10 2000
"My traditional clothes are sweat-shirts and jeans". Über die Schwierigkeit, nicht different zu sein oder Gegen-Kultur als Zurichtung
Für eine antirassistisch-feministisch-queere Internationale
An den Wänden zum Hörsaal hingen Schilder mit verschiedenen
Aufschriften wie "United Colors of ifu" oder "My
traditional clothes are sweat-shirts and jeans". Das
war die Antwort einiger ifu[1] -Teilnehmerinnen
gegen eine mediale Repräsentationspolitik, in der sie
immer wieder zu exotischen Paradiesvögeln stilisiert
wurden. Die Vielfältigkeit der Welt war zur Stelle. Hannover
feierte sich letzten Sommer bunt mit "EXPO" und
"ifu". Jede als "Fremde" Identifizierbare
wurde mit einem Lächeln begrüßt, waren sie
doch alle nur mit einem "befristeten Aufenthalt"
gekommen, gut ausgestattet mit den entsprechenden Mittel und
dem "nötig gewordenen" Know-How[2].
Ihr Betätigungsfeld war auch genau umrissen: Entweder
an einem der "real native" Pavillons zu stehen,
zu bedienen oder einzukaufen oder mit ihren authentischen
Berichten aus aller Welt die nicht zu sättigenden Expandierungsfantasien
des Nordens zu füttern. Unter diesen Umständen konnten
Differenzen toleriert und bis zur kulturellen Unkenntlichkeit
überdeterminiert werden. Was für ein schönes
Hannover - so viele Saris, so viele afrikanische Stoffe.
Während Hannover und insbesondere seine institutionelle
feministische Szene Weltoffenheit feierte, meldete zum gleichen
Zeitpunkt die Frankfurter Rundschau 400 polizeilich registrierte
rassistische Angriffe in der bunten Republik. Auch einige
der Teilnehmerinnen der ifu blieben davon nicht verschont.
Rassistische Anmache auf der Straße, Beschimpfungen
wie "Neger" oder von erwachsenen weißen deutschen
Männern angespuckt zu werden, sind nur ein paar der Vorfälle,
die einige bewogen, die gefeierte folkloristische Aufmachung
abzulegen und wieder abzureisen. Trotz dieser nicht aus der
Welt zu schaffenden "Begebenheiten" blieb der "multikulturelle
Rummel" für die VeranstalterInnen rentabel, konnten
sie doch die Urheberschaft über die Kreationen für
sich verbuchen.
Die alltägliche Politik der Differenzierung und Hierarchisierung,
die über Sondergesetze institutionell verankert wird,
wie zum Beispiel das Ausländergesetz, fängt nicht
erst bei Ereignissen wie der "EXPO" an. Seit den
70er Jahre schreiben MigrantInnen, Flüchtlinge und Schwarze
Deutsche gegen die rassistische Repräsentationspraxis,
die sie immer wieder als eindeutige und simple Gestalten konstruiert
(vgl. Gutiérrez Rodríguez 1996). Entweder werden
Frauen aus der Türkei als "Unterdrückte"
par excellence oder "sexy orientalische Bräute"
stilisiert oder männliche Migranten als "newborn
Gangster" vorgeführt - um nur ein paar Klischees
aus der reichen Palette der Exotisierung, Sexualisierung und
Ethnisierung zu nennen, mit denen MigrantInnen insbesondere
jene aus dem Süden, konfrontiert werden. Das sind Bilder,
die von den herrschenden Medien immer wieder produziert werden.
Doch was passiert eigentlich, wenn diese Bilder nicht mehr
als "Fremdbeschreibungen" auftauchen, sondern als
"Selbstinszenierungen"? Welche Rolle nehmen öffentliche
Figuren, die sich selbst als MigrantInnen oder KanakInnen
bezeichnen, in der Darstellung und Vertretung von MigrantInnen
und Flüchtlingen ein (s. auch Mark Terkessidis' Beitrag)?
Aus diesem Fragenkomplex leite ich die Frage nach der Funktion
und der Verantwortung von Intellektuellen insbesondere aus
"subalternen Gruppen" ab (Gutiérrez Rodríguez
1999a/b). Daran gekoppelt ist auch die Frage nach Repräsentation
im Sinne von Sichtbarmachung und Widerstand. Konkret heißt
das: Welche Rolle nehmen intellektuell arbeitende Menschen
im Kontext von Diaspora, Exil und Migration in der kulturellen
Darstellung und Vertretung ihrer Situation und ihres Lebensalltags
ein? Inwieweit reproduzieren und tragen sie zur Konstruktion
des "differenten Anderen"[3] bei
oder inwieweit brechen sie damit bzw. artikulieren sie eine
widerständige Praxis?
Die Macht der Sichtbarkeit - Intellektuelle aus subalternen
Gruppen
In Anlehnung an Antonio Gramsci bezeichne ich intellektuell
und politisch-organisierend arbeitende Menschen im Kontext
von Diaspora, Exil und Migration als Intellektuelle[4]
aus subalternen Gruppen. In Relation zu den herrschenden
sozialen Gruppen nehmen die marginalisierten Gruppen eine
subalterne Position ein (Gramsci 1986:44ff., Spivak 1985).
Subaltern bezeichnet hier die Unterwerfung einer sozialen
Gruppe durch die hegemonialen Gruppen. Die Subalternen sind
einerseits vom herrschenden Kräfteverhältnis ausgeschlossen,
andererseits konstitutiv für seine Herausbildung. Dies
bedeutet, dass ihre Artikulationsformen zwar Eingang in den
herrschenden Kanon finden ohne dass jedoch ihre Urheberschaft
benannt wird (Gutiérrez Rodríguez 1998). In
vielen Fällen kommt es auch zu einer Entfremdung und
Aushebelung ihrer widerständigen Aussagekraft. Ihre Position
als Subalterne wird durch den Umgang mit ihren Wissensproduktionen
reifiziert. Erst in dieser Abhängigkeitsbeziehung konstituiert
sich das Verhältnis von Herrschenden und Subalternen.
In diesem Zusammenhang nehmen Intellektuelle als Kohäsionsfiguren
im kulturellen Feld eine wesentliche Rolle ein. Ein Blick
auf den Intellektuellenbegriff Antonio Gramscis soll dies
verdeutlichen.
Antonio Gramsci bezeichnet mit seinem Begriff des Intellektuellen
[5] das Aufkommen einzelner Individuen als
TheoretikerInnen innerhalb eines konkreten sozialen Kontextes
(Gramsci 1996:1500). Er unterscheidet zwischen zwei Typen
von Intellektuellen, einem der "traditionellen"
und einem der "organischen" Kategorie (ebd.:1504ff.).
Die "traditionellen" Intellektuellen werden vom
professionellen Typus repräsentiert, der in Kunst und
Wissenschaft für die hegemonialen Klassen tätig
ist. Seine Position in der Gesellschaft erwächst aus
früheren und gegenwärtigen Klassenbeziehungen und
bezieht sich auf eine spezifische historische Klassenkonstellation.
Sie entsteht zwar "organisch" aus einem spezifischen
sozialen Zusammenhang heraus, bedingt jedoch nicht "organisch"
den Charakter seiner Tätigkeit und Funktion in Relation
zu seiner Herkunftsgruppe. Vielmehr vertritt der "traditionelle"
Intellektuelle die Interessen und die Weltanschauung der herrschenden
Gruppen unabhängig von seiner sozialen Herkunft. Die
"organischen" Intellektuellen dagegen stellen das
denkende und organisierende Element einer partikularen, fundamentalen
sozialen Klasse dar. Sie formieren sich "organisch"
aus den Praktiken und den Artikulationen einer spezifischen
Klasse heraus. Nicht ihre professionelle Position ist ausschlaggebend
für ihre Funktion als Intellektuelle, sondern ihr Gewordensein
und ihre Eingebundenheit in ein soziales Milieu, in dem ihre
Analysen und Beschreibung von Mensch und Gesellschaft große
Anerkennung und Verbreitung finden. Sie nutzen ihre erworbenen
intellektuellen Fähigkeiten für die Analyse und
die Organisierung ihrer sozialen Klasse. "Organische
Intellektuelle" sind zwar Produkt dieser Arbeitsteilung,
zugleich bewegen sie sich jedoch am Schnittpunkt von Hand-
und Kopfarbeit, an dem nicht ihre "professionelle Tätigkeit"
sie zu Intellektuellen macht, sondern die jeweilige politische
und intellektuelle Organisierungs- und Vermittlungstätigkeit.
"Organische Intellektuelle" nach Gramsci sind demnach
an der Darstellung und der Vertretung "Subalterner"
beteiligt. Als solche organisieren sie den Widerstand gegen
die hegemonialen Gruppen auf der Ebene von Kultur und Symbolik.
Der "organische Intellektuelle" weist Spuren des
gesellschaftskritischen Intellektuellen Emile Zolas auf, der
um seinen Zugang zu Veröffentlichungsmitteln weiß.
Dieses Wissen setzt er für die Sichtbarmachung der Interessen
seiner sozialen Gruppe ein (vgl. Bauman 1995).
Die Figur des "organischen Intellektuellen" Gramscis,
verortet im italienischen Kontext der 20er und 30er Jahre,
weist für die Bestimmung der aktuellen Position von Intellektuellen
aus subalternen Gruppen einige Lücken auf. Erstens ist
das Adjektiv "organisch" kritisch zu betrachten,
da es in einem naturmetaphorischen Bedeutungskontext steht,
der für eine gesellschaftskritische Analyse nicht haltbar
ist. Soziale Zusammenhänge über einen biologischen
Diskurs zu erklären, bedeutet darauf zu verzichten, Gesellschaft
als heterogenes Feld von miteinander konkurrierenden Achsen
von Macht und Herrschaft zu verstehen. Zweitens können
wir heute nicht mehr von einem einzigen politischen Interesse
ausgehen, das sich einheitlich mittels einer Partei artikulieren
ließe. Die 68er-Bewegung hat zumindest in Westeuropa
die Grenzen eines Gesellschaftsverständnisses gezeigt,
das Antagonismen in Haupt- und Nebenwidersprüche teilt.
Die Frauen-, die Lesben- und Schwulenbewegungen sowie die
antirassistischen Bewegungen haben gezeigt, dass politische
"communities" sich nicht entlang eines einzigen
Interesses organisieren. Vielmehr verbünden sie sich
zu unterschiedlichen politischen Aktionen, deren Kern sich
jedoch gegen Ausbeutung, Demütigung und Vereinnahmung
richtet. Auf dieser Grundlage reduziert Edward Said die gesellschaftliche
Funktion der Intellektuellen auf ihre Repräsentationsmacht.
Er schreibt, dass ihr Existenzgrund darin liege, "all
die Menschen und Problemstellungen zu repräsentieren,
die für gewöhnlich vergessen oder unter den Teppich
gekehrt werden"[6] (Übers. EGR,
Said 1994). Laut Pierre Bourdieu tragen Intellektuelle zur
Verallgemeinerung sozialer Phänomene bei, die gesellschaftlich
individualisiert werden (Bourdieu 1993). Die soziale Aufgabe
der Intellektuellen besteht demnach darin, als individuelle
Fehler oder als Schicksal privat erfahrene Phänomene
in ihrer Gesellschaftlichkeit zu thematisieren und einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Bourdieu 1993).
Der feministische Spruch "Das Private ist politisch"
scheint die Grundlage für die Bestimmung der Aufgaben
der Intellektuellen zu bilden. Er verweist vor allem auf den
Ende der 60er und 70er Jahre fehlenden Zugang von Frauen zur
kulturellen und politischen Öffentlichkeit. Dies gilt
heute weiterhin für eine radikale feministische Praxis.
Intellektuelle MigrantInnen tauchen in der herrschenden Öffentlichkeit
kaum auf, und vor allem dann nicht, wenn sie sich antirassistisch
und queer-politisch artikulieren. Einige ihrer Interventionen
gelingen jedoch im Rahmen antirassistischer Netzwerke. Im
Vergleich zu den hegemonialen Gruppen ist ihr Zugang zur Öffentlichkeit
aufgrund ihrer finanziellen und politischen Position kaum
vorhanden. Daher ist eine Intervention der subalternen Gruppen
in die öffentlichen Sphären der hegemonialen Gruppen
nur mittels kollektiver Aktionen in Form von Protestbewegungen
möglich. Erst dann bekommen sie einen Zugang zu den Medien
und können diese für ihre Interessen nutzen. In
derartigen Prozessen des Protestes artikulieren sich Intellektuelle
öffentlich (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999c).
Derart tragen sie zur Kohäsion ihrer Gruppe, zur Synthetisierung
und zur Artikulation kollektiver Interessen bei. Anders jedoch
als der "organische Intellektuelle" Gramscis, der
im Rahmen der kommunistischen Partei Italiens zu verorten
ist, entwickeln intellektuelle MigrantInnen ihre Organisationsfähigkeit
nicht im Rahmen einer einheitlichen politischen Institution.
Ihre politische Arbeit entsteht im Rahmen von Protestbewegungen,
insbesondere innerhalb der antirassistischen, feministischen
und Queer-Bewegungen. Als solche treten sie im Namen von Interessengruppen
auf. Dabei können sie mit ihren öffentlichen Interventionen
zur Affirmation oder zur Infragestellung der sozialen Verhältnisse
beitragen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch die
seit drei Jahren stattfindende Berichterstattung zu den "neuen
Deutschen" lesen.
Repräsentation in der identitätslogischen Dynamik
von Differenz und Gleichheit
Auf der Titelseite einer renommierten deutschen Wochenzeitung
konnten wir Anfang des Jahres die strahlenden Gesichter männlicher
Figuren aus Politik und Kultur und eines weiblichen Gegenparts
bestaunen. Cem Özdemir, Feridun Zaimoglu und Nadja Abd
El Farrag wurden als die neuen Gesichter "transnationaler
Deutscher" oder sogar der "fremden Deutschen"
vorgeführt. Ihr Aussehen, durch eine Spur "südländischen
Flairs" markiert, trägt die Gravuren des eindeutig
"Fremden". Mit Sakkos gekleidet stehen sie wiederum
für das aufsteigende migrantische Proletariat. Da haben
es drei geschafft. Ihrer Integration steht also nichts im
Wege. Sie gehören nun zum Volk der Gleichen trotz ihrer
markierten und immer wieder phänotypisch konstruierten
Differenz. Das steht einem "globalisierten Deutschland"
gut zu Gesicht. Die Integration der AusländerInnen wird
zelebriert, gleichzeitig ihre Differenz zementiert. Nette
"fremde Deutsche" gehören nun zur bunten Republik.
"Hybride" Positionen (Bhabha) - also nicht eindeutige
identitäre Repräsentationen - sind angesichts eines
offiziellen politischen Diskurses, der zwischen "Deutschen"
und "Ausländern" unterscheidet, nicht haltbar.
Denn nach dem gescheiterten Versuch der rot-grünen Regierung,
die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen, sind
nur die "fremden Deutschen" geblieben. Denn trotz
der im Februar 1999 durch die rot-grüne Regierung eingeleiteten
Reform des Staatsbürgerrechts, wonach nun Kinder ausländischer
Eltern im Falle einer Geburt in Deutschland automatisch die
deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen, wenn mindestens
ein Elternteil in Deutschland geboren oder vor dem 14. Lebensjahr
eingereist ist, hat sich am "ius sanguinis" Prinzip
(Blut- und Bodengenealogie) des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts
nicht viel geändert (vgl. FR Januar 1999: Rat für
Migration). Die Durchsetzung der Doppelten Staatsbürgerschaft
wurde aufgrund des Widerstands der CDU/CSU und nicht zuletzt
auch aus den Regierungsreihen abgeschmettert.
Sogar die politisch artikulierte Identität des "Kanaken"
wird nun medial eingedeutscht. Ihre Einfügung in das
Hegemoniale basiert jedoch nicht nur auf der Grundlage der
Zugehörigkeit zur nationalen Mehrheit, sondern auch durch
die Überdeterminierung einer heteronormativen und sexistischen
Logik.
Nur bestimmte Formen der Männlichkeit und Weiblichkeit,
die die mediale Figur des Kanaken befördern, finden in
der Öffentlichkeit eine Repräsentation. Hierfür
stehen Filme wie "Kurz und Schmerzlos" oder "Kanak
Attack", aber auch sich als "politisch unkorrekt"
inszenierende intellektuelle männliche Kanaken. Brüche
mit identitär vereindeutigenden, rassistischen Zuschreibungspraktiken
werden mit sexistischer und heterosexueller Inszenierung gekoppelt.
Die männlichen Figuren haben den Part, ihre Vorherrschaft
immer wieder über einen patriarchalen Chauvinismus zu
statuieren. Auch wenn sie Verletzlichkeit zeigen, die einerseits
mit der ihnen aufoktroyierten Männlichkeit bricht, bleibt
den neben ihnen stehenden weiblichen Figuren nur die Rolle
der im Hintergrund agierenden Schwester und Liebhaberin. Eine
alte Geschichte der heterosexuellen Geschlechterordnung wiederholt
sich: Die Show scheinen die Typen zu machen. Sie sind die
Protagonisten von Politik und Medienrummel. Die Ladies im
Rampenlicht bleiben die Geliebte, Schwester oder Unterhalterin.
Bezeichnungen wie "High-Heel-Turkas" befördern
männliche heterosexuelle, die Frauen wieder einmal zu
Objekten eines männlich heterosexuellen Begehrens machen.
Fast als "backlash" könnte diese Inszenierungspraxis
interpretiert werden, in der hegemoniale Konstruktionen von
Männlichkeit und Weiblichkeit verhandelt werden. Angesichts
einer seit den 70er Jahren agierenden feministischen Migrantinnen-Protestbewegung
und einer lesbischen "Women of Color"-Bewegung ist
es leidig, mit Bildern bombardiert zu werden, die vor allem
männliche heterosexuelle Fantasien befördern.
Die Schwierigkeit, sichtbar zu werden, ohne sofort identisch
zu sein, scheint in einer identitär-logisch strukturierten
Gesellschaft unüberwindbar. Wie kann eine Sichtbarkeit
geschaffen werden, die nicht immer wieder in die Falle des
Hegemonialen zurückfällt, sondern politische Identitäten
und gesellschaftliche Differenzen im Sinne sozialer Ungleichheit
anerkennt?
Das Feld der Differenzen ist in einem gesellschaftlichen Rahmen
von Hierarchien durchzogen, die unter anderem die Kommunikation
zwischen den Individuen und den Institutionen strukturieren.
Auf der Ebene der Repräsentation beeinflusst nicht jedes
Artikulationsmoment auf gleiche Weise das öffentliche
Bild. Staatliche Institutionen greifen unverkennbar in den
Bewegungs- und Darstellungsrahmen eines Individuums ein. Eine
autonom feministisch arbeitende Migrantinnengruppe wird, wenn
überhaupt, nur peripher in den öffentlichen Diskurs
eingreifen. Ihre Interventionsmöglichkeiten sind von
Allianzen und Bündnissen mit anderen Gruppen abhängig.
Nichtsdestotrotz intervenieren einige feministische Intellektuelle
im Kontext von Diaspora, Exil und Migration mittels Publikationen
und öffentlichen Auftritten in Bereichen der Wissenschaft,
der Medien und der Kunst. Zumeist jedoch bleibt der Glanz
ihrer Darstellung nur für wenige Minuten bestehen. Keine
oder keiner da, die oder der daran anknüpft, weiterspinnt,
weiterdenkt und es artikuliert? Oder doch? Um öffentlich
wirksam zu werden, müssen daher Intellektuelle im Kontext
der Diaspora, des Exils und der Migration aus der Vereinzelung
heraus. Sie müssen an kollektive widerständige Repräsentationsstrategien
und Netzwerken arbeiten, immer wieder gegen die Vereinnahmung
und die kulturelle Zurichtung agieren, die den Zielen einer
patriarchalisch heteronormativen Verwertungs- und Vermarktungslogik
folgt.
Widerstand - In der Aporie der Paradoxie leben
Widerstand kann nicht getrennt von einer aktivistischen Praxis
bestimmt werden. Er kann auch nicht eindimensional und unilateral
bestimmt werden. Neben unterschiedlichen Strategien im Alltag
nehmen intellektuelle MigrantInnen in der Gesellschaft Einfluss.
Einige von uns schreiben seit den 90er Jahren, philosophieren
über antirassistische Praxis, über postkoloniale
Kritik, über philosophische Aporien und Paradoxien. Mir
zumindest fällt dazu nichts Neues ein, als ständig
in Bewegung zu bleiben, in dem, was Jacques Derrida als "différance"
bezeichnet.[7]
Differenzen und kulturelle Artikulationen in der "différance"
zu denken heißt, die Dynamiken des Sehens und der Präsenz
für die Darstellung des unsichtbar Gemachten zu erkennen.
Im Rahmen der ifu, um an das eingangs genannte Beispiel wieder
anzuknüpfen, heißt dies, sich auf das Moment der
Mimikry zu beziehen - der Mimesis und zugleich des Mokierens
über das Hegemoniale. Es bedeutet, die Sichtbarkeit gegen
das Herrschende zu verkehren, indem einerseits die Grundlagen,
auf denen Herrschaft basiert, benannt, und andererseits die
herrschenden Beschreibungsebenen verlassen werden. Wie kann
das aussehen?
Widerstand in der différance, in der Aporie und in
der Paradoxie zu denken, heißt, sich immer wieder dem
hegemonialen Auge zu entziehen, die hegemoniale Repräsentationsstrategie
gegen sich selbst zu verkehren. Es heißt aber auch,
Repräsentation nicht von ihren materiellen Bedingungen
abzukoppeln. Es heißt, nicht über die Subalternen
zu sprechen, sondern das eigene Sprechen zu kontextualisieren
und zu situieren. Es heißt, das Verhältnis, in
dem das Sprechen ermöglicht und darstellbar wird, deutlich
zu machen. Es heißt, auf den Kontext und seine Grenzen
hinzuweisen, die einerseits das Sprechen intelligibel machen,
aber zugleich auf seine Limitiertheit auf die Gegenwärtigkeit
hinzuweisen. In Anlehnung an Hito Steyerls Beitrag in diesem
Heft müssen wir als intellektuell Schaffende weiterhin
für Universalien einstehen, die die Metaphysik des Ökonomischen
und des Existenziellen beschreiben, nämlich: für
das Ende jeder Ausbeutung, jeder Demütigung und jeder
Missachtung der Menschenwürde. Zugleich aber auch wachsam
sein gegenüber der Möglichkeit der Integration und
Instrumentalisierung unserer Artikulationsformen. Auf Rassismus
mit Heterosexismus zu antworten, reiht subversive Widerstandspraktiken
in den Kanon des phallischen Hegemonialen wieder ein. In diesem
Sinne: für eine antirassistisch-feministisch-queere Internationale.
Literatur
Bauman, Zygmunt: Life in Fragments. Essays in Postmodern Morality.
Oxford 1995.
Bourdieu, Pierre: Satz und Gegensatz. Frankfurt am Main 1993.
Derrida, Jacques (1991): Die différance. In: Engelmann,
Peter (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart,
S. 76-113.
Gramsci, Antonio: Aufzeichnungen und verstreute Notizen für
eine Gruppe von Aufsätzen über die Geschichte der
Intellektuellen, §§ 1-3. In: Gefängnisbriefe,
Bd. 7, Heft 12 bis 15. Hamburg 1996. S. 1497-1532.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1996):
Eine Frau ist nicht gleich Frau, nicht gleich Frau, nicht
gleich Frau. In: Ute-Luise Fischer u.a. (Hg.): Kategorie:
Geschlecht. Opladen, S. 163-190.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1999):
Intellektuelle Migrantinnen - Subjektivitäten im Zeitalter
von Globalisierung. Eine postkoloniale dekonstruktive Analyse
von Biographien im Spannungsverhältnis von Ethnisierung
und Vergeschlechtlichung. Opladen.
Oguntoye, Katharina/Opitz, May/Schultz, Dagmar (1986): Farbe
bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.
Berlin.
Said, Edward: Representations of the Intellectual. New York
1994.
Spivak, Gayatri Chakravorty (1985): Subaltern Studies: Deconstructing
Historiography. In: Subaltern Studies, hg. v. Ranajit Guha.
1985, Vol. IV.
Trinh T. Minh-ha (1988): Not You/Like You: Post-Colonial Women
and the Interlocking Questions of Identity and Difference.
In: Feminism and the Critique of Colonial
[1] ifu (Internationale Frauenuniversität)
fand vom 15. Juli bis zum 15.Oktober 2000 im Rahmen der EXPO
in Hannover statt. Dieses Projekt ermöglichte Wissenschaftlerinnen
und Praktikerinnen aus aller Welt einen Raum des Austausches.
Internationalität, Interdisziplinarität, Dialog zwischen Kunst
und Wissenschaft sowie zwischen Akademikerinnen außerhalb
oder innerhalb der Universität standen im Vordergrund.
[2] Nicht zuletzt wurde dies deutlich Ende
Februar 2000, als die Stimmen für eine "green card" für IT-SpezialistInnen
laut wurden.
[3] vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999a/b.
[4] Nicht vergessen werden sollte, dass
die symbolische und diskursive Definitionsmacht von Intellektuellen
Produkt einer arbeitsteiligen organisierten Gesellschaft ist,
in der zwischen Kopf- und Handarbeit unterschieden wird.
[5] Zygmunt Bauman setzt das Auftauchen
des Begriffs "Intellektuelle" mit dem Erscheinen des "offenen
Briefes" Emile Zolas an den Präsidenten der Französischen
Republik, Felix Faure, im Jahre 1898 (13. Januar). In diesem
Brief verurteilten zahlreiche männliche Persönlichkeiten aus
Kultur und Wissenschaft das antisemitische Verfahren im Fall
Dreyfus (Bauman 1995).
[6] Im Original heißt es: "... whose raison
d'etre is to represent all those people and issues that are
routinely forgotten or swept under the rug" (Said 1994).
[7] Mit "différance" ist ein Prozess der
ständigen Bedeutungsverschiebung der Bezeichnungsfelder gemeint.
Bedeutungen sind demnach kontextgebunden, und der Kontext
stellt sich jeweils in einem spezifischen historischen Moment
her.