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10 2006

Memoiren einer Video-Aktivistin

Joanne Richardson

Übersetzt von Therese Kaufmann

Ich verließ Bucharest im Alter von neun Jahren. Meine Eltern waren politische Flüchtlinge. Wir erhielten politisches Asyl in Österreich und übersiedelten später nach New York. Ich wuchs in armen Verhältnissen, aber in dem Sinne privilegiert auf, dass ich eine der besten Universitäten Amerikas besuchte, die sozialen Fabriken marxistischer Intellektueller. Ich schmiss mein Doktorat, verließ die USA und kehrte nach Rumänien zurück, um Videoaktivistin zu werden. Mehrere Jahre lang ernährte ich mich von dem gleichen Kanon und den gleichen Verhaltensregeln wie die meisten westlichen MedienaktivistInnen. Aber diese waren mir immer fremd erschienen, als ob ich sie außerhalb ihres Rahmens sähe und in einer fremden Sprache hörte, die ich nur teilweise verstehe.

Der Videoaktivismus der letzten Zeit hat seine Wurzeln in den alternativen Medienbewegungen der 1960er und 1970er Jahre. Es gab zwar seit dem 19. Jahrhundert eine oppositionelle Presse mit alternativem Inhalt, doch diese privilegierte die Intellektuellen als ExpertInnen und stützte strukturelle Wissenshierarchien. Was viele der sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre davon unterschied, war das Bedürfnis, sozialen Wandel nicht durch anders lautende Ideen, sondern durch den Produktionsprozess selbst zu erzeugen, indem BetrachterInnen in ProduzentInnen verwandelt wurden und die Unterscheidung zwischen Kultur schaffenden ExpertInnen und deren passiven KonsumentInnen aufgehoben wurde. Seit damals ist es das höchste Ziel des Videoaktivismus, Nicht-ExpertInnen zu ermutigen, an der Produktion teil zu nehmen. Formale oder stilistische Veränderungen wurden als weniger wichtig und weniger radikal abgetan. Diese Idee leitet auch heute noch den Videoaktivismus – was sich geändert hat, ist die starke Zunahme von aktivistischen Videos durch billige technische Ausstattung und das Internet.

Manchmal wird der Videoaktivismus dafür kritisiert, repetitiv und stilistisch konventionell zu sein, sowie unendlich viele gleich aussehende und in einander verschwimmende Bildstrecken von Demonstrationen zu produzieren. Die Suche nach dem unmittelbaren und unvermittelten “Dokument” bringt oft mit sich, dass Fragen nach Form, Stil, Montage und Publikum ausgeklammert werden. Das andere Extrem des Spektrums, das eher charakteristisch ist für VideokünstlerInnen, die zu AktivistInnen geworden sind, zeigt eine Rückkehr zum schwerfälligen film d’auteur, der seine Subjekte in vorformulierte Theorien zwingt. Als Ursula Biemann einige Aufnahmen aus den gerade laufenden Arbeiten an einem Video über den Bau einer Öl-Pipeline in der Kaspischen Region präsentierte, gab sie zu, es „irritierend“ zu finden, dass die entlang der Pipeline lebenden Bauern nur allzu gern das Geld für ihr Land nahmen und nicht an Widerstand dachten. Die Realität entsprach nicht ganz der Geschichte, die sie erzählen wollte. Dies ist kein Einzelbeispiel – viele aktivistische KünstlerInnen lassen zu, dass ihre eigene Stimme (oder noch mehr von hippen TheoretikerInnen übernommene Ideen) die Bilder überwältigen. Während die erste Form des Videoaktivismus gefährdet ist, jener Naivität der reinen Transparenz, die das Direct Cinema kennzeichnete, anheim zu fallen, wiederholt die zweite Form manchmal die schlimmsten aus der Geschichte bekannten Aspekte von Militanz.

Die SituationistInnen kritisierten die Militanten einst dafür, ihre Sehnsüchte und kreativen Energien der harten, von Routine und Wiederholung geprägten Arbeit unterzuordnen: Flugzettel drucken und verteilen, plakatieren, Demos vorbereiten, an Meetings teilnehmen, endlose Diskussionen über Organisationsprotokolle führen. Doch was in ihrer Darstellung nicht untersucht wurde, war der militaristische Ursprung der Militanz und seine Konsequenzen. Angetrieben von einem höchsten Anliegen und einer entschiedenen Vision von Totalität, ordnen die Militanten ihre unmittelbaren Bedürfnisse einer überwältigenden Passion für eine Sache unter, für die alles andere aufgegeben wird. Sie glauben sich selbst mitten in einem Krieg, einem Ausnahmezustand, der außerordentliches Verhalten und zeitweise Opfer fordert. Militante kämpfen nicht in ihrem eigenen Namen; sie stellen ihr Leben in den Dienst welcher sozialen Kategorien auch immer, die sie für die am meisten unterdrückten halten. Oder, genauer, stellen sie ihr Leben in den Dienst ihrer Vorstellungen über die Bedürfnisse anderer, von denen sie annehmen, diese könnten nicht für sich selbst sprechen. Dieses indirekte AvantgardistInnentum unterstützt die Rolle der Intellektuellen und zieht die richtige Theorie der Realität vor, , vor allem dann, wenn diese ihr zu widersprechen scheint.

Es gibt viele Aspekte der Militanz, die mir immer unangenehm waren – ihr KämpferInnentum, ihre Konfrontationshaltung, ihre Verordnung der Revolution als Theater eines politischen Machismo. Als ich nach Rumänien zurückkehrte, sah ich das grundsätzliche Misstrauen gegenüber militanter Politik als eine Möglichkeit, diese problematische Tradition zurückzulassen und neu zu beginnen. Ich schrieb einmal enthusiastisch über ein neues Paradigma der Zusammenarbeit in der Gruppe, das in den frühen 90er Jahren in Osteuropa auftauchte – eine bewusste Alternative zu Manifestproduktion und kompromisslosen Proklamationen, die nicht nur die linke Militanz, sondern auch die Geschichte der Avantgarde bestimmten. Nach 17 Jahren hat sich die Skepsis gegenüber Militanz zur pauschalen Denunzierung linker Politik gewandelt und zur Entschuldigung für Passivität und Resignation. Jede Kritik des globalen Kapitalismus löst heute sofortige Hysterie in den Medien und unter prominenten Intellektuellen aus, für die es nur zwei Alternativen gibt: auf der einen Seite den Kapitalismus und alles andere ist Stalinismus. Konzepte wie das Gemeinsame, Kollektive, Öffentliche und sogar der Aktivismus selbst werden aufgrund ihrer in Misskredit geratenen kommunistischen Vergangenheit abgelehnt. Wenn Aktivismus verfemt ist und nicht einmal gedacht werden kann, wird damit implizit das Gegenteil legitimiert. Passivität wird zu unserer Alltagsrealität.

Gemeinsam mit einigen FreundInnen gründete ich 2003 in Cluj D Media (http://www.dmedia.ro). Wir versuchten, einen Kontext für einen in Rumänien damals nicht existierenden Basisaktivismus zu schaffen und ausgehend von partizipativen Medien die Praxis der Selbstorganisation übertragbarer zu machen. Unser erstes Videoprojekt war Real Fictions, eine Serie experimenteller Videos, die in Zusammenarbeit mit interessierten Leuten aus Cluj, die im Alter von 15 bis 20 Jahren waren, produziert wurden. Der unmittelbare Kontext für Real Fictions war die allgemeine Apathie unter Jugendlichen in Bezug auf politische Partizipation und der Mangel an Erfahrung mit Selbstorganisation, was oft dazu führt, dass die Leute einfach hinnehmen, keine Macht zu haben etwas zu verändern und sich starken Führerfiguren zuwenden, die Rettung versprechen. Die rechtsextreme Partei PRM[1] hat diese Situation gut ausgenützt, mit Abgeordneten im Parlament und einem Präsidentschaftskandidaten, der im Jahr 2000 mehr als 30% der Stimmen bekam. Die größte Gruppe der AnhängerInnen war unter 25. Die beiden Videos, an denen ich arbeitete, befassten sich unmittelbar mit dem Aufstieg der extremen Rechten in Rumänien, von politischen Parteien wie der PRM bis zu kleinen neofaschistischen Gruppen, die sich für eine „Endlösung“ der Probleme mit der Roma-Bevölkerung und eine neuerliche Kriminalisierung von Homosexualität stark machen. Folklore, die längere und eher dokumentarische der beiden Arbeiten, setzt sich mit den Ängsten und Frustrationen auseinander, die einen Großteil der Bevölkerung von Cluj dreimal hintereinander Gheorghe Funar - extremer Nationalist und Mitglied der PRM - zum Bürgermeister wählen ließ. Das zweite Video, Paint Romanian, ist eine rhythmische Montage mit Musik, zusammengefügt aus hunderten von Fotografien von Trikolore-Objekten, die Cluj’s nationalistische Besessenheit während Funars Amtsperioden reflektieren. Zwei weitere Videos, Behind the Scene und Open, zeigen die Unzulänglichkeit von Institutionen für zeitgenössische Kunst in Rumänien und die Bedeutung von artist-run Kunsträumen sowie der Free/Open Source Software-Bewegung nicht nur als Form der Softwareproduktion, sondern als kulturelles Paradigma mit wesentlichen politischen und wirtschaftlichen Implikationen.

Real Fictions versuchte, die Unterscheidung zwischen ExpertInnen und Publikum aufzulösen, indem lokale Jugendliche in den Prozess der Videoproduktion involviert wurden. Doch ungeachtet unserer Intention, mit diesen als gleichberechtigte PartnerInnen zusammen zu arbeiten, betrachteten diese uns immer noch als die für Entscheidungsfindungen verantwortlichen ExpertInnen. Viele wollten ganz einfach reisen und einige Fertigkeiten erlernen, ohne sich näher auf den gesamten Prozess einzulassen, an Meetings teilzunehmen und eine Menge Zeit in Recherchearbeiten oder für die Montage zu investieren. Aber warum war die Idee der Selbstorganisierung nicht leichter zu vermitteln? Wir neigen dazu, Selbstorganisation als ein Zeichen von Freiheit zu idealisieren, als Raum, um unsere Rechte und grenzenlosen Möglichkeiten zu erproben. Doch in der Realität bedeutet diese Freiheit nicht nur das Vergnügen der Entdeckung unserer Kreativität, sondern auch eine große Last von Verantwortung und harter Arbeit.

Ausschließlich auf den Produktionsprozess konzentriert, befasste sich Real Fictions zu wenig mit den fertigen Arbeiten und deren Verbreitung. Rückblickend scheint der Einfluss auf den Alltag der Leute, die mit uns arbeiteten, sehr gering gewesen zu sein im Vergleich zu dem Effekt, den die Videos hätten haben können, wenn wir sie für ein großes Publikum gedacht hätten. Diese Schlussfolgerung ist von der spezifischen Situation in Rumänien bestimmt. Befreundete AktivistInnen aus Italien fragten mich einmal nach den sozialen Bewegungen in Rumänien und ich musste zugeben, dass diese tatsächlich nicht existierten, zumindest nicht in der Art, die sie meinten. In Italien verfügen Bewegungen wie Telestreet oder Indymedia über ein Unterstützungsnetzwerk durch die centri sociali und Hunderttausende von Menschen, die mitmachen. Wenn man in Rumänien mit jeweils einer Handvoll von Leuten versucht, ein Do-it-yourself-Ethos voranzutreiben, fehlt dieser bereits bestehende Kontext. Und das wirkliche Problem scheint woanders zu liegen: Im hegemonialen Diskurs erreichen unterdrückte Themen überhaupt nie das öffentliche Bewusstsein. Statt Videos für eine kleines Kunstfeld oder ein paar Undergroundclubs zu machen, scheint es sinnvoller, die Öffentlichkeiten von Mainstreammedien dazu zu bewegen, ihre Sicht der Welt in Frage zu stellen.

Unser zweites Videoprojekt, Made in Italy (2005-2006), war eine Kooperation mit Candida TV (http://candida.thing.net), ein AktivistInnenkollektiv aus Rom. In den Videos geht es vor allem um die Absiedlung italienischer Firmen nach Rumänien und die Arbeitsmigration von Rumänien nach Italien. Derzeit sind 16.000 italienische Firmen in Rumänien niedergelassen und manche Städte wurden buchstäblich in kleine Italiens verwandelt. Die Realität ausländischer Investitionen unterschied sich sehr von den ursprünglichen Versprechen: Arbeitsgesetzte wurden nicht befolgt, die Arbeitsbedingungen waren schlecht, die Gewerkschaften nicht vorhanden und viele Firmen wechselten, sobald die Löhne zu steigen begannen, die Standorte noch weiter Richtung Osten und ließen die ArbeiterInnen von einem Tag auf den anderen ohne Job zurück. Viele Menschen entschieden sich dafür, lieber im Ausland zu arbeiten, als sich der Konkurrenz für ein Monatsgehalt von 70,- Euro auszusetzen. Ab dem Jahr 2000 wurde Italien zur Hauptdestination für die rumänischen MigrantInnen, deren Zahl auf einiges über zwei Millionen geschätzt werden. Wir dachten, dass es wichtig sei, diese Verbindung hervor zu streichen, da im öffentlichen Diskurs in Rumänien ausländisches Investment unkritisch als Wundermittel zur Rettung des Landes abgefeiert wird. Dies trifft heute, mit der Euphorie über den Beitritt zur EU, der zu noch mehr ausländischem Investment und Privatisierungen führen wird, noch viel stärker zu.

Die Videos von Made in Italy versuchen eine Gegenerzählung zur dominierenden Geschichte vorzustellen, allerdings nicht als Erzählung einer einheitlichen Aussage. Sie zeigen das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven – BesitzerInnen italienischer Fabriken, VertreterInnen italienischer Kulturinstitutionen, KünstlerInnen, ArbeiterInnen, TaxifahrerInnen, StudentInnen, GewerkschaftsführerInnen, MigrantInnen. Auch die verschiedenen „AutorInnen“ von D Media und Candida TV, die die Erzählungen zusammenfügten, haben sehr unterschiedliche Blickwinkel, verschiedene filmische Stile und differente Vorstellungen von Montage, die alle einen einzelnen Standpunkt verunmöglichten. Aufgrund dessen zeigen die Arbeiten nicht eine Geschichte, die auf dem verknüpfenden Prinzip der Addition aufbaut (verschiedene Stimmen, die sich zu einer Totalität summieren), sondern eine Erzählung, die sich durch Widersprüche und Disjunktionen entfaltet und um so komplizierter wird, je weiter sie voranschreitet. Die BetrachterInnen müssen die Fragmente zusammenfügen und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Im Vergleich zum vorhergehenden Projekt nahmen wir Made in Italy als echte Kooperation zwischen gleichberechtigten Partnern wahr. Dies bedeutete in der Realität auch, dass der Prozess oft schwierig war, da es Meinungsverschiedenheiten gab über unterschiedliche Ideen und Stile und ein Konsens gefunden werden musste. Doch schlussendlich ist der interessanteste Teil jedes Kooperationsprozesses, dass die daran Teilnehmenden sich verändern; wir alle geben ein wenig von unseren Dogmatismen auf, wenn wir die Dinge aus der Perspektive anderer sehen, lernen etwas über unsere eigenen Grenzen und Vorurteile, sehen, wie unsere Ideen sich durch den Akt der Auseinandersetzung verbessern, und machen letztendlich bessere Arbeit als jedeR als einzelnes Individuum.

Wenn man das oberste Prinzip des Videoaktivismus nimmt, so hat das Vorhaben, jene, die gewöhnlich BetrachterInnen sind, in die Herstellung eines Videos zu integrieren, die Tendenz, sich vor allem auf den Produktionsprozess anstatt auf das Werk zu konzentrieren. Die Bedeutung des Zeigens von Perspektiven und Stimmen, die sonst nicht gehört werden, soll hier nicht heruntergespielt werden. Doch was oft im Videoaktivismus verloren geht, ist die ästhetische Dimension. In aktivistischen Zirkeln spricht niemand über das Kunstwerk oder über Ästhetik, da diese Diskussionen als elitistisch abgetan werden. Der Begriff der „Kunst“ ist in jedem anderen als einem situationistischen Sinn –der Freisetzung der kreativen Energien, die alle besitzen, aber durch die Routine und Fadesse des Alltags unterdrückt wurden – zu einer Peinlichkeit geworden. Kunst ist aber auch etwas anderes. Sie ist ein Akt der Kommunikation und anders als andere Formen von Kommunikation (ein politisches Manifest, philosophischer Essay oder eine Nachrichtensendung) kommuniziert sie Eigenschaften und Affekte, die über konzeptuelle Entwürfe hinausgehen. Kunst hat die Kraft, nicht durch Auseinandersetzung, eindeutige Information oder agitatorische Propaganda herauszufordern, sondern durch etwas Anderes, das wir noch immer nicht wirklich definieren können. Sie bringt die Leute dazu, anders zu denken und wahrzunehmen, eher Fragen zu stellen, als eine fertige Antwort zu akzeptieren.

Godard machte, als er der Dziga Vertov-Gruppe angehörte, einige sehr arrogante Filme über maoistische Propaganda. Pravda, ein Film über die Ereignisse in Prag 1968 ist vom Motiv ideologischer Korrektheit durchzogen: Es wird uns gesagt, die StudentInnen mit der schwarzen Flagge „würden nicht richtig denken“ und die Filmregisseurin Vera Chytilova würde nicht “richtig sprechen“. Die Idee hinter den Dziga-Vertov-Filmen ist, dass die Bilder immer falsch sind und durch den „richtigen Ton“ in Frage gestellt werden müssten. Das letzte Projekt der Dziga-Vertov-Gruppe ist der unvollendete Film Bis zum Sieg, der 1970 gedreht wurde, als sich die PLO auf eine Revolution vorbereitete. Die Dziga-Vertov-Gruppe löste sich auf und Godard verwendete die Aufnahmen für Bis zum Sieg später, um zusammen mit Anne-Marie Mieville den Film Ici et Ailleurs zu machen. Die Off-Stimme sagt, das Problem mit Bis zum Sieg sei gewesen, dass der Ton zu laut gedreht gewesen sei, so laut, „dass er fast die Stimme erstickte, die er aus dem Bild herausholen sollte“. Der Film untersucht nicht nur Bis zum Sieg, sondern generell militantes Filmemachen. Ici et Ailleurs ist ein aus Fragen bestehender Film. Vor einigen Jahren gingen wir nach Palästina, sagt Godard. Um einen Film über die kommende Revolution zu machen. Aber wer ist dieses Wir? Warum gingen wir dorthin, anderswohin? Und warum begegnen sich Hier und Anderswo niemals wirklich? Die Off-Stimme gibt zu, „Wieder in Frankreich weißt du nicht, was du mit dem Film anfangen sollst. (...) Die Widersprüche explodieren, du selbst inbegriffen.“ Ici et Ailleurs ist eine Reflexion darüber, wie revolutionäre Militanz als politisches Theater aufgeführt wird: seine propagandistischen Gesten und Reden, sein Verdecken von Brüchen, um eine einzelne Stimme der im Kampf Geeinten zu repräsentieren. Der Film fragt auch nach der Komplizität aktivistischer FilmemacherInnen, die Ton und Bilder in einer bestimmten Weise organisieren, um die „richtige“ politische Linie zu organisieren und kritisches Denken zu verhindern. In einer von der Politik der Mitteilung dominierten Zeit sucht Ici et Ailleurs nach einer Politik der Frage.

Godard unterschied dazwischen, einen politischen Film zu machen (einen Film über Politik) und Film politisch zu machen. Film politisch zu machen, bedeutet zu untersuchen, wie Bilder ihre Bedeutung finden, und die Regeln des Spiels zu durchbrechen, sei dieses Spiel Hollywood-Mystifikation oder militärische Propaganda. Es bedeutet, die ZuschauerInnen dazu herauszufordern, politische Wesen zu werden, ihre eigene Position gegenüber der Macht zu reflektieren, Zweifel zu hegen und Fragen zu stellen. Im Gegensatz dazu ist viel von dem zeitgenössischen Videoaktivismus eigentlich Propaganda in der umgekehrten Richtung. Während sich der Inhalt von den Mainstreammedien unterscheidet, werden deren Form und Funktion oft beibehalten. Propaganda stellt ihre Position als natürlich und unausweichlich dar, ohne ihre Konstruktion zu reflektieren. Viele aktivistische Videos demonstrieren ihre Militanz eher durch emotionelle Slogans als durch Argumente, und ignorieren ihre eigenen inneren Widersprüche. Das Indymediavideo Rebel Colors, das die Demonstrationen im Jahr 2000 in Prag gegen den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank dokumentiert, zeigt die einseitige Perspektive der AktivistInnen aus den USA, aus Britannien, den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Italien, einschließlich der Mitglieder real existierender kommunistischer Parteien. Was man in dem Video nicht sieht, ist eine Reflexion über den tschechischen Kontext – viele Menschen vor Ort lehnten ab, was sie als Versuch der Inszenierung einer Revolution durch AusländerInnen sahen, die sich auf Slogans aus einer Ideologie beriefen, die die TschechInnen selbst als obsolet betrachteten. Da das Aufeinandertreffen dieser verschiedenen Perspektiven unterschlagen wird, kommt das Video genau so dogmatisch rüber wie Massenmedien, selbst wenn der Inhalt der umgekehrte ist.

Videoaktivismus wurde aus der Erkenntnis geboren, dass die Massenmedien von machvollen Eliten kontrolliert werden und obwohl sie für sich beanspruchen, dem demokratischen Interesse der Öffentlichkeit auf Information zu dienen, ihre wirklichen Interessen, Finanzquellen, hierarchischen Führungen und Entscheidungsprozesse alle hinter verschlossenen Türen verborgen sind. Es ist wichtig, etwas gegen diese Praktiken zu unternehmen, indem man die Perspektiven und alltäglichen Sehnsüchte normaler Leute und marginalisierter Gruppen mit einschließt, und die Produktionsprozesse so demokratisch, un-hierarchisch und transparent wie möglich macht. Aber es ist nicht genug, die Unterscheidungen zwischen Produktion und Rezeption und zwischen ExpertInnen und ZuschauerInnen aufzulösen. Es ist auch notwendig, danach zu fragen, wie Bilder und Ton organisiert werden, um Bedeutung zu schaffen. Schließlich bedeutet Videoaktivismus Video politisch zu machen – es abzulehnen, Plattitüden, vorgefertigte Antworten oder die „richtige“ politische Linie zu liefern. Es bedeutet, Videos in der Form von Fragen zu machen.

 
Copyleft 2006. Die Langversion dieses Texts ist auf Englisch zusammen mit den Videostills online auf http://subsol.c3.hu/subsol_2/contributors3/richardsontext3.html.



[1] Partidul România Mare, die Partei Großrumänien (A. d. Ü.)