02 2011
Ästhetisch-emanzipatorische Dispositive
Mehrere Fragen und ein paar Antworten zum Ausstellungsprojekt <i>Eine Arbeit, die das, was sie reflektiert, nicht loswird</i>
Seit einiger Zeit steht ein Aspekt zeitgenössischer Kunst hoch im Kurs theoretischer Erörterungen: die Kunst als Feld und Medium spezifischer Wissensproduktion. Vor allem im Zusammenhang mit der disziplinären Praxis, die der akademische Betrieb als „künstlerische Forschung“ bezeichnet, wird immer wieder – und vor allem von dieser Seite – gebetsmühlenartig auf die unablässige Notwendigkeit einer stabilen Verankerung der künstlerischen Wissensproduktion hingewiesen, die mit einer gesellschaftskritischen (Selbst-)Reflexion der Kunst und ihrer ProduzentInnen einhergehen muss. In der globalisierten Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts, so der Grundtenor, müsse die Kunst sich rechtzeitig positionieren, um die eigene gesellschaftliche Relevanz zu behaupten und auf längerer Sicht zu sichern. Die akademische Normierung einer künstlerischen Kritikalität wird mit diesen Argumenten nationalstaatlich gefördert und bildungspolitisch pragmatisiert (wie man früher in Österreich noch so schön sagen durfte). Doch kann eine solche von oben geförderte und durch akademische Curricula normierte Kritikalität jenseits eines selbtreferenziellen Rahmens tatsächlich wirksam sein? Zementiert sie nicht eher, entgegen allem gut Gemeinten, bestehende Hegemonien und (Distributions-)Ökonomien des Wissens? Und welche alternativen Strategien könnten einem immer dominanter werdenden Theorie- und Praxisdiskurs „künstlerischer Forschung“ entgegen gesetzt und als effektive ästhetisch-emanzipatorische Dispositive etabliert werden?
Eine doppelte Erinnerungsarbeit
Das Ausstellungsprojekt eine Arbeit die das, was sie reflektiert, nicht loswird[1], das im Winter / Frühjahr 2011 im Kunstpavillon der Tiroler Künstlerschaft in Innsbruck sowie in der Kunsthalle Exnergasse in Wien in unterschiedlichen Konfigurationen gezeigt wird, bietet sich in diesem Zusammenhang als stichhaltiges Diskussionsbeispiel an. Das Projekt präsentiert „Auseinandersetzungen über Kontinuitäten und Brüche kolonialer, faschistischer und nazistischer Praktiken in Österreich. […] Ausgehend von der Verwicklung Österreichs in koloniale Praktiken der Gegenwart und Vergangenheit sowie deren Querverbindungen zu imperialen und faschistischen Expansionspolitiken, versammelt die Ausstellung künstlerische Positionen, die eben diese Praktiken betrachten und ihnen widerständige Strategien entgegensetzen. Die mehrdimensionale Sichtweise auf miteinander verwobene Vergangenheiten soll dabei bestehende Gedächtniskonkurrenzen herausfordern und Handlungsräume für gegenwärtige Prozesse politischer und anti-rassistischer Selbstermächtigung eröffnen.“[2] Der Titel der Ausstellung zitiert die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt, die in den letzten Jahren eine detaillierte Analyse postkolonialer Erinnerungsprozesse in der postnationalsozialistischen Gesellschaft Deutschlands sowie deren Bedeutung im Umgang mit Rassismus und Antisemitismus geliefert hat. Eine Arbeit, die das, was sie reflektiert, nicht loswird, ist für Messerschmidt eine postnationalsozialistische und eine postkoloniale Erinnerungsarbeit, die Kontinuitäten und Brüche des Kolonialismus und Nationalsozialismus in der heutigen Gesellschaft vergegenwärtigt und die unabdingbar aus einer doppelten, voneinander unabhängigen Perspektive geleistet werden muss, wenn man der Gefahr gegenseitiger Verharmlosung entkommen möchte.[3] Diese doppelte Erinnerungsarbeit spiele eine konstitutive Rolle für das Verständnis der und im Umgang mit heutigen Rassismen und Antisemitismen in Europa, deren heutige AdressatInnen vorwiegend MigrantInnen sind. Diese Arbeit, die das was sie reflektiert, nicht loswird, erscheint von einer noch eminenteren Bedeutung in einer Gesellschaft, in der die Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit keineswegs abgeschlossen und die koloniale Vergangenheit trotz vorliegender Evidenzen weiterhin nicht anerkannt wird. Die OrganisatorInnen der Ausstellung, eine Gruppe von KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen, die laut Eigendefinition „durch eine gemeinsame Geschichte künstlerischer, theoretischer und aktivistischer, folglich auch politischer Auseinandersetzung miteinander in Verbindung stehen“, formulieren also das unmissverständlich als politisch zu verstehende gemeinsame Ziel, auf einem geopolitisch und kulturell vordefinierten Gebiet – in diesem Fall in Österreich – bisher unzureichend oder unzusammenhängend betrachtete, hegemonial unterdrückte Geschichtskonstruktionen, Wissensbestände und dazugehörige Kritiken zu vereinen und damit ein Bild zu entwerfen, das den Status Quo diesbezüglichen Wissens und des Umgangs damit zu erschüttern vermag. Hierfür versammelt die Ausstellung einerseits künstlerische und aktivistische Positionen, die sich auf manifester Weise mit aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängtem oder darin unterdrücktem Wissen befassen. Andererseits beabsichtigt sie, von diesen Beiträgen ausgehend relevante (Quer-?)Verbindungen zu zeitgenössischen Rassismen in Österreich herzustellen, um in kolonialistischem und nationalsozialistischem Denken begründete, aktuelle rassistische Ausschluss- und Unterdrückungsmechanismen auf nachvollziehbare Weise sicht- und erfahrbar zu machen.
Institutionsfragen
Ich möchte hier nicht im Detail auf die zahlreichen Arbeiten in der Ausstellung eingehen, obwohl eine Diskussion ihrer jeweiligen ästhetischen Strategien zweifelsfrei aufschlussreich wäre. Es soll hier lediglich festgehalten werden, dass die Ausstellung grob betrachtet bei drei großen Themenbereichen einsetzt, die immer wieder vielfach ineinandergreifen: Da ist zum einen die Geschichte der rassistischen Zu- und Einschreibungen migrantischer Subjekte und deren antirassistischer Emanzipationskampf. Zum anderen wird eine Bezeugung kolonialer und rassistischer Vergangenheit unternommen, die ihrerseits die postnationalsozialistische und die postkoloniale Gegenwart konditioniert. Und drittens wird diese Entwicklung im Kontext des globalen Kapitalismus betrachtet, der nun seinerseits alte Kolonialismen unter neuen Bedingungen erzeugt. Auf zahlreichen Monitoren, auf Plakaten und Wandarbeiten, in Archivformaten und einer kleinen Rauminstallation werden diesbezüglich Fragen aufgeworfen, Sachverhalte dokumentiert, Diskussionen geführt, Wissen zugänglich gemacht. Eine Frage drängt sich auf: Warum findet diese Ausstellung in einem Ausstellungsraum zeitgenössischer Kunst und nicht etwa in einem Museum statt? Die mögliche Antwort: Weil diese Ausstellung über keine wissenschaftliche Absicherung der eigenen Behauptungen und Sachverhalte verfügt. Und weil sie das vermutlich gar nicht leisten will. Eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst ist keine nach wissenschaftlichen Methoden konstruierte Beweisführung. Darin liegt ihre Chance, aber gleichermaßen auch ihre Crux. Denn dadurch läuft sie von vornherein Gefahr, vom hegemonialen Mainstream überhört oder allenfalls belächelt zu werden, obgleich ihre Fragestellungen von übergeordneter Relevanz sind. Fände sie im Kontext einer staatlichen Institution, vorzugsweise einer mit anerkannter historisierender Funktion statt, wäre ihre Rezeption gewiss eine andere. Nur: Ein solches Ausstellungskonzept könnte etwa in einem Museum gar nicht befriedigend umgesetzt werden. Denn eine solche Institution wird sich niemals bedingungslos auf die Umsetzung eines unabgeschlossenen, transitorischen, aber vor allem in sich widersprüchlichen, den eigenen Emanzipationsprozess widerspiegelnden Projekts einlassen. Was als Austragungsort übrig bleibt ist also der alternative, nicht kommerzielle Ausstellungsraum.
Veröffentlichungsstrategien einer
emanzipatorischen Praxis
Dass dieses durch die eigenen emanzipatorischen Handlungen akkumulierte Wissen im Kunstkontext seine „Veröffentlichung“ erfährt, hängt andererseits entscheidend mit der Qualitätskrise der Massenmedien zusammen, die schon länger nicht mehr in der Lage sind, einen derart gesellschaftskonstituierenden Diskurs über Rassismen und Migration entsprechend differenziert zu führen. Die Krise der Massenmedien ist mit einer der entscheidenden Gründe für die Entwicklung einer künstlerischen Praxis, die Alfredo Cramerotti als ästhetischen Journalismus[4] bezeichnet und die meines Erachtens auf die Ausstellung eine Arbeit die das, was sie reflektiert, nicht loswird mit ihren zahlreichen Videos, Plakaten, Archiven und Dokumenten voll zutrifft. Der steigende kommerzielle Druck auf die Medien im Zuge des sich rasant entwickelnden globalisierten Kapitalismus hat unter anderem dazu geführt, dass Nachrichten heute tendenziell in Entertainment-Formate verpackt werden, wodurch die klare Trennung zwischen Information und Meinung immer mehr verschwimmt, die auf Objektivität ausgerichtete, hintergründig fundierte Berichterstattung zugunsten einer auf Infotainment basierenden Nachrichtenaufbereitung zunehmend an Bedeutung verliert. Auf dem Kunstfeld lässt sich parallel dazu ein stark steigendes Interesse an ästhetischen Strategien feststellen, die unmittelbar auf die Ver- und Aufarbeitung von in Folge investigativer Arbeitsweisen entstandenen Materialien und Erkenntnisse zurückgreifen und diese unter Verwendung journalistischer oder dem Journalismus ähnlicher Formate veröffentlichen. Die Frage, was Realität ist und wie sie vermittelt bzw. dargestellt wird, gewinnt im Bereich der Kunst stark an Bedeutung. Angesichts dieser Entwicklung lässt sich vielfach eine qualitative Verschiebung der Frage nach dem Wahrheitsgehalt dessen, was wir sehen und erfahren, aus dem Milieu des Journalismus hin zu demjenigen der Kunst feststellen. Wie die Medien der Informationsverbreitung bedient sich auch die Kunst Bilder und anderer Zeugnisse der Wirklichkeit – kurz: den Dokumenten, um selbst ihre (visuellen) Diskurse über das Reale zu führen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Ausstellung eine Arbeit die das, was sie reflektiert, nicht loswird sich primär massenmedialer Formate bedient, um darin eine Diskussion über un- und unterrepräsentierte gesellschaftliche Faktizitäten zu entfachen.
Die Bedeutung von Ausstellungsprojekten wie eine Arbeit die das, was sie reflektiert, nicht loswird liegt vor allem darin, dass sie das Potenzial besitzen, einen Emanzipationsprozess sicht- und ablesbar zu machen. Solche Ausstellungen wirken zwangsweise unabgeschlossen und transitorisch, da sie selbst eine Momentaufnahme widerspiegeln, den Stand der Dinge zum jeweiligen Zeitpunkt ihres Entstehens. Ihre politische Dimension liegt paradoxerweise darin, dass sie in sich Widersprüche vereinen, nicht fertig ausformulierte Aussagen und Gedankenstränge artikulieren. Durch diese Strategie sprechen sie, ohne Rücksicht auf mögliche Verluste (kann es diese überhaupt geben?), mündige AusstellungsbesucherInnen an, ihren Part dazu beizutragen, an diesem Emanzipationsprozess zu partizipieren. Damit eröffnen sie die Möglichkeit einer Verrückung im Sinne eines Einander-näher-Kommens der Positionen, aus denen Beteiligte und Nicht-Beteiligte, Betroffene und Adressierbare jeweils sprechen. Das dadurch produzierte Wissen ist gleichzeitig ein inhärenter Akt der Subjektivierung. Darin unterscheidet sich dieses Wissen grundlegend von einem akademisch normierten Wissen, das sich auf Grund seiner normierten und normativen Beschaffenheit leicht ideologisch oder ökonomisch fremdinstrumentalisieren lässt.
[1] Ein Ausstellungsprojekt von und mit Petja Dimitrova, Lina Dokuzović, Eduard Freudmann, Can Gülcü und Ivan Jurica sowie mit Ljubomir Bratić/Richard Ferkl, Christian Gangl, Marina Gržinić/Aina Šmid (in Zusammenarbeit mit Zvonka Simčič), Nina Höchtl, kegnschtelik – Yiddish Resistance 3.0, maiz - Autonomes Zentrum von & für MigrantInnen, Marcel Mališ, Ivana Marjanović, MigrafonA, Katharina Morawek, Plattform Geschichtspolitik, Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart, Marika Schmiedt.
[2] Aus dem aufliegenden Text zur Ausstellung.
[3] Der Titel der Ausstellung zitiert konkret den Artikel Postkoloniale Erinnerungsprozesse in einer postnazionalssozialistischen Gesellschaft – Vom Umgang mit Rassismus und Antisemitismus von Astrid Messerschmidt, in: PERIPHERIE Nr. 109/110, 28. Jg., Münster 2008, S. 42-60.
[4] Alfredo Cramerotti: Aesthetic Journalism. How to Inform Without Informing. Büchs'n'Books Vol. 2, Intellect Bristol Chicago 2009