Forumformat einer reddit-Alternative wie Lemmy sind etwa up- und downvotes zentral, also dass die User:innen die Möglichkeit haben, ein Posting positiv zu bewerten, womit es in der Reihenfolge auf der Seite nach oben rückt, oder durch negative Bewertung nach unten. Man kann einer Lemmy-Gruppe von Mastodon aus folgen, man kann auch von Mastodon aus posten und upvoten, aber da es in Mastodon kein ‚dislike‘ gibt, kann man nicht downvoten, und da das ActivityPub Protokoll in beiden Netzwerken etwas unterschiedlich implementiert wurde, ist auch nicht ganz klar, ob ein von Mastodon aus gepostetes Upvote über die erste Lemmy-Instanz hinaus auch an andere Instanzen weiterkommuniziert wird[62].

Dass über ActivityPub eine Reihe von Aktivitäten (follow, post, like, …) ausgetauscht werden kann, bildet die Basis für projektübergreifendes Föderieren, die dann aber zwischen Projekten, die mit unterschiedlichen Medien und Kommunikationskonzepten arbeiten, praktisch ausgearbeitet werden muss. Von derartigen ‚Bugs‘ wird immer wieder berichtet und es ist zu erwarten, dass grundlegendere Inkompatibilitäten bleiben und immer wieder auftreten werden als die relativ kleine im Beispiel oben. Aber schon eine solch kleine Inkompatibilität kann grundsätzliche Fragen aufwerfen, im Beispiel wohl vor allem danach, ob man in einem anderen Projekt Dislikes ermöglichen will, nur um das Föderieren mit reddit-ähnlichen Projekten zu ermöglichen. Es geht also um einen Prozess des Weiterentwickelns und inhaltlichen Aushandelns gleichzeitig. Und auch wenn man nicht darauf abzielt, dass aus dem Fediverse eine Metastruktur entsteht, die alle Medien und Kommunikationskonzepte gleichermaßen unterstützt und integriert, werden zumindest Hybridisierungen entstehen, die die einzelnen Projekte von exakten Abbildungen ihres Social-Media-Gegenübers wegentwickeln, indem sie die Fediverse-internen Vernetzungen, Verknäuelungen, Nähen und bewussten Distanzen in den Vordergrund bringen.

Das Fediverse und die einzelnen Projekte wirken angesichts all der Inkompatibilitäten auch noch sehr unfertig. Dies kann man in diesem Zusammenhang aber eher als Feature denn als Bug sehen. Es handelt sich nicht um fertige Produkte, die wir nur noch konsumieren können, das Unfertige ist nicht zuletzt auch Spiegel der Entwicklungspotenziale und diese sollten in einem breiteren inhaltlichen und politischen Prozess entfaltet werden und nicht durch eine lediglich technische Glättung des Unfertigen.

Was die zweite unabdingbare Voraussetzung für alternative Netzwerke, die nicht gewinnorientierte Ausrichtung[63] betrifft, so gibt es dafür, dass der Techkapitalismus nicht in seiner eigenen Logik positive Alternativen schaffen kann, im Social Media Bereich inzwischen auch praktische Beispiele: Als 2018 durch den Cambridge Analytica Skandal öffentlich sichtbar wurde, dass der Überwachungskapitalismus begonnen hatte, die Grundlagen der repräsentativen Demokratie auch im globalen Norden zu zerstören, wurden auch kapitalistische Facebook-Alternativen angekündigt, aus Risikokapital wurden Startinvestitionen für Netzwerke, die ‚gut für die Gesellschaft sind‘, ausgeschrieben etc. Gute fünf Jahre später ist festzustellen, dass im gewinnorientierten Bereich keine derartigen Alternativen entstanden sind[64], sich mit TikTok inzwischen eine nicht weniger toxische Plattform unter den reichweitenstärksten Social Media Projekten dauerhaft etabliert hat, und auch vereinzelte neue Apps, die medienkritische Aspekte integrieren, letztendlich den Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie, die Social Media prägt, nicht überschreiten[65].

Da die Gewinnmaximierung durch Monetarisierung der Daten und der Aufmerksamkeit der User:innen ja das Hauptziel der kommerziellen Plattformen darstellt, können sich nicht gewinnorientierte Projekte von vielen Grundmechanismen befreien: Es ist nicht nötig, die User:innen in der eigenen Plattform einzusperren, sie ‚engagiert‘ zu halten – auf Dopamin, mit ständig neuen Reizen zu versorgen, durch möglichst konfrontative und spektakuläre Inhalte den Emotionalisierungslevel zu steigern – und damit möglichst lange der Werbung und Datensammlung zur Verfügung zu halten, sie in Angst davor zu versetzen, den Anschluss zu verpassen[66], sie durch Individualisierung identifizierbar zu machen und gleichzeitig zu vereinsamen und in ihrer Position zu schwächen etc.

Eine akute Frage ist, wie man die nicht gewinnorientierte Ausrichtung auf den verschiedenen Ebenen langfristig absichern kann. Was anfangs in den 2000ern noch sehr erstaunlich war, dass nämlich mit steigenden User:innenzahlen der Wert von Internetunternehmen rasant anstieg, auch wenn im konkreten Fall nicht bekannt war, über welches Geschäftsmodell sie Gewinn machen könnten, ist inzwischen offensichtlich Routine geworden und so gibt es auch Investor:inneninteresse an Fediverseprojekten[67], was bei Realisation nur zu massiven Widersprüchen mit der Grundausrichtung der Projekte führen könnte und das durch übergreifende Strategien verhindert werden sollte, anstatt sich letztlich auf die Integrität von Einzelpersonen zu verlassen.

Derzeit wird die Softwareentwicklung hauptsächlich durch Spenden und unbezahlte Arbeit ermöglicht, auf der Ebene der Instanzen, die die wichtige tägliche Moderationsarbeit[68] und auch die Hardwarebasis trägt[69], bestehen wegen der Kleinteiligkeit zusätzliche Möglichkeiten, also dass etwa Organisationen ihre IT-Infrastruktur dazu nutzen, um Mastodon-Instanzen zu betreiben. Langfristig und vor allem falls die User:innenzahlen weiter steigen, sind aber dauerhaftere Lösungen nötig.

In der EU wäre in mehrfacher Hinsicht öffentliche Förderung naheliegend, die einerseits bezüglich der Entwicklung der Projekte den ständigen Druck mangelnder Ressourcen etwas abfangen und damit eine reflektierte und konzeptionell ausgereifte Arbeit ermöglichen könnte und sich gleichzeitig aber nicht auf das simple Modell der ‚Innovationsförderung‘ zurückziehen dürfte, sondern sich auf die dauerhafte Finanzierung von Infrastruktur einlassen müsste.


Ebenen

Während die User:innen bei kommerziellen Plattformen eher Objekte sind, deren Verhalten sehr genau steuerbar sein soll und entsprechend minutiös quantitativ erfasst und analysiert wird, und deren Rückmeldungen letztlich nicht mehr als der Status von Kund:innenfeedback zukommt, ist ihre Rolle in freien Softwareprojekten als aktiver und zumindest perspektivisch als jene von Cocreators gesetzt. Diese Verhältnisse und Prozesse sind sehr komplex, es gibt aber Anhaltspunkte und Methoden[70]. Bei der Realisation in der Praxis bleibt es eine Herausforderung, die verschiedenen Zugänge und Kompetenzen von Techniker:innen, von User:innen, die die spezifischen Bedürfnisse bestimmter Gruppen formulieren, von Aktivist:innen, Theoretiker:innen etc. produktiv zueinander in Beziehung zu setzen.

Die Weiterentwicklung findet grundsätzlich auf drei Ebenen statt: Auf jener des Protokolls ActivityPub, auf jener der einzelnen Software-Projekte (also etwa der Features von Mastodon, von Pixelfed etc.) und auf jener des Netzwerks in der Praxis (wie entwickeln sich die Instanzen, die Gruppen, die Praxen der User:innen).

Das Protokoll bildet einerseits die am stärksten ‚abstrakt-technische‘ Ebene. Gleichzeitig handelt es sich dabei keineswegs um gleichsam neutrale mathematische Optimierungen, sondern um die Schaffung der technischen Voraussetzungen für sehr konkrete Anliegen, etwa eine Verbesserung des Schutzes der User:innen[71] oder der Möglichkeiten, beim Migrieren eines Accounts zu einer anderen Instanz nicht nur die follower/follow-Beziehungen mitzunehmen, sondern auch die alten Posts[72]. Die Ebene enthält also sehr wohl inhaltliche, konzeptionelle, politische Aspekte, die nicht auf ‚rein technische‘ Lösungen heruntergebrochen werden können.

Die größte Aufmerksamkeit wird üblicherweise der Ebene der Softwareprojekte zuteil, ein praktisches Beispiel ist etwa die schon seit einiger Zeit angekündigte Unterstützung von Gruppen in Mastodon (was derzeit nur über externe Projekte möglich ist[73]). Vorschläge zur Weiterentwicklung der Software können User:innen meist hauptsächlich in Form von ‚feature requests‘ auf der zum Projekt gehörigen GitHub-Seite machen[74]. Das Format ist einerseits sehr effizient, gleichzeitig produziert es aber auch Ausschlüsse und Verkürzungen und kann damit Formen von Diskussion nicht einfach ersetzen. Es sind zwar keinerlei technische Kenntnisse nötig, um einen derartigen ‚feature request‘ zu posten, sich auf einer Codingplattform wie GitHub einbringen zu müssen, stellt für viele User:innen aber sicher eine Hürde dar. Es werden dadurch auch nicht nur Teile der User:innen praktisch ausgeschlossen, sondern auch nur eine Ebene von Vorschlägen abgedeckt – nämlich diejenigen, die sich relativ einfach als Feature formulieren lassen, während offenere und komplexere Wünsche und Unbehagen andere Formate brauchen.

Die Ebene der Netzwerke[75] und hier primär die Instanzen bieten Möglichkeiten, sich auch anders einzubringen (und auch davon wegzukommen, sich die Weiterentwicklung mehr oder weniger als eine Form von demokratisiertem Techsolutionismus vorzustellen), nicht zuletzt in Form reflektierter Praxis. Einer reflektierten Praxis, die in einer Art Selbstwiderspruch gleichzeitig blind sein muss gegenüber Software und Netzwerk, um herausfinden zu können, was sie eigentlich will, was die Bedürfnisse sind, die nicht wie jetzt so lange gewohnt, schon in Relation zu den ‚Affordances‘ einer Plattform oder Software definiert wurden.

Die Instanzen sind spezifische Formen kollektiver Individuation, deren Ausprägung von den Beteiligten in vielfältiger Weise gestaltbar ist. Das beginnt bei den schon angesprochenen Unterscheidungen, ob sich eine Instanz als ‚universal‘ versteht oder auf bestimmte Themen und/oder Communities spezialisiert ist; ob neue User:innen einfach subscriben können, oder ob Subskriptionswünsche von den Betreiber:innen der Instanz genehmigt werden müssen, oder die Instanz (gänzlich oder temporär) für neue User:innen geschlossen ist. Auch die Entstehung von Beziehungen und der Austausch von Postings sind auf verschiedenen Ebenen gestaltbar. Auf grundlegender Ebene durch die Entscheidung, welche Software auf der Instanz verwendet wird. So stärkt etwa die Software Friendcamp[76] – eine frühe Abwandlung von Mastodon – die Beziehungen und den Informationsaustausch innerhalb der Instanz und schottet diese etwas gegenüber dem restlichen Netzwerk/Fediverse ab.

Kleinteiliger sind etwa die Entscheidungen, ob und welche anderen Instanzen von einer Instanz – etwa aufgrund von Hate- und Trollaktivitäten – blockiert werden. Noch kleinteiligere Softwareentscheidungen betreffen z.B. die Frage, welche Accounts und Posts bei globalen Suchen im Netzwerk gefunden werden können etc. Zu solchen bewussten Entscheidungen, die auf Instanzen und/oder Softwareebene getroffen werden, kommen noch auf einzelne Posts bezogene Moderationsentscheidungen sowie kumulative Effekte der Vernetzungen der einzelnen User:innen. Eine Instanz ist erst dann mit einer anderen Instanz verknüpft, wenn mindestens ein:e ihrer User:innen mindestens einem:r User:in der anderen Instanz folgt, wodurch gleichsam die auf den einzelnen Instanzen sichtbaren globalen Timelines kuratiert werden. Bei all diesen Gestaltungsmöglichkeiten bleibt aber die grundlegende Tatsache, dass sich die Instanzen nicht als Einheiten abschließen, dass sie keine ‚Abteilungen‘ bilden, sondern gleichzeitig – und in der Wahrnehmung der Beteiligten viel präsenter – die Follow/Follower-Beziehungen zwischen den einzelnen User:innen über die verschiedenen Instanzen und auch Netzwerke hinweg bestehen, die den Austausch von Nachrichten wesentlich prägen.

Durch die Gestaltbarkeit der Beziehung/Abgrenzung zwischen Instanz und restlichem Netzwerk/Fediverse[77] eignet sich die Struktur grundsätzlich auch sehr gut für experimentelle Entwicklungen, da damit sowohl das Verhältnis zwischen ‚Teilöffentlichkeiten‘ und breiteren Kontexten als auch die ‚Abschottung‘ von Laborsituationen genau gestaltet und auch laufend an die Prozesse angepasst werden können. Dies kann auch Möglichkeiten dafür eröffnen, die Formen der Verknüpfung von Sozialen Medien und sozialen Kämpfen wieder aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Netzwerke wie das spanische n-1[78] haben Formate entwickelt, die nicht nur im praktischen Sinn die aktivistische Selbstorganisation unterstützen, sondern auch Teil der Entstehung neuer Sozialitäten sind. In den entstehenden Strukturen des Fediverse könnte auch die Frage weiterverfolgt werden, wie derartige Ansätze in breitere Kontexte übersetzt werden könnten.

Die Instanzen sind letztlich auch interessante Experimentierfelder für das wie oben schon angesprochen oft nicht unproblematische Verhältnis zwischen Techniker:innen, User:innen und anderen Beteiligten, die sich in verschiedenen lokalen Situationen und Größenordnungen entwickeln. Und auch wenn wohl davon auszugehen ist, dass viele Instanzen lediglich pragmatisch als die Form der Implementierung des Netzwerks gesehen werden, ergibt angesichts von deren enormer Zahl ein kleiner Prozentsatz an bewusst am lokalen Setting arbeitenden und experimentierenden Servern eine beachtliche Anzahl an Punkten experimenteller Erprobung.


Kollektivität, Aufmerksamkeitsökologie, Publishing

Am Ende des Texts soll noch kurz eine Möglichkeit skizziert werden, thematisch und konzeptionell nächste Schritte zu entwickeln in Richtung theoretischer Vertiefung und experimenteller Erprobung. Ausgangspunkte sind dabei zwei der wahrscheinlich tiefgreifendsten Aspekte für die zunehmende Unterscheidung von Social Media: die Überwindung der neoliberalen Individualisierung und eine bewusste Herausbildung kollektiver Individuationen sowie die Entwicklung alternativer Aufmerksamkeitsökologien. Als praktisches Feld soll damit jenes der Publishingpraxen verknüpft werden.

Wie in den kurzen Ausführungen zu den Instanzen eben skizziert, bestehen hier – anders als in Social Media[79] - komplexe Settings, in denen mit Formen von kollektiver Individuation experimentiert und gearbeitet werden kann bzw. auch in der täglichen Praxis verschiedene Formen entstehen, die analysiert und an die angeschlossen werden kann. Ebenso wichtig wie das Setting erscheint dabei, dass die Grundlage dafür, dass es produktiv werden kann – der Wegfall der Notwendigkeit, die einzelnen User:innen als identifizierbare Individuen zu subjektivieren –, durch die nicht-kommerzielle Basis gegeben ist. Der nötige Schritt scheint in diesem Bereich durchaus ein theoretischer zu sein, nämlich das für den konkreten Fall geeignetste Modell zu finden, mit dem die verschiedenen Subjektivierungsformen bzw. Verhältnisse zwischen psychischen und kollektiven Individuationen konzeptionalisiert und analysiert werden können.

Die Aufmerksamkeit der User:innen wird nun seit zwei Jahrzehnten als zentrale Ressource und Hauptprodukt der Social Media Konzerne immer intensiver ausgebeutet – für Werbung und Politik manipulierbar gemacht, quantifiziert zu einer gut handelbaren Ware. Auch hier stellen die nicht-kommerziellen Ansätze die Voraussetzung für eine Änderung der Situation dar. Es ist aber gleichzeitig offensichtlich, dass sich die entsprechenden Mechanismen in alle Kapillaren der Vernetzungs- und Kommunikationsmodelle eingeschrieben, sich mit den positiven Grundlagen – Begeisterungsfähigkeit, Engagement, Lust auf Neues, Menschen kennen zu lernen, Spaß am Unsinn etc. – verknüpft haben und nicht einfach verschwinden, nur weil es die Zielsetzung in diesem Kontext nicht mehr gibt. Um hier Veränderungen anstoßen zu können, sind vielfältige Zugänge, sowohl experimentelle – wie etwa in dem, nicht im Fediverse angesiedelten Kunstprojekt und Netzwerk minus[80], das einen Aspekt der Endlichkeit einführt, indem es jedem User:innenaccount maximal 100 Posts zugesteht – wie auch theoretische nötig. Etwa Yves Cittons „principle of transindividual attentionality“[81] folgend, lassen sich die beiden Themen vielfältig verbinden.

Was die praktische Ebene des Publishings betrifft, ist ein Ausgangspunkt, dass sich auf der Basis des ActivityPub Protokolls nicht nur Soziale Netzwerke der bekannten Form miteinander verknüpfen lassen, sondern grundsätzlich jedes Element im Web mit einem Sozialen Graphen. Wenn das Content Management System einer Website ActivityPub unterstützt (wie etwa derzeit durch ein Add-On für WordPress grundsätzlich möglich) oder durch ein Service wie Bridgy Fed[82] angebunden ist, kann man der Website vom eigenen Fediverse-Account aus folgen und bekommt etwa eine Nachricht in den Home-Feed, wenn ein neuer Blogpost online geht.

Das ist an sich noch nicht besonders aufregend und von rss bekannt, wo man im eigenen Feedreader (der wiederum in den Browser oder das Email-Programm integriert sein kann[83]) derartige Updates bekommt. Das größere Potenzial liegt in zwei Punkten: einerseits darin, dass die Nachricht nicht (nur) an eine:n einzelne:n User:in geht, sondern an die oben skizzierten komplexen Settings kollektiver Individuationen. Basis für den zweiten Punkt ist, dass man die Funktionalität von ActivityPub sehr vereinfachend als ‚bidirektionales rss‘ bezeichnen könnte, das also nicht nur Updates vom Blog zum:r Leser:in schickt, sondern potenziell auch in die umgekehrte Richtung. Und das Potenzial, das in dieser umgekehrten Richtung liegt – und jedenfalls weiter darüber hinausgeht, nur eine andere technische Lösung für Kommentare zu sein –, ist offensichtlich noch nicht ausgearbeitet, deutet aber auf verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung von neuen Formen des Überschreitens der Trennung von Produktion und Rezeption, die sich von den bekannten Konzepten der ‚Partizipation‘ und des ‚User Generated Content‘ – die wie im ersten Fall inzwischen längst korrumpiert sind und dies im zweiten Fall praktisch von Beginn an waren – unterscheiden.

Das Fediverse ist dabei, sich zu einer stabilen Nische zu entwickeln. Auch wenn auf den bemerkenswerten Zustrom von User:innen nach dem Twitter-Verkauf wieder Stagnation oder ein Sinken der Zahlen folgen – es deutet nichts darauf hin, dass Probleme und Skandale in den kommerziellen Social Media Plattformen enden werden, und so wird es immer wieder Interesse an alternativen Strukturen geben. Viel wichtiger, als auf diese Zahlen zu schielen, ist dabei der inhaltliche Ansatz, das Fediverse nicht einfach als ‚nicht toxisches‘ Abbild kommerzieller Plattformen zu konzeptionalisieren, sondern an einer zunehmenden Unterscheidung von und letztlich einer Überschreitung des Modells Social Media zu arbeiten. Diese Entwicklungen finden nicht nur auf den weithin sichtbaren Ebenen der Protokolle und Softwareprojekte statt – jede Instanz ist ein potenzielles Experiment. Und ebenso wie auf technischer Ebene – oder sogar stärker als dort –, sind aktivistische, experimentelle, künstlerische und theoretische Beiträge und Interventionen wichtig und notwendig.

 

Für Feedback zu einer früheren Version des Textes und wichtigen Hinweisen für dessen Weiterentwicklung danke ich Felix Stalder und Gerald Raunig.

 

[2] Vgl. „Verwirkliche deine Imagination als Narrativ und als Infrastruktur. Ein Interview mit Stefania Milan über Medien-, Technologie- und Datenaktivismus“, in: Raimund Minichbauer, Facebook entkommen, Wien: transversal texts 2018, S. 81-116, hier S. 94-96.

[3] Dass genau diese Software zu genau diesem Zeitpunkt entstanden ist, mag zufällig sein und davon geprägt, dass der Mastodon-Gründer und damalige Informatikstudent Eugen Rochko einen Ausbildungsgrad erreicht hatte, bei dem er sich einer solchen Aufgabe stellen konnte. Aber dass sich auch die User:innenzahlen des Netzwerks anders als bei vielen ‚Social-Media-Alternativen‘ davor positiv entwickelten, hängt zweifellos mit der Situation zusammen.

[5] Vgl. etwa Evan Prodromou, „Understanding OStatus“, status.net, 3. März 2010, https://web.archive.org/web/20110720190236/http://status.net/2010/03/07/understanding-ostatus und die Seite der Community Group des World Wide Web Konsortiums (W3C), die die Weiterentwicklung des Protokolls übernommen hat (https://www.w3.org/community/ostatus/wiki/Main_Page). Mit OStatus arbeitete auch Mastodon noch in den ersten Jahren. Daneben bestanden und bestehen weitere Protokolle, wie etwa jenes, das die verschiedenen Nodes der 2010 gelaunchten ‚Facebook-Alternative‘ diaspora* miteinander vernetzt (https://diaspora.github.io/diaspora_federation/).

[8] Mastodon-Gründer Eugen Rochko hat in einem Interview (https://www.theverge.com/23658648/mastodon-ceo-Twitter-interview-elon-musk-Twitter) darauf hingewiesen, dass es auch früher schon Mastodonhypes gab. Das stimmt zweifellos, es handelte sich dabei aber um ganz andere Reichweiten. Der Hype im Frühjahr 2017 war etwa auch noch auf kleinere Teilöffentlichkeiten beschränkt und weit von der wiederkehrenden Berichterstattung in den Massenmedien, wie seit Oktober 2022 zu beobachten ist, entfernt.

[9] Statistiken zu den User:innenzahlen sind bezüglich des Fediverse nur bedingt aussagekräftig. Es lassen sich bis zu einem gewissen Grad Entwicklungen ablesen, die absoluten Zahlen stellen aber bestenfalls Mindestwerte dar, da die Erhebungen auf Opt-In basieren. Vgl. https://the-federation.info/, https://fedidb.org/. Vgl. dazu, dass sich die Situation aber nicht so negativ entwickelt hat, wie in manchen Medien dargestellt: Mike Masnick, "Lazy Reporters Claiming Fediverse Is ‘Slumping,’ Despite Massive Increase In Usage", techdirt, 8. Februar 2023, https://www.techdirt.com/2023/02/08/lazy-reporters-claiming-fediverse-is-slumping-despite-massive-increase-in-usage/.

[10] Cory Doctorow, "Tiktok's enshittification", Pluralistic, 21. Jänner 2023, https://pluralistic.net/2023/01/21/potemkin-ai/#hey-guys

[11] Ebd. Siehe im Zusammenhang mit Doctorows Text auch jenen der Science Fiction Autorin Catherynne M. Valente, auf den sich Doctorow mehrfach bezieht: "Stop Talking to Each Other and Start Buying Things: Three Decades of Survival in the Desert of Social Media", Welcome to Garbagetown, 22.12.2022, https://catvalente.substack.com/p/stop-talking-to-each-other-and-start. Valente arbeitet in diesem Text einen zwölf Schritte umfassenden Ablauf heraus, in dem im netzwerkkapitalistischen Kontext Online-Communities sterben, was Doctorow wiederum in einem anderen Text aufgreift: Cory Doctorow, "What the fediverse (does/n't) solve", Pluralistic, 23.12.2022, https://pluralistic.net/2022/12/23/semipermeable-membranes/#free-as-in-puppies.

[12] Doctorow, "Tiktok's enshittification", a.a.O.

[13] Selbst wenn es, um kurz bei diesen Analogien zu bleiben, nur eine Phase gewesen sein wird wie das Entstehen kleiner Initiativen in einem Areal, die früher oder später durch Gentrification und/oder Kulturindustrie vertrieben werden, so entstehen doch Zusammenhänge, die an anderen Orten wieder auftauchen und neue Wege suchen.

[14] „‚Man hält eine Versammlung nicht in einem Einkaufszentrum ab‘. Ein Interview mit Florencio Cabello über die Geschichte der alternativen Social Network Sites n-1 und Lorea“, in: Facebook entkommen, a.a.O., S. 117-133, hier S. 128.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. zur ‚Krise als Chance‘ an diesem Kipppunkt: Felix Stalder, „Tschüss, Twitter – willkommen, Mastodon“, Die Zeit, 27. November 2022, https://www.zeit.de/2022/48/die-position-tschuess-twitter-willkommen-mastodon.

[17] Außer den später im Text noch kurz erwähnten Fediverse-Projekten etwa auch Nostr, Substack notes, T2, Cohost und Post, um nur einige zu nennen.

[19] So etwa nach der im September 2023 getätigten Andeutung, dass Twitter/X bald für alle kostenpflichtig werde (https://techcrunch.com/2023/09/22/bluesky-saw-record-usage-after-elon-musk-announced-plans-to-charge-all-x-users/). Siehe auch die Statistiken auf https://twexit.nl/statistics.

[20] Vgl.: The Bluesky Team, „Our Plan for a Sustainably Open Social Network“, 5. Jul 2023, https://blueskyweb.xyz/blog/7-05-2023-business-plan.

[21] Vgl. Markus Beckedahl, „Der Exodus von Twitter zu Bluesky und die Hoffnung“, 4.10.2023 (https://netzpolitik.org/2023/irgendwas-mit-internet-der-exodus-von-twitter-zu-bluesky-und-die-hoffnung/), Micah Lee, „Is Bluesky Billionaire-Proof? Here are some answers about the new social media network Bluesky that you don’t need an invite to see“, 1. Juni 2023 (https://theintercept.com/2023/06/01/bluesky-owner-twitter-elon-musk/).

[22] Der auch eine praktische Nähe korrespondiert, etwas durch die Möglichkeit von Apps, in denen User:innen Bluesky und ActivityPub-Accounts gleichzeitig verwalten können.

[24] Caroline Kainz, "Threads in der EU gestartet: Alles was ihr wissen müsst", futurezone, 14.12.2023, https://futurezone.at/apps/twitter-konkurrent-meta-threads-eu-start-was-ihr-wissen-muesst/402706774.

[25] Vgl. „This is what Instagram’s upcoming Twitter competitor looks like“, The Verge, 8. Juni 2023, https://www.theverge.com/2023/6/8/23754304/instagram-meta-twitter-competitor-threads-activitypub. Erwähnt war ActivityPub schon in den ersten Ankündigungen, in denen das spätere Threads noch unter den Namen ‚B92‘ oder ‚Barcelona‘ lief. Vgl. etwa https://www.platformer.news/p/meta-is-building-a-decentralized.

[26] Zu grundsätzlichen Fragen des Föderierens mit Threads/Meta vgl: Erin Kissane, „Untangling Threads“, 21. Dezember 2023, https://erinkissane.com/untangling-threads. Kissane hat kurz davor in einer Reihe umfangreicher Blogposts nochmals die Rolle von Facebook im Genozid an den Rohingya in Myanmar aufgearbeitet (https://erinkissane.com/meta-in-myanmar-full-series) und geht im Text zu Threads einerseits auf weitere bis in die Gegenwart führende Beispiele ein, um gleichsam nochmal zu verdeutlichen, mit wem man sich hier einlässt, versucht aber auch, die Positionen der Befürworter:innen zu verstehen und geht auf praktische Fragen wie Domainblocking auf Instanzen- und individueller Ebene ein, sowie auf Wege, sich Klarheit über die Voraussetzungena auf der Instanz zu verschaffen: "I think this is probably a good time for people who are concerned about federation with Threads to look through their server’s documentation and then ask their administrators about the server’s Threads-federation plan if that isn’t clear in the docs, along with things like • ...if the plan is to wait and see, what are the kinds of triggers that would lead to suspension? • ...how will they handle Threads’ failure to moderate, say, anti-trans posts differently from the way they would handle a Mastodon server’s similar failure? • ...how will they manage and adjudicate their users’ competing needs, including desires to connect with a specific cultural or geographical community that’s currently stuck on Meta (either by choice or by fiat) vs. concerns about Threads’ choice to host cross-platform harassment operators? I don’t think the answers to these questions are going to be—or should be—the same for every server on the fediverse. I personally think Meta’s machinery is so implicated in genocide and a million lesser harms that it should be trapped inside a circle of salt forever, but even I recognize that there are billions of people around the world who have no other social internet available. These are the trade-offs." (ebd.) Als kurze Zusammenfassung der Diskussionen siehe: „Debatte auf Mastodon: Threads von Meta begrüßen oder blockieren?“, Heise online, 20.Juli.2023, https://www.heise.de/hintergrund/Threads-Chance-oder-Gefahr-fuer-das-Fediverse-9221473.html“, zur Konzernstrategie des ‚embrace-extend-extinguish‘, die ursprünglich auf Microsoft zurückgeht und deren im Zusammenhang mit den Gefahren für Activity Pub meist diskutierter Fall die Aushebelung des XMPP-Protokolls durch Google und Facebook ist, vgl. etwa auch diese Diskussion: https://news.ycombinator.com/item?id=36398370, zu einer offensichtlich um Beruhigung bemühten Stellungnahme von Mastodon zu den potenziellen Problemen: Eugen Rochko, „What to know about Threads“, 5. Juli 2023, https://blog.joinmastodon.org/2023/07/what-to-know-about-threads/. Auch wenn man den Konzernen keine spezifischen feindlichen Absichten unterstellt, ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass sie auf das Fediverse und die Prinzipien des Föderierens in irgendeiner Weise Rücksicht nehmen, sondern ActivityPub ihren Gewinnmaximierungs- und sonstigen Konzernstrategien entsprechend nutzen, anpassen oder eben auch wieder fallenlassen werden. Die Reaktionen im Fediverse waren natürlich nicht nur schwarz/weiß, es gab auch einiges an Ironie, etwa: "I find it highly ironic that #Meta wants to join the #Fediverse now. About a dozen years ago, #Facebook locked the Fediverse out. Back then, #Friendica had established full bidirectional federation with Facebook simply by latching onto its API. If you had accounts on both Facebook and Friendica, you could use Facebook without actually going to Facebook. That was when Friendica's primary goal was to federate with everything, full stop. […] however: Facebook noticed and changed its TOS so that third parties were no longer allowed to extract content from Facebook. By and by, the federation was removed again. Facebook was pretty much the only federation option which #Hubzilla didn't inherit from Friendica. If Meta launches a social network with #ActivityPub, it's going to be interesting. Someone from the old Friendica guard could waltz into Meta's new network and be like, "GUESS WHO'S BACK SUCKERBERG!"" (Post von jupiter_rowland@hub.netzgemeinde.eu, https://hub.netzgemeinde.eu/display/b64.aHR0cHM6Ly9odWIubmV0emdlbWVpbmRlLmV1L2l0ZW0vMDcyMDRlYmMtZDMwYi00NWRjLThlMzctYTNmOWY0ZTUzNzM2; den Hinweis habe ich von https://fediversereport.com/meta-plans-on-joining-the-fediverse-the-responses/, wo auch kurz auf weitere historische Parallelen eingegangen wird.) The Fediverse Report (https://fediversereport.com/) ist eine Quelle, der der vorliegende Text viele aktuelle Infos verdankt.

[27] Vgl. "ANTI-META FEDI PACT" (https://fedipact.online/); Threads wird dort zum Teil mit dem früheren Titel als 'Project92' bezeichnet.

[29] "When Bolsonaro unexpectedly won the presidency, his supporters chanted ‘Facebook! Facebook! Facebook!’ They knew what the algorithms had done for them. There were, of course, many other factors at work in Brazilian society – this is only one – but it is the one Bolsonaro’s gleeful followers picked out first.” (Johann Hari, Stolen Focus, London: Bloomsbury 2022, S. 133/134) Vgl. auch Zack Beauchamp, "Social media is rotting democracy from within", Vox, 22. Jänner 2019, https://www.vox.com/policy-and-politics/2019/1/22/18177076/social-media-facebook-far-right-authoritarian-populism.

[30] Das auf Forumsformat und Communitystrukturen basierende reddit wurde in den letzten Jahren auch als potenziell weniger toxisches Modell von Social Media diskutiert, das sich grundlegend von den narzisstisch rund um individuelle Profile als Zentrum organisierten Plattformen unterscheidet. reddit-User:innen werden deshalb auch als potenziell am Fediverse interessiert eingeschätzt. Vgl. zu den Community-Strukturen auch das noch vor den erwähnten Ereignissen initiierte https://redditmap.social/.

[31] Vgl. „How Reddit crushed the biggest protest in its history”, The Verge, 30. Juni 2023, https://www.theverge.com/23779477/reddit-protest-blackouts-crushed.

[32] Aber etwa auch die an quantitativen Methoden orientierte Internetforschung (vgl. https://independenttechresearch.org).

[33] Vgl. „Block Party’s anti-harassment tool for Twitter is going on hiatus“, TechCrunch, 31. Mai 2023, https://techcrunch.com/2023/05/30/block-partys-anti-harassment-tool-for-Twitter-is-going-on-hiatus/.

[34] Vgl. „Twitter replaces its free API with a paid tier in quest to make more money“, The Verge, 2. Februar 2023, https://www.theverge.com/2023/2/2/23582615/twitter-removing-free-api-developer-apps-price-announcement.  

[35] "[...] 2022 was the year that interest rates finally went up and tech stocks started to actually go down for the first time in almost 20 years. Is we’re starting to see a bunch of those platforms follow out and falter. This in Twitter is the special case because Twitter didn’t just have the tech stocks go down. It had Elon Musk buy it and then start ruining everything [...]. But also, you know, Meta stock declining precipitously, leading them to lay off tons of staff, [...]. And Reddit, while it’s not one of the big ones of the bunch, Reddit is in this similar moment of saying, well, we want to go public, which means that we need to show we can make a lot of money. Let’s not be a community, let’s be a business. And then the Reddit community has something to say about that. So I think this moment of financial instability where the numbers aren’t naturally going up for all the tech companies when they were used to that for so long has kind of changed a bit of the scenario in terms of their stability." (Dave Karpf im Podcast Reimagining the Internet: „83. A History of Why the Internet Sucks Right Now“, 26. Juli 2023, https://publicinfrastructure.org/podcast/83-dave-karpf). Auffallend stark hatten 2022 auch die Meta -Aktien an Wert verloren (https://www.zeit.de/digital/internet/2022-10/meta-umsatzrueckgang-mark-zuckerberg-facebook-zukunft), dieser Trend hat aber offensichtlich 2023 nicht angehalten und die Aktie inzwischen den Verlust wieder wettgemacht (https://www.boerse.de/nachrichten/Meta-Platforms-ex-Facebook-Aktie-mit-neuem-12-Monats-Hoch/35499534).

[36] „Will A.I. Close Off the Internet?“, What Next: TBD, 21. April 2023, https://slate.com/podcasts/what-next-tbd/2023/04/reddit-subsidized-a-i-chatbot-development-thats-over.

[37] Vgl. zu einer Aktualisierung dieser Verweigerungshaltungen im Kontext von Aufmerksamkeitsökonomie und Social Media: Jenny Odell, Nichts tun. Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen, aus dem Englischen von Annabel Zettel, München: C.H.Beck 2021.

[38] Suche auf https://alternativeto.net/ am 29.9.2023.

[39] „Rank is our own algorithm for determining how good an app is. It consists of several different parameters. Number of likes is one of the most important parameters, but a lot of other factors also come into play. Unfortunately, spammers try to take advantage of sites like AlternativeTo, so we need to keep most of the algorithm logic to ourselves.“ (https://alternativeto.net/faq/)

[40] Siehe dazu etwa: Gehl, Robert W., „FCJ-190 Building a Better Twitter: A Study of the Twitter Alternatives GNU social, Quitter, rstat.us, and Twister“, in: The Fibreculture Journal 26 (2015), https://twentysix.fibreculturejournal.org/fcj-190-building-a-better-Twitter-a-study-of-the-Twitter-alternatives-gnu-social-quitter-rstat-us-and-twister/.

[43] https://firefish.social/ (bis Sommer 2023 unter dem Namen ‚Calckey‘)

[50] In den Massenmedien vor allem in der Verallgemeinerung, dass sich Mastodon als für die ‚durchschnittlichen Nutzer:innen‘ zu kompliziert herausgestellt habe.

[51] Vgl. etwa: „Mastodon’s latest release makes the open source Twitter alternative easier to use“, TechCrunch, 21.Sept.2023, https://techcrunch.com/2023/09/21/mastodons-latest-release-makes-the-open-source-twitter-alternative-easier-to-use.

[52] Die Apps gewinnen offensichtlich an Bedeutung, auch weil durch sie Accounts von verschiedenen Netzwerken in einer App gemeinsam verwaltet werden können, wobei es sich meist um Fediverse-Netzwerke handelt (eine Liste findet sich etwa auf https://codeberg.org/fediverse/delightful-fediverse-clients), in einzelnen Fällen aber auch andere föderierte Netzwerke wie Bluesky. Vgl. Marcel Weiß, „Von Social Media zu einem echten Social Web“, Beitrag auf der re:publica 2023, https://www.youtube.com/watch?v=nkN1quobRgw. Ein Beispiel für Erleichterung des Onboarding durch eine App: „Mammoth does sport an entirely different advantage and approach though, and that is it’s focus on user onboarding. Mastodon’s onboarding process is notorious for new users, asking users to choose an instance before signing up leads to serious confusions for new people. For users choosing Mammoth, the sign-up flow is considerably smoother:
- Users can join an instance that is hosted by Mammoth, moth.social , preventing the difficult choice of which instance to choose.
- The onboarding flow helps with filling out the account and add profile pictures.
- A hand picked curated list of people to follow is presented for new users to follow. It’s hard to know where to start as a new user when you stare at an empty feed.“ (Laurens Hof, "Last week in the fediverse, ep 3", https://fediversereport.com/last-week-in-the-fediverse-ep-3-%f0%9f%8d%8e/). Ein weiteres Beispiel: „SpreadMastodon is a new awareness raising campaign to get people to easily sign up to Mastodon. It is unaffiliated with the Mastodon organisation, and created by David Slifka and Tim Chambers, and one of the main goals is to help people with the onboarding process. Onboarding is often found to be confusing for newcomers, and the goal of the campaign is help this process. As part of the campaign, they set up an easy following tool on their website, where you can login, select a topic (or simply all topics), and it will automatically follow all the people in that topic for you. As part of making the onboarding as quickly as possible, you do not select individuals within the topic. The fediverse (and open-source software communities in general often as well) has traditionally a culture of tinkering and individual fine-tuning, where users make choices on as granular level as possible. It is interesting to see people take a different approach here, and focus on easy understanding and prevention of information overload.” (https://fediversereport.com/a-next-generation-of-follow-finders/)

[53] Also ob zu subscriben mit oder ohne Approval möglich ist bzw. der Server grundsätzlich oder temporär für Subscriptions geschlossen.

[54] So wird das z.B. auf https://joinmastodon.org/servers angegeben für: „Data collected by crawling all accessible Mastodon servers on Jan 13, 2024.“

[55] Es gibt auch andere Lösungen, wie etwa Drittanbieter:innen-Apps, die eigene Instanzen einrichten und neue User:innen automatisch dort subscriben. Derartige Lösungen sind aber hauptsächlich erst als Reaktion auf die Situation nach dem Twitterverkauf entstanden.

[56] „Reimagining the Internet 59 - Ben Tarnoff Wants an Internet for the People“, 27. Juli 2022 (https://publicinfrastructure.org/podcast/ben-tarnoff/). Tarnoff bezieht dies auch unmittelbar auf Social Media: „[…] and I use that as a point of departure because I think it’s an important thing to keep in mind as we approach the monolithic-walled gardens like Facebook. To my mind, the point is not simply to replace Facebook with a better Facebook, a nationalized Facebook, a cooperativized Facebook, a socialized Facebook [...]. These are simply not enough if we’re going to get to the root of the problem. So we need more imagination, but what do we mean by that concretely? I don’t mean that we all need to sit in our room alone and have some big thoughts, although, that’s always a good idea. But rather, we need to direct public investment to creating spaces of collective, embodied imagination.“ (Ebd.)

[57] Laurens Hof hat daran erinnert, dass Mike Masnick in seinem vieldiskutierten Paper „Protocol not Platforms“ aus dem Jahr 2019 das Problem angesprochen hat: „It is entirely possible that any protocols-based system will tend to be too complicated and too cumbersome to attract a large enough userbase. Users don’t want to fiddle with tons of settings or different apps to get things to work. They just want to find out what the service is and be able to use it without much difficulty. Platforms have historically been quite good at focusing on the user experience aspect, especially around onboarding new users.“ (Mike Masnick, „Protocols, Not Platforms: A Technological Approach to Free Speech“, Knight. First Amendment Institute at Columbia University, August 2019, https://knightcolumbia.org/content/protocols-not-platforms-a-technological-approach-to-free-speech)

[58] Was die einzelnen Funktionalitäten betrifft, sind derartige Unterscheidungen laufend Gegenstand von Diskussionen und Weiterentwicklungen. Ein Beispiel ist etwa die Suchfunktion, wo zwischen Schutz der User:innen einerseits und der Effizienz der Suchvorgänge andererseits abgewogen werden muss, wozu es divergierende Haltungen gibt. In der Praxis bedeutet dies, dass etwa in Mastodon die Suche derzeit (November 2023) als Opt-In-Funktion betrachtet wird und man deshalb auf einer Unterseite der Account-Einstellungen zustimmen muss, damit die Inhalte der eigenen Posts über die Suche gefunden werden können. Da es nicht realistisch ist, derartige Fragen breit bis zur User:innenebene zu kommunizieren, wird dies wohl oft einfach als schlechtes Funktionieren wahrgenommen (Vgl. allgemein zum Thema: Laurens Hof, „Last week in the #fediverse, ep 2“, 20. Jänner 2023 https://fediversereport.com/last-week-in-the-fediverse-ep-2/. Ein anderes Beispiel ist das sogenannte ‚Quote Posting‘, also die Möglichkeit, Messages mit eigenem Kommentar versehen zu ‚boosten‘/‚retweeten‘, wobei die Frage diskutiert wird, ob diese Funktion toxisches Verhalten befördert. Laurens Hof, "Sunday readings: analysis of the #fediverse", 15. Jänner 2023, https://fediversereport.com/sunday-readings-analysis-of-the-fediverse/, dort auch ein Verweis auf die breitere Auseinandersetzung mit dem Thema in  Hilda Bastian, "Quote Tweeting: Over 30 Studies Dispel Some Myths", 12. Jänner 2023, https://absolutelymaybe.plos.org/2023/01/12/quote-tweeting-over-30-studies-dispel-some-myths/. Siehe auch die umfangreiche Diskussion zu einem fünf Jahre alten Post zu diesem Thema: https://mastodon.social/@Gargron/99662106175542726.

[59] Diese Kritik an Software-Alternativen geht auch auf die Zeit vor Social Media zurück, vgl. etwa: „Supposedly free software projects such as K Office are fundamentally flawed. They may have freedom in the sense of free speech, but this speech is not the result of free thought. Their composition is determined by a submissive relation to the standards set by Microsoft. This is a deliberate abdication of the imagination in dealing with the culture and structuration of all the kinds of work that take place in offices, a failure to take up the possibility of the reinvention of writing that digital technology offers.“ (Matthew Fuller, Behind the blip: essays on the culture of software, Brooklyn: Autonomedia 2003, S. 25)

[60] Vgl. dazu auch: Yuk Hui, Harry Halpin, „Collective Individuation: The Future of the Social Web“, in: Geert Lovink, Miriam Rasch (Hg.), Unlike Us Reader. Social Media Monopolies and their Alternatives, Amsterdam: Institute of Network Cultures 2013, S. 103–116, https://networkcultures.org/blog/publication/unlike-us-reader-social-media-monopolies-and-their-alternatives/.

[61] Und nicht den Gesamtbereich aller Sozialen Netzwerke als eine Linie entlang gradueller Unterschiede auffasst.

[62] Sebastian Jambor, „Understanding ActivityPub. Part 2: Lemmy“, 18. Juli 2023 (https://seb.jambor.dev/posts/understanding-activitypub-part-2-lemmy/).

[63] Was durch einzelne Ausnahmen wie etwa die eher dem Silicon Valley Modell nahestehende und auch zahlungspflichtige iOS-App Ivory (vgl. Laurens Hof, "Last week in the fediverse, ep 3", https://fediversereport.com/last-week-in-the-fediverse-ep-3-%f0%9f%8d%8e/) soweit nicht wirklich gefährdet wird.

[64] Etwa die ‚Open Book Challenge‘ des Investors Jason Calacanis, die Anfang 2018 veröffentlicht wurde. Vgl. „Is Facebook replaceable? Tech investor launches bid to ‚start the process‘. Jason Calacanis, an early investor in Uber, spearheads a contest to find a service‚ that is actually good for society‘“ (https://www.theguardian.com/technology/2018/apr/24/facebook-replacement-openbook-challenge-social-media). Das Projekt wurde am 2. Oktober 2018 durch einen ‚Final Letter‘ des Investors erfolglos beendet. (http://web.archive.org/web/20190418220610/https://www.openbookchallenge.com/).

[65] Ein Beispiel wäre etwa die spielerische und bei Jugendlichen beliebte App BeReal, die sich gegen die durch Filter perfektionierten Bilder, wie sie etwa auf Instagram zu finden sind, und die damit transportierten Körperbilder richtet. Die App versendet einmal am Tag zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt eine Aufforderung an alle User:innen, die dann innerhalb von zwei Minuten ein Bild hochladen sollen, das gleichzeitig mit Vorder- und Rückkamera des Handys aufgenommen wird und damit das Objekt und den/die Fotografierende/n gleichzeitig aufnimmt. Abgesehen von den Privacy-Problemen, die aus den spontanen und mit der weniger leicht zu kontrollierenden ‚Doppelkamera‘ gemachten Fotos entstehen, greift die App durch die Unvorhersehbarkeit des Timings – wenn auch nicht so ausgeprägt wie etwa die Streaks in Snapchat, die festhalten, wie lange ein Freund:innenpaar es schafft, dass jede/r innerhalb von 24 Stunden mindestens eine Message an den/die andere:n schickt – auf den Aufmerksamkeitsrhythmus des Tages zu.

[66] Was nicht nur psychologisch hergestellt wird, sondern auch durch manifeste Funktionalität, etwa dadurch, dass die eigenen Posts nach ein paar Wochen Pause ganz unten im Feed der Freund:innen und Followers landen würde, was etwa in Mastodon nicht der Fall ist, wo die Reihenfolge der Posts nicht durch Algorithmen gesteuert wird und man gleichsam dort wieder einsteigt, wo man vor einigen Wochen die Pause begonnen hat.

[67] Und entsprechend dürften die Angebote auch gestaltet sein, wie Mastodongründer und -geschäftsführer Eugen Rochko als Gast in einem Podcast berichtet: „What they seem to be interested in is, ‘We’ll give you money now and you don’t have to think about monetizing, but in two years, let’s figure out how we could turn your open-source project around.’ That’s kind of a no-go zone for me. It’s a trap. It’s clearly against our project’s ideals.“ (https://www.theverge.com/23658648/mastodon-ceo-Twitter-interview-elon-musk-Twitter.)

[68] Die Umsetzung von Moderation, die zu den wesentlichsten praktischen Fragen gehört, ist für die föderierten Netzwerke grundsätzlich ambivalent. Die großen kommerziellen Plattformen zeigten in diesem Bereich von Beginn an wenig Engagement und müssen nach wie vor immer wieder durch gesetzliche Regelungen zu einem Minimum an inhaltlicher Moderation (vgl. „Musk erwägt laut Bericht Rückzug von Twitter-Nachfolger X aus der EU“, Der Standard, 19. Okt. 2023, https://www.derstandard.at/story/3000000191765/musk-erwaegt-laut-medienbericht-rueckzug-von-twitter-nachfolger-x-aus-der-eu) und Schutz der User:innen vor Übergriffen gezwungen werden. Es hat sich auch gezeigt, dass Moderation in diesen riesigen Monokulturen schwierig umsetzbar ist, durch den Einsatz von KI nur bedingt zu lösen und die Verhältnisse, in denen die oft in den globalen Süden ausgelagerte Moderationsarbeit stattfindet, völlig inakzeptabel sind (wie etwa im relativ breit bekanntgewordenen Dokumentarfilm The Cleaners von 2018 dargestellt, vgl. https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/im-schatten-der-netzwelt-the-cleaners-110.html. Vgl. auch Nilay Patels Statement „The essential truth of every social network is that the product is content moderation, and everyone hates the people who decide how content moderation works.“ [„Welcome to Hell, Elon“, The Verge, 28. Oktober 2022, https://www.theverge.com/2022/10/28/23428132/elon-musk-twitter-acquisition-problems-speech-moderation]). Das Fediverse hat hier durch die Instanzenstrukturen eine viel bessere Ausgangsposition. Die Moderation findet damit viel näher bei den User:innen statt, die Instanzen geben sich ihre eigenen Regeln, die dann auch nur für einige hundert oder einige tausend Personen stimmig sein müssen, nicht für drei Milliarden. Die Moderator:innen können vor diesem Hintergrund auch eine gewisse Sensibilität für die Bedürfnisse ‚ihrer‘ User:innen entwickeln. Die Entscheidungen erhalten tendenziell auch kollektive Ebenen, die zumindest Ansätze dafür bieten, die rein individualistische Basis der Beurteilung von Informationen zu überwinden. („Another defining attribute of ‘fake news’ is that in its circulation and reception it reproduces its own conditions of possibility. The principle of fake news is not simply that some news is fake and other news is true, but that the grounds for distinguishing the two have shifted from social mechanisms to individual preferences and preconceptions. [Mark Andrejevic, „The Political Function of Fake News: Disorganized Propaganda in the Era of Automated Media“, in: Melissa Zimdars and Kembrew McLeod, Hg., Fake News. Understanding Media and Misinformation in the Digital Age, Cambridge, London: MIT Press 2020]). Problematisch bleiben die begrenzten Ressourcen – wie weit vor allem die ehrenamtlichen Moderator:innen den kontinuierlichen Arbeitsaufwand bewältigen können, was schon in der aktuellen Situation fraglich ist, und verstärkt in Hinblick auf ein eventuell stärkeres Wachstum der Netzwerke.

[69] Zum praktischen Aufwand siehe: Markus Reuter, "Wieviel Aufwand und Kosten entstehen durch eine Mastodon-Instanz?", Netzpolitik.org, 15.10.2023, https://netzpolitik.org/2023/social-media-selber-machen-wieviel-aufwand-und-kosten-entstehen-durch-eine-mastodon-instanz/?via=nl#netzpolitik-pw.

[70] Vgl. etwa Robert W. Gehl, Reverse Engineering Social Media: Software, Culture, and Political Economy in New Media Capitalism (Philadelphia: Temple University Press 2014).

[71] Vgl. z.B. „OcapPub: Towards networks of consent” (https://gitlab.com/spritely/ocappub).

[72] Vgl. zur Übersiedlung eines Accounts in Mastodon z.B. https://fedi.tips/transferring-your-mastodon-account-to-another-server/, zur Kritik an der Unterstützung von Portabilität in ActivityPub aus der Perspektive von Blueskys ATProtokoll: https://atproto.com/guides/faq#why-not-use-activitypub.

[74] Rochko beschreibt dies im erwähnten Interview für Mastodon als die primäre Möglichkeit (https://www.theverge.com/23658648/mastodon-ceo-twitter-interview-elon-musk-twitter), was auch bezüglich anderer Projekte verallgemeinert werden kann.

[75] Die Software und das Netzwerk getrennt zu betrachten, ist bei freien Projekten auch deshalb wichtig, weil diese Software im Rahmen der Lizenzen jede:r nutzen kann, und so wird Mastodon etwa auch in Trumps ‚Truth Social‘-Netzwerk und von der rechtsextremen Plattform Gab verwendet. ‚Truth Social‘ hat lediglich Teile der Software für die Plattform verwendet (und dies erst nach Kritik der Lizenz entsprechend öffentlich gemacht, vgl. „Truth Social Is Rising as the Anti-Mastodon“, Wired, 23. November 2022, https://www.wired.com/story/truth-social-trump-mastodon). Als Gab 2019, nachdem es u.a. von den App Stores auf Android und iOS schon gebannt worden war, Mastodon implementierte, war dies auch eine potenzielle Gefahr für das Netzwerk. Dass es nun ausgerechnet in Mastodon, das zwei Jahre davor noch als „Twitter without Nazis“ gehypt worden war („Mastodon Is Like Twitter Without Nazis, So Why Are We Not Using It?“, Motherboard, 4. April 2017, https://www.vice.com/en/article/783akg/mastodon-is-like-twitter-without-nazis-so-why-are-we-not-using-it), eine Instanz gab, die unter Berufung auf ‚free speech‘ den Austausch von rechtsextremen und rassistischen Hassposting befördert, war umso problematischer, als Gabs ursprüngliche Plattform vergleichsweise hohe User:innenzahlen hatte und zu diesem Zeitpunkt vermutlich die größte Instanz im Fediverse war. Dass es unter diesen Umständen gelungen ist, die Plattform aus dem Netzwerk auszugrenzen, kann als positives Zeichen für dessen praktische Resilienz gesehen werden.

[76] Vgl. Darius Kazemi, “Run your own social”, 8. Juli 2019 (https://runyourown.social/).

[77] Die lokale Timeline, also alle Posts der User:innen einer Instanz schafft bei inhaltlich und/oder auf bestimmte Communities orientierten Instanzen einen wichtigen Zusammenhang, der von anderen Instanzen aus nur bedingt nachvollzogen warden kann. Die Instanz im Browser regelmäßig zu besuchen, ist eine im Social Web eher unübliche und kaum integrierbare Vorgangsweise, und ist auch nur möglich, wenn die Privacy-Einstellungen der Instanz dies erlauben. Das erstere Problem ist zumindest grundsätzlich durch Apps lösbar, etwa durch die iOS-App IceCubes (vgl. https://fediversereport.com/last-week-in-the-fediverse-ep-2/).

[78] Vgl. dazu das erwähnte Interview mit Floren Cabello und die dort angegebenen Quellen.

[79] Es gibt natürlich auch z.B. in Facebook Gruppen. In der vergleichsweise simplen Form und begrenzten Gestaltbarkeit durch die User:innen spiegelt sich, dass diese Gruppen aber lediglich auf Basis des methodischen Individualismus des Netzwerkmodells bestehen und strukturell Sammlungen identer Knotenpunkte darstellen, die auf einen möglichst effizienten Informationsfluss hin optimiert sind, und nicht die Grundlagen eines kollektiven Werdens.

[81] Yves Citton, The Ecology of Attention, translated by Barnaby Norman, Malden, MA: Polity Press 2016, S. 31.