04 2004
Gemeinbegriffe, Teil 1: ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung, Selbsterfahrung
Übersetzt von Birgit Mennel
Im Laufe der Gegenwartsgeschichte kann in den Transformationsbewegungen ein hartnäckiges Misstrauen gegenüber starr festgelegten Formen der Produktion und Überlieferung von Wissen beobachtet werden. Einerseits ist dies ein Misstrauen gegenüber den Wissenschaften, die eine bessere Organisation des Kommandos und der Ausbeutung ermöglichten, sowie gegenüber Mechanismen der Vereinnahmung von (unterirdischen, zwischen Unzufriedenheit und Auflehnung gärenden, von autonomen sozialen Kooperationsprozessen genährten oder in Rebellion befindlichen) minoritären Wissen[1] seitens jener Organe, denen die Aufrechterhaltung der Gouvernementalität anvertraut ist. Andererseits ist es in vielen Fällen auch ein Misstrauen gegen ideologische und ikonische Formen vermeintlich „revolutionären“ Wissens sowie gegen mögliche intellektuelle und idealistische Abwege des Wissens, die grundsätzlich in den Bewegungen selbst entstanden. Dieses Misstrauen führte gelegentlich zu Ohnmacht. In sehr lebhaften und dynamischen Prozessen des Kampfes und der Selbstorganisation war es hingegen ein Ansporn, eigene Erkenntnisse, Sprachen und Bilder zu produzieren, auch durch eigene Artikulationsweisen zwischen Theorie und Praxis: ausgehend von der konkreten Realität, vom Einfachen zum Komplexen sowie vom Konkreten zum Abstrakten voranschreitend, mit dem Ziel, unterwegs einen adäquaten theoretischen und operativen Horizont zu schaffen, an der Oberfläche des Lebens festhaltend, wo die Einfachheit und die Konkretisierung der Elemente, von denen ausgegangen wurde, Bedeutung und Macht erlangen.
Heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, da die Realität unserer Mütter und Großväter zersprungen scheint[2] und das einzig Konstante die Veränderung – eine Schwindel erregende Veränderung – selbst ist, heute wird die Notwendigkeit nur umso dringlicher, sich der zu sehr mit dem Sein und dem Wesen beschäftigten Fetische und Lasten zu entledigen sowie aus den Dynamiken der sozialen Selbstorganisation operative Karten, Kartographien im Prozess, zu entwerfen, um ins Wirkliche intervenieren zu können und dieses allenfalls zu verändern: Karten, die unserer Orientierung und Bewegung in einer Landschaft von sich rasch verändernden Verhältnissen und Herrschaftsdispositiven dienen. Aber auch Karten, die uns helfen, uns in dieser hypersegmentierten Landschaft zu situieren, einen Ausgangspunkt und Anhaltspunkt für Entscheidungen zu bestimmen, einen Ort, an dem die Produktion von Erkenntnis und Subjektivität in der Konstruktion eines Gemeinsamen zusammenläuft, das am Realen rüttelt.
Diese Notwendigkeit sieht sich, soweit möglich, durch die zentrale Bedeutung akzentuiert, die das Erkenntnisvermögen sowie eine ganze Reihe allgemeiner menschlicher Fähigkeiten (Sprache, Affekte, Kommunikativität, Beziehungs-, Spiel- und Kooperationsvermögen etc.) in der Bestimmung des ökonomischen Wertes jedweden Unternehmens sowie, allgemeiner, im Wettbewerb in der globalen ökonomischen Hierarchie erlangt haben, indem sie sich – vom kapitalistischen Standpunkt aus – in strategische Antriebskräfte zur Gewinnproduktion und in eine Schnittstelle der flexiblen, delokalisierten Netzwerkökonomie verwandeln. Vom Standpunkt der Arbeit aus betrachtet geht mit all diesen Transformationen die Figur der VirtuosIn einher: jene bis jetzt als unproduktiv betrachtete ArbeiterIn, die kein sinnliches Produkt hinterlässt, sondern deren Aufgabe sich auf eine Aufführung oder Performance stützt – darauf, den Informationsfluss zu fördern und zu lenken, Beziehungen zu knüpfen und zu harmonisieren, innovative Ideen zu produzieren etc. Die Figur der VirtuosIn trotzt in ihrer Aufgabenstellung den traditionellen Unterteilungen zwischen Arbeit, Handlung und Intellekt (Hannah Arendt): In den Dienst der Arbeit gestellt wird der Intellekt öffentlich, welthaft, indem seine Natur als Gemeingut in den Vordergrund tritt; gleichzeitig wird die vom Intellekt durchdrungene Arbeit zur Aktivität ohne Werk, zur puren Virtuosität, die sich in Beziehung zum anderen vollzieht, zu den anderen, welche die produktiven Netze bilden; und schließlich wird, in der Verbindung von Intellekt und Arbeit sowie der Aufnahme von bislang die Handlung charakterisierenden Eigenschaften durch beide, die Handlung verschwinden, sobald sich erst ihre Spezifität verwischt hat.[3]
In Zusammenhang mit all dem (und zwar keinesfalls im Sinne einer eindeutigen, direkten Konsequenz, sondern im Sinne eines komplexen und paradoxen Zusammenhangs) schreibt sich in die sozialen Netzen, die eine Veränderung der gegenwärtigen Lage verfolgen (sowie in eine soziale Zusammensetzung, die schon an und für sich virtuos ist, und das auch sein muss, um diesen Drahtseilakt zu überleben), eine eigentümliche Vervielfältigung von Experimenten und Nachforschungen zwischen Denken, Handlung und Äußerung ein: Initiativen, die sich fragen, wie mit den ideologischen Filtern und den überlieferten Rahmenwerken zu brechen ist, wie eine Erkenntnis herzustellen ist, die sich direkt aus der konkreten Analyse von Lebensbereichen, Kooperation, Unzufriedenheitserfahrungen und Rebellion nährt, wie diese Erkenntnis im Sinne einer sozialen Veränderung zur Anwendung zu bringen ist, wie die Wissen, die in den Netzen selbst bereits zirkulieren, wirksam werden können, wie sie sich stärken und mit der Praxis verbinden lassen etc. – wie sich letztendlich unsere mentalen Fähigkeiten, unser Intellekt von den Dynamiken der Arbeit, der Gewinnproduktion und/oder der Gouvernementalität trennen und mit einem (subversiven, verändernden) kollektiven Tun verbinden lassen, indem sie einem Zusammentreffen mit dem kreativen Ereignis entgegengeführt werden.
Diese Fragen sind sicherlich nicht neu, auch wenn der Kontext es ist, in dem sie sich stellen; und so lenken viele der gemachten Erfahrungen den Blick auf die Vergangenheit zurück, auf der Suche nach Referenzen, in denen die Wissensproduktion auf unmittelbare und fruchtbare Art und Weise mit Selbstorganisationsprozessen und den Dynamiken der Kämpfe verbunden war.
In diesem Sinn ist es möglich, in der jüngsten Geschichte vier große Fundgruben der Inspiration zu identifizieren: die ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung, die Selbsterfahrungsgruppen von Frauen und die feministische Erkenntnistheorie, die institutionelle Analyse und schließlich die teilnehmende untersuchende Handlung. Ihres Reichtums und ihrer Bedeutung wegen lohnen alle vier einen Überblick in Form eines historischen Exkurses, der die Diskussion und die aktuellen Bahnen der militanten Untersuchung und untersuchenden Handlung zu verorten erlaubt. Wir werden dem einen guten Teil dieses Texts widmen.
Einige Inspirationsquellen
ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung
Die ArbeiterInnenbefragung, das heißt die vonseiten der ArbeiterInnen unternommene Anwendung von Techniken der akademischen Industriesoziologie (die, vergessen wir das nicht, im Wesentlichen zum Zwecke der besseren Regierung von Fabriken und Stadtteilen entwickelt und angewendet wurden), geht auf Karl Marx selbst zurück. 1881 bittet die Revue Socialiste Marx um die Ausarbeitung einer Befragung zur Situation des französischen Proletariats. Marx akzeptiert den Auftrag sofort, da er es für notwendig erachtet, dass die Bewegung und die – so sehr der leeren Phraseologie und der Utopie ergebenen – ArbeiterInnensekten Frankreichs den Kampf auf einem realistischeren Terrain verorten. Er setzt einen eigentümlichen Fragebogen mit beinahe hundert Fragen auf, von dem tausende Kopien in allen Fabriken des Landes verteilt werden sollen. Warum eigentümlich? Der Fragebogen verweigert sich einer neutralen Annäherung an die Arbeitswelt, die ausschließlich darauf gerichtet ist, nützliche Informationen zu extrahieren oder eine Situation bzw. Tatsachen festzustellen, und er ordnet seine Fragen offen von einer Seite her an (nämlich jener der ArbeiterInnenrealität), die aus der Sicht der empiristischen Soziologie in einem tendenziösen Licht erscheinen musste: Die Fragen suchen nicht so sehr danach, Angaben über eine unmittelbare Erfahrung zu erhalten, sondern sollen zuerst die ArbeiterInnen dazu bringen, über ihre konkrete Realität (kritisch) nachzudenken.[4]
Die Idee der „Mituntersuchung“ als einer sozialen Untersuchung, die mit der Teilung zwischen untersuchendem Subjekt und untersuchtem Objekt bricht, sollte hingegen erst in den 1950er Jahren in den USA auftauchen, inmitten des Aufbruchs der Industriesoziologie und der Analyse menschlicher Gruppen als spezifisches Feld der soziologischen Untersuchung (der Soziologie der „human relations“ von Elton Mayo[5]) einerseits sowie der ArbeiterInnenerzählungen[6] andererseits. Diese Erfindung ist ohne Zweifel ganz und gar soziologisch. Es war der Italiener Alessandro Pizzorno, der dieser Forschung, indem er sie nach Europa importierte, politischen Wert verleihen sollte, sowie eine Gruppe italienischer Intellektuellen-AktivistInnen mit französischen Einflüssen (unter ihnen Romano Alquati und Danilo Montaldi)[7], die um die Jahre 1956/57 herum begannen, sie im Zuge ihrer praktischen Anwendung in der Provinz Cremona zu transformieren und zu radikalisieren.
Im Laufe der 1960er und 1970er erweitert sich der Gebrauch der ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung in unterschiedlichen Formen: Zeitschriften wie Quaderni Rossi und Quaderni del Territorio (Italien) oder Gruppen wie Socialisme ou Barbarie (Frankreich) wendeten sie als Instrument zur Analyse der verschiedenen Ausbeutungs- und Herrschaftsformen in der Fabrik und den Stadtteilen ebenso an wie als Verfahren, um den Auflehnungsformen der ArbeiterInnen nachzuspüren. Aber auch von den ArbeiterInnenräumen selbst aus wurde sie mehr oder weniger intuitiv vorangetrieben, ohne das Eingreifen von – den Selbstorganisationsprozessen äußerlichen – TheoretikerInnen oder „ExpertInnen“, und diente als Methode zum Aufbau von Forderungsplattformen.[8] In Spanien sollten die Zeitschriften Teoría y práctica und Lucha y teoría ihre eigenen Formen der ArbeiterInnenuntersuchung entwickeln, die speziell darauf ausgerichtet waren, eine „von den ProtagonistInnen selbst erzählte“ (so der Untertitel von Teoría y práctica) Geschichte des Klassenkampfs zu erstellen.
Aus unserer Sicht verdient der Gebrauch der ArbeiterInnenbefragung im italienischen Operaismus besondere Aufmerksamkeit.[9] Die jungen OperaistInnen, die sich zunächst im Umkreis der Zeitschrift Quaderni Rossi[10] versammelten, glaubten, dass die Krise der ArbeiterInnenbewegung in den 1950er Jahren und den Anfängen der 1960er Jahre nicht ausschließlich vor dem Hintergrund theoretischer Fehleinschätzungen und des Verrats der Führungen der Linksparteien interpretiert werden könne (wie es die kommunistisch und anarchosyndikalistisch orientierte Orthodoxie der ArbeiterInnenbewegung vorbetete), sondern dass diese Krise zuallererst den Veränderungen geschuldet sei, die durch die „wissenschaftliche Organisation der Arbeit“ in den Strukturen der Produktionsprozesse und der Zusammensetzung der Arbeitskraft bedingt waren. Daher richtete sich der Gebrauch der Befragung darauf, die „neue Arbeitsbedingung“ sowie die Realität der neuen konfliktualen Subjekte im Sinne einer Wiederaufnahme und eines erneuten Anstoßens von ArbeiterInnenforderungen aufzuzeigen, und erlangte in Praxis und Diskurs des Operaismus große Bedeutung.
Dessen ungeachtet gab es von Anfang an Divergenzen hinsichtlich der Form, in der die Befragung zu fokussieren sei. Wie uns beispielsweise Damiano Palano erzählt, „erschien seit der Gründung der ersten Gruppe der Quaderni Rossi in der Tat ein eher glatter Bruch hinsichtlich der Weise, wie die ArbeiterInnenbefragung voranzutreiben sei, sowie hinsichtlich der Grenzen, die diese sich setzen müsse: Einerseits gab es die – die Mehrheit bildende – Gruppe der ‚SoziologInnen‘ (angeführt von Vittorio Rieser[11]), die die Befragung als kognitives Instrument der veränderten Arbeitsrealität verstand, das darauf gerichtet war, einen Stimulus für die theoretische und politische Erneuerung der Institutionen der offiziellen ArbeiterInnenbewegung zu bewirken; andererseits, und im Gegenzug dazu, waren da Alquati und einige wenige mehr (Soave und Gasparotto), die auf der Grundlage US-amerikanischer und französischer Fabrikserfahrungen die Befragung als Voraussetzung für eine politische Intervention betrachteten, die auf die Organisierung der Konfliktpotenziale der ArbeiterInnen abzielte. Bezüglich der konkreten Ziele handelte es sich um eine bedeutende Meinungsverschiedenheit, aber die Distanz, die zwischen den beiden Komponenten auf methodischer Ebene lag, war noch größer: Während Erstere im Grunde die marxistische Theorie durch Themen und Methoden ‚aktualisierten‘, die von der nordamerikanischen Industriesoziologie erarbeitet worden waren, schlug Alquati eine Art strategischer Umkehr in der Studie der Fabrik vor.“[12]
Woraus bestand diese strategische Umkehr von Alquati, eben jenem Alquati, der die Mituntersuchung gemeinsam mit Danilo Montaldi entwickelt hatte und von dem viele in Erinnerung haben, wie er mit seinem Fahrrad in die Fabriken von Fiat und Olivetti fuhr? Was waren die Grundlagen dieser epistemologischen Wende sowie der Methode, die sich durch die interessantesten Formen der Anwendung der ArbeiterInnenbefragung innerhalb des italienischen Operaismus zog? In wenigen Worten: eine Theorie der Klassenzusammensetzung, die später durch eine Theorie der Selbst-in-Wert-Setzung der ArbeiterInnen ergänzt werden sollte und die mit der lukacsianisch inspirierten Theorie des ArbeiterInnenstandpunkts sowie mit der kopernikanischen Revolution verschmolz, die von Mario Tronti, einem anderen Operaisten, eingeleitet wurde, und zwar im Punkt der impliziten Voraussetzung einer ArbeiterInnenautonomie, also der potenziellen Autonomie der ArbeiterInnenklasse hinsichtlich des Kapitals. Aber Schritt für Schritt.
Die Idee der Klassenzusammensetzung bezieht sich auf die subjektive Struktur der Bedürfnisse, der im Laufe der Kämpfe sedimentierten Verhaltensweisen und konfliktualen Praktiken. Die erste Entwicklung diese Konzepts erscheint in Alquatis ersten in den Quaderni Rossi publizierten Schriften, wenngleich seine „organische“ Formulierung einige Zeit warten musste, bis sich die Zeitschrift Classe Operaia[13] in ihrem zweiten Publikationsjahr dazu entschied, einen von Alquati selbst geleiteten, spezifischen Abschnitt mit diesem Namen einzubinden. So findet also der Ausdruck seinen Niederschlag im operaistischen Vokabular.
Was aber sind die fundamentalen Elemente der Theorie der Klassenzusammensetzung? Grundsätzlich gibt es drei: die Idee, dass es einen unterirdischen und leisen, tagtäglich von den ArbeiterInnen gegen die kapitalistische Arbeitsorganisation geführten Konflikt gibt; die Konzeption, dass die Unternehmenshierarchie in Wirklichkeit nicht mehr ist als eine Antwort auf die Arbeitskämpfe; und die Intuition, dass jeder Zyklus von Kämpfen politische Reste hinterlässt, die sich (als Bedürfnisse, Verhaltensweisen und konfliktuale Praktiken) in der subjektiven Struktur der Arbeitskraft festschreiben und ein bestimmtes Maß an Starrheit und Irreversibilität zeigen.
Die Theorie der Klassenzusammensetzung kompliziert sich schnell mit der Unterscheidung zwischen „technischer Zusammensetzung“ und „politischer Zusammensetzung“, also zwischen der Realität der Arbeitskraft im Kapitalverhältnis in einem bestimmten historischen Moment und der Gesamtheit der (antagonistischen) Verhaltensweisen, die in diesem Moment die Klasse bestimmen. Wenn es auch operaistische Stränge[14] gab, die den theoretischen Reichtum dieser Unterscheidung sowie der Idee der Klassenzusammensetzung selbst zugrunde richteten, indem sie die technische Zusammensetzung auf einen rein ökonomischen Faktor reduzierten und die politische Zusammensetzung mit der Partei (und den Ideologien und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung) gleichsetzten, so gelangt doch die Theorie der Selbst-in-Wert-Setzung (wie sie in den 1970er Jahren durch Antonio Negri entwickelt wurde) als Prozess der Klassenzusammensetzung genau zur Verstärkung einer entgegengesetzten Interpretation: nämlich zur Bestimmung der politischen Zusammensetzung als Resultat der (allesamt ausschließlich materiellen) Verhaltensweisen, Kampftraditionen sowie konkreten Praktiken der Arbeitsverweigerung, die durch multiple Subjekte in einer bestimmten historischen Phase und einem spezifischen ökonomischen und sozialen Kontext entwickelt werden.
Die Implikationen der Theorie der Klassenzusammensetzung sowie der Theorie der Selbst-in-Wert-Setzung sind für die ArbeiterInnenbefragung entscheidend. Im Fall der „jungen sozialistischen Soziologen“ der Quaderni Rossi beschränkte sich die Befragung darauf, die „Effekte“ zu erwägen, die die produktiven Veränderungen auf die ArbeiterInnen, auf die physischen und psychologischen Bedingungen, denen sie unterliegen, auf ihre finanzielle Situation sowie auf andere persönliche Aspekte ihres Lebens hatten. Der andere Strang der operaistischen Befragung – angetrieben durch die Idee der Klassenzusammensetzung als historisch abgelagertes Produkt vorangegangener Kämpfe sowie zugleich als durch den Prozess der Selbst-in-Wert-Setzung fortwährend erneuertes Resultat, das in der Materialität der widerspenstigen Praktiken multipler produktiver Subjekte verankert war – hielt es hingegen für nötig, im Ausgang von gefestigten Niveaus des sozialen Antagonismus den unterirdischen und häufig unsichtbaren Faden des Unbehagens und der täglichen Aufstände zu erforschen.[15]
Dieser Fokus der ArbeiterInnenbefragung erforderte zugleich den Schritt vom einfachen Fragebogen zu Prozessen der Mituntersuchung: das heißt, des auch subjektiven Einsatzes der Intellektuellen-AktivistInnen, die den Gegenstandsbereich der Untersuchung erforschten (beinahe immer die Fabrik, manchmal auch Stadtteile), wodurch sie sich in diesem Bereich hinzugefügte Subjekte-AgentInnen verwandelten, sowie die aktive Verwicklung der diesen Bereich „bewohnenden“ Subjekte (im Wesentlichen ArbeiterInnen, manchmal StudentInnen und Hausfrauen) in den Untersuchungsprozess, wodurch diese wiederum in untersuchende Subjekte verwandelt wurden. Funktionierte diese doppelte Bewegung tatsächlich, so vermengte sich die Erkenntnisproduktion der Untersuchung mit dem Prozess der Selbst-in-Wert-Setzung sowie der Produktion rebellischer Subjektivität in der Fabrik und den Stadtteilen.[16]
Die Frauenselbsterfahrungsgruppen
und die feministische Epistemologie
Wenngleich ihre Vorgängerinnen Jahrhunderte zurück aufgespürt werden
können, in den informellen Frauenversammlungen sowie in Erfahrungen wie jenen
der Gruppen schwarzer Frauen des Blackclubwomen’s
Movement nach dem Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten und der
Abschaffung der Sklaverei (1865)[17],
entstehen die Selbsterfahrungsgruppen im engeren Sinn mit dem radikalen
US-amerikanischen Feminismus am Ende der 1960er Jahre. Es sollte Kathie
Sarachild sein, die im Rahmen der New
York Radical Women 1967 diese
Praxis der kollektiven Analyse von Unterdrückung – ausgehend von in der Gruppe
stattfindenden Erzählungen über die Formen, in denen jede Frau sie spürt und
erfährt – Selbsterfahrung[18]
[consciousness-raising] taufte.
Seit ihrer Entstehung beabsichtigten die Frauenselbsterfahrungsgruppen – gemäß der Sprache der radikalen FeministInnen – „das latente Bewusstsein zu wecken“, das alle Frauen über ihre eigene Unterdrückung hatten, um dadurch die politische Reinterpretation des eigenen Lebens zu fördern und die Grundlage für seine Veränderung zu setzen. Mit der Praxis der Selbsterfahrung wurde zugleich der Anspruch erhoben, dass die Frauen der Gruppen sich in authentische Expertinnen ihrer Unterdrückung verwandelten, indem die Theorie von der persönlichen und intimen Erfahrung und nicht vom Filter vorhergehender Ideologien ausgehend gebildet wurde. Schließlich suchte diese Praxis das Wort und die Erfahrungen eines im Laufe der Geschichte systematisch erniedrigten und gedemütigten Kollektivs wieder aufzuwerten.
Der Wahlspruch „Das Persönliche ist politisch“ entsprang derselben Praxis, für die der Status einer „wissenschaftlichen Methode“ mit Wurzeln in vergangenen Revolutionen und Kämpfen beansprucht wurde. In den Worten von Kathie Sarachild selbst „war die Entscheidung, unsere eigenen Gefühle und Erfahrungen als Frauen zu betonen und alle Generalisierungen und Lektüren, die wir durchführten, an unserer eigenen Erfahrung zu überprüfen, eigentlich schon eine wissenschaftliche Untersuchungsmethode. In der Tat wiederholten wir die im 17. Jahrhundert von der Wissenschaft an die Scholastik gestellte Herausforderung ‚Studiert die Natur, nicht die Bücher!‘ und unterzogen alle Theorien einer Überprüfung an der lebendigen Praxis und Handlung. Es war zugleich eine Methode der radikalen Organisierung, die in anderen Revolutionen erprobt worden war. Wir wendeten auf die Frauen sowie auf uns selbst als Organisatorinnen der Frauenbefreiung jene Praxis an, die viele von uns als Organisatorinnen der BürgerInnenrechtsbewegung im Süden in den 1960er Jahren gelernt hatten.“[19]
Die Impulsgeberinnen der Selbsterfahrungsgruppen hatten ferner die Gewissheit, dass der einzige Weg, eine radikale Bewegung aufzubauen, nur über ein Ausgehen von sich führte, ein anderer Wahlspruch, der in der feministischen Bewegung populär wurde: „Es schien klar, dass das Wissen darum, wie sich unser eigenes Leben zur allgemeinen Situation von Frauen verhielt, uns zu besseren Kämpferinnen im Namen aller Frauen machen würde. Wir glaubten, dass alle Frauen den Kampf der Frauen als ihren eigenen betrachten mussten – und nicht nur als etwas, das ‚anderen Frauen‘ helfen würde –, dass sie die Wahrheit über ihr eigenes Leben entdecken mussten, ehe sie auf radikale Art und Weise für irgendjemanden kämpfen würden.“[20]
Folglich waren die Selbsterfahrungsgruppen ein Instrument zur gleichzeitigen Produktion von Wahrheit und Organisation, Theorie und radikaler Aktion gegen die unterdrückende Geschlechterrealität; sie waren also weder eine der Analyse vorhergehende, zeitlich begrenzte Phase noch auch Selbstzweck: „Selbsterfahrung wurde gleichzeitig als Methode, um zur Wahrheit zu gelangen, und als Mittel zur Organisierung und Handlung betrachtet. Sie war ein Instrument, mit dem die Organisierenden selbst die Situation analysierten und das auch den von ihnen organisierten Frauen zur Verfügung stand, die ihrerseits wiederum mehr Menschen organisierten. In ähnlicher Weise wurde diese Methode nicht nur als bloße Phase in der feministischen Entwicklung betrachtet, die dann zu einer anderen Phase, einer Phase des Handelns, führen würde, sondern als wesentlicher Bestandteil der feministischen Strategie insgesamt.“[21]
Zunächst löste die Gründung von Selbsterfahrungsgruppen innerhalb wie außerhalb der Frauenbewegung einen großen Skandal aus. Die Sitzungen wurden verächtlich als „Kaffeekränzchen“, „Hühnerställe“ oder „Hexenversammlungen“ bezeichnet (je nach Vorliebe, frauenfeindlichen Traditionen und Vorurteilen); sie wurden zum Ziel von allerlei Beschuldigungen, insbesondere jener, nicht „politisch“, sondern therapeutisch zu sein sowie im „Persönlichen“ zu verharren. Der zuvor erwähnte Wahlspruch „Das Persönliche ist politisch“ wurde genau im Eifer dieser aus allen Richtungen abgefeuerten kritischen Geschosse geprägt, und zwar mit einem affirmierenden und herausfordernden Scharfsinn, der die Grundlagen des Gegenstands „Politik“ in Frage stellte, wie er bis dahin verstanden worden war.
Dessen ungeachtet und trotz des anfänglichen Messerklirrens breitete sich
die Praxis der Selbsterfahrung aus wie ein Lauffeuer: Frauengruppen und ‑organisationen
aus aller Welt (einschließlich jener, die sich anfangs über das Unpolitische an
diesen „Hexenversammlungen“ empört hatten, wie etwa die liberalen Feministinnen
der National Organization for Woman)
fingen an, dieses Instrument anzuwenden, indem sie es an ihre Bedürfnisse anpassten.
Dies ging so weit, dass gegen 1970 eine Tendenz in Richtung
Institutionalisierung und Formalisierung der Selbsterfahrung festzustellen war,
die diese Praxis in einen Zusammenhang methodologischer Regeln verwandelte, die
von den Zielen und dem konkreten Kontext der Bewegung, aus der sie hervorging,
abstrahiert waren. Diesbezüglich sollte Sarachild mit Nachdruck darauf
beharren, dass die Selbsterfahrung keine „Methode“, sondern eine kritische
Waffe darstellt, die sich je nach den Zielen des Kampfes abwandeln lässt: „Der
übertriebene Aufwand der Regeln und der Methodologie – das neue Dogma der
‚Selbsterfahrung‘, das mit der Ausbreitung der Selbsterfahrung aufkam –
zeitigte den Effekt, persönliche Interessen sowohl professioneller (z. B.
PsychiaterInnen) als auch amateurhafter Methodologie-ExpertInnen entstehen zu
lassen. Eine ganze Reihe formalisierter ‚Regeln‘ oder ‚Richtlinien‘ mit
autoritärem Anstrich wurden publiziert und an Frauengruppen verteilt, so als
repräsentierten sie das Originalprogramm der Selbsterfahrung. Aber neues Wissen
ist die Quelle der Stärke und Macht von Selbsterfahrung. Methoden haben nur
diesem Ziel zu dienen, sie sind zu verändern, wenn sie nicht funktionieren.“[22]
Schließlich und endlich gab es nur eine Grundlage der Selbsterfahrung, die
genauso einfach wie kompliziert in Gang zu setzen war: „Unsere Erfahrungen in
unserem persönlichem Leben sowie in der Bewegung zu analysieren, über die
Kampferfahrungen anderer Menschen zu lesen, das hält uns auf dem Weg, uns so
schnell wie möglich in Richtung Frauenbefreiung zu bewegen.“[23]
Gewiss führte die übermäßige Betonung der reinen Bewusstseinsebene sowie die Idee, dass in allen Frauen ein „latentes Bewusstsein“ der eigenen Unterdrückung als Frauen schlummerte, das nur zutage gefördert werden musste, dazu, dass einige Gruppen am Ende an ein „wahrhaftiges Bewusstsein“ glaubten (im Sinne eines vorgegebenen Objekts und nicht als etwas, das zu erschaffen wäre). Diese Frauengruppen kümmerten sich mehr um die Interpretation der Unterdrückung als um das Erforschen unterirdischer Erfahrungen des Aufruhrs und der Rebellion; sie übergingen die stotternden, weniger ausdrücklichen und vielleicht für jene Zeiten weniger „wahrhaftigen“ Formen der Unzufriedenheit. Aber gleichwohl war die Praxis der Selbsterfahrung eine der zentralen Antriebskräfte des Feminismus in den 1970ern und ermöglichte es, Handlungspläne und Forderungen zu entwerfen, die direkt mit der Erfahrung tausender und abertausender Frauen verbunden waren: vom spektakulären öffentlichen Verbrennen von Büstenhaltern, mit dem die New York Radical Women bekannt wurden, bis zu den geheimen Netzen zur Familienplanung sowie der Praxis von Abtreibungen und Gesundheitsselbstverwaltung, die in sehr vielen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten auflebte. Zugleich sollten viele der Einsichten, die in der Formulierung und Praxis dieser „Kaffeekränzchen“ lagen, den Ursprung einer ganzen feministischen Epistemologie bilden, die intellektuelle Frauen verschiedener Disziplinen seit den 1970er Jahren bis heute entwickelt haben.
Für die Absichten dieses Textes würde es zu weit gehen, den Werdegang der verschiedenen Zweige feministischer Epistemologie nachzuvollziehen, die Sandra Harding 1986 als Theorie des feministischen Standpunkts, postmodernen Feminismus und empiristischen Feminismus klassifizierte – mit allen Vereinfachungen und Reduktionen, die ein solches Unterfangen mit sich bringt.[24] Andererseits handelt es sich um eine Geschichte, deren Geschicke sich auf maßgeblich akademischer Ebene abspielen, wenn auch mit wichtigen Auswirkungen auf viele wissenschaftliche Disziplinen. Dennoch halte ich es für lohnend, einige der Gemeinbegriffe dieser Epistemologie – und sei es auch nur in groben Zügen – zu erwähnen, und zwar vor allem in dem Maße, wie sie der Selbsterfahrungspraxis implizite Einsichten zur Entfaltung bringt und in der Gegenwart als Inspiration für – mit Dynamiken der Selbstorganisation verbundene – Initiativen der kritischen sozialen Untersuchung, der militanten Untersuchung und der untersuchenden Handlung dient.
An erster Stelle muss man die schonungslose (und sehr begründete) Kritik hervorheben, die die feministische Erkenntnistheorie am „alles sehenden“ und sich „nirgendwo verortenden“ Auge der gegenwärtigen positivistischen Wissenschaft formuliert: ein Bild, das es in Wirklichkeit nicht gibt, sondern das die Maske eines überwiegend männlichen, weißen, heterosexuellen und wohlhabenden Erkenntnissubjekts ist, das als solches eine beherrschende Position besetzt und konkrete Interessen an Kontrolle und Anordnung (der Körper, der Bevölkerungen, der natürlichen, realen und maschinellen Wirklichkeiten etc.) hat. Die angebliche Neutralität dieser Art von Blick ist außerdem durch das Paradigma der sauberen Teilung von Geist/Körper gelenkt, der zufolge der Geist die „Verirrungen“ des Körpers und seine immer mit dem Weiblichen assoziierten Affekte dominieren müsste. In der Bemühung, dieses fleischlose erkennende Subjekt in die Luft zu sprengen, ohne dabei in relativierende Erzählungen zu verfallen, entwirft die feministische Epistemologie die Idee eines in eine konkrete soziale Struktur eingewachsenen oder eingerückten Erkenntnissubjekts (folglich eines sexualisierten, rassisierten etc. Subjekts), das – nicht weniger objektive – situierte Wissen produziert. Ganz im Gegenteil verspricht, wie Donna Haraway schreibt, „[n]ur eine partiale Perspektive […] einen objektiven Blick“[25], und diese partiale Perspektive verlangt eine Politik der Lokalisierung und der verwobenen Verwicklung an einem spezifischen Ort, von dem aus gesprochen, gehandelt und untersucht wird. In direkter Verbindung mit dieser Kritik am dominanten wissenschaftlichen Blick betont die feministische Epistemologie besonders die Machtverhältnisse, die in jeder Untersuchung im Spiel sind, sowie als deren Folge die Notwendigkeit einer sozialen Organisation der Untersuchung, die auf dem Paradigma der Reflexivität sowie auf Kriterien der Transparenz und Demokratie basiert. Schließlich wird – wobei eine der unterirdischen Praxen sämtlicher unterworfener Gruppen aufgegriffen wird – der Beziehungspraxis sowie der Erzählung ein zentraler Wert in der Produktion und Übermittlung von Erkenntnis zugesprochen.
Dieser Text ist der erste Teil des Prologs aus dem Buch Nociones
Comunes. Experiencias y Ensayos entre Investigación y
Militancía [Gemeinbegriffe. Erfahrungen und Versuche
zwischen Untersuchung und Militanz]. 2004.
Madrid: Traficantes de Sueños (S. 13-27). Der zweite Teil des Textes wird im vierten Quartal 2006 im Rahmen der
transversal-Ausgabe "instituent practices" erscheinen.
[1] Für den Begriff der minoritären Wissen (saberes minores) vgl. die Werke von Gilles Deleuze und Félix Guattari, bes. Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin: Merve 1997.
[2] … mit der Niederlage der antisystemischen Bewegungen nach 1968, dem Ende der Welt von Jalta, dem Verschwinden des geopolitischen Raums der Dritten Welt sowie des Subjekts „ArbeiterInnenbewegung“, der Aufhebung des industriellen Paradigmas sowie der informatischen und technologischen Innovation, der Automatisierung, der produktiven Deterritorialisierung und Reorganisation, der Finanziarisierung und Globalisierung der Ökonomie, der Bestätigung einer auf Krieg als Vektor der normativen Produktion beruhenden Staats-Form etc. (vgl. Sánchez, Pérez, Malo und Fernández-Savater, „Ingredientes de una onda global“, unveröffentlichtes Manuskript im Rahmen der Untersuchung Desacuerdos, www.desacuerdos.org).
[3] Vgl. Paolo Virno, „Virtuosismo y revolución. Notas sobre el concepto de acción política“, en Virtuosismo y revolución. La acción política en la era del desencanto, Madrid: Traficantes de sueños 2003, S. 89–116 (für eine englische Übersetzung unter dem Titel „Virtuosity and Revolution“ vgl. online: http://makeworlds.org/node/34).
[4] Vgl. Yaak Karsunke und Günther Wallraff, „Fragebogen für Arbeiter 1880/1970“, in: Kursbuch 21, Kapitalismus in der Bundesrepublik, Berlin: Kursbuch Verlag / Wagenbach 1970, S. 1–14 (für Marx’ Arbeiterfragebogen siehe online: http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_230.htm). In den ersten drei Teilen des Fragebogens richten sich die Fragen auf eine Analyse der Natur der Ausbeutung selbst, während es im letzten Abschnitt darum geht, die ArbeiterInnen dazu anzuregen, über Formen der Opposition zu ihrer eigenen Ausbeutung nachzudenken.
[5] Vgl. z. B. Elton Mayo, Probleme industrieller Arbeitsbedingungen, Frankfurt/M.: Frankfurter Hefte 1949.
[6] … d. h. Erzählungen in der ersten Person über das Leben in der Fabrik. Ein präzises Beispiel stellt der Text The American Worker von Raul Romano und Ria Stone (Detroit: Bewick Editions 1972) dar, der von den Arbeitskonditionen sowie dem Verhältnis Klasse-Fabrik-Gesellschaft handelt. Im Original wurde der Text 1947 als Pamphlet für die Johnson-Forest Tendency von C. L. R. James und Raya Dunayevskaya veröffentlicht und von Danilo Montaldi ins Italienische übersetzt. (Für zusätzliche Informationen zu diesem Text und seiner Bedeutung vgl. Harry Cleaver, Reading Capital politically, online: http://www.eco.utexas.edu/~hmcleave/357krcp.html, für eine teilweise Übersetzung dieses Textes siehe online: www.grundrisse.net, Nr. 15; Anm. d. Übers.).
[7] Keineswegs der Figur des organischen Intellektuellen (Gramsci) entsprechend, haben diese Intellektuellen-Militanten einen sehr langen Werdegang, der die Gründung der „Gruppo di Unità Proletaria“ (Cremona, 1957–1962), die Beteiligung (speziell Alquatis) an Zeitschriften wie den Quaderni Rossi, der Mutter des italienischen Operaismus, sowie starke internationale Verbindungen (speziell Montaldis) mit Gruppen wie „Socialisme ou Barbarie“ in Frankreich mit einschließt. Alquati, jünger als Montaldi, lernte von diesem sowie seinen internationalen Referenzen (Autoren wie Daniel Mothé, Paul Romano oder Martin Glbaermann) der unterirdischen Konfliktualität der materiellen Kommunikationsnetze einen besonderen Wert einzuräumen – Netze, welche die ArbeiterInnen schufen, um der harten betrieblichen Organisation tagtäglich die Stirn zu bieten und die Arbeit „zurückzuweisen“ (was die Grundlage für sichtbarere und stürmischere andere Konfliktualitäten bildete).
[8] Vgl. im Hinblick auf diese Fragestellung „Entre la calle, las aulas y otros lugares. Una conversación acerca del saber y de la investigación en/para la acción entre Madrid y Barcelona“, in: Nociones communes. Experiencias y ensayos entre investigación y militancia, Madrid: Traficantes del Sueno 2004, S. 133–167
[9] Die beste deutschsprachige Quelle zum Operaismus ist Steve Wright, Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus, Berlin: Assoziation A 2005 (Anm. d. Übers.).
[10] Gegründet und geleitet durch den anomalen sozialistischen Dissidenten Raniero Panzieri, erschienen die Quaderni Rossi von 1961 bis 1965.
[11] Alquati nannte sie die „jungen sozialistischen Soziologen“; abgesehen von Vittorio Rieser waren an dieser Orientierung Intellektuelle wie Dino de Palma, Edda Salvatori, Dario Lanzardo und Liliana Lanzardo beteiligt.
[12] Damiano Palano, „Il bandolo della matassa. Forza lavoro, composizione di classe e capitale sociale: note sul metodo dell’inchiesta“, http://www.intermarx.com/temi/bandolo.html (die deutsche Version folgt der Übersetzung und Notizen von Marta Malo).
[13] Veröffentlicht zwischen 1964 und 1967, findet sich im Redaktionskollektiv der Classe Operaia ein Großteil der Gruppe der Quaderni Rossi (Mario Tronti, Romano Alquati, Alberto Asor Rosa und Antonio Negri), und zwar jene, die Letztere wegen Unstimmigkeiten mit der Fraktion um Raniero Panzieri verlassen hatten.
[14] … im Speziellen der von Massimo Cacciari angeführte Strang, der sich wenig später in die Kommunistische Partei Italiens eingliedern sollte.
[15] Vgl. Damiano Palano, „Il bandolo della matassa“, op. cit.
[16] Für zusätzliche Information über diesen Gebrauch der Untersuchung sowie andere Aspekte des italienischen Operaismus, in einer aus dem Inneren der Erfahrung selbst gewonnenen Perspektive, vgl. u. a. Guido Borio, Frencesca Pozzi und Gigi Roggero, Futuro anteriore. Dai „Quaderni rossi“ ai movimenti globali: ricchezze e limiti dell’operaismo italiano, Rom: DeriveApprodi 2002, sowie Nanni Balestrini und Primo Moroni, Die Goldene Horde. Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien, Berlin: Assoziation A 1994.
[17] Das Blackclubwomen’s Movement gründete sich aus Zusammenschlüssen der gegenseitigen Unterstützung; es setzte sich ausschließlich aus Frauen zusammen, die soeben freigelassenen Sklaven-Frauen emotionale und praktische Unterstützung anboten.
[18] Im Deutschen hat sich in den Praxen der 1970er Jahre der Begriff „Selbsterfahrung“ als Übersetzung von „consciousness-raising“ (wörtl.: „Bewusstseinshebung“) durchgesetzt (Anm. d. Übers.).
[19] Kathie Sarachild, „Consciousness-Raising: A Radical Weapon“, in: Feminist Revolution, New York: Random House 1978, S. 144–150. Die digitale Version findet sich unter http://scriptorium.lib.duke.edu/wlm/fem/sarachild.html (Übersetzung ins Deutsche von Birgit Mennel).
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] Sandra Harding, The Science Question in Feminism, Ithaca: Cornell University Press 1986. Autorinnen wie Nancy Hartsock, Hilary Rose, Patricia Hill Collins und Dorothy Smith gelten als Vertreterinnen der Theorie des feministischen Standpunkts, Donna Haraway und Maria Lugones stehen für postmodernen Feminismus und Helen Longino sowie Elizabeth Anderson für einen kritischen empiristischen Feminismus. Im Laufe der Jahre sind die Grenzziehungen zwischen diesen drei Strömungen verschwommen, wie dies übrigens Harding selbst voraussagte. Für einen kurzen (gleichwohl enzyklopädischen) Überblick des „Fragestands“ in der feministischen Epistemologie vgl. den Eintrag „Feminist Epistemology and Philosophy of Science“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy. Vgl. auch Sandra Harding, Is Science Multicultural? Postcolonialisms, Feminisms and Epistemologies, Bloomington: Indiana University Press 1998.
[25] Donna Haraway, „Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive“, in: Dies., Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und die Frauen, Hamburg: Campus 1995, S. 73–97, hier: S. 82.