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10 2000

"My traditional clothes are sweat-shirts and jeans". Über die Schwierigkeit, nicht different zu sein oder Gegen-Kultur als Zurichtung

Encarnación Gutiérrez Rodríguez

Für eine antirassistisch-feministisch-queere Internationale


An den Wänden zum Hörsaal hingen Schilder mit verschiedenen Aufschriften wie "United Colors of ifu" oder "My traditional clothes are sweat-shirts and jeans". Das war die Antwort einiger ifu[1] -Teilnehmerinnen gegen eine mediale Repräsentationspolitik, in der sie immer wieder zu exotischen Paradiesvögeln stilisiert wurden. Die Vielfältigkeit der Welt war zur Stelle. Hannover feierte sich letzten Sommer bunt mit "EXPO" und "ifu". Jede als "Fremde" Identifizierbare wurde mit einem Lächeln begrüßt, waren sie doch alle nur mit einem "befristeten Aufenthalt" gekommen, gut ausgestattet mit den entsprechenden Mittel und dem "nötig gewordenen" Know-How[2]. Ihr Betätigungsfeld war auch genau umrissen: Entweder an einem der "real native" Pavillons zu stehen, zu bedienen oder einzukaufen oder mit ihren authentischen Berichten aus aller Welt die nicht zu sättigenden Expandierungsfantasien des Nordens zu füttern. Unter diesen Umständen konnten Differenzen toleriert und bis zur kulturellen Unkenntlichkeit überdeterminiert werden. Was für ein schönes Hannover - so viele Saris, so viele afrikanische Stoffe.

Während Hannover und insbesondere seine institutionelle feministische Szene Weltoffenheit feierte, meldete zum gleichen Zeitpunkt die Frankfurter Rundschau 400 polizeilich registrierte rassistische Angriffe in der bunten Republik. Auch einige der Teilnehmerinnen der ifu blieben davon nicht verschont. Rassistische Anmache auf der Straße, Beschimpfungen wie "Neger" oder von erwachsenen weißen deutschen Männern angespuckt zu werden, sind nur ein paar der Vorfälle, die einige bewogen, die gefeierte folkloristische Aufmachung abzulegen und wieder abzureisen. Trotz dieser nicht aus der Welt zu schaffenden "Begebenheiten" blieb der "multikulturelle Rummel" für die VeranstalterInnen rentabel, konnten sie doch die Urheberschaft über die Kreationen für sich verbuchen.

Die alltägliche Politik der Differenzierung und Hierarchisierung, die über Sondergesetze institutionell verankert wird, wie zum Beispiel das Ausländergesetz, fängt nicht erst bei Ereignissen wie der "EXPO" an. Seit den 70er Jahre schreiben MigrantInnen, Flüchtlinge und Schwarze Deutsche gegen die rassistische Repräsentationspraxis, die sie immer wieder als eindeutige und simple Gestalten konstruiert (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1996). Entweder werden Frauen aus der Türkei als "Unterdrückte" par excellence oder "sexy orientalische Bräute" stilisiert oder männliche Migranten als "newborn Gangster" vorgeführt - um nur ein paar Klischees aus der reichen Palette der Exotisierung, Sexualisierung und Ethnisierung zu nennen, mit denen MigrantInnen insbesondere jene aus dem Süden, konfrontiert werden. Das sind Bilder, die von den herrschenden Medien immer wieder produziert werden. Doch was passiert eigentlich, wenn diese Bilder nicht mehr als "Fremdbeschreibungen" auftauchen, sondern als "Selbstinszenierungen"? Welche Rolle nehmen öffentliche Figuren, die sich selbst als MigrantInnen oder KanakInnen bezeichnen, in der Darstellung und Vertretung von MigrantInnen und Flüchtlingen ein (s. auch Mark Terkessidis' Beitrag)? Aus diesem Fragenkomplex leite ich die Frage nach der Funktion und der Verantwortung von Intellektuellen insbesondere aus "subalternen Gruppen" ab (Gutiérrez Rodríguez 1999a/b). Daran gekoppelt ist auch die Frage nach Repräsentation im Sinne von Sichtbarmachung und Widerstand. Konkret heißt das: Welche Rolle nehmen intellektuell arbeitende Menschen im Kontext von Diaspora, Exil und Migration in der kulturellen Darstellung und Vertretung ihrer Situation und ihres Lebensalltags ein? Inwieweit reproduzieren und tragen sie zur Konstruktion des "differenten Anderen"[3] bei oder inwieweit brechen sie damit bzw. artikulieren sie eine widerständige Praxis?

Die Macht der Sichtbarkeit - Intellektuelle aus subalternen Gruppen

In Anlehnung an Antonio Gramsci bezeichne ich intellektuell und politisch-organisierend arbeitende Menschen im Kontext von Diaspora, Exil und Migration als Intellektuelle[4] aus subalternen Gruppen. In Relation zu den herrschenden sozialen Gruppen nehmen die marginalisierten Gruppen eine subalterne Position ein (Gramsci 1986:44ff., Spivak 1985). Subaltern bezeichnet hier die Unterwerfung einer sozialen Gruppe durch die hegemonialen Gruppen. Die Subalternen sind einerseits vom herrschenden Kräfteverhältnis ausgeschlossen, andererseits konstitutiv für seine Herausbildung. Dies bedeutet, dass ihre Artikulationsformen zwar Eingang in den herrschenden Kanon finden ohne dass jedoch ihre Urheberschaft benannt wird (Gutiérrez Rodríguez 1998). In vielen Fällen kommt es auch zu einer Entfremdung und Aushebelung ihrer widerständigen Aussagekraft. Ihre Position als Subalterne wird durch den Umgang mit ihren Wissensproduktionen reifiziert. Erst in dieser Abhängigkeitsbeziehung konstituiert sich das Verhältnis von Herrschenden und Subalternen. In diesem Zusammenhang nehmen Intellektuelle als Kohäsionsfiguren im kulturellen Feld eine wesentliche Rolle ein. Ein Blick auf den Intellektuellenbegriff Antonio Gramscis soll dies verdeutlichen.

Antonio Gramsci bezeichnet mit seinem Begriff des Intellektuellen [5] das Aufkommen einzelner Individuen als TheoretikerInnen innerhalb eines konkreten sozialen Kontextes (Gramsci 1996:1500). Er unterscheidet zwischen zwei Typen von Intellektuellen, einem der "traditionellen" und einem der "organischen" Kategorie (ebd.:1504ff.). Die "traditionellen" Intellektuellen werden vom professionellen Typus repräsentiert, der in Kunst und Wissenschaft für die hegemonialen Klassen tätig ist. Seine Position in der Gesellschaft erwächst aus früheren und gegenwärtigen Klassenbeziehungen und bezieht sich auf eine spezifische historische Klassenkonstellation. Sie entsteht zwar "organisch" aus einem spezifischen sozialen Zusammenhang heraus, bedingt jedoch nicht "organisch" den Charakter seiner Tätigkeit und Funktion in Relation zu seiner Herkunftsgruppe. Vielmehr vertritt der "traditionelle" Intellektuelle die Interessen und die Weltanschauung der herrschenden Gruppen unabhängig von seiner sozialen Herkunft. Die "organischen" Intellektuellen dagegen stellen das denkende und organisierende Element einer partikularen, fundamentalen sozialen Klasse dar. Sie formieren sich "organisch" aus den Praktiken und den Artikulationen einer spezifischen Klasse heraus. Nicht ihre professionelle Position ist ausschlaggebend für ihre Funktion als Intellektuelle, sondern ihr Gewordensein und ihre Eingebundenheit in ein soziales Milieu, in dem ihre Analysen und Beschreibung von Mensch und Gesellschaft große Anerkennung und Verbreitung finden. Sie nutzen ihre erworbenen intellektuellen Fähigkeiten für die Analyse und die Organisierung ihrer sozialen Klasse. "Organische Intellektuelle" sind zwar Produkt dieser Arbeitsteilung, zugleich bewegen sie sich jedoch am Schnittpunkt von Hand- und Kopfarbeit, an dem nicht ihre "professionelle Tätigkeit" sie zu Intellektuellen macht, sondern die jeweilige politische und intellektuelle Organisierungs- und Vermittlungstätigkeit. "Organische Intellektuelle" nach Gramsci sind demnach an der Darstellung und der Vertretung "Subalterner" beteiligt. Als solche organisieren sie den Widerstand gegen die hegemonialen Gruppen auf der Ebene von Kultur und Symbolik. Der "organische Intellektuelle" weist Spuren des gesellschaftskritischen Intellektuellen Emile Zolas auf, der um seinen Zugang zu Veröffentlichungsmitteln weiß. Dieses Wissen setzt er für die Sichtbarmachung der Interessen seiner sozialen Gruppe ein (vgl. Bauman 1995).

Die Figur des "organischen Intellektuellen" Gramscis, verortet im italienischen Kontext der 20er und 30er Jahre, weist für die Bestimmung der aktuellen Position von Intellektuellen aus subalternen Gruppen einige Lücken auf. Erstens ist das Adjektiv "organisch" kritisch zu betrachten, da es in einem naturmetaphorischen Bedeutungskontext steht, der für eine gesellschaftskritische Analyse nicht haltbar ist. Soziale Zusammenhänge über einen biologischen Diskurs zu erklären, bedeutet darauf zu verzichten, Gesellschaft als heterogenes Feld von miteinander konkurrierenden Achsen von Macht und Herrschaft zu verstehen. Zweitens können wir heute nicht mehr von einem einzigen politischen Interesse ausgehen, das sich einheitlich mittels einer Partei artikulieren ließe. Die 68er-Bewegung hat zumindest in Westeuropa die Grenzen eines Gesellschaftsverständnisses gezeigt, das Antagonismen in Haupt- und Nebenwidersprüche teilt. Die Frauen-, die Lesben- und Schwulenbewegungen sowie die antirassistischen Bewegungen haben gezeigt, dass politische "communities" sich nicht entlang eines einzigen Interesses organisieren. Vielmehr verbünden sie sich zu unterschiedlichen politischen Aktionen, deren Kern sich jedoch gegen Ausbeutung, Demütigung und Vereinnahmung richtet. Auf dieser Grundlage reduziert Edward Said die gesellschaftliche Funktion der Intellektuellen auf ihre Repräsentationsmacht. Er schreibt, dass ihr Existenzgrund darin liege, "all die Menschen und Problemstellungen zu repräsentieren, die für gewöhnlich vergessen oder unter den Teppich gekehrt werden"[6] (Übers. EGR, Said 1994). Laut Pierre Bourdieu tragen Intellektuelle zur Verallgemeinerung sozialer Phänomene bei, die gesellschaftlich individualisiert werden (Bourdieu 1993). Die soziale Aufgabe der Intellektuellen besteht demnach darin, als individuelle Fehler oder als Schicksal privat erfahrene Phänomene in ihrer Gesellschaftlichkeit zu thematisieren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Bourdieu 1993).

Der feministische Spruch "Das Private ist politisch" scheint die Grundlage für die Bestimmung der Aufgaben der Intellektuellen zu bilden. Er verweist vor allem auf den Ende der 60er und 70er Jahre fehlenden Zugang von Frauen zur kulturellen und politischen Öffentlichkeit. Dies gilt heute weiterhin für eine radikale feministische Praxis. Intellektuelle MigrantInnen tauchen in der herrschenden Öffentlichkeit kaum auf, und vor allem dann nicht, wenn sie sich antirassistisch und queer-politisch artikulieren. Einige ihrer Interventionen gelingen jedoch im Rahmen antirassistischer Netzwerke. Im Vergleich zu den hegemonialen Gruppen ist ihr Zugang zur Öffentlichkeit aufgrund ihrer finanziellen und politischen Position kaum vorhanden. Daher ist eine Intervention der subalternen Gruppen in die öffentlichen Sphären der hegemonialen Gruppen nur mittels kollektiver Aktionen in Form von Protestbewegungen möglich. Erst dann bekommen sie einen Zugang zu den Medien und können diese für ihre Interessen nutzen. In derartigen Prozessen des Protestes artikulieren sich Intellektuelle öffentlich (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999c). Derart tragen sie zur Kohäsion ihrer Gruppe, zur Synthetisierung und zur Artikulation kollektiver Interessen bei. Anders jedoch als der "organische Intellektuelle" Gramscis, der im Rahmen der kommunistischen Partei Italiens zu verorten ist, entwickeln intellektuelle MigrantInnen ihre Organisationsfähigkeit nicht im Rahmen einer einheitlichen politischen Institution. Ihre politische Arbeit entsteht im Rahmen von Protestbewegungen, insbesondere innerhalb der antirassistischen, feministischen und Queer-Bewegungen. Als solche treten sie im Namen von Interessengruppen auf. Dabei können sie mit ihren öffentlichen Interventionen zur Affirmation oder zur Infragestellung der sozialen Verhältnisse beitragen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch die seit drei Jahren stattfindende Berichterstattung zu den "neuen Deutschen" lesen.

Repräsentation in der identitätslogischen Dynamik von Differenz und Gleichheit

Auf der Titelseite einer renommierten deutschen Wochenzeitung konnten wir Anfang des Jahres die strahlenden Gesichter männlicher Figuren aus Politik und Kultur und eines weiblichen Gegenparts bestaunen. Cem Özdemir, Feridun Zaimoglu und Nadja Abd El Farrag wurden als die neuen Gesichter "transnationaler Deutscher" oder sogar der "fremden Deutschen" vorgeführt. Ihr Aussehen, durch eine Spur "südländischen Flairs" markiert, trägt die Gravuren des eindeutig "Fremden". Mit Sakkos gekleidet stehen sie wiederum für das aufsteigende migrantische Proletariat. Da haben es drei geschafft. Ihrer Integration steht also nichts im Wege. Sie gehören nun zum Volk der Gleichen trotz ihrer markierten und immer wieder phänotypisch konstruierten Differenz. Das steht einem "globalisierten Deutschland" gut zu Gesicht. Die Integration der AusländerInnen wird zelebriert, gleichzeitig ihre Differenz zementiert. Nette "fremde Deutsche" gehören nun zur bunten Republik. "Hybride" Positionen (Bhabha) - also nicht eindeutige identitäre Repräsentationen - sind angesichts eines offiziellen politischen Diskurses, der zwischen "Deutschen" und "Ausländern" unterscheidet, nicht haltbar. Denn nach dem gescheiterten Versuch der rot-grünen Regierung, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen, sind nur die "fremden Deutschen" geblieben. Denn trotz der im Februar 1999 durch die rot-grüne Regierung eingeleiteten Reform des Staatsbürgerrechts, wonach nun Kinder ausländischer Eltern im Falle einer Geburt in Deutschland automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen, wenn mindestens ein Elternteil in Deutschland geboren oder vor dem 14. Lebensjahr eingereist ist, hat sich am "ius sanguinis" Prinzip (Blut- und Bodengenealogie) des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts nicht viel geändert (vgl. FR Januar 1999: Rat für Migration). Die Durchsetzung der Doppelten Staatsbürgerschaft wurde aufgrund des Widerstands der CDU/CSU und nicht zuletzt auch aus den Regierungsreihen abgeschmettert.

Sogar die politisch artikulierte Identität des "Kanaken" wird nun medial eingedeutscht. Ihre Einfügung in das Hegemoniale basiert jedoch nicht nur auf der Grundlage der Zugehörigkeit zur nationalen Mehrheit, sondern auch durch die Überdeterminierung einer heteronormativen und sexistischen Logik.

Nur bestimmte Formen der Männlichkeit und Weiblichkeit, die die mediale Figur des Kanaken befördern, finden in der Öffentlichkeit eine Repräsentation. Hierfür stehen Filme wie "Kurz und Schmerzlos" oder "Kanak Attack", aber auch sich als "politisch unkorrekt" inszenierende intellektuelle männliche Kanaken. Brüche mit identitär vereindeutigenden, rassistischen Zuschreibungspraktiken werden mit sexistischer und heterosexueller Inszenierung gekoppelt. Die männlichen Figuren haben den Part, ihre Vorherrschaft immer wieder über einen patriarchalen Chauvinismus zu statuieren. Auch wenn sie Verletzlichkeit zeigen, die einerseits mit der ihnen aufoktroyierten Männlichkeit bricht, bleibt den neben ihnen stehenden weiblichen Figuren nur die Rolle der im Hintergrund agierenden Schwester und Liebhaberin. Eine alte Geschichte der heterosexuellen Geschlechterordnung wiederholt sich: Die Show scheinen die Typen zu machen. Sie sind die Protagonisten von Politik und Medienrummel. Die Ladies im Rampenlicht bleiben die Geliebte, Schwester oder Unterhalterin. Bezeichnungen wie "High-Heel-Turkas" befördern männliche heterosexuelle, die Frauen wieder einmal zu Objekten eines männlich heterosexuellen Begehrens machen. Fast als "backlash" könnte diese Inszenierungspraxis interpretiert werden, in der hegemoniale Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit verhandelt werden. Angesichts einer seit den 70er Jahren agierenden feministischen Migrantinnen-Protestbewegung und einer lesbischen "Women of Color"-Bewegung ist es leidig, mit Bildern bombardiert zu werden, die vor allem männliche heterosexuelle Fantasien befördern.

Die Schwierigkeit, sichtbar zu werden, ohne sofort identisch zu sein, scheint in einer identitär-logisch strukturierten Gesellschaft unüberwindbar. Wie kann eine Sichtbarkeit geschaffen werden, die nicht immer wieder in die Falle des Hegemonialen zurückfällt, sondern politische Identitäten und gesellschaftliche Differenzen im Sinne sozialer Ungleichheit anerkennt?

Das Feld der Differenzen ist in einem gesellschaftlichen Rahmen von Hierarchien durchzogen, die unter anderem die Kommunikation zwischen den Individuen und den Institutionen strukturieren. Auf der Ebene der Repräsentation beeinflusst nicht jedes Artikulationsmoment auf gleiche Weise das öffentliche Bild. Staatliche Institutionen greifen unverkennbar in den Bewegungs- und Darstellungsrahmen eines Individuums ein. Eine autonom feministisch arbeitende Migrantinnengruppe wird, wenn überhaupt, nur peripher in den öffentlichen Diskurs eingreifen. Ihre Interventionsmöglichkeiten sind von Allianzen und Bündnissen mit anderen Gruppen abhängig. Nichtsdestotrotz intervenieren einige feministische Intellektuelle im Kontext von Diaspora, Exil und Migration mittels Publikationen und öffentlichen Auftritten in Bereichen der Wissenschaft, der Medien und der Kunst. Zumeist jedoch bleibt der Glanz ihrer Darstellung nur für wenige Minuten bestehen. Keine oder keiner da, die oder der daran anknüpft, weiterspinnt, weiterdenkt und es artikuliert? Oder doch? Um öffentlich wirksam zu werden, müssen daher Intellektuelle im Kontext der Diaspora, des Exils und der Migration aus der Vereinzelung heraus. Sie müssen an kollektive widerständige Repräsentationsstrategien und Netzwerken arbeiten, immer wieder gegen die Vereinnahmung und die kulturelle Zurichtung agieren, die den Zielen einer patriarchalisch heteronormativen Verwertungs- und Vermarktungslogik folgt.

Widerstand - In der Aporie der Paradoxie leben

Widerstand kann nicht getrennt von einer aktivistischen Praxis bestimmt werden. Er kann auch nicht eindimensional und unilateral bestimmt werden. Neben unterschiedlichen Strategien im Alltag nehmen intellektuelle MigrantInnen in der Gesellschaft Einfluss. Einige von uns schreiben seit den 90er Jahren, philosophieren über antirassistische Praxis, über postkoloniale Kritik, über philosophische Aporien und Paradoxien. Mir zumindest fällt dazu nichts Neues ein, als ständig in Bewegung zu bleiben, in dem, was Jacques Derrida als "différance" bezeichnet.[7]

Differenzen und kulturelle Artikulationen in der "différance" zu denken heißt, die Dynamiken des Sehens und der Präsenz für die Darstellung des unsichtbar Gemachten zu erkennen. Im Rahmen der ifu, um an das eingangs genannte Beispiel wieder anzuknüpfen, heißt dies, sich auf das Moment der Mimikry zu beziehen - der Mimesis und zugleich des Mokierens über das Hegemoniale. Es bedeutet, die Sichtbarkeit gegen das Herrschende zu verkehren, indem einerseits die Grundlagen, auf denen Herrschaft basiert, benannt, und andererseits die herrschenden Beschreibungsebenen verlassen werden. Wie kann das aussehen?

Widerstand in der différance, in der Aporie und in der Paradoxie zu denken, heißt, sich immer wieder dem hegemonialen Auge zu entziehen, die hegemoniale Repräsentationsstrategie gegen sich selbst zu verkehren. Es heißt aber auch, Repräsentation nicht von ihren materiellen Bedingungen abzukoppeln. Es heißt, nicht über die Subalternen zu sprechen, sondern das eigene Sprechen zu kontextualisieren und zu situieren. Es heißt, das Verhältnis, in dem das Sprechen ermöglicht und darstellbar wird, deutlich zu machen. Es heißt, auf den Kontext und seine Grenzen hinzuweisen, die einerseits das Sprechen intelligibel machen, aber zugleich auf seine Limitiertheit auf die Gegenwärtigkeit hinzuweisen. In Anlehnung an Hito Steyerls Beitrag in diesem Heft müssen wir als intellektuell Schaffende weiterhin für Universalien einstehen, die die Metaphysik des Ökonomischen und des Existenziellen beschreiben, nämlich: für das Ende jeder Ausbeutung, jeder Demütigung und jeder Missachtung der Menschenwürde. Zugleich aber auch wachsam sein gegenüber der Möglichkeit der Integration und Instrumentalisierung unserer Artikulationsformen. Auf Rassismus mit Heterosexismus zu antworten, reiht subversive Widerstandspraktiken in den Kanon des phallischen Hegemonialen wieder ein. In diesem Sinne: für eine antirassistisch-feministisch-queere Internationale.

 


 

Literatur

Bauman, Zygmunt: Life in Fragments. Essays in Postmodern Morality. Oxford 1995.
Bourdieu, Pierre: Satz und Gegensatz. Frankfurt am Main 1993.
Derrida, Jacques (1991): Die différance. In: Engelmann, Peter (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart, S. 76-113.
Gramsci, Antonio: Aufzeichnungen und verstreute Notizen für eine Gruppe von Aufsätzen über die Geschichte der Intellektuellen, §§ 1-3. In: Gefängnisbriefe, Bd. 7, Heft 12 bis 15. Hamburg 1996. S. 1497-1532.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1996): Eine Frau ist nicht gleich Frau, nicht gleich Frau, nicht gleich Frau. In: Ute-Luise Fischer u.a. (Hg.): Kategorie: Geschlecht. Opladen, S. 163-190.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (1999): Intellektuelle Migrantinnen - Subjektivitäten im Zeitalter von Globalisierung. Eine postkoloniale dekonstruktive Analyse von Biographien im Spannungsverhältnis von Ethnisierung und Vergeschlechtlichung. Opladen.
Oguntoye, Katharina/Opitz, May/Schultz, Dagmar (1986): Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Berlin.
Said, Edward: Representations of the Intellectual. New York 1994.
Spivak, Gayatri Chakravorty (1985): Subaltern Studies: Deconstructing Historiography. In: Subaltern Studies, hg. v. Ranajit Guha. 1985, Vol. IV.
Trinh T. Minh-ha (1988): Not You/Like You: Post-Colonial Women and the Interlocking Questions of Identity and Difference. In: Feminism and the Critique of Colonial



[1] ifu (Internationale Frauenuniversität) fand vom 15. Juli bis zum 15.Oktober 2000 im Rahmen der EXPO in Hannover statt. Dieses Projekt ermöglichte Wissenschaftlerinnen und Praktikerinnen aus aller Welt einen Raum des Austausches. Internationalität, Interdisziplinarität, Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft sowie zwischen Akademikerinnen außerhalb oder innerhalb der Universität standen im Vordergrund.
[2] Nicht zuletzt wurde dies deutlich Ende Februar 2000, als die Stimmen für eine "green card" für IT-SpezialistInnen laut wurden.
[3] vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999a/b.
[4] Nicht vergessen werden sollte, dass die symbolische und diskursive Definitionsmacht von Intellektuellen Produkt einer arbeitsteiligen organisierten Gesellschaft ist, in der zwischen Kopf- und Handarbeit unterschieden wird.
[5] Zygmunt Bauman setzt das Auftauchen des Begriffs "Intellektuelle" mit dem Erscheinen des "offenen Briefes" Emile Zolas an den Präsidenten der Französischen Republik, Felix Faure, im Jahre 1898 (13. Januar). In diesem Brief verurteilten zahlreiche männliche Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft das antisemitische Verfahren im Fall Dreyfus (Bauman 1995).
[6] Im Original heißt es: "... whose raison d'etre is to represent all those people and issues that are routinely forgotten or swept under the rug" (Said 1994).
[7] Mit "différance" ist ein Prozess der ständigen Bedeutungsverschiebung der Bezeichnungsfelder gemeint. Bedeutungen sind demnach kontextgebunden, und der Kontext stellt sich jeweils in einem spezifischen historischen Moment her.