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02 2013

Rettung in der Votivkirche?

Eindrücke eines/r Unterstützers/in des Refugee-Protests in der Votivkirche

Gin Müller

Als Votivkirche wird eine Kirche bezeichnet, die als Zeichen des Dankes für die Rettung aus einer Notlage oder mit der Bitte um Erfüllung eines bestimmten Wunsches, zuweilen auch zur Sühne, erbaut wurde. (Wikipedia, 24.1.2013)

 

Anfang – Herbergsuche vor Weihnachten

Am 24.11. marschierten Refugees und Unterstützer_innen von Traiskirchen nach Wien und richteten ein Camp im „Sigmund Freud Park“ nahe der Votivkirche ein. Ihre Forderungen, etwa nach Bleibe- und Arbeitsrecht, wurden von den Medien und von der Politik ignoriert. Deshalb, aber auch weil sich der polizeiliche Druck gegenüber den Refugees steigerte, beschlossen die Aktivist_innen am 18.12., nach zweiwöchigen internen Diskussionen, in der Votivkirche Schutz und Unterstützung zu suchen. Eine Gruppe von Refugees und Unterstützer_innen hielt eine Pressekonferenz in der Kirche ab – auch in der Hoffnung, dass das Thema vor Weihnachten und mit Unterstützung der Kirche eine breitere Öffentlichkeit erreichen würde.

 

Die AktivstInnen hofften dabei auf die Hilfe des Pfarrers der Votivkirche, Pater Joseph Farruggia, der einer der Erstunterstützer des Refugee Camps und seiner Forderungen war. Doch die anfänglich solidarische Haltung des Pfarrers änderte sich mit dem Eintritt in seine Pfarrkirche: Nach einem Ultimatum zum Verlassen der Kirche (bis 18 Uhr des gleichen Tages) folgten Polizeidrohungen und Wutausbrüche. Der mehrsprachige „Tourismus- Pfarrer“ von Wien war sichtlich mit der Situation überfordert, und es war wohl der Vermittlung höherer kirchlicher Stellen zu verdanken, dass die Polizei nicht schon am ersten Tag das Gotteshaus räumte.

 

Die Situation an diesem 18. Dezember stand also zunächst unter keinem guten Stern: Die Herbergssuche begann mit der Ablehnung des Pfarrers der Votivkirche und Vorbehalten prominenter Unterstützer_innen, und auch andere angefragte Priester zeigten sich schnell überfordert und ablehnend.

Was war in dieser Situation zu tun? Eine Stunde vor Ablauf des Ultimatums beschloss ein Großplenum in der Kirche, auch gegen den Willen des Pfarrers zu bleiben. Eine halbe Stunde vor der Kirchenschließung um 18 Uhr wurden Matratzen und Decken vom Camp gebracht und die Refugees richteten im Seitenflügel ein provisorisches Matratzenlager ein.

 

Kurz nach 18 Uhr drohte der Konflikt mit dem Pfarrer zu eskalieren, ein Bischofsvikar und die Caritas wurden zur Vermittlung eingeschaltet, und diverse andere Akteur_innen und (Medien-) Beobachter_innen versuchten, die Refugees und Unterstützer_innen zu überreden, die Kirche zu verlassen. Nach einem bis in die Nacht andauerndem Gespräch in der Sakristei wurde den Refugees zugestanden, vorerst eine Nacht in der Kirche verbringen zu können.

 

Trotz der Kälte in der Kirche – am Feuer im Camp war es zu dieser Zeit noch wärmer – entschlossen sich in den folgenden Tagen mehr und mehr Refugees, sich in der Kirche einzurichten, da es im Camp zu verstärkten Polizeikontrollen und vermehrten Gerüchten über eine bevorstehende Räumung kam. Es gab aber auch von Anfang an Refugees, die nicht in der Kirche übernachten wollten, weil sie diese weder für sicher noch als Herberge für zumutbar hielten.

 

Kurz vor Weihnachten, am 22.12. 2012, beschlossen einige der Refugees auf Grund des wachsenden Drucks und erneuter Verhaftungen, in Hungerstreik zu treten. Außerdem kündigte ein Sprecher der Refugees „eine große Überraschung“ für den Tag des Heiligen Abends an. Bei den Unterstützer_innen und der Caritas schrillten die Alarmglocken: Wie weit ging die Bereitschaft der Refugees, mit ihrem verzweifelten Protest und Widerstand das eigene Leben zu gefährden?

 

Die vorweihnachtliche Schutzsuche in der Votivkirche war von einer gespannten und einigermaßen grotesken Situation geprägt: Vor dem Haupteingang standen Christbäume und der Infostand des Refugeecamps, am Kirchenportal und an den Kirchenseiten waren Banner wie „Refugees are welcome“ angebracht. In und rund um die Kirche (die anfangs noch 24 Stunden lang geöffnet war) tummelte sich eine Mischung aus Christbaumkäufer_innen, Refugees, Unterstützer_innen, Caritas_Helfern_innen, Touristen_innen, Schaulustigen und Medienleuten, aber auch aus empörten Kronen Zeitungs-Leser_innen und fremdenfeindlichen Gestalten, die gekommen waren, um zu schimpfen und zu drohen. In der Nacht drangen wiederholt Betrunkene von nahen Weihnachtspunschständen ins Kircheninnere, um mit Sprüchen wie „Ich zünd euch alle an, ihr Gfraster“ dem rassistischen Ärger Luft zu machen.

 

Im Inneren der Kirche wurden die Refugees jeden Morgen zunächst wütend vom Pfarrer geweckt und danach sanft von der Caritas ersucht, nur ja nicht zu viel Platz in Anspruch zu nehmen und möglichst noch mehr in die Ecke zu rücken. Strom für Heizstrahler wurde zunächst verweigert, die Aufstellung von kleinen Zelten, die ein wenig Kälteschutz in den hohen Kirchenräumen bieten sollten, verhindert, und die einzige Toilette konnte nur in Ausnahmefällen in der Nacht benutzt werden. Das langsam aktiv werdende Kirchenmanagement verwies dabei freundlich auf die ablehnende Haltung des Pfarrers und machte auf die angebotenen Caritas-Quartiere aufmerksam. Trotzdem gab es bei der Caritas und auch in der Pfarrgemeinde einige außerordentlich solidarische und hilfsbereite Unterstützer_innen, die Steckdosen und Sicherungen für den Strom zeigten, damit (gegen den Willen des Pfarrers) wenigstens ein paar Heizstrahler aufgestellt werden konnten.

Doch nicht nur im Kirchenmanagement sondern auch medial übernahm die Caritas geschickt die Handlungsfäden, indem sie Unterstützer_innen angriff, und diesen unterstellte, störend und instrumentalisierend zu agieren. Die Refugees und Unterstützer_innen hatten nicht vor, den Kirchenablauf zu stören und Schwierigkeiten zu bereiten, sie ließen sich aber auch nicht aus der Kirche vertreiben – weder durch gutes Zureden noch durch Drohungen. Ganz im Gegenteil, das Matratzenlager erweiterte sich schleichend und immer mehr Refugees übersiedelten vom Camp in die Kirche oder reisten zur Unterstützung aus anderen Bundesländern an.

 

Am 24.12. morgens wurden die Refugees von zahlreichen Reporter_innen und Kameras geweckt, die „Weihnachtsbilder“ für das Programm des Heiligen Abends gestalteten. Caritas und Diakoniechefs setzten sich neben die Refugees und sprachen kurz mit ihnen. Neben einer kleinen Krippeninstallation vor dem Matratzenlager stand zu lesen: „Auch Jesus war ein Asylsuchender! “, „Wir sind Josef und Maria“.

 

Eher grotesk gestalteten sich die beiden Weihnachtsmetten: Vorne der Pfarrer in vollem Ornat, der die Refugees mit keinem Wort erwähnte. In den vorderen Sitzreihen die überschaubare Kirchengemeinde (80-100 Personen), von oben durch Heizstrahler gewärmt, die ab und zu verschämt bis interessiert nach hinten schaute. Und im letzten Drittel des Seitenflügels die Refugees im Kerzenlicht und ohne Strom. Unterstützer_innen, die am Ausgang Weihnachtspostkarten mit Grüßen von den Refugees an Kirchenbesucher_innen verteilten, wurden von Zivilpolizist_innen vom Verfassungsschutz aus der Kirche gezerrt. Zwei Personen, die während der Kommunion ein Plakat als „Fürbitte“ in der Nähe des Altars auf den Boden legen wollten, wurden trotz weihnachtlicher Andacht von Polizisten_innen unsanft abgeführt. Dieser Polizeieinsatz verdeutlichte, dass die Polizei mit Wissen des Pfarrers und der Caritas von Anfang an Zutritt zur Kirche hatte und notfalls jederzeit eingriffsbereit war.

 

Nach den Vorfällen bei der Christmette wurde das Kirchenmanagement in den Folgetagen strikter und die Caritas forderte wiederholt Namenslisten der anwesenden Personen.

 

Kirchen-Lager

In der Nacht vom 27. auf den 28.12. wurde das Refugee Camp im Sigmund Freud -Park in einem Großeinsatz von Polizei und Räumungsdienst so gründlich dem Erdboden gleich gemacht, dass nur noch helle Grasflecken an die Zelte erinnerten.

In der Kirche war es in dieser Nacht zunächst keineswegs klar, ob die Polizei nicht auch hier räumen würde (obwohl das Kirchentor in Absprache mit den Refugees erstmals nächtlich abgesperrt worden war). Es herrschte für einige Zeit eine äußerst bedrückende und ängstliche Stimmung. Über Handy kamen Informationen über Verhaftungen, Polizeikontrollen und Vermisstenmeldungen, aber immerhin gelang es einigen Refugees, durch den Hintereingang in die Kirche zu gelangen.

 

Am nächsten Morgen erschienen zunächst wieder (Kirchen-)Prominente, die sich solidarisch und medientauglich zu den Refugees setzten und zahlreiche Fotograf_innen und Reporter_innen, die über die Campräumung und den Weiterverbleib in der Kirche berichteten.

 

Kurz danach sperrte der Pfarrer die Kirche ab, erklärte sie bis auf weiteres für geschlossen, und erklärte, dass es ab jetzt einen Sicherheitsdienst am Seiteneingang gebe, eine Zutrittsliste für die Refugees zu erstellen sei, und außer den Caritas-Mitarbeiter_innen maximal fünf Unterstützer_innen in der Kirche anwesend sein dürften. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anweisung drohte er wiederholt mit der Polizei. Die Caritas versuchte, die aufgebrachten Unterstützer_innen zu beruhigen und zugleich hinaus zu komplimentieren. Der Presse wurde gleichzeitig in Aussendungen mitgeteilt, Unterstützer_innen würden den Refugees einreden, dass Gift im Tee sei und dass sie nicht mit der Caritas reden sollten.

 

Dem Kirchenprotest wurde so in wenigen Tagen ein Zwangsmanagement auferlegt, das die Gruppe der Hungerstreikenden in der Kirche von denen trennte, die sich von außerhalb beteiligten wollten. Aus der offenen Situation der Ko-existenz von Refugees, Kirchenbesucher_innen, Touristen_innen, Unterstützer_innen, Caritas, Medien u.a. wurde nach der Campräumung eine isolierte Lagersituation. Die Medien berichteten nach wie vor von armen instrumentalisierten Opfern, die nicht für sich selbst sprechen können und von Unterstützer_innen, die die Caritas bei der Arbeit stören und die Refugees aufhetzen.

 

Die Community in der Kirche (vorwiegend Pakistani und Afghanen) rückte mit dem Hungerstreik jedoch näher zusammen, und verstand, dass ihr Widerstand nun in das Zentrum des Interesses rückte. Die Refugees sprachen sehr wohl für sich selbst und wiederholten ihre politischen Forderungen vor den Kameras, erzählten ihre Fluchtgeschichten in Interviews, und unterstrichen mit ihrem Hungerstreik auch ihre moralische Geste des Widerstands.

 

Mit der Zeit kam es aber auch innerhalb der Refugee-Gruppe zu Ausschlussmechanismen, z.B. in Bezug auf die Frage, wer von den Refugees auf der Liste in die Kirche hinein durfte und wer nicht. Viele arbeiteten also indirekt an der Umsetzung der Regeln des Kirchen-Lagers mit und das Kontrollmanagement wurde trotz anfänglicher Widerstandsversuche angenommen. Viele Beteiligte und Unterstützer_innen machten gute Miene zum strategischen Spiel, denn niemand war in dieser prekären Situation an einer Eskalation interessiert.

 

Langsam setzte durch die mediale Präsenz eine breitere Unterstützung der Zivilgesellschaft ein und der Druck auf die politischen Verantwortlichen stieg. Kurz vor Neujahr, am 8. Tag des Hungerstreiks, erschien Kardinal Schönborn höchstpersönlich, um mit den Refugees zu sprechen, und kurz danach lud sogar die Innenministerin Mikl-Leitner einige Refugees zu einem kurzen Gespräch in ihr nahe gelegenes Büro ein, um einerseits eine mediale Willensgeste zu zeigen, anderseits danach klarzustellen, dass die Forderungen nicht erfüllbar seien.

 

Das Leben der Hungerstreikenden in der Kirche war von extremen Bedingungen wie Kälte, fehlenden Waschmöglichkeiten und ähnlichem geprägt. Trotz dieser Ausnahmesituation und dem öffentlichen Druck entstand aber eine Art von Alltagsroutine, die abendliche Beratungen und heftige Diskussionen, solidarische Promi- und Medien-Besuche, Facebook-Kampagnen, Deutschkurse, aber auch vermehrte Rettungseinsätze inkludierte.

 

In den folgenden zwei Wochen spielte die Politik auf Zeit und setzte auf Ignoranz. Bürgermeister Michael Häupl gab neun Tage nach der Räumung des Camps zu, davon im Vorhinein informiert worden zu sein und stellte wieder einmal die Flüchtlinge als politisch instrumentalisierte Opfer dar. Damit war klar, dass mit Unterstützung der Stadt nur bedingt zu rechnen war. Aber immerhin berichteten die Medien positiver als zuvor von den Flüchtlingsschicksalen in der Votivkirche.

 

Die wiederholten Aufforderungen, die Kirche zu verlassen und in bereitgestellte warme Quartiere zu ziehen, lehnten die Refugees ab: Sie wollten bleiben, bis ihre Anliegen Gehör finden würden. Aber auch die gemeinsamen Plena von Unterstützer_innen und Refugees verweigerten mittlerweile viele in der Kirchengruppe, und so entstand eine immer tiefe Kluft zwischen “Inside/Outside”, durch eine von Securities bewachte Kirchentür getrennt.

 

Die Zeit drängte, Nerven lagen auf allen Seiten blank, mangelnde Streitkultur und patriarchales Machtgehabe sprengten viele Plena, die Refugees wurden immer schwächer, die Unterstützer_innen waren zum Teil erschöpft, und die politische und mediale Aufmerksamkeit war auf die Volksabstimmung zum Bundesheer fixiert. Trotzdem gelang es, durch massive Öffentlichkeitsarbeit, Demos, Promi-Unterstützung und die Refugee-Spende von 3000 Euro an die Caritas bei der SOS-Mitmensch-Gala am 20.1. die Refugee-Standpunkte und Forderungen immer wieder in den medialen und politischen Diskurs zu bringen.

 

Zeitgleich steigerte sich aber auch der polizeiliche und kirchlich-caritative Druck: Am 12.1 kam es zu vier Verhaftungen von Refugees in der Nähe der Votivkirche (ihnen droht die baldige Abschiebung und sie befinden sich im Hungerstreik). In einer Presseaussendung schloss sich die Caritas den Beschwerden von Unterstützer_innen und Refugees über die fortwährenden Besuche von Zivilpolizisten_innen in der Kirche an. Gleichzeitig hielt das Kirchenmanagement die strenge Türpolitik und Isolation der Refugees aufrecht, und das gegen alle Bitten und Einwände von Refugees, Unterstützer_innen und entsetzten solidarischen Besuchern_innen. Die vergitterte und bewachte Tür, die die Refugees in der Kirche sichtbar von der Außenwelt trennt, verbildlicht die Gefangennahme des Protests in der Kirche, die durch karitatives Kontrollmanagement erzeugt wurde.

 

Das Kirchenmanagement betonte einen Monat nach dem Beginn des Hungerstreiks, dass sich die Situation in der Kirche zuspitze und eine baldige Lösung gefunden werden müsse, für die ein Ortswechsel und die Beendigung des Hungerstreiks vorgeschlagen wurden. Kardinal Schönborn besuchte am 21.1. nochmals die Refugees, um sie zu überreden, in ein nahes Kloster zu übersiedeln. Aber wiederum war die Antwort nach einer Nachdenkpause negativ. Nach intensiven Beratungen beschlossen die Refugees den Hungerstreik für zehn Tage bis zum 1. Februar auszusetzen, um für politische Verhandlungen fit zu sein, aber in der kalten Kirche zu bleiben. „Wir sind nicht gekommen um hier zu sterben“, wiederholt Khan, einer der Refugees immer wieder und verweigert damit die Opferposition.

Zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte fordern Refugees und Migranten_innen ihre Menschenrechte so lautstark ein und werden im öffentlichen Diskurs damit wahrgenommen. Der politische und kirchliche Druck steigt. Aber der Kampf um die Menschenrechte der Refugees geht weiter – es wird sicher noch ein langer und anstrengender sein, doch: Man kann auch ja sagen!

 

PS. Die Votivkirche in Wien wurde auf Initiative des Bruders von Kaiser Franz Josef, des späteren Kaiser von Mexiko, Maximilian von Habsburg, gebaut, als Dank und Opfergabe für ein misslungenes Attentat auf den österreichischen Herrscher. Maximilian, der für die Votivkirche ein Bild der indigenen Jungfrau Maria aus Mexiko Guadalupe spendete, wurde nach drei Jahren als Herrscher von Mexiko von revolutionären und anti-kolonialen Bewegungen gestürzt und standesrechtlich hingerichtet. Das Bild der heiligen Guadalupe von Mexiko, die ein Symbol des Widerstandes gegen koloniale Herrschaft ist, befindet sich noch heute an einem Seitenaltar der Votivkirche.

 

Dieser Text spiegelt die Situation des Protests bis Anfang Februar 2013.