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02 2008

Kritisieren, kassieren, Dankbarkeit genießen

Ana Dević

Übersetzt von Jasmina Jankovic

Es gibt einige Gründe, derentwegen es interessant scheint zu versuchen, die Geschichte der Verhältnisse von Institutionen, Institutionskritik, Kunstproduktion, Selbstorganisation und Sozialkritik innerhalb der Dynamik der kroatischen Kunst- und Kulturszene zu betrachten. Innerhalb dieser können wir seit Ende der 1960er Jahre eine spezifische Linie verfolgen, die, auf der Suche nach alternativen Arten der Produktion und Präsentation von Kunstwerken, den Kunststatus und die Vermittlungsweisen zwischen den KünstlerInnen und dem Publikum neu bestimmte, indem radikale Fragen über die „Autonomie“ des galeristisch-musealen Systems, über die Rolle und Arbeit der Gesellschaftsinstitutionen gestellt wurden, und die ein partizipatorisches, kollektivistisches Modell der Arbeit mit taktischer Mediennutzung einführte. Obwohl eine große Anzahl der AutorInnen dieser Strömung gegenüber Kulturinstitutionen kritisch war, finden wir innerhalb der Aktivität der sog. neuen Kunstpraxis[1] jedoch keine Beispiele der Institutionskritik, die jenen im Westen ähnlich wären.[2]

Während in den 1970ern „die erste Welle“ der Praxis der Institutionskritik [3] die Systemforschungen zu den Funktionsweisen des galeristisch-musealen Systems ergriff, indem seine „Neutralität“ denunziert und der verdrängte Markt-, Wirtschafts- und Politikkontext hervorgehoben wurde, war die kritische Arbeit der KünstlerInnen in Ex-Jugoslawien in diesem Zeitraum nicht direkt dem galeristisch-musealen System zugewandt, sondern dem politischen und ideologischen Kontext, sowie der Frage nach dem unmittelbaren Kreieren eines autonomen Systems der Kunstproduktion und –distribution.

Obwohl Institutionskritik kein gänzlich operativer und ausreichender Begriff für den Versuch der Evaluierung des Status der zeitgenössischen kritischen Praxen und der komplexen, oft widersprüchlichen Fragen, die diese Praxen an uns stellen, ist, sind gerade die Reperkussionen der Assimilation der Institutionskritik - und im weiteren Sinn der Kunstkritik - Ausgangspunkt für die Beforschung der Verhältnisse zwischen künstlerischen Positionen, kritischen Praxen und verschiedenen Problemen im Zusammenhang mit ihrer Institutionalisierung.

Wenn über die Spezifika einer lokalen Szene wie der kroatischen gesprochen wird, ist auch ihr Verhältnis zum breiteren Metanarrativ der Kunstgeschichte ein unumgängliches Thema, aber die Absicht dieses Textes ist es nicht, ausschließlich die akute Frage des Kanonisierens der Kunst Osteuropas im „Universalsystem“ der westlichen Kunst zu aktualisieren, sondern  es besteht zuerst das Bedürfnis, aus der lokalen, durch ‘Probleme mit Institutionen’ gekennzeichneten Perspektive die Konturen verschiedener Formen von Kunstpraxen, ihre Kritik der bestehenden Institutionen, die Gestaltung von neuen institutionellen Formen und Institutionalisierungsprozesse zu umreißen.

Ursprünglich unter dem Schirm der konzeptuellen Kunst initiiert, affirmierte die Praxis der Institutionskritik den ortsspezifischen Zugang, in dem der konkrete Raum der Realisierung, gesehen als komplexer, heterogener, von Kunstinstitutionen umrahmter, von Widersprüchen und verdrängten Spannungen durchdrungener Kunst- und Politikort zum Schlüsselbegriff wurde. Parallel mit der Ausweitung des Feldes und der Kunstsprache, durch die Neubestimmung von Kunstwerken, durch die Änderung der Kunstkonventionen und der Rollenaufteilung in der Kunstwelt, erduldete auch der institutionelle Rahmen eigene Versuchungen und Wandlungen und zeigte sich nicht ausschließlich als verknöcherte Struktur, sondern auch als dynamischer Rahmen, anfällig für neue Arrangements, Anpassungen und Neuerfindungen.

Die unumgänglichen Referenzpunkte verschiedener hybrider Formen der zeitgenössischen kritischen Praxen sind auch ein Erbe der feministischen Kunst, eine Reihe von antikommerziellen künstlerischen Zugängen, die Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entwickelt wurden und die den Kontext einer bestimmten Lokalität betonten und ihn in den Zusammenhang mit den Bedingungen der Kunstproduktion, -präsentation und –rezeption brachten, sowie verschiedene aktivistische und sozial orientierte public-art-Praxen und community-based-Projekte, die in den 1980er Jahren entwickelt wurden und ebenfalls viel zu den Neubestimmungen des künstlerischen Rahmens beitrugen.

Die Spannungen und komplexe Dynamiken zwischen der Kunstkritik der Kulturinstitutionen (die immer implizit oder explizit auch die Kritik der Gesellschaftsinstitutionen einschließt) einerseits und der institutionellen Anregung der kritischen Praxen andererseits resultierten in widersprüchlichen, ambivalenten Effekten, die Potenziale des kritischen Wirkens gleichzeitig energisierten und abstumpften.  Egal, ob die institutionellen „Abwehr-“Mechanismen in Richtung Assimiliation, Zensur oder Ignoranz der kritischen Praxen gingen, gestaltete eben die Dynamik zwischen der Kunstproduktion und der Art und Weise, wie die Institutionen auf sie reagierten, die Konturen der veränderbaren „love-and-hate”-Relation, die die Modi der komplexen Konstellation der Kulturinstitutionen und Kunstproduktion umriss.

Anknüpfend an die Analysen der Hegemonie des flexiblen Kapitalismus, dessen Problematik sie in Zusammenarbeit mit Luc Boltanski erforschte (Der neue Geist des Kapitalismus, 1999), kontextualisierte Eve Chiapello, indem sie über die Krise des Konzeptes der kritischen Positionen schrieb, die Tatsache, dass die Kritik immer weniger ihre sozialen Funktionen erfüllt, zuerst auf den ersten Blick paradoxerweise im Bereich ihrer Effizienz. Die Kooptierung der kritischen Potenziale in den dominanten ökonomischen Diskurs des Neomanagements ist eines der auffälligsten Zeichen der Erschöpfung der kritischen Praxen. Man kann sagen, dass die Neomanagement-Praxen in vielem eine Konsequenz der besonderen Aufmerksamkeit sind, die den durch „Künstlerkritik“ ausgedrückten Einwänden gewidmet wurde. Zusammengefasst gesagt, führte gerade der Erfolg der „Künstlerkritik“ zu ihrer Kooptierung seitens der GegnerInnen und zum Verlust ihrer Schärfe.[4] Historisch im 19. Jahrhundert als eine der Widerstandsformen gegenüber der neuen industriellen, kapitalistischen und bourgeoisen Gesellschaft situiert, wird der Terminus „Künstlerkritik” als ein Oberbegriff verwendet, der implizit verschiedene Formen von kritischen sozialen Bestrebungen umfasst und der im Unterschied zu zahlreichen verwandten Termini die hervorgehobene künstlerische Position und Werte, die dieser Lebensstil verköpert, betont, indem er auf die scheinbar immanenten Unterschiede zwischen der künstlerischen Kreativität und dem Imperativ des Profits hinweist.[5] 

Obwohl die Praxis der Institutionskritik sicherlich völlig von der romantischen oder modernistischen Idee des „heldenhaften Künstlers“ wegrückte, affirmierte sie einen neuen Typus der Kunstkritik. Verschiedene selbstbestimmende Potenziale der kritischen Positionen in Bezug auf das Kunstsystem und darüber hinaus resultierten in der Veränderung des bestehenden Paradigmas und in den wesentlich fluideren Rollenaufteilungen.

Die Änderung des Autorschaftsparadigmas auf der Welle der Neudefinition von Schlüsselkonzepten der Ideologie des Modernismus, in dem die individuelle Kreation und der Begriff des Künstler-Genies durch verschiedene Formen der kollektiven oder partizipativen Arbeit ersetzt wurden, resultierte nach Charles Harrison in der Entwicklung, dass „… der Tod des Künstlers als Autor die Geburt des Künstlers als sein eigener Kurator-Eigentümer und Beschützer der immer-konsequenten, immer-unfehlbar-einheitlichen Schutzmarke war. Der Künstler trachtet nun danach, die Rollen zwischen dem connaisseur und dem Autor umzudrehen, indem er als ein aus dem kreativen Konsumenten abgeleiteter Autor die artifizielle Glaubwürdigkeit erhebt.”[6]

Diese Dynamik reflektiert nicht nur die Veränderung des Paradigmas in der Konfiguration der Verhältnisse zwischen den KünstlerInnen und Institutionen, sondern auch das Situieren der kuratorischen Praxis in ihr. Die Aneignung der Managerfunktionen seitens der KünstlerInnen, um das System unmittelbarer, selbstbestimmender zu beeinflussen, wird parallel von den Bestrebungen der Kulturinstitutionen und KuratorInnen zu kritischen und autorenhaften Positionen begleitet.

Immer fluidere Rollenaufteilungen und instabilerer Status der Zugehörigkeit innerhalb oder außerhalb der Institution resultieren in beidseitigem „Parasitieren“ und Aneignung des kritischen Diskurses und Kunstsystems. Das hat einen ambivalenten Effekt zur Folge; so wie die Ermöglichung, Vermittlung und institutionelle Organisation nicht nur in den Händen der KuratorInnen oder institutionellen Administration sind, so ist auch der kritische Standpunkt kein ausschließlich mit künstlerischen Positionen verbundenes „Privileg“. Eine der wichtigen Veränderungen, die das künstlerische kritische Wirken im zeitgenössischen Kontext indirekt hervorrief, ist die Katalyse des wachsenden Auftauchens innovativer Modelle kuratorischer Praxen, aber auch des Auftauchens der neuen „kreativen Klasse” der KulturarbeiterInnen.

In Bezug auf die erwähnte Dynamik im kroatischen Kontext können wir heute allerdings von einer Art relevanter kulturologischer Kontinuität reden; die Aktivitäten der früheren Generationen, vor allem im Zusammenhang mit dem Kunstfeld, werden in den letzten Jahren im Phänomen einer selbstorganisierten und außerinstitutionellen Szene intensiviert, die nicht strikt im Zusammenhang mit dem Kunstfeld steht, die aber mit ihren progressiven Potenzialen, mit der Orientierung auf Zusammenarbeit und soziales Engagement dieses Erbe als kulturelles Grundkapital übernimmt, indem sie die Fragen über die Produktion des kritischen Diskurses und der kritischen Positionen neu bestimmt.

Während die Abstumpfung der kritischen Klinge im institutionellen Kontext des (ehemaligen) Westens eine Nebenwirkung der Assimilation von Kunstpraxen darstellt, sind verwandte kritische Phänomene im kroatischen Kontext immer noch nicht in die ‘offiziellen’ Narrative der lokalen Geschichte eingeschrieben, hauptsächlich wegen der Orientierung auf identitäre kulturelle Muster und der dysfunktionalen Arbeit der zentralen offiziellen Institutionen, deren (Nicht-)Aktivitäten bereits jahrzehntelang an Trägheit und Vernachlässigung von Bedürfnissen der lokalen Szene leiden.

Der Systemmangel an institutionellem Engagement im Bereich der musealen Sammlungen, theoretischen Interpretationen, Archive und Kenntnisse über die zeitgenössische Kunst bewirkte, dass zahlreiche flexible Initiativen (basiert auf NGO-Organisationsform) in verschiedenen hybriden mikroinstitutionellen Formen zu erscheinen begannen.

In der Konstellation der zwei gleich problematischen Modelle traditioneller Institutionen: des konservativen, nichtfunktionalen, national orientierten Modells und seines Antipoden in Form des populistischen, globalen Ideals der  unternehmerischen Kulturinstitution im Verschwinden können wir in den vergangenen sieben Jahren die Erscheinung neuer KulturprotagonistInnen  in Form einer wachsenden Anzahl informeller, selbstorganisierter, vernetzter Organisationen verfolgen, deren allmähliche Institutionalisierung sich unter unsicheren und oszillierenden Bedingungen der institutionellen ‘Zwischenräume’ entwickelt.  Parallel dazu kommt es innerhalb des internationalen Kontextes zur Aktualisierung und Integration der neo-avantgardistischen und konzeptuellen Kunstpraxis der 1960er und 1970er Jahre. Aber, wie die Aktivitäten der neueren selbstorganisierten Kulturszene, so werden auch die Erfahrungen der früheren Generation auf der lokalen Ebene immer noch nicht institutionell valorisiert und als relevant erkannt.

Obwohl die international anerkannten KünstlerInnen, wie zum Beispiel Sanja Iveković oder Mladen Stilinović,  keinesfalls „DissidentInnen” in ihrem Umfeld sind, so wie auch zahlreiche ‘Mikroinstitutionen’ nicht im sog. Raum der alternativen Kultur funktionieren, ist es eine Tatsache, dass die lokalen Kulturinstitutionen die eigene Identität nicht auf kritischen Erfahrungen aufbauen. Während im Westen die emanzipatorischen Potenziale der kritischen Praxen ins System der Kunstinstitutionen eingebaut wurden und so unabsichtlich zum Prozess der Bildung kultureller Einflüsse und zur Hegemonisierung einer bestimmten Norm beitrugen, gaben ähnliche Bestrebungen im lokalen Kontext am meisten Anstoß für das Kreieren eines ‘Parallelsystems’ der Kulturtätigkeit und Kunstzirkulation.

Die 1970er wurden in Kroatien von den KünstlerInnen geprägt, die eine politisch engagierte und kritische Position in der Kunst einnahmen und deren Aktivitäten regelmäßig eine große Anzahl von KünstlerInnen und MitarbeiterInnen zusammenbrachte, indem sie als spezifische außersystemische ‘Räume’ der Autonomie funktionierten. Das bestehende System wurde indirekt kritisiert, fast wie eine Nebenerscheinung der Gestaltung eines spezifischen ‘Parallelsystems’ der Kunstproduktion und –distribution. 

Obwohl das Ausstellen in verschiedenen öffentlichen und alternativen Räumen keinen Kampf gegen die Galerien darstellte, sondern den Wunsch nach einer direkteren Kommunikation mit der Umgebung, war eine solche Art der Ausstellungsstrategie eine implizite, aber scharfe Kritik der Institutionen und eine klare Widerspiegelung des Bedürfnisses, das politische Potenzial der Kunst in dem Zeitraum und sozialen Kontext, in dem die Arbeiten entstehen, zu aktualisieren, und nicht eventuell in einigen Jahren, die es wahrscheinlich brauchen würde, damit sie ins offizielle System der Institutionen hineinkommen.[7] Neben der impliziten Kritik der Institutionen war die kritische Dimension der Tätigkeit dieser Generation am meisten ausgeprägt in der Konfrontation mit der Ideologie und im drastischen Verbinden des Öffentlichen und des Privaten.

Auch eine einfache Geste der Auswahl des künstlerischen Materials kann als Kritik des künstlerischen und gesellschaftlichen Systems funktionieren. Der Künstler Goran Trbuljak entscheidet so, dass sein künstlerisches Material ein ganz gewöhnliches Stück Papier sein würde, das jeder im Laden kaufen kann und welches „…das größte und entsprechende 'Format', gemäß meines Status, der Gesellschaft und der Situation, in der ich lebe”[8] darstellt. – In den Konfrontationen mit dem Rahmen der Museumsinstitution findet in der Regel kein ‘Kräftemessen’ unter den KünstlerInnen statt, sondern sie problematisieren die eigene künstlerische Position mit viel strategischer Ironie. Eines der frühesten Beispiele ist die spontane Aktion von Goran Trbuljak aus 1969, in der der Künstler durch das vorhandene Loch in der Tür der Moderna Galerija „zeitweise ohne Wissen der Verwaltung seinen Finger zeigt”[9] Doch die KünstlerInnen dieser Generation üben die Sozialkritik auf radikalere Art und Weise aus, indem sie die Ideologie als direkten Inhalt ihrer Arbeiten behandeln und sich persönlich mit dem ideologischen Apparat im Kontext des öffentlichen Raumes konfrontieren.

Das Schlüsselbeispiel ist die Performance „Dreieck“ von Sanja Iveković, in der die Künstlerin am 10. 5. 1979 während des offiziellen Besuches von Präsident Tito, als der festliche Zug durch die Straße zieht, auf ihrem Balkon eine Masturbation simuliert, die nach einigen Minuten von einem der Polizisten des Sicherheitsdienstes mit den Worten „Alle Objekte und Personen müssen vom Balkon entfernt werden” abgebrochen wird. Die Aktion „Referendum” aus 1972 von Goran Trbuljak wird ebenfalls in den Raum der Ideologie eingeschrieben; der Künstler führt die Aktion auf der Straße vor, im Stadtzentrum, stoppt zufällige PassantInnen, die auf einem Zettel entscheiden können, ob Goran Trbuljak (damals unbekannt) Künstler ist oder nicht.

Gemeinsam für diese aber auch zahlreiche andere KünstlerInnen, wie etwa die Gruppe der sechs Autoren oder auch Antonio Gotovac Lauer alias Tomislav Gotovac (dessen radikale Performances und provokative künstlerische Auftritte im öffentlichen Raum oft durch Interventionen der Polizei abgebrochen wurden), ist das Testen der Grenzen des öffentlichen Raumes innerhalb des sozialistischen Staates und seiner repressiven Apparate. Man gewinnt den Eindruck, dass das damalige System den Geschehnissen in der zeitgenössischen künstlerischen Szene keine übergroße Wichtigkeit zugeschrieben und sie eher als marginale Erscheinung betrachtet hat, im Vergleich, zum Beispiel, mit den Bereichen des Films, der Literatur oder der öffentlichen Denkmalkultur, die als repräsentative und einflussreiche Mittel des künstlerischen Ausdrucks erkannt wurden.

Das System, innerhalb dessen dieser Kreis von KünstlerInnen ihre Projekte realisierte, war ein Teil des Projektes des Sozialstaates, mit den Institutionen, die zwar das Ausstellen ermöglichten und in der Regel künstlerische Aktionen nicht zensurierten, sie jedoch seltener unmittelbar veranlassten oder produzierten, was die Entwicklung der konzeptuellen, „armen” Kunst und die Ideen für das Entstehen von „Kunstgemeinschaften“ um selbstbestimmte Räume oder kleinere Galerieinstitutionen, und in der Folge auch das Entstehen von alternativen Räumen für die Produktion, Ausstellung und Distribution der Kunstwerke  begünstigte.

Beide Erscheinungen, von denen die Rede war, die künstlerischen Aktivitäten der 1970er und die rezenten Formen selbstorganisierter kritischer Praxen, können wir als zwei Wellen der Kollektivität deuten, die unter verschiedenen sozialen und politischen Umständen und mit verschiedenen Bestrebungen sich gegenüber den offiziellen Institutionen positioniert haben. Zahlreiche Erfahrungen der kollektiven Arbeit im Kultur- und Kunstbereich in den Ländern Osteuropas resultierten in ‘Parallelwelten’ und Affirmationen verschiedener Aspekte der kollektiven Arbeit; es wäre jedoch falsch, ihre Kontinuität als inhärente, ‘atavistische’ Eigenschaft der postkommunistischen Gesellschaften zu interpretieren. 

Obwohl die Opposition des ‘offiziellen’ und ‘inoffiziellen’ Kunstsystems für das sozialistische Jugoslawien nicht so scharf polarisiert war wie in den Ländern des Ostblocks, verfolgen wir innerhalb der kroatischen Szene seit Ende der 1960er und 1970er Jahre eine Kontinuität der Entwicklung und die Koexistenz von Parallelkultursystemen, in denen die Auffassung der Kunst und ihrer Rolle in der Gesellschaft drastisch zersetzt und gespalten ist.  Obwohl im Grunde die Rede von konfliktreichen Visionen, sowie auch letztendlich von drastisch verschiedenen Versionen der Geschichte und Kunstgeschichte war, führte diese Spannung nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, in einen ‘Kulturkampf’, sondern in eine spezifische, mehr oder weniger ‘friedliche Koexistenz’ der beiden Kulturkonzepte.

Die unabhängige Kulturszene wurde jahrzehntelang mit der sog. ‘alternativen Kultur’ gleichgesetzt, doch unter heutigen Bedingungen ist der Terminus der ‘alternativen’ Kultur nicht mehr funktional. Obwohl die selbstorganisierte Szene eine der seltenen sichtbaren Alternativen zu den repressiven Kulturpolitiken mit nationalem Vorzeichen einerseits und zum neoliberalen Markt andererseits darstellt, ist das keinesfalls die ‘alternative’ Kultur oder Subkultur. Statt der Integration in die Mainstreamkultur erlebte die in den 1970er und 1980er Jahren entwickelte alternative Kultur in den 1990ern eine plötzliche Desintegration. Das damalige ethnozentrische und nationalistische Klima gefährdete und verdrängte verschiedene Formen des kritischen Wirkens. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Kroatien wurde durch die Tatsache verlangsamt, dass erst 1997 das Vereinsgesetz verabschiedet wurde; die Restriktionen des ursprünglichen Gesetzes wurden 2001 revidiert, als durch weniger bürokratisierte gesetzliche Bestimmungen die Gründung zahlreicher Nichtregierungsorganisationen angeregt wurde.[10] Ein großer Teil der neueren Kulturproduktion stellt den hybriden ‘progressiven internationalen Mainstream’ dar, der in Dialog mit offenen und ungelösten Fragen der lokalen Situation im Zusammenhang mit den konkreten Infrastruktur-, Raum- und Beziehungskoordinaten steht. Versammelt durch den Widerstand gegen die dominanten Modelle der Repräsentation und durch die parallele Entwicklung innovativer Modelle der Kulturpolitik und interdisziplinären Zusammenarbeit, erlebte diese Szene in den letzten Jahren den Höhepunkt der gegenseitigen Kooperation.

Obwohl selbstgegründete Organisationen in ganz Kroatien vorkommen, sind die Aktivitäten dieser Szene besonders in Zagreb konzentriert.[11] Für die Zagreber Szene, deren Aktivitäten wir seit 2000 verfolgen, spielten auch zwei ‘spin-off’-Projekte des Instituts für offene Gesellschaft Kroatien die Schlüsselrolle: das Zentrum für Dramakunst CDU (1995) und das Multimediainstitut mi2 (1999), welche zu den wichtigsten ProtagonistInnen und aktiven TeilnehmerInnen der zweiten Phase der Entwicklung der zivilen Kulturszene wurden. Seit 2000 verfolgen wir eine rapide Vergrößerung der Anzahl ihrer AkteurInnen, die sich gegenseitig vernetzen und mit kooperierenden Programmaktivitäten die Transformation und Artikulation einer Reihe von Problemen im Zusammenhang mit dem institutionellen Rahmen der eigenen Tätigkeit, der Kulturpolitik, des Status des öffentlichen Raums... anstreben.

Zu den prominentesten Initiativen dieser Szene, die sich als räumliche und aktivistische Praxen profilierten, die verschiedene Aspekte der zeitgenössischen Kultur abdecken, zählen: Zagreb Kulturkapital Europas 3000 (CK3000), Clubture und Recht auf die Stadt. Das Netz Clubture versammelt seit 2002 Organisationen der unabhängigen Kultur aus Kroatien und funktioniert als programmatische kooperative Plattform, deren Ziel die Entwicklung innovativer Kulturpolitiken ist. Zagreb Kulturkapital Europas 3000 (CK3000) gründete sich 2003 als langfristige und intensive Kooperationsplattform für unabhängige Kulturorganisationen. Zu ihren Mitgliedern zählen: Schattenwerfer, BLOK (lokale Basis für Kulturerfrischung), Zentrum für Dramakunst (CDU), Community Art, Container (Büro für zeitgenössische Kunstpraxis), Multimediainstitut (mi2), Plattform 9,81 und Was, wie und für wen / WHWCK3000 entwickelte eine Reihe von kooperativen Projekten verschiedener Formate und initiierte zahlreiche Projekte und Initiativen.[12]

Das Projekt ‘Operation: Stadt’, das innerhalb der Plattform CK3000 initiiert wurde und 2005 in der verlassenen Fabrik Badel–Gorica in Zagreb stattfand, umfasste Aktivitäten von ca. dreißig Kulturorganisationen, die mittelbar auf das Problem des Status und der Transformationen der städtischen räumlichen Ressourcen hinwiesen. Diese gegenseitig verwobenen Initiativen und Aktivitäten gingen auf indirekte Art und Weise der Initiative Pravo na grad ('Recht auf die Stadt') voraus.

Die Initiative wurde 2006 in Zagreb formiert, mit dem Ziel, die Zerstörung der durch neoliberale Interessen und populistische Politik gefährdeten öffentlichen Räume anzuhalten. Die Initiative nützt verschiedene taktische Mittel: öffentliche Kampagnen, Diskussionen, Petitionen und Proteste, und ihre Tätigkeit ist das Beispiel für die BürgerInnenbeteiligung an öffentlichen Politiken und Stadtentwicklungsproblemen.[13]

Das Kreieren eines öffentlichen, urbanen, aber auch symbolischen, durch neoliberale und nationale Interessen gefährdeten Artikulationsraumes ist das Hauptbedürfnis, um das diese Szene sich konsolidiert hat. In ihrer Gegenpositionierung zu den Repräsentationsmodellen der dominanten lokalen Kultur und allgemein durch die Herstellung verschiedener Formen von Kontinuitäten, die durch den Stillstand in den 1990er Jahren gebrochen waren, gekennzeichnet, formierte sich die neuere Kulturszene auch als indirekte Reaktion auf die nichtfunktionale, ungenügende und nicht-innovative Arbeit der bestehenden Institutionen. Diese im Grunde frustrierende Situation katalysierte jedoch auf gewisse Art und Weise die Verwirklichung der Ziele der selbstorganisierten Szene. Allerdings sind in der bisherigen Form der Parallelexistenz von zwei institutionellen Systemen viele Fallen und Gefahren verborgen.

Als Schlüsselfrage drängt sich jene des Überlebens auf: Kann diese Szene, die sich in den letzten Jahren aktiviert hat und doch sehr prominent ist, überleben, wenn sie unter den ausgesprochen unsicheren, prekären und allgemein ungastlichen Arbeitsbedingungen wirkt? Obwohl ihre Arbeit in der Hauptsache systematisch als Exzess betrachtet wird und in ständiger Gefahr des Abbruchs, ungenügender Infrastruktur und Hyperproduktionsdruck (um so die Grundbedürfnisse für das eigene Überleben zu befriedigen) ist, hat sich ihre Rezeption neuerdings doch etwas verbessert, vor allem wegen der wachsenden internationalen Anerkennung. Das Problem des Überlebens bezieht sich gleichzeitig auf die Frage, wie die bestehenden Institutionen verändert und neudefiniert, die Kontinuität und Freiheit der Tätigkeit von ‘Institutionen im Entstehen’ gesichert werden können.

Es ist fraglich, ob die Potenziale dieses progressiveren Systems der Kulturproduktion in der lokalen Szene eine Chance haben, in ihrem vollen Umfang realisiert zu werden.

Wie der Künstler Mladen Stilinović, der von 1975 bis 1979 im Rahmen der informellen Gruppe der sechs Autoren wirkte, welche das Genre „Ausstellung-Aktion” in verschiedenen alternativen Räumen etablierte, einmal bemerkte, sind die unterschiedliche Ökonomie des Genusses der gemeinsamen Arbeit und das Niveau der Bürokratisierung der Grundunterschied zwischen den Kollektiven und Gruppen der 1970er Jahre und den heutigen. Der einstige Ort des Genusses wird heute durch den Versuch, ihn zu administrieren, ersetzt. Während früher kollektive Körperschaften natürlich auseinander fielen, wenn der Genuss der gemeinsamen Arbeit nachließ, ist die Herausforderung, die heute vor uns steht, der Köder der eigenen Institutionalisierung.

Von den zwei angeführten Wellen des kollektiven Wirkens rede ich nicht aus dem Blickwinkel der Veranschaulichung des Einflusses, ganz im Gegenteil, die Intention ist es, den verwandten, emanzipierenden Wunsch nach der Fortsetzung einer bestimmten Art des Kunst- und Sozialexperimentes unter radikal geänderten Umständen hervorzuheben. Während wir im Westen in den letzten Jahren das rasche Verschwinden von progressiven Institutionen kleineren Formats verfolgen, lautet die aktuelle Frage in der Situation, deren Dynamik ich in groben Zügen aus dem Blickwinkel der sog. Kunst- oder Kulturkritik zu umreißen versucht habe: Wie können Räume der kritischen Artikulation und Selbstrepräsentation, die jenseits der erstickenden Koexistenz der wie im neunzehnten Jahrhundert national orientierten Modelle der Kulturinstitutionen und ihrer neoliberalen Pendants laufen, weiter entwickelt werden? 

Der Hauptbeitrag der neueren selbstorganisierten Szene zum Problem des Überlebens, aber auch des Absterbens verschiedener institutioneller Formen ist nicht nur die brennende Frage der Selbstinstitutionalisierung, sondern auch die Transformation der Bedingungen, die notwendigerweise den Ausweg aus den engen Grenzen und Anforderungen einzelner Berufe suchen.  Obwohl es ein bisschen unangemessen scheint, diese Forderungen im Kontext der begrenzten Kunstwelt zu stellen, ist gerade die kritische Tätigkeit des ausgeweiteten Kunstfeldes diejenige, die kontinuierlich an die ungelösten Probleme und das Bedürfnis nach ihrer weiteren Behandlung appelliert. Es ist klar, dass es keine eindeutigen und universellen Antworten gibt, keine klaren Formeln, keine im Voraus vorgegebenen, ausgearbeiteten Modelle, denen wir dabei folgen könnten. Prozesse der Artikulation und Neudefinition erfassen die Problematisierung des Status des öffentlichen Raums und die Aktualisierung der kollektiven Vergangenheit, sowie die Versuche an einer anderen Lesensart.

Brennende Fragen und Aufgaben der Selbstorganisation sind somit kein Selbstzweck, sondern  ein unvollendeter Prozess, voller Risiken und Ungewissheit, der das Bewusstsein darüber behält, dass es keine „unschuldigen Positionen“ gibt. Ohne Rücksicht auf verschiedene Ergebnisse und potenzielle Lösungen bis zu den letzten Grenzen der erschöpften bestehenden Muster in diesem Augenblick, können die kritischen Praxen im lokalen Kontext die Lehre daraus ziehen, dass Sozial- und Kulturinstitutionen keine „gottgegebenen” Festungen sind, sondern fragile Konstrukte voller Widersprüche, die Änderungen und Modifikationen ausgesetzt sind.

Verschiedene Formen des alternativen kulturellen Wirkens, die in den letzten Jahren Kroatien überschwemmt haben, sind untrennbar von der Dynamik der früheren Jahrzehnte. Obwohl die   Assimilation der Forderungen der späten 1960er und 1970er Jahre – „gefangen“, wie Brian Holmes sagt, „im Zerrspiegel einer neuen Hegemonie”[14] – zweifellos den Schlüsselmoment für die Bildung dieser kritischen Szene darstellt, ist das auch eine der potenziellen Quellen ihrer inneren Widersprüche.

Ohne sich ausschließlich im eigenen ‘kritischen Narzissmus’ zu erschöpfen, soll für uns nicht die Kernfrage sein, wie man sich den neoliberalen Effekten widersetzen kann, die wir nicht kontrollieren können und in deren Szenarien wir oft spielen oder die uns zugedachten Rollen zu spielen versuchen, sondern auf welche Art und Weise unsere Aktivitäten innerhalb der institutionellen Plattform beitragen können zu einer wirksameren Kritik der neoliberalen Mechanismen und der Folgen, die sie hinterlassen.



[1] Neue Kunstpraxis ist die gemeinsame Bezeichnung für vielfältig gerichtete Aktivitäten in der jugoslawischen Kunst Ende der 1960er und besonders im Laufe der 1970er Jahre, die konzeptuelle und postkonzeptuelle Entwicklungen sowie eine Reihe von AutorInnenzugängen umfassen. Neue Kunstpraxis ist eine Wendung in Bezug auf die vorherige Kunstpraxis, und der innovative Zugang  schließt ein spezifisches gesellschaftliches und kritisches künstlerisches Engagement ein.

[2] Die Begriffe des Ostens und Westens werden als bedingte, „provisorische” Termini verwendet, die sich in den Kontext der einstigen kaltkriegerischen Geopolitik einschreiben, in der der Westen die Länder des Westeuropas und der USA repräsentiert.

[3] In den Arbeiten der Künstler Michael Asher, Daniel Buren oder Hans Haacke und vieler anderer.

[4] Eve Chiapello: „Evolution and Co-optatation, The ‘Artist Critique’ of Management and Capitalism”, Third Text, Volume 18, Issue 6, November 2004, S. 585

[5] ibid

[6] Charles Harrison: „Essays on Art & Language”, The MIT Press, Cambridge, Massachusetts, London, England, 2001, S. 94

[7] „Neue Kunst der siebziger Jahre", TV-Galerie, RTB (Radio u. TV Belgrad) 1983, Redakteurin Dunja Blažević.

[8] Goran Trbuljak: „Gespräch mit Goran Trbuljak, Sanja Iveković und Tomislav Gotovac” (Ana Dević und Sabina Sabolović), “Beistrich”, LABinary “Taktische Medien”, März 2003.

[9] Goran Trbuljak, Ausstellungskatalog, Galerie der zeitgenössischen Kunst, Zagreb, 1973, unpaginiert.

[10] Mitte Neunziger erscheint eine Gruppe von neu gegründeten Organisationen, deren Aktivitäten aus der heutigen Perspektive gleichzeitig als VorläuferInnen des neueren Netzes von Organisationen und als spezifische Herstellung der Kontinuität der Alternativkultur zu sehen sind, jedoch in einem wesentlich veränderten Sozialkontext und Wirkungsbereich, der den Begriff der Alternative selbst in Frage stellt. Den Haupteinfluss hatten Initiativen wie zum Beispiel jene der Kampagne gegen den Krieg, des pop-politischen Magazins Arkzin, der Autonomen Kulturfabrik-ATTACK, des FAKI-Festivals.., sowie einer Reihe von Organisationen feministischer, ökologischer und anarchistischer Orientierung.

[11] Einige der frühesten Beispiele von neu gegründeten Kulturinstitutionen sind: ARL Werkstatt Lazareti aus Dubrovnik (gegründet 1988) und Labin Art Express aus Labin (gegründet 1991).

[12] Vgl. dazu den Beitrag von Leonardo Kovačević und Vesna Vuković in diesem transversal-Issue.

[13] Vgl. dazu ebenso den Beitrag von Leonardo Kovačević und Vesna Vuković in diesem transversal-Issue. Die Dynamik der selbstorganisierten Kulturszene in Zagreb wurde auch im Artikel von Dea Vidović: „Entwicklung der kroatischen unabhängigen Kulturszene (1990 – 2002) oder was alles dem Netz Clubture vorausgeht”, Clubture, Kultur als Austauschprozess 2002- 2007, Dachverband Klubtura/Clubture, Zagreb, 2007, zusammengefasst.

[14] Brian Holmes: „Der flexible Charakter”, http://eipcp.net/transversal/1106/holmes/de