02 2005
"¡Mueve te!" Bewegungen im Kunstwerk als Positionierungen im Feld
Ein
neuer globaler Bewegungszyklus begann am 1. Januar 1994
in Chiapas, dem südlichsten Bundesstaat von Mexiko.
Der Aufstand der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN
war einer der wichtigsten Ausgangspunkte jener Bewegungen,
die später als globalisierungskritische oder Antiglobalisierungsbewegungen,
"Bewegung der Bewegungen" oder Altermundistas
die Straßen und Bewegungszeitschriften nicht nur der
Metropolen füllen sollten. Auch dem künstlerischen Feld
bot und bietet die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung
diverse Anknüpfungspunkte – Brian Holmes spricht von
"zahllosen KünstlerInnen, die bei den Anti-Globalisierungs-Demonstrationen
und Kampagnen der letzten Jahre mitgewirkt haben"[1].
Der vielfache Bezug von zeitgenössischer Kunst auf die
Bewegungen gegen die neoliberale Globalisierung legt
die Frage nach dem Zusammenhang von künstlerischer Produktion
und sozialen Bewegungen nahe. Aber selbstverständlich
ist er nicht. Zwar ist der Mythos weit verbreitet, die
Welt der Kunst sei in besonderer Weise "globalisiert",
deren Akteure und Akteurinnen seien aufgrund eines mondänen
Lebensstils die ersten "globalisierten Subjekte"
gewesen und hätten dadurch einen privilegierten Zugang
zum Thema. Ein Aufgreifen dieser besonderen Lebens-
und Arbeitsbedingungen und deren Strukturen in den Werken
selbst scheint also alles andere als unwahrscheinlich.
Bei genauerem Hinsehen aber erweist sich bereits die
Grundannahme als fraglich: Inwieweit lassen überhaupt
gesellschaftliche Bedingungen Rückschlüsse auf künstlerische
Ausdrucksweisen zu? Schließlich findet Kunstschaffen
in einem gesellschaftlichen Bereich statt, den Pierre
Bourdieu das künstlerische Feld genannt hat und der
sich gerade durch seine zunehmende Autonomisierung auszeichnet.
Was innerhalb dieses Feldes geschieht, ist vor allem
mit dessen eigener Geschichte verwoben und "immer
weniger aus dem Zustand der gesellschaftlichen Welt
zu einem gegebenen Zeitpunkt abzuleiten".[2]
Und hinzu kommt, dass auch die These vom globalisierten
Künstlertum schlicht falsch ist. Auch wenn zeitgenössische
KünstlerInnen die ein oder andere Reise mehr machen
als andere, von einer Globalisierung des Feldes kann
keine Rede sein.[3]
Weder dessen Beschaffenheit noch die soziale – mondäne
wie prekäre – Situation von KünstlerInnen führt also
automatisch zu sozialen oder politischen Stellungnahmen,
und auch im Nachhinein sind sie aus jenen nicht zu erklären.
Dennoch
kommen politische Positionierungen innerhalb des künstlerischen
Feldes ja vor. Folgt man Bourdieu in seiner Feldanalyse,
erscheint die Politik in der Kunst vor allem als Distinkstionsmarker.
Denn die Dynamik des Feldes entsteht aus Abgrenzungen
gegenüber anderen, früheren künstlerischen Positionen.
Auch das Politische funktioniert als eine solche Unterscheidung,
die dazu dient, die eigene Position zu stärken. "Wenn
jemand in einem künstlerischen Rahmen von Politik spricht,"
folgert Brian Holmes daraus, "lügt er"
[4].
Dieser
Schlussfolgerung möchte ich im Folgenden widersprechen.
Dazu ist es aber gar nicht notwendig, den bourdieuschen
Erklärungsrahmen zu verlassen. Im Gegenteil soll daran
erinnert werden, dass die Effekte künstlerischer Produktion
nicht nur in Richtung Individuum als Distinktionsgewinn
ausschlagen, sondern auch im Hinblick auf das "Feld
der Macht" Positionierungen sind. Ich plädiere
also dafür, die von Bourdieu eingeführte Kampfmetapher
ernst zu nehmen und die künstlerische Arbeit als Einsatz
im Kampf um kulturelle Hegemonie zu werten. Bevor ich
dies anhand von drei Einzelwerken ausführe, wird genauer
darauf einzugehen sein, was es mit dem Kampf auf sich
hat. Zunächst aber soll gesagt sein, dass eine Bezugnahme
künstlerischer Produktion auf politische Inhalte und
soziale Bewegungen kein neues Phänomen, sondern Teil
der Kunstgeschichte ist. Drei unterschiedliche Herangehensweisen
lassen sich dabei unterscheiden.
Imperativ aus den Bergen
Methoden
und Inhalte künstlerische Produktion lassen sich zwar
nicht aus sozialen oder politischen Bedingungen ableiten,
sie entwickeln sich aber auch nicht völlig losgelöst
von gesellschaftlichen Bedingungen. Denn auch das künstlerische
Feld ist kein abgeschlossener Mechanismus, sondern besteht
in vielfältigen Relationen zu anderen Feldern. Auch
das künstlerische Feld ist sozial konstruiert und wird
stets erneuert, erweitert und überschritten und gibt
als solches einen "Raum der Möglichkeiten"[5]
für künstlerische Praxis vor. Werke, durch die fortgeschrittene
Autonomisierung des Feldes so frei von den Determinierungen
der (politischen/gesellschaftlichen) Geschichte, sind
dennoch vor deren Hintergrund zu interpretieren. So
kann ein von den chiapanekischen Bergen ausgehender
Imperativ – ¡Mueve te! Beweg Dich!
[6]
– durchaus als Handlungsgebot auch innerhalb des Kunst-Feldes
aufgegriffen werden. Und so lässt sich auch die Frage
nach den inhaltlichen Verarbeitungen von "Globalisierung"
ebenso stellen[7]
wie die nach einer Wechselwirkung von sozialen Bewegungen
und künstlerischen Produktionen. Neu ist das, wie gesagt,
nicht und auch nicht verlogen.
Es
lassen sich grob drei Konstellationen dieses Zusammenhangs
von Kunst und politischer Bewegung ausmachen: Es gibt
erstens eine lange Tradition des Aktivismus von KünstlerInnen,
in der die Verbindung von Kunstproduktion und Engagement
wie eine organische daherkommt. Der Surrealist Benjamin
Péret kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite
der Republik bzw. in den Reihen der anarchistischen
Milizen für die soziale Revolution. Der Pariser Mai
1968 ist ohne die Agitation der Situationistischen Internationale
nicht vorstellbar, die Entwicklung des Feminismus in
Österreich ist auf engste Verknüpft mit den Aktionen
der Konzeptkünstlerin Valie Export[8]
Ende der 1960er Jahre und in der globalisierungskritischen
Bewegung entstammt nicht nur die Volxtheaterkarawane
dem künstlerischen Feld. Das Modell "KünstlerIn
als AktivistIn" sagt allerdings noch nichts oder
zumindest recht wenig über die Beschaffenheit der Werke
aus.
Den
Anspruch, künstlerische Produktion gerade unabhängig
vom Werk zu fassen, formuliert sozusagen ein zweiter
Konnex zwischen sozialen Bewegungen und Kunstproduktion,
den man "Aktivismus als Kunst" nennen könnte.
Dieser Ansatz ist im künstlerischen Feld als legitime
Kunst ebenso schwer durchzusetzen wie im sozialwissenschaftlichen
als legitimer Forschungsgegenstand: Er müsste den Kulturbegriff
so weit dehnen, dass soziale Bewegungen selbst als Kunst
zu betrachten wären.
Wesentlich
geläufiger und in der Geschichte des künstlerischen
Feldes fest verankert ist drittens das Aufgreifen von
Motiven, Themen, Methoden, Zielen und Inhalten von Bewegungen
innerhalb von Kunstwerken. Dies beginnt mit der ziemlich
direkten Darstellung von sozialen Kämpfen und revolutionären
Wirren, die sich keineswegs nur in der traurigen Geschichte
des "sozialistischen Realismus" findet, sondern
auch im kunstgeschichtlichen Kanon, von Edouard Manets
"Erschießung Maximilians" bis zu, sagen wir,
Lisl Pongers Fotoserie "Sommer in Italien"
(2001) über die Globalisierungsproteste in Genua. Und
es endet überhaupt nicht, findet diverse Ausformungen
und Ausdrucksweisen – von denen einige wenige noch aufgegriffen
werden sollen – in verschiedenen Spezialsparten des
Feldes. Um solche Werke geht es mir in erster Linie,
sie weisen einerseits die (immer zu problematisierenden)
kanonisierbaren "ästhetischen Qualitäten"
auf, um im Feld zu bestehen, beinhalten aber zum anderen
immer auch die Möglichkeit, anders zu wirken.
Felder (jenseits der Landschaft)
Bezogen
auf die Gesamtheit der objektiven Strukturen sind alle
drei Geschichten jedoch Randerscheinungen. Sie bewegen
sich als Praktiken an den Rändern des Feldes und vermögen
doch kaum über sie hinauszuweisen.[9]
Daraus aber zu schließen, das Reden von Politik innerhalb
des Feldes sei alles Lüge, ist, denke ich, ein Kurzschluss.
Denn das künstlerische Feld ist kein selbstreferenzielles
System, sondern als Ganzes auch Teil des Feldes der
Macht. Genauso wie es als Ding gewordene Geschichte
auf die sich im Habitus verfestigenden Dispositionen
der Akteure und Akteurinnen einwirkt, also rahmt, beeinflusst
oder gar festlegt, wer wann was denken und produzieren
kann, so wirkt es auch in die andere Richtung auf die
sie umgebende Struktur, eben das Feld der Macht.
Ähnliches
kann auch für jedes einzelne Werk behauptet werden:
Jede künstlerische Arbeit ist zugleich im übertragenden
Sinn eine Arbeit am Feld, es ist eine Positionierung,
eine Stellungnahme. Es verortet sich in Abgrenzung zu
anderen, ähnlichen Werken, und bezieht zugleich Stellung
in einem Konglomerat von Äußerungen, Institutionen und
Arbeiten, die sich als künstlerische Genres oder Sparten,
aber auch als Institutionen gegenüberstehen (grob zum
Beispiel als Konzeptkunst versus Malerei, "Texte
zur Kunst" versus "Kunstzeitung", Documenta
versus Art Basel, etc.). Diese Gegenüberstellungen sind
niemals starr sondern verhalten sich relational zueinander
und sind vor allem permanent umkämpft. Jedes Werk ist
damit auch als Einsatz innerhalb dieser Kämpfe zu begreifen.
Die im Wechselspiel objektiver Position, die jemand
im Feld innehat (Museumsdirektor/Freelancer, anerkannt/neu,
alt/jung, etc.), seinen eigenen Dispositionen etwa
für "Politisches" und den eigenen und fremden
Positionierungen hervorgegangene künstlerische Produktion
zeitigt also auch wieder Effekte in zwei Richtungen.
Die eine Richtung erscheint dabei viel offensichtlicher:
Wer es schafft, Zugang zum Feld zu bekommen, positioniert
zwar auch Inhalte, vor allem aber wohl sich selbst.
Jede Arbeit ist auch eine an der eigenen Karriere, eine
Investition, die sich im besten Fall als Distinktionsgewinn
und symbolisches Kapital bezahlt macht. Dazu taugt natürlich
auch das "Politische" gut, in bestimmten Sektoren
des Feldes geht es gar nicht ohne: Will man auf der
Seite von Konzeptkunst/"Texte zur Kunst"/Documenta
bestehen, braucht man mit schönen gemalten, am Kunstmarkt
orientierten Tafelbildern ohne politisches Sujet gar
nicht erst anzukommen. Politische Radikalität als Bedingung
für die Documenta-Teilnahme, das sieht natürlich ziemlich
korrupt aus, verlogen eben.
Wird
die Kampf-Metapher aber ernst genommen, muss auch die
zweite Richtung künstlerischer Positionierung ernst
genommen werden, nämlich die in Richtung Feld der Macht.
Innerhalb dessen sind alle AkteurInnen des künstlerischen
Feldes in einer vom ökonomischen und politischen Feld
beherrschten Position. Diese Positionen als beherrschte
Herrschende ist nach Bourdieu, wie Andrea Fraser aus
Künstlerinnen-Sicht hervorhebt, auch "die Basis
für unsere Politisierung".[10]
Dass es im Laufe der 1990er Jahre zu einer Re-Politisierung
des künstlerischen Feldes kommen konnte, ist bereits
ein Ergebnis der feldinternen Kämpfe. Diese hat zwar
den neoliberalen Umbau der westlichen Gesellschaften
nicht verhindern können, setzt aber immer wieder wichtige
Zeichen gegen alle möglichen Backlashs und eröffnet
Räume für außerkünstlerische Initiativen. Die einzelne
künstlerische Positionierung ist daher auch nicht bloß
als eine distinktionsgenerierende Aktion, sondern darüber
hinaus als Stellungnahme im kulturellen "Stellungskrieg"
(Antonio Gramsci) zu begreifen. Nach dem Ausbleiben
von sozialistischen Revolutionen in Westeuropa im Anschluss
an die Oktoberrevolution verabschiedete der italienische
Kommunist Antonio Gramsci das Konzept einer schnellen
Eroberung der Staatsmacht durch die Bewegung und hob
statt dessen die Bedeutung des Kampfes um kulturelle
Hegemonie hervor. Im Gegensatz zum schnellen Vorrücken
im "Bewegungskrieg" habe dieser einzelne
Stellungen zu verteidigen und zu erringen.
Räume in Bewegung
Kulturelle Stellungskriege sind keine statischen Scharmützel, sie konstituieren zugleich den Raum, den es zu verteidigen und zu erobern gilt. Wie dieser Raum konstruiert wird und wie er möglicherweise zu schaffen ist, darum geht es in allen drei folgenden Beispielen.
Es gehört zu einer der bevorzugten Methoden des in Mexiko lebenden, aus Belgien stammenden Künstlers Francis Alÿs, mit Spaziergängen Aneignungen städtischen Raumes vorzunehmen. In diversen Aktionen nimmt er temporäre Markierungen vor, so mit Hilfe eines seinen Pullover auflösenden Wollfadens ("Fairy Tales", 1992) oder durch Farbe, die er beim Gehen aus einer Dose auslaufen lässt ("The Leak", 2003). Strategische Spaziergänge haben eine längere Tradition in der europäischen Hochkultur, immer auch die Rolle des Akteurs reflektierend. Eine materialistische Radikalisierung erfuhr die Technik des Spaziergangs seit Mitte der 1950er Jahre durch die SituationistInnen. Zwar grenzt Guy Debord, prominentestes Mitglied der Situationistischen Internationale, die situationistische Technik des Umherschweifens vehement von Reise und Spaziergang ab, dennoch kann auch hier von einer ersten werklosen Aneignung öffentlichen Raumes gesprochen werden. Umherschweifen unterscheidet sich laut Debord[11] vom Spazierengehen durch die "Erkundung von Wirkungen psychogeographischer Natur und der Behauptung eines konstruktiven Spielverhaltens".[12] Teilt nun Alÿs das spielerische Moment, geht es ihm ganz sicher nicht um die Erkundung vermeintlich objektiver Determinierungen, um deren Bergung es Debord zu tun war. Er schließt also bestenfalls insofern an situatuionistische Praktiken an, als er das Austarieren von Grenzen künstlerischer Aktionen im öffentlichen Raum betreibt. Und während die SituationistInnen ihre Kritik am Kunstwerk tendenziell in eine Auflösung künstlerischer Praktiken in Politik trieben, sind Alÿs Aktionen doch alle als Performances gekennzeichnet und als solche wohldokumentiert. So beispielsweise die als "Re-Enactments" (2000) ausgewiesenen Aktionen, bei denen Alÿs seine eigene Handlungsanweisung befolgend, so lange es geht eine 9mm Beretta in der rechten Hand haltend, durch die Innenstadt läuft. Auf einem Foto ist Alÿs an einer Straßenecke zu sehen, die Waffe in der rechten Hand, wenige Schritte von einem mit dem Konterfei Che Guevaras plakatierten Stromkasten entfernt. Die Aktion, die mit der Verhaftung endet, lotet aber nicht bloß künstlerische Provokationspotenziale aus. Weitere Dimensionen erschließen sich wie immer durch Querverweise auf andere Arbeiten. So erinnern die "Re-Enactments" an eine Performance, die im Umkreis des US-amerikanischen Fotografen und Theoretikers Allan Sekula Anfang der 1970er Jahre durchgeführt und ebenfalls fotografisch dokumentiert wurde ("Two, three, many… (terrorism)", 1972). Sekulas Protagonist robbt sich mit vietnamesischem Strohhut und Plastik-Maschinengewehr durch ein Nobelviertel, die zentrale Aussage aus Ernesto Guevaras "Fokus-Theorie" künstlerisch umsetzend, nämlich "ein, zwei, viele Vietnam" zu schaffen. Äußert sich in Alÿs Spaziergängen das ambivalente Spiel zwischen poetischem Scheitern und Erfolgsversprechen, wie Montgomery[13] schreibt, muss in diesem Foto die ganze Guerilla-Tradition Lateinamerikas sowie das gründliche Misslingen aller Versuche von Stadtguerillas mitgelesen werden. Diese Referenz herauszustellen, ist Teil einer Repolitisierung. Denn dass es sich beim Umherschweifen/Spazieren nicht bloß um eine Kunstform handelt, in der sich "Horizontalität und Vertikalität in ihrer Reinform aufs Wunderbarste miteinander verbinden", wie Robert Storr[14] die Verbindung zwischen Debord und Alÿs interpretiert, dürfte ihr militanter Entstehungskontext inklusive der ikonografischen Anspielungen verdeutlichen.[15] Dass sich KünstlerInnen trotz der Autonomisierung des sie berherbergenden Feldes nicht nur mit Fragen der Ästhetik beschäftigt haben, auch darauf bestehen die "Re-Enactments". Politisch-historische Zusammenhänge herstellend, fragt die Arbeit Alÿs' auch nach den Waffen der künstlerischen Kritik. Die SituationistInnen konnten ihr Umherschweifen noch als avantgardistische Technik konzipieren, in der eine starke Subjektivität als "Verweigerung von Repräsentation"[16] fungierte. Repräsentationsformen stellt zwar auch Alÿs in Frage, allerdings gibt es dagegen keine so eindeutigen Rezepte mehr. Wollten die Situationisten die Revolution neu erfinden, begnügt sich Alÿs wohlweislich damit, auf eine wesentliche Einsicht der Kunstsoziologie hinzuweisen: dass nämlich das Kunstwerk nur für diejenigen existiert, die die Mittel zu seiner Aneignung, d.h. zu seiner Entschlüsselung zur Verfügung haben.[17] In dem Moment, in dem er auf Menschen ohne diese kulturellen Ressourcen trifft – einen Hauptstadtpolizisten beispielsweise –, endet die Arbeit.
Die
soziale Verortung künstlerischer Arbeiten als Teil einer
sozialen Medienkonstruktion, deren Ablagerung in und
Reproduktion von realen und symbolischen Räumen steht
auch im Zentrum des Werkes der österreichischen Künstlerin
Dorit Margreiter. Ihre Arbeit "10104 Angelo View
Drive" (2004) ist eine komplexe Videoinstallation,
in deren Mittelpunkt das so genannte Sheats-Goldstein-Haus
des US-amerikanischen Architekten John Lautner steht.
Angefangen mit einem Blick auf das versmogte LA am Morgen,
dem sich durch auseinanderfahrende Fensterscheiben von
der Bildmitte her eine nur leicht variierte Farbgebung
anbietet, dokumentiert Margreiter mit statischer Kamera
die beweglichen Teile der spätmodernistischen Architektur.
Sie ist protzig, das Inventar teuer und sein Design
flottiert immer an der Grenze des Kitsches. Es sind
nicht nur so profane Dinge wie Schiebefenster oder –dächer,
die hier vorgeführt werden, sondern zum Beispiel auch
ein TV-Gerät, das sich langsam aus einem massiv wirkenden
Steintisch erhebt. Das Tischleindeckdich des Medienzeitalters
ist aber nur eines der Themen, die Margreiter in ihrer
Installation verarbeitet. So gemächlich, wie sich die
Holzterrasse über den Teich oder der Fernseher aus dem
Steinblock schiebt, so allmählich werden auch die Bedeutungs-
und Repräsentationsebenen freigelegt. Wie eine Melange
aus Architekturfotografie und Dokumentarfilm wirkend,
erkennt der Betrachter/die Betrachterin das Aufgreifen
beider Traditionen in dem Moment, in dem sie hinterfragt,
desavouiert oder zerlegt werden. Die mögliche Abbildung
des Statischen wird befragt, indem gerade die beweglichen
Teile der Architektur gezeigt werden, während beispielsweise
das im Film vorkommende Mobiliar in festen Glas-, Beton-
und Ledergarnituren alles andere als mobil erscheint.
Und indem sie die Kulisse bekannter Hollywoodstreifen
– u. a. der Dude in The Big Lebowski begegnete hier
einem fiesen Pornoproduzenten – für das Vorführen dokumentarischer
Strategien nutzt, rekurriert sie auf eines der fundamentalen
Dilemmata des Mediums Film. Die Frage, ob ausgehend
von der Wirklichkeit auch Wahrheit oder immer nur eine
beliebige Neuerzählung (re-)präsentiert werden kann,
erweist sich nicht nur für das Medium Film, sondern
für Öffentlichkeit schlechthin als zentral.
Das
weiß auch Margreiter, die genau diesen Aspekt des Konstruktionscharakters
von Wirklichkeit unterstreicht, indem sie die queere
Performance-Gruppe "Toxic Titties" dem Interieur
hinzugefügt hat.
Als im Kunstfeld entwickelte Technik ist die
Performance einerseits ein kunstgeschichtlicher Verweis,
andererseits zeigt sie aber auch theoretische und aktivistische
Aspekte bzw. Traditionen an und ist damit eine wichtige
Schnittstelle. Der Begriff der Performanz, von Judith
Butler verstanden als die konkrete Realisierung von
sprachlichen und körperlichen Ausdrucksweisen, war zentral
für die Bewegungen gegen heterosexuelle Normierungen
und sexualisierte Diskriminierungen. Und so lungern
diese Freaks in lasziven oder gelangweilten Posen in
dem Bonzenhaus herum, nur dass klar ist, hier geht es
nicht um Dokumentarfilm- und Medienkritik allein (sondern
auch darum, dass und wie Wirklichkeit geschaffen wird).[18]
Die "Toxic Titties" repräsentieren eine neue
Vision alternativer Nutzung bestehender Institutionen.
Diese Aneignung wird komplettiert durch Bücher und
Zeitschriften, die auf Beistelltischchen liegen und
mit aller Wahrscheinlichkeit weder im Haus des Pornomachers
noch in dem des Immobilienmaklers zu finden wären,
dem das Gebäude gehört: Ein Bildband über "Die
sowjetische Frau", einige Nummern der Zeitschrift
"Lesbo", ein paar Schundromane. Ein Tisch
voll mit Globen lässt keinen Zweifel mehr, dass hier
auch Herrschaftsphantasien verhandelt werden. Die "Toxic
Titties" allerdings sind auch nicht als herrschaftsfreie
Erlösung aufgefahren. Sie liefern mit ihrem schrillen
70er-Glamour-Outfit ihr Retro-Sein gleich mit. Denn
Margreiter geht es in allen drei Bereichen (Architektur,
Dokumentarismus, Performanz) um ein Hinterfragen von
Repräsentation. Und dies tut sie, indem sie die Ebenen
ineinander verschränkt. Der eigentlich selbstverständliche
Zusammenhang zwischen gewissen Milieus und bestimmten
Räumen erschließt sich keinesfalls allein dadurch,
dass er dokumentiert wird. Die von Margreiter gestiftete
Verwirrung zwischen den Repräsentationsebenen verweist
auf den Konstruktionscharakter des Raumes ebenso wie
auf die Eingebundenheit des Dokumentarischen in diese
Konstruktionsarbeit – einen Prozess, den Hito Steyerl
"Dokumentalität"[19]
genannt hat. Dokumentationen sind ebenso wenig neutral
und unschuldig wie die Architekturfotografie. Denn
sie zeigen nicht, was die Raumnahme der queeren AktivistInnen
hier deutlich machen kann: Dass die gesellschaftliche
Herstellung von Räumen immer über den Ausschluss von
Handlungen oder Menschen geschieht, die als ungewöhnlich,
ungewollt oder unpassend gelten. Indem sie sich des
Interieurs bemächtigt haben, für das sie eigentlich
nicht bestimmt sind – außer vielleicht in einem Hollywood-Film
– weisen sie genau darauf hin. So oder so ist freilich
niemand zu sehen, der Hebel oder Knöpfe betätigt.
[20]
Auch
der aus Dänemark stammenden Künstlerin Katya Sander
geht es um die Konstruktion des Raumes, auch in ihren
Filminstallationen tauchen Hinweise auf soziale Bewegungen
auf. Eine in der globalisierungskritischen Bewegung
der letzten Jahre immer wieder diskutierte und nie erschöpfend
zu beantwortende Frage ist titelgebend für eine Videoinstallation
Sanders: "What is Capitalism?" (2003). Darin
spielt die mit Mikrofon ausgestattete Künstlerin selber
die Befragerin in einer Umfrage, checkt Kameraeinstellung
und Technik und stellt die Titelfrage an PassantInnen.
Das geschieht in einem Ambiente, das nach Hitchcocks
Antwort auf die Frage "Wie vermeide ich ein Cliché?"
arrangiert zu sein scheint: Wie Cary Grant in "Der
unsichtbare Dritte" nicht an einer dunklen Straßenecke
im Regen auf seine Verfolger wartet, sondern zwischen
sonnenüberfluteten Feldern, die weitläufiger nicht sein
könnten, steht auch Katya Sander in einer Brachlandschaft
statt in der Fußgängerzone. Die räumliche Ordnung, in
der Installation durch Spiegel rechts und links der
Leinwand in den Betrachterraum verlängert, verlängert
auch die End- und Aussichtslosigkeit der ökonomischen
Verhältnisse, nach denen gefragt wird.[21]
Zwar haben alle etwas zu sagen, auch wenn manche sich
über die Frage wundern. Gerade diese Vielstimmigkeit
aber verweist weder darauf, dass verstanden wird, wonach
gefragt ist, geschweige denn darauf, dass an Alternativen
gedacht würde. Um beides bemühen sich in der Regel soziale
Bewegungen, beides wird zumindest in ihnen verhandelt.
Diese radikalen (Selbst-)Ansprüche sozialer Bewegungen
beispielsweise in Form des Dutschke-Imperativs, den
Kapitalismus verstehen zu müssen, um ihn bekämpfen zu
können, werden in Sanders Arbeit als gnadenlos uneinholbar
ausgewiesen. Zugleich wird die gegenwärtige kulturelle
Verortung sozialer Bewegungen durch eine einfache Gegenfrage
lokalisiert: Nur durch die Titelfrage motiviert, fragt
eine Passantin zurück: "Bist Du Sozialistin, oder
was?" Allein die Frage nach dem Kapitalismus scheint
die/den Fragenden ins Abseits zu stellen, wo sich der
Sozialismus (in welcher Form auch immer) heute sozial-
wie ideengeschichtlich befindet.
Möglicherweise
eine Sozialistin, auf jeden Fall aber eine Aktivistin
streift durch eine andere Videoinstallation Sanders.
In "Exterior City" (2005) ist eine junge Frau
unterwegs durch verschiedene soziale Wohnanlagen, ausgerüstet
mit Klebeband und einer Plakatrolle und damit beschäftigt,
hier und da ihre Aushänge an Wände und Türen anzubringen.
Über den Inhalt der Plakate ist nicht mehr zu erfahren
als ihr appellativer Charakter ("Liebe MitbürgerInnen",
"Liebe MitstreiterInnen", etc.). Die Kulisse
erweist sich als eine Mischung aus sozialdemokratischer
Architektur in Wien und in Malmö, die abwechselnd und
durcheinander den Hintergrund für das recht einsame
Treiben der Aktivistin bietet. Erwin Panofskys Frage,
wie sich eine bestimmte Gedankenwelt in Architektur
übersetzt, wird hier nur mehr als unwirklich wirkende
soziale und räumliche Realität vorgeführt. Dabei ist
aber die klassisch wohlfahrtstaatliche Herrichtung des
öffentlichen Raumes nicht das eigentliche Thema der
Projektion, auch wenn sie architektonischer Background
und potenzielle Folge des Aktivismus zugleich ist. Vielmehr
geht es um die quasi handgemachte Herstellung von Öffentlichkeit.
Was der Film vorführt, ist die einfache Feststellung,
dass Öffentlichkeit nie einfach so existiert, sondern
konstruiert werden muss. Während die Ergebnisse vergangener
Stadtplanung im Hintergrund für die verfestigte, institutionelle
Seite dieser Feststellung stehen, richtet sich der Fokus
auf die Aktivistin und damit "auf das tatsächliche
Organisationsprozedere".[22]
Wenn eine der Stimmen aus dem Off in "Exterior
City" anregt, auffordert oder vorschlägt "Imagine
the city as a screen", wird auch der Doppelcharakter
der künstlerischen Arbeit deutlich. Sie analysiert die
Bedingungen, unter denen Öffentlichkeit hergestellt
werden kann, und ist als Werk zugleich in die Prozesse
der Konstruktion verstrickt.
Gräben
Die
werkimmanente Analyse ist wichtig, um die Spuren aufzufinden,
die soziale Bewegungen in der Kunst hinterlassen, die
wiederum als Spuren gelegt und als Einsätze im Kampf
um kulturelle Hegemonie gesetzt werden könnten. Es geht
darum, Veranschaulichungen bis zum Imperativ aufzugreifen,
die auf die Bruchstellen des Feldes verweisen und diese
mit produzieren und bestimmte Impulse verlängern können
(ins "Leben", in andere Felder). Etwa indem
sie, wie Sabeth Buchmann anhand der Methoden Dorit Margreiters
verdeutlicht, aufzeigen, "dass die Räume innerhalb
der 'gesellschaftlichen Fabrik' (…) auch anders bewohnt
werden können."[23]
Oder, wie Astrid Wege über Katya Sander schreibt, indem
sie Modelle entwickeln, "die die Welt nicht implizit
so anerkennen, wie sie derzeit scheint."[24]
Der
zapatistische Aufstand hat – in einer für globale soziale
Bewegungen folgenreichen Art und Weise – die Frage nach
der Besetzung von Räumen mit dem neu entwickelten (und
gelebten) Autonomie-Konzept ebenso aktualisiert wie
er die Herstellung von Öffentlichkeit über neue Praxen
der Mediennutzung thematisiert hat. Einige der damit
angestoßenen Reflexionen haben sich auch konkret in
der zeitgenössischen Kunstproduktion niedergeschlagen.[25]
Andere sind vermittelt eingegangen und trafen dort,
wie in den besprochenen Beispielen, auf Entwicklungen
innerhalb des künstlerischen Feldes. Modell (aber nicht
Voraussetzung) für gegenseitige Effekte dieser Art
bleibt in gewisser Weise die immer wieder aufgetauchte
Utopie einer Versöhnung "von politischer Avantgarde
und Avantgardismus in Sachen Kunst und Lebenskunst
durch eine Art gleichzeitig sozialer, sexueller und
künstlerischer Globalrevolution"[26],
die es in verschiedenen historischen Phasen und angesichts
unterschiedlichster Bewegungszyklen gab. Gescheitert
ist sie nach Bourdieu auch gar nicht unbedingt und in
erster Linie an den äußeren Bedingungen, sondern, trotz
aller Homologie der Felder, an dem "strukturell
bedingten Graben zwischen politischen und künstlerischem
Feld und damit dem Unterschied, ja Widerspruch zwischen
ästhetischem Raffinement und politischer Progressivität".[27]
Als Brückenschläge über diese Art von Gräben sind auch
die Lektüren der oben besprochenen Werke zu verstehen.
Und als kleine Grabenkämpfe im Stellungskrieg.
[1] Homes, Brian 2003: Liar's Poker. Repräsentation der Politik und Politik der Repräsentation, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst. Wien, Band IX, Heft 1/03, S.18-23, hier S.19.
[2] Bourdieu, Pierre 2001: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt am Main (Suhrkamp Verlag), S.385.
[3] Ulf Wuggenig stellt anhand eines empirischen Vergleiches zwischen Top 100-KünstlerInnen-Ranglisten von 1970 und 2001 fest, dass der Anteil von KünstlerInnen, die nicht aus Westeuropa oder Nordamerika stammen, 2001 lediglich bei 10% (gegenüber 8% 1970) lag und spricht daher von einem "Mythos der Globalisierung des Kunstfeldes", Wuggenig, Ulf 2003: Das Empire, der Nordwesten und der Rest der Welt. Die 'internationale zeitgenössische Kunst' im Zeitalter der Globalisierung. In: Raunig. Gerald (Hg.): Transversal. Kunst und Globalisierungskritik, Wien (Verlag Turia + Kant), S.53-67, hier S.62.
[4] Holmes, Brian 2003, S. 18.
[5] Bourdieu 2001, S. 371ff.
[6] "Mueve te!" ist der Titel eines Films über eine der vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen der zapatistischen Bewegung, die zugleich als Mobilisierungen konzipiert sind, in diesem Fall über die nationale Befragung (Consulta) bezüglich Zustimmung zu den zapatistischen Forderungen 1999.
[7] Nach Möglichkeiten einer umfassenden Abbildbarkeit von Globalisierungsprozessen fragt beispielsweise Höller, Christian 2003: Imag(in)ing Globalization. Oder: Wie lässt sich etwas fassbar machen, wofür widersprüchlichste Bilder existieren? In: Raunig, Gerald (Hg.): Transversal. Kunst und Globalisierungskritik, Wien (Verlag Turia + Kant), S. 79-87.
[8] Vgl. Foltin, Robert 2004: Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich, Wien (edition grundrisse), S.61f.
[9] Während aus dem künstlerischen Feld heraus häufig auf soziale Bewegungen Bezug genommen wird, geschieht dies in umgekehrter Richtung äußerst selten. Zwar sind hier und da Praktiken aus dem Bereich der Kunst in die Symbole und Rituale von Bewegungen eingegangen, von einer gründlichen Kenntnisnahme oder gar systematischer Rezeption zeitgenössischer Kunst in sozialen Bewegungen kann jedoch keine Rede sein. Das ist wohl nicht zuletzt der elitären Konstitution des Feldes zu verdanken, das nicht nur zu neunzig Prozent von WesteuropäerInnen und NordamerikanerInnen, sondern zudem auch noch hauptsächlich von AkademikerInnen besetzt ist: "Der Anteil der Akademiker und Studierenden unter den Kunstmuseumsbesuchern liegt bei 75-85%", Gerhards, Jürgen 1997: Soziologie der Kunst: Einführende Bemerkungen. In: ders. (Hg.): Soziologie der Kunst. Produzenten, Vermittler und Rezipienten, Opladen (Westdeutscher Verlag), S.7-21, hier S.18. In der Wissenschaft wird dieses Bild bestätigt und perpetuiert: Während es in der Fachliteratur der Kunst über die Besprechung von Ausstellungen oder einzelner Werke verschiedenste Verweise auf soziale Bewegungen gibt, kommt die zeitgenössische Kunst in der soziologischen Bewegungsforschung so gut wie nicht vor.
[10] Fraser, Andrea 2002: "Zitieren", sagen die Kabylen, "ist Wiederbeleben". Pierre Bourdieu, in: Texte zur Kunst, Berlin, Heft 46, 12. Jg., S.86-91, hier S.90.
[11] Debord, Guy 1995a: Theorie des Umherschweifens, in: Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten, Hamburg (Edition Nautilus), S.64-67, hier S.64.
[12] Der Begriff der Psychogeographie geht angeblich auf einen "des Lesens und Schreibens unkundigen Kabylen" zurück. Bezeichnet ist damit "die Erforschung der genauen Gesetze und exakten Wirkungen des geographischen Milieus (…), das, bewusst eingerichtet oder nicht, direkt auf das emotionale Verhalten des Individuums einwirkt." Debord, Guy 1995b: Einführung in die Kritik der städtischen Geographie, in: Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten, Hamburg (Edition Nautilus), S.17-20, hier S.17.
[13] Montgomery, Harper 2002: Francis Alÿs' Modern Procession, In: Museum of Modern Art (Hg.): Projects 76. Francis Alÿs, New York.
[14] Storr, Robert 2003: Seltsamer Attraktor, in: Parkett, Nr.69, Zürich 2003, S.52-56, hier S. 52.
[15] Horizontalität und Vertikalität verbinden sich "nämlich in der Gestalt des Bodens und der Person, und der Person, die zu Fuss oder gegebenenfalls auf Händen und Knien über diesen Boden geht", Storr 2003, S.52. Überhaupt scheint der Situationisten-Hype der letzten Jahre nur unter der Bedingung stattgefunden zu haben, ihren Marxismus zugunsten einer Betonung der spontaneistischen Geste wegzukürzen.
[16] Hastings-King, Stephen 1999: Über den Durchgang einiger Personen durch eine ziemlich kurze Zeiteinheit: Die Situationistische Internationale, Socialisme ou Barbarie und die Krise des marxistischen Imaginären, in: Ohrt, Roberto (Hg.): Das große Spiel. Die Situationisten zwischen Politik und Kunst, Hamburg (Edition Nautilus), S.61-110, hier S.87.
[17] Bourdieu, Pierre 1997: Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung, in: Gerhards, Jürgen (Hg.): Soziologie der Kunst: Produzenten, Vermittler und Rezipienten, Opladen (Westdeutscher Verlag), S.307-336, hier S.313.
[18] Sabeth Buchmann weist darauf hin, das in nahezu allen Arbeiten Margreiters ein Feminismus mitverhandelt wird und "zugleich Bestandteil und Horizont einer kritischen Reflexion" gesellschaftlicher Konstellationen ist. Buchmann, Sabeth 2004: Augen auf die Welt, in: Michalka, Matthias und Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig /Wien (Hg.): Dorit Margreiter. 10104 Angelo View Drive, Wien/Köln (Mumok/Verlag der Buchhandlung Walther König), S.19-35, hier S.23.
[19] "Dokumentalität beschreibt die Durchdringung einer dokumentarischen Wahrheitspolitik mit übergeordneten politischen, sozialen und epistemologischen Formationen", Steyerl, Hito 2003: Politik der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Wien, Band IX, Heft 3/03, S.18-21, hier S.20.
[20] Der auf eine frei hängende Leinwand projizierte 16mm-Film wird in der Ausstellung im Wiener Museum für Moderne Kunst (19.November 2004 bis 16.Januar 2005) ergänzt durch einen Nachbau des im Film gezeigten Fernsehers. Als einziges Inventar neben zwei Stellwänden und der Leinwand steht er dieser schräg gegenüber. Auf seinem Bildschirm läuft der Abspann von Margreiters Film, den die große Leinwand nicht zeigt. Die wirklich Beteiligten am Film sind somit quasi ausgelagert und auf das angemessener erscheinende TV-Format beschränkt. Erst die Ausstellungssituation verweist also auf die Produktionsbedingungen, zeigt aber gleich wieder die Grenzen ihrer Darstellbarkeit auf, indem sie sie auf die Mattscheibe der Kopie des gefilmten Fernsehers verbannt. Das alles geschieht ganz ruhig und in zuweilen quälender Unbeweglichkeit der Kameraführung, und bevor man sich fragen kann, was dem eigenen Blick da eigentlich zu Teil geworden ist und welchen Regimes das Gesehene unterliegt, ist es Nacht über LA.
[21] Ich würde dabei allerdings nicht so weit gehen wie der Kurator der Ausstellung, Matthias Michalka, der meint, dass die Orientierungslosigkeit sich durch die Spiegel "unmittelbar" auf die/den BetrachterIn "überträgt". Ich denke, die/der BetrachterIn weiß sehr wohl noch, dass er/sie im Museum ist und wie viel der Eintritt gekostet hat, und dass er/sie sich ihn hat leisten können, auch wenn die ökonomischen Verhältnisse prekär und ausweglos geworden sind. Auf diese Differenz muss bestanden werden. Michalka, Matthias 2005: Vorwort, in: Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig (Hg.): Katya Sander – All Complcated Mashines Are Made of Words, Wien (Mumok), S.7-10, hier S.8.
[22] Höller, Christian 2005: Vox Pop Art. Zur künstlerischen Repräsentation der "Stimme des Volkes”, in: Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig (Hg.): Katya Sander – All Complcated Mashines Are Made of Words, Wien (Mumok), S.27-42, hier S.37.
[23] Buchmann 2004, S.33.
[24] Wege, Astrid 2005: On Stage. Einige Anmerkungen zu Katya Sander, in: Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig (Hg.): Katya Sander – All Complcated Mashines Are Made of Words, Wien (Mumok), S.99-111, hier S.109.
[25] Einige sind erwähnt in: Kastner, Jens 2005: "¡Vivan las Americas!" Neozapatismus und Popkultur, in: Testcard. Beiträge zur Popgeschichte, Mainz, Heft 14, Frühjahr 2005, S.62-67.
[26] Bourdieu 2001, S.398f. Avantgarde ist dabei auch – und wohl gerade – nach Bourdieu (ebd.) ein Begriff, der "wesentlich relational und nur auf der Ebene eines zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Zustands des Feldes definierbar ist". Die Zapatistas grenzen sich gerade im Hinblick auf marxistisch-leninistische Guerilla-Konzepte von der Bezeichnung Avantgarde ab.
[27] Bourdieu 2001, S.399.