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10 2000

MigrantInnen in Italien. Rechtliche und politische Grundlagen

Laura di Martino

Vor einer ausführlichen Untersuchung der Lage der MigrantInnen in Italien muss der juristische Horizont berücksichtigt werden, in dem sich diese Männer und Frauen bewegen, müssen die Grundmomente der Reglementierung von Migrationsflüssen vorausgesetzt werden; vor allem das Schengen-Abkommen von 1985, mit dem die Kontrollen an den Grenzen für europäische Staatsangehörige aufgehoben und die Überwachung der Außengrenzen der Europäischen Union (EU) geregelt wurde: Dem Abkommen Frankreichs, Deutschlands und der Beneluxländer trat eine erste Gruppe von Innenministerien der vertragsschließenden Staaten bei. An dieser europäischen Polizei nimmt die EU-Kommission (seit 1990) nur als Beobachter teil. Mit anderen Worten entsprechen die Bestimmungen, die die Kontrolle der MigrantInnen betreffen, dem Einverständnis der Sicherheitsorgane einiger Staaten, und nicht einer Gemeinschaftsentscheidung.

Anfang der achtziger Jahre wurden die MigrantInnen in der italienischen öffentlichen Meinung als Grund für die soziale Krise und die kollektive Angst identifiziert, die das Ende der sogenannten ersten Republik gekennzeichnet haben. Die Feindseligkeit gegenüber den MigrantInnen wurde von den rechten Parteien und Bewegungen insbesondere in Norditalien geschürt, teils sogar hervorgerufen. Auch die Linke und das Zentrum haben die Angst vor MigrantInnen, Nomaden oder Flüchtlingen nicht bekämpft, sondern als eine unanfechtbare Tatsache übernommen. Das Nachgeben gegenüber der panischen Angst vor der Einwanderung (ein Prozess, der nach dem Sieg der Rechten 1994 noch zugenommen hat) führte zur Gesetzesverordnung Dini, die im November 1995 von der Rechten und vom Großteil der Mitte-Links-Parteien verabschiedet wurde, sozusagen als das kleinere Übel im Vergleich zu den ausländerfeindlichen Vorschlägen der Lega Nord. In Wirklichkeit ging es um Maßnahmen mit wenigen praktischen Folgen; am 31. März 1996 wurden zirka 250.000 Gesuche nach sogenannter "Regularisierung" eingereicht, Abschiebungen wurden aus wirtschaftlichen Gründe keine ausgeführt.

Nach dem Sieg der Linken 1996 versprach die neue Regierung ein neues Gesetz, das von Livia Turco und Giorgio Napolitano im Jahr 1997 verfasst wurde. Obwohl die Gesetzesvorlage besser durchdacht war als die Gesetzesverordnung Dini, weil erneuernde Maßnahmen die Ergänzung und Gleichstellung zwischen ItalienerInnen und regulären MigrantInnen versprachen (für reguläre MigrantInnen z. B. das aktive und passive Wahlrecht in den Gemeinderverwaltungen, Gesundheitsversorgung, die Möglichkeit der Zuteilung von Sozialwohnungen, Schulplicht für Kinder usw.), bewahrte sie denselben Geist. Denn sie übernahm nicht nur die Zutrittsbeschränkung, sondern auch die schwierige Prozedur der Regularisierung. Den sogenannten armen "Touristen" wurde ein 3-Monate Visum gewährt, den SaisonarbeiterInnen eines für sechs Monate, den StudentInnen für ein Jahr, den MigrantInnen mit einer sicheren Arbeitsstelle für zwei Jahre und nach sechs Jahren "guter Führung" die Aufenthaltsgenehmigung. In der Praxis bestätigte und rationalisierte die Turco-Napolitano-Gesetzesvorlage die Logik der Ausschließung, weil sie die Abschiebung von Verdächtigen oder "Gemeingefährlichen" einführte und Schublager einrichtete.
Das Gesetz wurde zwischen Februar und März 1998 verabschiedet, nachdem im August 1997 zwei oder drei Ereignisse, in die MigrantInnen kriminell involviert waren, eine außergewöhnliche Panikkampagne entfesselt hatten. Es hat auf seinem Weg bis zur Gesetzwerdung einige positive Aspekte verloren (z.B. das Stimmrecht), und der Teil bezüglich der Verhinderung der illegalen Einwanderung, der Abschiebung und der Lager stellt nun mehr als die Hälfte des Textes dar.

Unterstreichen muss ich, dass die Schublager direkt zur Kriminalisierung der MigrantInnen beitragen. In diesen Lagern werden Leute, die keine Straftat begangen haben, eingeschlossen, weil sie keine Papiere haben. Natürlich ist die Lage in den institutionellen Gefängnissen noch schlimmer: MigrantInnen sind in den Gefängnissen überrepräsentiert (ein Durchschnitt von 27 bis 50%), weil sie keine alternativen Haftmaßnahmen wie z.B. Hausarrest genießen können, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Einige Forschungen ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit, verurteilt zu werden, für MigrantInnen fünfmal größer ist als für Italiener, und sie zu höheren Strafen verurteilt werden.

Die Tendenz zur Standardisierung der Prozesse mit dem neu eingeführten Schnellverfahren hat schwere Folgen für MigrantInnen, weil diese aus Mangel an regulären Einnahmequellen, durch die Kommunikationsschwierigkeiten und die Notwendigkeit, sich an PflichtverteidigerInnen zu wenden, diskriminiert sind. Wachsende Prozentsätze angezeigter, verurteilter oder im Gefängnis befindlicher MigrantInnen sind also kein Anzeichen für eine höhere Neigung zur Kriminalität. Für viele sind die Gefängnisse die unvermeidbaren Endpunkte ihres Migrationswegs. Überdies ist die Diskiminierung nicht nur aktiv und willentlich, sondern auch eine Folge des schlechten Rechtsbeistands, der Oberflächlichkeit, der Interesselosigkeit der Funktionäre, RichterInnen, ÄrztInnen usw. Das Gefängnis erweist sich als ein schwarzes Loch, ein Abladeplatz, in dem die fremden Häfltinge den niedrigsten Platz einnehmen.

Diese allmähliche Kriminalisierung der MigrantInnen im gesetzgebenden Bereich ist das Ergebnis einer tiefgreifenden Änderung der Wahrnehmung von Fremden im Kontext der Globalisierung. Seit den siebziger Jahren ist Migration nämlich im Zuge des Untergangs der Industriegesellchaft ein Phänomen geworden, das als Bedrohung für die neue politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung betrachtet wird. Das Entwicklungsmodell, das sich in den herrschenden Gesellschaften durchgesetzt hat, braucht, im Unterschied zu dem der Industriegesellschaft keine Massenarbeitskraft und Bevölkerungsexplosion mehr, sondern eine beschränkte Menge von AushilfsarbeiterInnen. Wahrscheinlich wird sich die Nachfrage nach Arbeitskräften auf bestimmte Beschäftigungsbereiche mit einer starken Unsicherheit und einer starken Fluktuation beschränken. Das Hauptmerkmal der Migration in diesem neuen Zeitalter ist das Verbot: Sie wird vom Ursprungsland und vom Immigrationsland verfolgt. Die Verletzung dieses Verbots der Grenzüberschreitung bringt die Gefahr der illegalen Einwanderung mit sich, das heißt Todesgefahr während der Fahrt, das heißt Repression durch die Polizei.

Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Unzulänglichkeit der politischen Kategorien der italienischen Linken im Umgang mit dem Migrationsproblem. Die nicht-politische Natur der Einwanderung der letzten Jahre hat das Bewußtsein in vielen Bereichen der (mehr oder weniger institutionellen) Linken reifen lassen, dass die üblichen Kategorien gegenüber MigrantInnen unzulänglich wurden. Im Unterschied zu den siebziger Jahren geht es nicht um argentinische, chilenische oder peruanische ExilantInnen, die schon politisiert waren, sondern um MigrantInnen, die aus vorwiegend wirtschaftlichen Gründen nach Italien gekommen sind: auch Leute, die vor Kriegen oder politischen Verfolgungen geflohen sind, müssen nach der Ankunft in Italien zuerst ihre wirtschaftlichen Problem lösen (auch wegen der derzeitigen italienischen Gesetzgebung, die keine einheitliche Politik der Aufnahme vorsieht). Trotzdem bedeutet dies nicht, dass die Immigration keinen politischen Wert hat, im Gegenteil: Sie protestiert gegen die wirtschaftliche europäische und Weltordnung, die Tausende von Leuten dazu zwingt, ihr Leben beim illegalen Grenzüberschreiten zu riskieren.

In diesem Sinne zwingt uns die Erscheinung der Migration zu einem Überdenken unserer politischen Kategorien und unseres Handelns, insbesondere ausgehend von den Begriffen der Staatsangehörigkeit und der Öffentlichkeit. Beginnend bei der Tatsache, dass die Politik der Globalisierung den Staaten immer mehr gesetzliche Hoheiten und Interventionsmöglichkeiten abnimmt (Gesundheitswesen, soziales Netz, Bildung, usw.), kann man einerseits die Entleerung der bürgerlich-liberalen Staatsform positiv sehen, andererseits sind aber neue Formen des politischen Handelns zur Neubildung von Öffentlichkeit und des Anspruchs auf grundlegende Rechte unumgänglich.

Sicher haben die zahlreichen Diskussionen, die in diesen Jahren über den Identitätsbegriff oder den Untergang des Nationalstaats geführt wurden, zur Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung beigetragen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass eben diese Auseinandersetzungen das Abgleiten der Migrationsfrage von der direkt politischen Ebene auf eine rein philosophische und intellektualistische Ebene gefördet haben. In diesem Zusammenhang haben sich allerdings einmalige Situationen entwickelt, wie in der Provinz von Brescia, im Norden Italiens, in der die MigrantInnen selbständig das Recht auf Aufenthaltsgenehmigung (daher auf Wohnung, Gesundheit, Schule, Arbeit usw.) geltend gemacht haben. Sie haben somit Intellektuelle wie PolitikerInnen "links" überholt, die wohl zu sehr damit beschäftigt waren, große Systeme zu diskutieren.

Näturlich ist die Provinz von Brescia ein Sonderfall, weil der Anteil der Schwarzarbeit sehr hoch ist und die Sicherheit am Arbeitsplatz (vorwiegend Klein- und Mittelunternehmen, die im Bauwesen und in der Metallverarbeitung tätig sind) nicht gewährleistet ist. In dieser Provinz sind tödliche Unfälle am Arbeitsplatz fast ständige Ereignisse, die zur Erhöhung des dramatischen italienischen Durchschnittswertes (vier Tote pro Tag) beitragen. Trotz dieser Charakteristik ist es den MigrantInnen gelungen, nicht nur andere MigrantInnen in Norditalien, sondern auch verhältnismäßig viele ItalienerInnen einzubeziehen.

Niemand hat über den Begriff der Identität oder des Nationalstaates lange nachgedacht, weil sich der Kampf um die konkreten Lebensbedingungen (also die wirklich politischen) dreht, mit denen alle sich auseinandersetzen mussten. Das bedeutet nicht, dass die Identität und der Staat völlig überholte Begriffe sind, bei denen es nicht mehr lohnt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen; im Gegenteil glaube ich, dass die Qualität der politischen Aktion der MigrantInnen einen libertären Begriff der Identität vermuten lässt. D.h. keine geschlossene Identität, sondern eine Identität als offenes Ganzes, in die man von vielfältigen Standpunkten (ethnisch, politisch, künstlerisch, usw.) eintreten kann, weil sie nichts fest bewahren will, und ihren Seinsgrund in der Sicherung und Verbesserung der Existenz findet.