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11 2007

Die Landschaft der Posttransformationsinstitutionen in Zagreb und ihre politischen Wirkungen

Leonardo Kovačević / Vesna Vuković

Rahmen

Dieser Text dient nicht dazu, den Sinn und die Geschichte der Institutionskritik oder ihre Aktualität in Kroatien und in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ein weiteres Mal zu überdenken. Und wir werden uns auch nicht mit der Natur der Institutionen selbst beschäftigen. In einem gewissen Sinn nehmen wir daher den streng vorgegebenen Themenrahmen nicht an, da wir uns lieber der Analyse der Entwicklung der Institutionen in Kroatien sowie ihren politischen Wirkungen zuwenden. Es scheint uns auch unnötig, den ideologischen Hintergrund der Institutionen, d.h. das allgegenwärtige und oszillierende Amalgam von Liberalismus und Nationalismus, zu betonen. Es handelt sich hier also auch nicht um eine ideologische Analyse. Was uns in erster Linie interessiert, ist die Frage, wie die neu entstandene Konfiguration von Nichtregierungsinstitutionen (NGOs) in ihrem und durch ihr Handeln eine nicht-institutionelle politische Situation gestaltet.

                                                                                                                        

 

                                                                                                                        

Vom Trauma der Ideologie zur Ideologie des Traumas

Die Rede vom «Zustand» eines Landes oder einer Gesellschaft ist üblicherweise auf die Rede über die dominante Ideologie beschränkt. Diese Ideologie soll der Kritik alle Antworten und Lösungen auf die Frage bieten, warum eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit auf diese oder jene Weise funktionierte oder warum einige Leute oder die gesamte Bevölkerung in der erfolgten Weise handelten. Gibt es wirklich eine Art von allgemeinem Denkregime, das uns Antworten auf solche Fragen liefern könnte? Und was wären die Voraussetzungen einer solchen Denkweise? Wenn jemand beispielsweise eine omnipräsente Dominanz liberaler Ideologie im Raum des ehemaligen Jugoslawien feststellt, nimmt sich dann nicht der/diejenige aus dieser Art von «Zustand» aus? In diesem Fall würden sie sicherlich behaupten, dass sie selbst politisch bewusst sind, der Rest der Leute aber nicht. Doch in diesem Fall würden sie auch ihre eigene intellektuelle Autorität bekräftigen: Sie sind nur einige wenige aufgeklärte Leute, während die anderen immer noch in der dunklen Höhle auf die platonische Befreiung durch die Wahrheit warten. Diese Strategie, intellektuelle Macht durchzusetzen, ist in den erwähnten Ländern vermutlich immer noch die beliebteste. 

Wenn wir daher das Argument der intellektuellen Überlegenheit von Auserwählten ablehnen, ist die Rede über die Ideologie selbst nur noch tautologisch: Wenn sich die Bestimmung irgendeiner Ideologie als «Bedingung der Möglichkeit» für manche Regionen als abwegig erwiesen hat, da es dort Leute gibt, die außerhalb dieser Bedingungen arbeiten können, wird diese Voraussetzung durch sich selbst in Zweifel gezogen.

Aber die Funktion des ideologischen Diskurses in den post-jugoslawischen Ländern wird durch einen anderen, ähnlichen Diskurs ersetzt (oder gar mit ihm verbunden) – dem Diskurs des Traumas. Die These lautet: In einem bestimmten Zeitraum (der Kriegsperiode) waren alle Leute traumatisiert, die Grenzen des Unbewussten wurden verschoben, und das Bewusstsein selbst wurde unscharf. Darum kann man nicht von Verantwortung sprechen, denn man braucht Zeit, um sich mit dem abzufinden, was tatsächlich passiert ist. Sicher, die Subtilität der intellektuellen Autorität drückt sich nicht in so einfacher Weise aus – dieser grundlegende Syllogismus wurde dagegen aus sehr viel komplexeren Diskussionen und Theorien abgeleitet. Dieser Diskurs hat dieselbe Verdrehung und dasselbe Ergebnis wie der Diskurs der Ideologie: In guter Gesundheit kann ich normal über die Kriegszeit sprechen; in der gegenwärtigen Situation sind alle anderen außer mir traumatisiert.

Aber kommen wir auf das Thema des «Zustands» zurück: Der allgegenwärtige Gebrauch von rationalen Blockierungen wie Ideologie und traumatischen Erfahrungen repräsentiert nicht nur intellektuelle Faulheit, sondern ist auch der Schlüssel zum allgemeinen Verständnis der Dinge. Um einen solchen Ansatz zu vermeiden, muss man akzeptieren, dass wir in schmutzigen Räumen leben, in einer Mischung verschiedener ideologischer und anderer sozialer Einflüsse, und dass es so etwas wie eine «Bedingung der Möglichkeit», die jede Form von Denken oder Handeln verhindern oder blockieren könnte, nicht gibt.

 

Genealogie der Posttransformationsinstitutionen

Ich möchte mit der ziemlich augenfälligen Aussage beginnen, die von allen Kritiken an postsozialistischen Institutionen einstimmig und immer wieder wiederholt wird: In unserer postsozialistischen Situation blieb die ererbte kulturelle Infrastruktur vollständig erhalten, als ob die Transformationsprozesse die kulturellen Institutionen nicht einmal berührt hätten. Diese kulturellen Institutionen bestehen ausschließlich in einer Trägheit, ihre Logik ist eine Logik völliger Passivität – es handelt sich dabei um riesige Institutionen mit einer großen Zahl von Angestellten und entsprechender Infrastruktur, die zur Gänze von öffentlichen Unterstützungsgeldern abhängig sind.

Es geht jedoch nicht darum, dass diese Institutionen noch nicht (genügend) liberalisiert wurden; denn die systematische Vernachlässigung jener einst sozialistischen Institutionen ist schon eine Folge neoliberaler Hegemonie. Die Transformationsprozesse brachten so langsam und unwiederbringlich jede strukturelle Funktion der Kunst- und Kulturinstitutionen als gesellschaftskritische Orte zum Erliegen.

Andererseits bildete sich nach dem Umsturz des Kommunismus und zu Beginn der kapitalistischen Transformation in den1990er Jahren eine Szene mit neuen AkteurInnen im sozio-kulturellen Feld, die der Nichtregierungsorganisationen. Die NGOs waren zu dieser Zeit die (sehr oft einzige vernehmbare) Opposition zum nationalistischen Diskurs der Behörden; es handelte sich bei diesen Institutionen um eine (sehr marginalisierte) kritische Öffentlichkeit, die wichtige AkteurInnen im antinationalistischen und Antikriegsaktivismus waren. Diese Organisationen wurden aus Geldern des Soros Open Society Institute finanziert, weshalb sie oft als „fremde Söldner“ sowie als „Anführer imperialistischer Politik“ im Land stigmatisiert und von den staatlichen Unterstützungspolitiken systematisch vernachlässigt wurden.

Nachdem die internationalen Stiftungen jahrelang die einzigen InvestorInnen und finanziellen UnterstützerInnen waren und so den Nichtregierungsorganisationen zu gesellschaftlicher Bedeutung verholfen hatten, zogen sich diese Stiftungen (wie etwa Soros) im Jahr 2000 aus der Region zurück. Dies verursachte in Zagreb aber keinen Kollaps der NGO-Szene, ganz im Gegenteil: die Dynamik blieb bestehen und hat sich sogar intensiviert. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Gründung von Kulturräten vorsah, die sich aus politisch unabhängigen ExpertInnen zusammensetzen und über die in regelmäßigen Ausschreibungen vorgeschlagenen Programme entscheiden – diese Entwicklung zeitigte auch auf Ebene der Stadt Zagreb eine Wirkung. Die neuen Finanzierungsschemata tragen nun nicht-institutionellen AkteurInnen gleichermaßen Rechnung. Auf diese Weise nehmen die NGOs einen anderen, neuen Platz auf der sozio-kulturellen Landkarte ein – und diese veränderte Stellung macht ihre Stabilisierung und Professionalisierung erforderlich.

Unter solchen veränderten Umständen stellen sich die lokalen NGOs als legitime AkteurInnen im kulturellen Feld dar; sie nehmen eine aktive Stellung ein und bestehen auf der Veränderung und Deregulierung des Systems. Die neuen Vernetzungsstrategien, die sich in der NGO-Szene durchgesetzt haben, können so als die eigentliche Gestaltung politischer Fronten betrachtet werden. Im Unterschied zu Mitgliedernetzwerken, deren hauptsächliche Rolle oft darin besteht, gegenseitiges Kennenlernen, Informieren sowie Austausch unter den Mitgliedern zu befördern, handelt es sich bei den neuen Formen der Vernetzung (in erster Linie auf lokaler Ebene in der Zagreber Szene) um intensive kollaborative Plattformen (oder so genannte taktische Netzwerke), deren Hauptmerkmale in der Erweiterung des Feldes kulturellen Handelns sowie in der Entwicklung neuer, kollaborativer Produktionsmodelle bestehen.

Sehen wir uns nun zwei der am besten funktionierenden Netzwerke sowie die Chronologie der von ihnen angeregten und/oder durchgeführten Aktionen näher an.

 
Das Netzwerk Clubture wurde im Jahr 2002 mit der Idee begründet, einen Programmaustausch zwischen den Mitgliedern und damit eine Dezentralisierung der kulturellen Produktion einzuführen. Clubture bildete auf diese Weise ein neues, partizipatorisches und besonders dynamisches Modell (die Mitgliedschaft im Netzwerk ist an die aktive Teilnahme am Programmaustausch geknüpft). Wer kann Mitglied von Clubture sein? Mitglied von Clubture kann jede Organisation sein, die aktiv am Programmaustausch teilnimmt, so dass jede Mitgliedsorganisation über ihre Kollaborationen wiederum neue Mitglieder in das Netzwerk einführen kann. Auf diese Weise hat das Netzwerk in seinem fünfjährigen Bestehen mehr als 80 Organisationen und Initiativen aus ganz Kroatien zusammengeführt, andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen eröffnet und dadurch die Herausbildung neuer Modelle kollektiver Arbeit angeregt sowie zu mehr Solidarität innerhalb der kulturellen Szene Kroations geführt. Darüber hinaus hat Clubture zu verstärkter Anerkennung kultureller Initiativen in einer breiteren Öffentlichkeit geführt und auf diese Weise wiederum die Netzwerkmitglieder beim Aufbau ihrer finanziellen Strukturen sowie in der Aktivierung der offiziellen Kulturpolitiken unterstützt.

Durch die Organisation von Bildungsseminaren hat Clubture von Anfang an, besonders intensiv jedoch seit 2005, eine Organisierung und Stabilisierung der gesamten Szene vorangetrieben. Und dies ist für die neu entstandenen Netzwerke nach erfolgreichem Vernetzen die ausschlaggebende Entwicklungstendenz und ihr wichtigstes Tätigkeitsfeld: Sie vermitteln den Mitgliedsorganisationen einerseits die Grundzüge der Kulturpolitiken und führen sie in das gemeinnützige Kulturmanagement ein. (In erster Linie wird durch die Übertragung des anglosächsischen Modells des Kulturmanagements, das mit Methoden der strategischen Planung und Organisationsentwicklung operiert, versucht, mittels Professionalisierung eine Rettung vor Unbeständigkeit zu erreichen.)

 
In einem der Gründungsdokumente dieser kollaborativen Platform liest man: Im Kontext der Transformationsprozesse verwirklicht das kulturelle Kapital die Frage nach gesellschaftlichem Handeln. Wenn dieser Transformationsprozess zweierlei bedeutet, zum einen sich dem Markt zu unterwerfen und zum anderen gesellschaftliche Projekte aufzugeben oder besser die Gesellschaft als Projekt zu begreifen dann ist die auffälligste Wirkung die, dass sich dabei Privatinteressen, die an der Gestaltung des öffentlichen Bereichs teilhaben, einer Kontrolle entziehen und nicht mehr transparent sind. Das offensichtliche Fehlen einer sozialen Legitimation zeigt sich in der Verschwendung öffentlicher Mittel. Unsere verknöcherte institutionelle Kultur und das damit verknüpfte System öffentlicher Förderung machen deutlich, dass eine Aufrechterhaltung des Status quo nur gelingen kann, wenn man sich an die Spitze des bereits angesprochenen Übergangsprozesses begibt. Und während die einzige Veränderungsdynamik in der Beziehung zwischen Staat und staatlich geförderten Institutionen trotz ganz anders geäußerter Strategien hinsichtlich der kulturellen Entwicklung gegenwärtig die Dynamik von Einzelinteressen ist, werden dabei gerade die im gesellschaftlichen Sinne und im Sinne der Entwicklung – unabhängigen AkteurInnen besonders wichtig, die kulturelle Tätigkeiten als soziales Handeln und soziale Tätigkeiten als kritische Kultur verstehen.

Als Anwort darauf bietet Cultural Kapital intensive Kollaborationen an (Die Plattform wurde von vier in der unabhängigen Kulturszene Zagrebs herausragenden Organisationen angeregt, auf deren Einladung schlossen sich später noch vier weitere Organisationen an). Seit 2003 wurden mehrere interdisziplinäre Projekte realisiert, die sich mit kollektiven Strategien und neuen Arbeitsformen befassten. Die Projekte untersuchten die Veränderungen in den gesellschaftlichen Bedingungen kultureller Produktion sowie in den vorherrschenden Regimes kultureller Repräsentation. Die Plattform unterstützte und intensivierte Kollaborationen, die in der unabhängigen Kulturszene seit langem bestanden, indem sie Organisationen aus verschiedenen Disziplinen und Interessenfeldern zusammenführte, die alle mit anderen Produktions- und Repräsentationsmodellen experimentierten. Die kulturpolitischen Aktivitäten der Plattform richteten sich vor allem auf die Reform der institutionellen Strukturen, um dadurch die Präsenz sowie die Möglichkeiten unabhängiger Kultur und ihrer Produktionsmittel zu fördern.

Die wichtigsten Forschungsthemen von Cultural Kapital waren: neue Gruppendynamiken, neue kollektive Strategien, neue Arbeitsformen in der Kulturproduktion, Urheberrechtsgesetzgebung, Kontrolle von Produktivität sowie Schutz des Gemeinguts vor zunehmender Privatisierung usw. Die wichtigsten Anliegen waren jedoch der Kampf um Räume sowie der Kampf um Anerkennung der Plattform als einer relevanten gesellschaftlichen Akteurin. Und gerade diese sehr pragmatischen Forderungen haben die Platform samt allen Aktivitäten stark geprägt und folglich die anderen Themenbereiche überschattet.

 
Erkennen des politischen Potenzials. Und die politischen Leistungen?

Seinen größten Erfolg konnte das Netzwerk Clubture im Jahre 2004 verbuchen, als nach dem Machtwechsel das Kultusmministerium von Kroatien das bestehende Gesetz über Kulturräte in eine sehr traditionelle Richtung ändern wollte: Es war geplant, den Rat aufzulösen, der für neue Formen kultureller Produktion verantwortlich gewesen war. Das Netzwerk reagierte sehr schnell, indem es in Zagreb vor dem Parlamentsgebäude eine kritische Masse von Protestierenden aus dem ganzen Land zusammenbrachte und eine öffentliche Diskussion organisierte, um einen Gegenvorschlag zu den Regierungsplänen zu erarbeiten. Der Protest war erfolgreich; der Kulturrat blieb Teil der neuen Ministeriumsstruktur. Darüber hinaus sind nun prominente Mitglieder der NGOs an der Arbeit dieses Rats beteiligt und zeigen sich im Prozess der Bestimmung der Aufgaben sowie der Evaluationskriterien mitverantwortlich.

Der Kampf um Raum erlebte im Jahre 2005 seinen Höhepunkt, als lokale (Zagreber) Kunst- und Kulturorganisationen sich auf die Forderung nach einer Lösung ihrer räumlichen Probleme einigten, da die große Mehrheit dieser Organisationen weder über Arbeits- noch über Präsentationsräume verfügte oder in unangemessenen Räumen arbeitete. Daher wurde im Rahmen des Netzwerks die Entscheidung getroffen, die Gründung eines unabhängigen Kulturzentrums für Jugendliche zu fordern. Es blieb jedoch nicht bei der bloßen Forderung nach Raum, vielmehr sollte zugleich die nötige finanzielle Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden, und zwar durch die Gründung einer speziellen Stiftung für unabhängige Kultur. Die Mitglieder des Netzwerks traten daher mit den Stadtbehörden in Verhandlungen. Im September desselben Jahres „besetzten“ 26 Organisationen und Initiativen der unabhängigen Kulturszene verlassene und leere Räume des Fabrikkomplexes Badel-Gorica. Die Besetzung, die unter dem Namen Operacija:grad (Operation:Stadt) bekannt wurde, dauerte zehn Tage; in dieser Zeit wurde ein intensives und weit ausdifferenziertes Programm angeboten – als Produkt einer gemeinsamen Programmierung aller teilnehmenden Organisationen und Initiativen –, das in den Verhandlungen mit der Stadtbehörde als Hauptargument für die Forderung nach Räumen sowie die finanzielle Infrastruktur eingebracht wurde. Wichtige Elemente des Arguments waren die Quantität und Qualität der Produktionen, die BesucherInnenzahl sowie die Organisation einer kollektiven Programmierung. Die Versprechungen der Stadtbehörde – wie die symbolische „Eröffnung“ der Besetzung durch eine Rede des Bürgermeisters sowie des Kulturvorstands der Stadt Zagreb blieben jedoch nur Versprechungen. Der Fabrikraum selbst wurde in Rekordzeit an kommerzielle Unternehmen verpachtet, so dass man kritisch einwenden könnte, dass die Besetzung lediglich die Sichtbarkeit und Attraktivität des Geländes gesteigert hat und dieses vor dem Abbruch rettete.

Allerdings waren diese Ziele – Steigerung der Sichtbarkeit nicht institutioneller Kulturproduktion sowie Verhandlung mit den Stadtbehörden über die Gründung eines unabhängigen Zentrums – die einzige Interpretation der Ereignisse im September 2005. Allgemeine Fragen zum öffentlichen Raum bzw. zu Taktiken, Risse in den standardisierten Stadträumen zu produzieren bzw. auch Fragen zu Organisationsmodellen sowie zur Offenheit dieser Organisation wurden beiseite gelassen und zugunsten eines sehr pragmatischen Denkens völlig vernachlässigt.

Die Entwicklung und die Folgen der Operation:Stadt brachten eine neue Dynamik in die Szene, die zur Erweiterung des Kampffeldes führte. Im Jahr 2006 wurde die Initiative Pravo na grad (Das Recht auf die Stadt) ins Leben gerufen. Diese Initiative bringt neben den schon aktiven und erwähnten Organisationen im kulturellen Feld auch viele StadtbewohnerInnen zusammen, die mit der Arbeit der Stadtbehörden und mit den herrschenden Politikprogrammen nicht zufrieden sind. Pravo na grad regte außerdem neue Vernetzungen an, da die Initiative eine Partnerschaft mit der größten Umweltschutzorganisation – Zelena akcija (Grüne Aktion) – und mit der prominenten Organisation GONG, die BürgerInnen zur aktiven Teilnahme an politischen Prozessen anspornt, einging. Im Rahmen der Initiative wurden mehrere Aktionen durchgeführt, die in den Medien stark präsent waren und ein großes öffentliches Echo erzeugten. Die größte und am längsten währende Aktion war der Protest gegen den Bau exklusiver Wohnungen und Geschäftslokale im geschützten Stadtzentrum; für die Petition „Ende der Zerstörung von Cvjetni trg (Blumenplatz) und Unterstadt“ wurden mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt.

Im Unterschied zu Cultural Kapital, das sich mittels der Organisation von Konferenzen, Kunstfestivals, Ausstellungen, Werkstätten, Vorträgen und Publikationen der Sprache der Kulturproduktion bediente, sind die Aktionen der Initiative Pravo na grad zumeist von aufwendigen Werbekampagnen begleitetet, die in den letzten zwei Jahren zu den geläufigsten Formen politischen Handelns wurden. Die Aktionen der Initiative Pravo na grad nutzen die Methoden des klassischen Marketings (Flugblätter, Plakate, Postkarten usw.) und sind stark medienwirksam, da sie spektakuläre Installationen im öffentlichen Raum, Guerillaaktionen usw., durchführen.

Dementsprechend groß ist das Interesse der Öffentlichkeit an der Initiative, was darin mündete, dass sich eine ansehnliche Zahl von Stadtviertelinitiativen und verbitterten StadtbewohnerInnen im Kampf gegen die Stadtpolitiken zusammengeschlossen haben. Von wirklichen „Leistungen“ kann aber noch nicht gesprochen werden: Denn trotz der großen Zahl für die Petititon gesammelter Unterschriften ist ein baldiger Baubeginn auf dem Platz Cvjetni trg angekündigt.

                                                                                                                        

 

                                                                                                                        

Herausforderungen des Ultra-Professionalismus

Die typische Mehrdeutigkeit der Situation des Ultra-Professionalismus wird in der Fähigkeit zur Entwicklung großer NGO-Netzwerke in Kroatien offensichtlich, eine Entwicklung, auf die ich mich abschließend konzentrieren werde. Ich möchte grundsätzlich auf zwei Dinge in dieser Entwicklung antworten, die Vesna Vuković in ihrem Text gründlicher und ausführlicher analysiert. Erstens können wir etwas erkennen, das ich “Ultra-Professionalismus” nennen möchte, und zweitens ist diese Entwicklung nichts anderes als eine Ergänzung staatlicher Politiken. Sehen wir zunächst was ich mit Ultra-Professionalismus meine: Ich wähle diesen Begriff, um die Transformation von freien und unabhängigen Initiativen in starre organisatorische Strukturen zu bezeichnen, welche Prozesse der radikalen Hierarchisierung und des Ausschlusses ihrer äußeren Grenzen aufgreift. Sicherlich erwartet niemand ewigen Nomadismus und endlose Freiwilligkeit von diesen Leuten, deren Initiativen eine stärkere und besser zusammenhängende zivilgesellschaftliche Szene begründet haben. Aber der Begriff Ultra-Professionalismus könnte nützlich sein, um die Grenzen des Professionalismus zu überdenken und Fragen zu stellen wie: Können die zivilgesellschaftlichen Institutionen von staatlichen Institutionen, oder gar von Unternehmen widergespiegelt werden? Wo endet die Hierarchisierung der NGO-Institutionen? In den betreffenden Plattformen und Institutionen werden wir ZeugInnen eines Entscheidungsfindungsprozesses, der auf eine sehr kleine und privilegierte Gruppe von Leuten beschränkt ist. Der größte Teil der Mitglieder, Zugehörigen oder MitarbeiterInnen hat keinen Einfluss auf die Institutionen, in denen sie arbeiten. Und vielfach ereignet sich kein Wechsel in der Führungsposition, seit diese Institutionen gegründet wurden. Meiner Ansicht nach ist der Grund dafür nichts anderes als der Ultra-Professionalismus, der die grundlegende Demokratisierung der Organisation nicht erlaubt. 

 
Wie viel Pragmatismus ist notwendig?

Das andere wichtige und direkte Resultat dieses Prozesses ist eine pragmatische Politik. Selbst wenn diese Plattformen mit vielen ihrer Interventionen erfolgreich waren – vom erfolgreichen Gewinn sozialer Sichtbarkeit, der Versammlung und Verbindung von Institutionen mit ähnlichen Profilen bis zu öffentlichen Manifestationen wie Operation: Stadt und Das Recht auf die Stadt – die Bilanz wird noch immer eine sehr pragmatische Themenauswahl zeigen, wenn wir die gestellten Fragen und Interventionen genau analysieren. Zunächst handelte es sich um einen aufgesetzten Kampf um öffentlichen Raum – namentlich um den Kampf um Raumangebot für die Institutionen selbst, für den großen kulturellen Eintritt, der von den betreffenden Netwerken geplant war. Diese Mehrdeutigkeit – namentlich die Präsentation der Aktionen als BürgerInneninteresse, die immer eine pragmatischere Seite hat – ist eines der konstanten Merkmale der öffentlichen Interventionen, die von diesen Netzwerken organisiert wurden. Ich sehe sicherlich kein Problem darin, dass diese Organisationen um mehr Raum kämpfen, aber die Unmöglichkeit die Aktion, mit dem öffentlichen Interesse zu verbinden oder diese Aktionen in einer komplexeren Weise zu artikulieren, so dass sie über ihren pragmatischen Kern hinausgehen könnten, versetzt diese Netzwerke und Institutionen ins Reich des reinen Eigeninteresses. Um aber auf die von den fraglichen Netzwerken und Institutionen erhobenen Themen zurückzukommen, möchte ich ausdrücklich die nachhaltige Abwesenheit jeglicher Themen mit Bezug auf Klasse, ArbeiterInnen oder Armut in ihrem Programm hinweisen. Auch wenn die Operation: Stadt eine alte Fabrik wiederbelebt und besetzt hat und auf die natürliche kapitalistische Entwicklung hingewiesen hat, die darin besteht, FabriksarbeiterInnen schrittweise durch KulturarbeiterInnen zu ersetzen, haben die selben Netzwerke nur wenige Monate später die Probleme in einer wirklichen Fabrik nicht anerkannt: eine Tabakfabrik in Zagreb, die von den dort arbeitenden Frauen besetzt wurde, die versuchten ihre eigene Produktion zu etablieren. Dieser Fall erschütterte die kroatische Öffentlichkeit und Politik über Monate, aber das einzige, was man von den führenden Institutionen innerhalb dieser kulturellen Netzwerke hören konnte, war, dass damit die Tabakindustrie unterstützt werde, dass der Streik nicht legal sei, dass die Arbeiterinnen Populistinnen wären, usw.

Und obwohl das die größte Möglichkeit war, soziale Anliegen voranzubringen, war das Ereignis zu weit entfernt von den direkten Interessen der Elite des zivilen Managements. Das zeigte sehr deutlich, dass die von den fraglichen Netzwerken ausgewählten Themen immer jene waren, durch die diese Institutionen als “vernünftiger” politischer Faktor anerkannt werden konnten. Aber das bedeutet auch, dass sie niemals etwas “Unmögliches” fordern werden.

 
Subversion, die der Herr liebt

Meine knappe Analyse könnte den Anschein erwecken, sie sei nur eine weitere typisch liberale Kritik jener Institutionen, die mehr Freiheiten, Offenheit usw. fordern. Aber meine Absicht war das genaue Gegenteil: Ich habe nach einer strukturellen Bestimmung gesucht, die eine Mehrdeutigkeit der sozialen Praxis dieser Netzwerke verursacht. Ich denke, dass der Begriff des Ultra-Professionalismus diese negative Mehrdeutigkeit zusammenfassen kann: er behauptet die starre Hierarchisierung und den politischen Pragmatismus, der entscheidendere soziale Themen ausschließt (obwohl diese Institutionen sich selbst als politisch aufgeklärt und der “wirklichen” Probleme zutiefst bewusst präsentieren). Die Frage, die die Auswirkungen dieser Aktivitäten zusammenfassen könnte, lautet: Welches Ausmaß an “Bedrohung” der öffentlichen Meinung oder der Mainstream-Politik wird von diesen Netzwerken und Plattformen entwickelt? Stellen sie einen bedeutenden politischen Faktor dar, der über die Kolonisierung des sozialen Raumes, der in den Neunzigern eröffnet wurde, hinausgeht? Jede/r wohlmeinende Zeuge/Zeugin dieser institutionellen Entwicklung wird vermutlich sagen, dass die Stimme der Öffentlichkeit manchmal verständlicher und stärker ist. Viele BürgerInnen beteiligten sich auch an der Initiative Das Recht auf die Stadt. Diese Plattformen und Netzwerke sind in der Zwischenzeit zweifellos mächtig geworden: Sie können zu jeder Zeit in jedem sozialen Bereich starke zivile Aktivitäten organisieren, da sie über eine gute Infrastruktur dafür verfügen. Aber da liegt ein Problem: Die BürgerInnen werden durch allzu zweckmäßige und anspruchslose Themen wieder aktiv gemacht. Ja, diese Netzwerke haben einen weiten sozialen Raum besetzt, aber ich denke, dieser Raum wird von den offiziellen Politiken der Repräsentation vollständig widergespiegelt. Sie haben dasselbe politische Instrument legitimierter SprecherInnen und das passende Inventar an Themen. Kurz, wir können sagen, dass sie die Kunst gelernt haben mit dem Staat ein friedliches Zusammenleben zu führen. Was bedeutet das anderes, wenn nicht eine Ergänzung des Staates mit den Mitteln der Zivilgesellschaft? 

 

 Teile des Textes wurden aus dem Englischen übersetzt von Tom Waibel.