03 2020
It’s capitalism, stupid! Das Ende der Pandemie ...
... wird der Anfang heftiger Klassenkonfrontationen sein
Übersetzung: Michael Grieder und Adrian Hanselmann
„… eine erfolgreiche Intervention, die verhindert, dass einer der vielen Krankheitserreger, die sich über den agrarökonomischen Kreislauf ansammeln, eine Milliarde Menschen tötet, muss durch die Pforte eines globalen Zusammenstoßes mit dem Kapital und seinen lokalen Vertreter*innen gehen, so sehr auch jeder einzelne Fußsoldat der Bourgeoisie … versucht, den Schaden zu mildern. Wie unsere Gruppe in einigen unserer jüngsten Arbeiten beschreibt, befindet sich die Agrarindustrie im Krieg mit der öffentlichen Gesundheit.“[1]
Der Kapitalismus kam aus der Krise von 2007/08 nie heraus. Das Virus ist der Illusion jener Kapitalist*innen, Banker*innen und Politiker*innen aufgepfropft, sie könnten alles zurückdrehen, wie es vorher war, indem sie einen allgemeinen, sozialen und planetarischen Streik ausrufen, den die Protestbewegungen nicht zustande brachten. Die völlige Blockade seiner Funktionsweise zeigt, dass der Kapitalismus auch in Abwesenheit von revolutionären Bewegungen implodieren kann und dass seine Fäulnis beginnt, die ganze Welt zu infizieren (allerdings nach strikten Klassenunterschieden). Dies bedeutet nicht das Ende des Kapitalismus, sondern nur seinen langen und anstrengenden Todeskampf, der schmerzhaft und grausam sein kann. Jedenfalls war klar, dass dieser triumphierende Kapitalismus nicht weitergehen konnte – Marx warnte uns davor schon im Manifest. Er erwog nicht nur die Möglichkeit des Sieges einer Klasse über die andere, sondern auch ihre wechselseitige Implosion und ihren langwierigen Niedergang.
Die Krise des Kapitalismus begann lange vor 2008, mit dem Ende der Golddeckung des Dollars, und hat sich seit dem Ende der 1970er Jahren entscheidend verschärft. Die Krise ist zu seiner Form geworden, zur Art und Weise, sich zu reproduzieren und zu regieren, die aber unausweichlich zu «Kriegen», Katastrophen und Krisen aller Art führt, und, wenn es organisierte subjektive Kräfte gibt, unter Umständen zu revolutionären Umbrüchen.
Samir Amin, ein Marxist, der den Kapitalismus vom globalen Süden aus betrachtet, nennt das die „lange Krise“ (1978-1991), die exakt ein Jahrhundert nach einer anderen „langen Krise“ (1873-1890) auftritt.[2] Wenn wir den Spuren folgen, die dieser alte Kommunist hinterließ, können wir Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen diesen zwei Krisen begreifen und die radikalen politischen Alternativen, die die Zirkulation des Virus eröffnet, wenn es die Zirkulation des Geldes nutzlos macht.
Die erste lange Krise
Auf die erste lange Krise, die nicht nur eine ökonomische war, denn sie folgte auf ein Jahrhundert sozialistischer Kämpfe, die 1871 in der „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ in der Pariser Kommune kulminierten, antwortete das Kapital mit einer dreifachen Strategie: Konzentration/Zentralisierung der Produktion und der Macht (Monopole), Ausweitung der Globalisierung und eine Finanzialisierung, die der industriellen Produktion ihre Vorherrschaft aufzwingt.
Das Kapital wurde monopolistisch, indem es den Markt zu seinem Anhängsel machte. Während die bürgerlichen Ökonomen das „allgemeine Gleichgewicht“ feiern, das das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmen würde, gedeihen die Monopole dank erschreckender Ungleichgewichte, Eroberungskriege, Kriege zwischen den Imperien, der Zerstörung von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen, Ausbeutung und Raub. Die Globalisierung bedeutet eine Kolonisierung, die heute den gesamten Planeten unterjocht, Sklaverei und Sklavenarbeit verallgemeinert, für deren Aneignung die nationalen Imperialismen sich bis auf die Zähne bewaffnet entgegentreten.
Die Finanzialisierung erwirtschaftete eine enorme Rendite, von der vor allem die beiden größten Kolonialreiche der Epoche profitierten, England und Frankreich. Dieser Kapitalismus, der einen tiefen Bruch mit demjenigen der industriellen Revolution markiert, wird Gegenstand der Analysen von Hilferding, Rosa Luxemburg und Hobson. Lenin ist sicherlich der Politiker, der den Wandel im Wesen des Kapitalismus am besten und in Echtzeit zu erfassen vermochte; und mit einem immer noch unübertroffenen Timing erarbeitete er mit den Bolschewiki eine an die Vertiefung des Klassenkampfes angepasste Strategie, die die Zentralisierung, die Globalisierung und die Finanzialisierung mitbedachte.
Die Vergesellschaftung des Kapitals, die in bisher unbekanntem Ausmaß und Tempo erfolgte, sollte die Profite und Einkommen wieder aufblühen lassen, und eine Polarisierung von Erträgen und Eigentum provozieren, eine Überausbeutung der kolonisierten Bevölkerungen und eine Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den nationalen Imperialismen. Diese kurze und euphorische Periode zwischen 1890 und 1914, die „Belle Époque“, mündete in ihr Gegenteil: den ersten Weltkrieg, die sowjetische Revolution, die europäischen Bürgerkriege, den Faschismus, den Nazismus, den zweiten Weltkrieg, den Beginn der revolutionären und antikolonialen Prozesse in Asien (China und Indochina), in Hiroshima und Nagasaki.
Die „Belle Époque“ läutete die Ära der Kriege und Revolutionen ein. Letztere sollten einander im Laufe des 20. Jahrhunderts stetig ablösen, aber nur im globalen Süden, in Ländern mit einem großen „Rückstand“ in der technologischen Entwicklung, ohne Arbeiterklassen, aber mit vielen Bauern. Niemals in der Geschichte der Menschheit gab es eine derartige Häufigkeit von politischen Umbrüchen, und alle, wie es Gramsci über die sowjetische Revolution sagte, „gegen das Kapital“ (das von Marx).
Die zweite lange Krise
Sie begann bereits in den frühen 1970er Jahren, als die vorherrschende imperialistische Macht, während sie den Dollar aus den Fängen der Realwirtschaft befreite, die Notwendigkeit erkannte, die Strategie zu ändern, indem sie den fordistischen Kompromiss brach.
Während der zweiten langen Krise (1978-1991) reduzierten sich die Wachstums-, Profit- und Investitionsraten im Vergleich zur Nachkriegszeit um die Hälfte und sollten nie wieder auf dieses Niveau zurückkehren. Auch in diesem Fall ist die Krise nicht bloß ökonomischer Art, sie interveniert nach einem mächtigen Zyklus der Kämpfe im Westen und einer Reihe sozialistischer Revolutionen und nationaler Befreiungen in den Peripherien. Das Kapital antwortet auf den Rückgang der Profite und auf eine erste Möglichkeit der „Weltrevolution“, indem es die Strategie eines Jahrhunderts zuvor wieder aufgreift, aber mit einer stärkeren Konzentration der Steuerung der Produktion, einer noch stärkeren Globalisierung und einer Finanzialisierung, die im Stande ist, den Monopolen und Oligopolen enorme Rendite zu garantieren. Die Wiederaufnahme dieser dreifachen Strategie ist ein Qualitätssprung im Vergleich zu derjenigen ein Jahrhundert zuvor. Lenin glaubte, dass die Monopole seinerzeit die „letzte Stufe“ des Kapitals darstellten. Stattdessen entwickelte sich zwischen 1978 und 1991 eine neue und aggressivere Typologie dessen, was Samir „verallgemeinerte Oligopole“ nannte[3], weil diese jetzt die Gesamtheit des Produktionssystems, der Finanzmärkte und deren Wertschöpfungsketten kontrollieren. Die Feier des Marktes wird gemeinsam mit der Durchsetzung der Monopole auch die Wiederaufnahme der zeitgenössischen kapitalistischen Initiative charakterisieren (Foucault wird an diesen Feiern teilhaben und Generationen von akademischen Linken damit beeinflussen).
Nach der zweiten „Belle Époque“, die von Clintons Losung „it’s the economy, stupid“ geprägt war, vom Ende der Geschichte, dem Triumph von Kapitalismus und Demokratie über den kommunistischen Totalitarismus und anderen ähnlichen Bonmots, beginnt wie vor einem Jahrhundert (und auf andere Weise) die Ära der Kriege und der Revolutionen. Kriege sind gewiss, Revolutionen nur im (entfernten) Bereich des Möglichen.
Das Triptychon von Konzentration, Globalisierung und Finanzialisierung ist der Ursprung aller Kriege und wirtschaftlichen, finanziellen, gesundheitlichen und ökologischen Katastrophen, die wir kennen und noch kennenlernen werden. Aber der Reihe nach: Wie funktioniert die Fabrik des angekündigten Desasters?
Die industrielle Landwirtschaft, eine der Hauptursachen für den Ausbruch des Virus, bietet ein Modell für die Funktionsweise der neuen Zentralisierung des Kapitals durch die „verallgemeinerten Oligopole“. Durch Saatgut, Chemikalien und Kredite kontrollieren die Oligopole die Produktion im vorgelagerten Bereich, während im nachgelagerten die Entsorgung von faulen Produkten und die Preisbildung nicht durch den Markt bestimmt werden, sondern durch die große Distribution, die die Preise willkürlich festlegt und so die unabhängigen Kleinbauern aushungert.
Die kapitalistische Kontrolle über die Reproduktion der „Natur“, die Abholzung der Wälder und eine industrielle wie intensive Landwirtschaft verändert die Beziehung zwischen Menschen und Nichtmenschen, aus der über die Jahre neue Arten von Viren entsprungen sind, grundlegend. Die Verwüstung der Ökosysteme durch die Industrien, die uns ernähren sollen, ist mit Sicherheit die Ursache der bereits etablierten Zyklen neuer Viren.
Das Monopol der Landwirtschaft ist strategisch für das Kapital und tödlich für die Menschheit und den Planeten. Ich überlasse das Wort Rob Wallace, dem Autor von Big Farms Make Big Flu, für den die Zunahme des Auftretens von Viren eng mit dem industriellen Modell der Landwirtschaft (und insbesondere der Viehzucht) und den Profiten multinationaler Konzerne verbunden ist.
„Der Planet Erde ist heute weitgehend eine einzige große industrielle Agrarfabrik, sowohl in Bezug auf die Biomasse, als auch die Landnutzung. (…) Das neoliberale Projekt ist fast vollständig darauf ausgerichtet, Unternehmen aus den stärker entwickelten Industrieländern zu unterstützen, Land und Ressourcen schwächerer Länder zu stehlen. Als Folge dessen werden viele dieser neuen Krankheitserreger, die zuvor in den über lange Zeiträume entstandenen Waldökosystemen gebunden waren, freigesetzt und bedrohen die ganze Welt. (…) Durch Züchtung genetischer Monokulturen von Nutztieren werden alle eventuell vorhandenen Immunschranken beseitigt, die die Übertragung verlangsamen könnten. Eine große Tierpopulation und -dichte fördert hohe Übertragungsraten. Solche beengten Verhältnisse beeinträchtigen die Abwehrkräfte des Immunsystems der Tiere. Ein hoher Durchlauf von Tieren, der Teil jeder industriellen Produktion ist, versorgt die Viren mit ständig neuen Wirtstieren, was die Ansteckungsfähigkeit der Viren unterstützt. Mit anderen Worten: Die Agrarindustrie ist so auf Gewinn ausgerichtet, dass die Entscheidung für ein Virus, das eine Milliarde Menschen töten könnte, das Risiko wert zu sein scheint.“[4]
Finanzialisierung
Die Finanzialisierung funktioniert als eine Art „Geldpumpe“, die eine Abschöpfung (Rendite) produktiver Aktivitäten und aller Formen des Einkommens und Vermögens unternimmt, in Größenordnungen, die auch für die Finanzialisierung im späten 19. und 20. Jahrhundert unvorstellbar waren. Der Staat spielt in diesem Prozess eine zentrale Rolle, indem er die Lohn- und Einkommensströme in Renditenströme verwandelt. Die Wohlfahrtsausgaben (insbesondere die Gesundheitsausgaben), Löhne und Renten sind nun an das finanzielle Gleichgewicht gebunden, das heißt, an das Niveau der von den Oligopolen gewünschten Rendite. Um dies zu gewährleisten, sind die Löhne, die Renten, der Sozialstaat gezwungen, sich – immer nach unten – an die Bedürfnisse der „Märkte“ anzupassen (der Markt war nie dereguliert und er konnte sich nie selbst regulieren; in der Nachkriegszeit wurde er vom Staat reguliert und in den letzten 50 Jahren von den Monopolen). Die eingesparten Sozialausgaben in Milliardenhöhe werden Unternehmen zur Verfügung gestellt, die nicht Beschäftigung, Wachstum oder Produktivität, sondern Rendite entwickeln. Die Abschöpfung wird bevorzugt über die öffentliche und private Verschuldung vorgenommen, die Quellen gieriger Aneignung sind, aber auch ein Nährboden für die Krise, wenn sie wie in einem Delirium akkumuliert werden, wie nach 2008, begünstigt durch die Politik der Zentralbanken (die Schuldenblase der Unternehmen, die sich mit Hilfe des quantitative easing zum Nulltarif verschuldet haben, um an der Börse zu spekulieren, explodiert!). Versicherungen und Pensionskassen sind wie Geier, die aus den gleichen Gründen den gesamten Wohlfahrtsstaat ständig zur Privatisierung drängen.
Die gesundheitliche Krise
Dieser Mechanismus zur Vereinnahmung der Rendite hat das Gesundheitssystem in die Knie gezwungen und seine Möglichkeiten geschwächt, mit gesundheitlichen Notfällen umzugehen.
Es handelt sich nicht nur um die auf Milliarden von Dollars geschätzten Kürzungen der Gesundheitsausgaben (37 in den letzten zehn Jahren in Italien), die Nichteinstellung von Ärzten und Gesundheitspersonal, die kontinuierliche Schließung von Krankenhäusern und die Konzentration der verbleibenden Aktivitäten zur Steigerung der Produktivität, sondern vor allem um das kriminelle „zero bed, zero stock“ des New Public Management. Die Idee ist, das Krankenhaus nach der Logik der „just in time“-Ströme der Industrie zu organisieren: Kein Bett soll unbesetzt bleiben, weil es einen ökonomischen Verlust darstellt. Diese Verwaltung auf die Güter anzuwenden (ganz zu schweigen von den Arbeiter*innen!) war schon problematisch, aber sie auf die Kranken auszudehnen, ist Irrsinn. Das „zero stock“ betrifft auch die medizinische Infrastruktur (die Industrien sind in derselben Situation, weil sie keine Beatmungsgeräte auf Lager hat, muss sie diese produzieren), Medikamente, Masken, etc. Alles soll „just in time“ geschehen.
Der vom französischen Staat erstellte Antipandemieplan (ein biopolitisches Dispositiv par excellence), der einen Vorrat an Masken, Beatmungsgeräten, Medikamenten, Interventionsprotokollen, usw. vorsah, der nach der Ausbreitung der Viren H5N1 in den Jahren 1997 und 2005, Sars im 2003 und H1N1 im 2009 von einer spezifischen Institution (Eprus) verwaltet wurde, ist seit 2012 durch die in der öffentlichen Verwaltung etablierte Buchhaltungslogik demontiert worden, die von einer typisch kapitalistischen Aufgabe besessen ist: immer und in jedem Fall die (öffentlichen) Gelder zu optimieren, für die jeder Vorrat eine nutzlose Immobilisierung darstellt. Und sie wendet einen anderen typisch kapitalistischen Reflex an: kurzfristig zu handeln. In der Folge sieht sich der französische Staat, der perfekt auf die Unternehmen abgestimmt ist und dem jegliches Prinzip des „Schutzes der Bevölkerung“ abgeht, völlig unvorbereitet dem gegenwärtigen „unvorhersehbaren“ Gesundheitsnotstand gegenüber.
Jede kleine Panne reicht aus, dass das Gesundheitssystem in die Luft fliegt, was Kosten in Form von Menschenleben verursacht, aber auch wirtschaftliche Kosten, die sehr viel höher sind als die Milliarden, die zum Schaden der Bevölkerung ergattert wurden (Weber verbürgt, dass der Kapitalismus kein Rationalisierungsprozess ist, sondern das exakte Gegenteil).
Zweifellos stellt jedoch das Monopol der Medikamente die vielleicht unerträglichste Ungerechtigkeit dar.
Mit der Finanzialisierung haben viele pharmazeutische Oligopole ihre Forschungseinheiten geschlossen und beschränken sich darauf, Start-up-Patente aufzukaufen, um ein Monopol auf Innovation zu haben. Dank der monopolistischen Kontrolle bieten sie dann Medikamente zu exorbitanten Preisen an, die den Zugang für die Kranken reduzieren. Die Hepatitis-C-Behandlung, die dem Unternehmen, das sich das Patent für 11 Milliarden sicherte, in sehr kurzer Zeit 35 Milliarden einbrachte, erzielte enorme Profite an der Gesundheit der Kranken – ohne die übliche Rechtfertigung der Forschungskosten ist das schlicht und einfach Finanzspekulation. Gilead, die Patentinhaberin, ist auch das Unternehmen mit dem vielversprechendsten Medikament gegen Covid19. Wenn diese Schakale nicht enteignet werden, wenn die Oligopole der großen Pharmakonzerne nicht zerstört werden, ist jegliche öffentliche Gesundheitspolitik unmöglich.
Die Gesundheitssektoren werden weder von der biopolitischen „Sorge um die Bevölkerung“ noch von der ebenso allgemeinen „Nekropolitik“ regiert. Sie werden von präzisen, akribischen, alles durchdringenden, in ihrem Wahnsinn rationalen und in ihrer Ausführung gewaltsamen Dispositiven der Profite und Renditen beherrscht.[5]
Die Gouvernementalität verfügt nicht über ein inneres Prinzip, das ihre Ausrichtung bestimmt, denn das, was regieren soll, das Triptychon von Konzentration, Globalisierung und Finanzialisierung zeitigt seine Konsequenzen nicht für eine Bevölkerung, sondern für Klassen. Die Kapitalisten denken in Begriffen der Klasse und nicht in solchen der Bevölkerung, und auch der Staat, der die sogenannten biopolitischen Dispositive verwalten soll, entscheidet nun offenkundig auf dieser Grundlage, weil er sich seit mindestens 50 Jahren buchstäblich im Griff der Machtagenten des Kapitals befindet.
Es ist der Klassenkampf des Kapitals, im Moment der einzige, der konsequent und ohne Zögern geführt wird, der alle Entscheidungen lenkt, wie die Maßnahmen gegen das Virus unverfroren zeigen.
Alle von Macron für Unternehmen getroffenen Entscheidungen und Finanzierungen liegen in einer perfekten Kontinuität mit der Politik des französischen Staates seit 1983. Nachdem die Kämpfe des Krankenhauspersonals – einschließlich der Ärzte –, die den Zerfall des Gesundheitssystems im vergangenen Jahr anprangerten, unterdrückt wurden, gewährte der Staat nach Ausbruch der Pandemie schäbige 2 Milliarden für die Krankenhäuser. Stattdessen wurden auf „Druck“ der Arbeitgeber*innen die Rechte der Arbeitnehmer*innen suspendiert, die ihren Arbeitsplan regulieren sollten (sie können nun bis zu 60 Wochenstunden arbeiten) und ihre Ferien ausgesetzt (die Arbeitgeber können beschließen, die durch das Virus verlorenen Tage in Urlaubstage zu verwandeln), ohne Angabe, wann diese spezielle Arbeitsgesetzgebung endet.
Das Problem ist nicht die Bevölkerung, sondern wie die Wirtschaft, d.h. das Leben des Kapitals gerettet werden kann. Es zeichnet sich keine einzige Revanche des Wohlfahrtsstaates am Horizont ab! Macron hat bei der „Caisse des dépôts et consignations“ eine Studie für die Reorganisation des Gesundheitssektors in Auftrag gegeben, die zu einer noch stärkeren Nutzung des privaten Sektors ermutigt.
Der Lockdown in Italien war lange Zeit eine Farce (wie jetzt auch der in Frankreich), da sich die Confindustria (Arbeitgeberverband) gegen die Schließung von Produktionseinheiten ausgesprochen hat. Millionen von Arbeiter*innen waren jeden Tag unterwegs, zusammengedrängt im öffentlichen Verkehr, in Fabriken und Büros, während Jogger*innen Verantwortungslosigkeit vorgeworfen wurde und Versammlungen über zwei Personen verboten wurden. Es waren die wilden Streiks, die die „totale“ Schließung anregten, gegen die sich die Arbeitgeber*innen nach wie vor wehren.
Die Ausrufung des Ausnahmezustands durch Trump verwandelte die Pandemie in eine kolossale Gelegenheit, öffentliche Gelder an private Unternehmen zu überweisen. Nach derzeitigem Kenntnisstand erlaubt der Gesundheitsnotstand:
– Für WalMart die Durchführung von drive-thru Tests auf 4769 Parkplätzen seiner Filialen.
– Für Google die Beauftragung von 1700 Ingenieuren, um eine Website zu erstellen, um zu bestimmen, ob die Leute einen Test brauchen – zunächst in der San Francisco Bay Area, nicht landesweit.
– Für Becton Dickinson das Verkaufen von medizinischen Produkten.
– Für Quest Diagnostics die Ausarbeitung von Labortests.
– Für den schweizerischen Pharmariesen Roche die Autorisierung durch die Food and Drug Administration der Vereinigten Staaten zur Nutzung ihrer Diagnosesysteme.
– Für Signify Health, Lac Corp, CVS, LHV Group das Anbieten von Tests und Gesundheitsdiensten für zu Hause.
– Für Thermo Fisher, ein Privatunternehmen, die Zusammenarbeit mit der Regierung zur Beschaffung von Tests.
Die Aktien dieser Unternehmen gehen bereits durch die Decke.
Nachdem Trump den Nationalen Sicherheitsrat für Pandemien 2018 mit einem perfekten Timing aufgelöst hat (nutzlose Ausgaben!), ist die „innovative Lösung“ der Regierung, wie Deborah Birx, die Aufseherin der Corona-Task-Force im Weißen Haus, es ausdrückte, jetzt „vollständig darauf konzentriert, die Macht des privaten Sektors zu entfesseln“. Die mörderische Absurdität dieses Systems zeigt sich nicht nur dann, wenn die Rendite als „optimale Verteilung der Ressourcen“ in den Händen einiger weniger akkumuliert wird, sondern auch dann, wenn Ressourcen, die keine Investitionsmöglichkeiten finden, entweder im Finanzkreislauf verbleiben oder in Steuerparadiesen gesichert werden, während es Ärzten und Krankenschwestern an Masken, Abstrichstäbchen, Betten, Ausrüstung und Personal fehlt.
Sie haben so viel Geld hineingepumpt, wie sie konnten, und dieses Geld ist unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus nur steriles und wirkungsloses Altpapier, weil es nicht in Geld-Kapital umgewandelt werden kann. Sogar die sogenannten „Märkte“ erkennen dies und hinterfragen es mehr und mehr, auch wenn sie nicht wissen, was sie tun sollten. Die Finanzierung und Intervention der Zentralbanken läuft Gefahr, zu scheitern, denn es geht nicht mehr darum, die Banken zu retten, sondern um die Rettung der Unternehmen. Die Milliarden, die durch das quantitative easing eingespeist wurden, haben am Ende die Spekulationen der Banken, aber auch der Unternehmen und Oligopole finanziert und die private Verschuldung aufgebläht, die seit Jahren die öffentliche Verschuldung übersteigt. Die Finanzlage ist verheerender als nach 2008. Aber dieses Mal ist, im Unterschied zu 2008, die Realwirtschaft (sowohl auf der Seite des Angebots als auch der Nachfrage) zum Stillstand gekommen und nicht die Transaktionen zwischen Banken. Wir laufen Gefahr, Zeugen einer neuen Version der Krise von 1929 zu werden, die zu einem Remake dessen werden könnte, was unmittelbar danach geschah.
Ein neuer Marshallplan?
Geld funktioniert und ist mächtig, wenn es eine politische Maschine gibt, die es benutzt, und diese Maschine besteht aus Machtbeziehungen zwischen den Klassen. Diese Beziehungen sind es, die sich ändern müssen, denn sie sind es, die am Ursprung der Katastrophe stehen. Wenn weiterhin Geld injiziert wird und die Machtbeziehungen aber unverändert belassen werden, reproduziert man nur die Ursachen der Krise und verschärft sie durch die Schaffung immer bedrohlicherer Spekulationsblasen. Darum dreht die kapitalistische Maschine im Leeren und verursacht Schäden, die irreparabel zu sein drohen.
Die keynesianischen Politiken bestanden nicht nur in einer Geldsumme, die antizyklisch in die Wirtschaft eingeworfen wurde, sondern sie implizierten, um zu funktionieren, eine radikale politische Veränderung im Vergleich zum Kapitalismus der Finanzhegemonie des vorhergehenden Jahrhunderts: die eiserne Kontrolle des Finanzwesens (und der Kapitalbewegungen, die sich jetzt wegen des Virus rasch aus den Entwicklungsländern zurückziehen), denn wenn den Aktionären und Finanzinvestoren, die sich die Rendite teilen, offen gelassen wird, ihre Macht auszuweiten und zu verstärken, werden sich nur die Katastrophen der Kriege, Bürgerkriege und Wirtschaftskrisen des frühen 20. Jahrhunderts wiederholen. Der fordistische Kompromiss sah eine zentrale Rolle für die in die Logik der Produktivität integrierten Institutionen der „Arbeit“ vor, wie auch eine staatliche Kontrolle über die Fiskalpolitik, die das Kapital und die Reichen besteuerte, um die durch die finanzielle Rendite usw. auferlegten Einkommens- und Vermögensunterschiede zu reduzieren. Hinter den Milliarden, die die Zentralbanken der Wirtschaft zur Verfügung stellen und die nur dazu dienen, den Kollaps des Systems zu verhindern und den Konflikt hinauszuzögern, verbirgt sich nichts, was diesen Politiken auch nur annähernd ähnlich sieht. Es macht keinen Unterschied, wenn statt des quantitative easing Milliarden in grüne Wirtschaft investiert würden, und nicht einmal, wenn ersatzweise ein Grundeinkommen geschaffen würde (das wir, wenn sie es uns geben, in der Zwischenzeit nutzen, um die Kämpfe gegen diese Todesmaschine zu finanzieren).
Keynes, der diese Kanaillen gut kannte, sagte, dass „sie bereit sind, die Sonne und die Sterne auszuschalten, um den Profit zu garantieren“. Diese Logik wird durch die Interventionen der Zentralbanken in keiner Weise angegriffen, sondern bestätigt. Wir können nur mit dem Schlimmsten rechnen!
Wenn man diese Logik ein bisschen weiter ausführt (aber nur sehr wenig, das versichere ich euch), werden wir neue Formen des Völkermords kennen lernen, die die verschiedenen „Intellektuellen“ der Macht dann nicht mehr zu erklären wissen („il male oscuro“, der „Schlaf der Vernunft“, die „Banalität des Bösen“, etc.).
Die Kriege gegen die „Lebenden“
Die Einsperrung, die wir erleben, sieht sehr nach einer Generalprobe für die nächste, kommende „ökologische“ (oder atomare, wie man lieber will) Krise aus. Zuhause eingeschlossen, um uns gegen einen „unsichtbaren Feind“ zu verteidigen – unter einer bleiernen Glocke, organisiert von denjenigen, die für die geschaffene Situation verantwortlich sind.
Der zeitgenössische Kapitalismus verallgemeinert den Krieg gegen die Lebenden, doch das tut er seit den Anfängen seiner Geschichte, weil sie das Objekt seiner Ausbeutung sind – und um sie auszubeuten, muss er sie unterwerfen. Das Leben der Menschen muss, wie die ganze Welt sehen kann, der Buchhaltungslogik unterworfen werden, die das öffentliche Gesundheitswesen organisiert und darüber entscheidet, wer lebt und wer stirbt. Das nichtmenschliche Leben findet sich unter den gleichen Bedingungen wieder, weil die Akkumulation des Kapitals unendlich ist, und wenn das Lebendige in seiner Endlichkeit eine Grenze für seine Ausdehnung darstellt, stellt sich ihm das Kapital entgegen, wie allen Grenzen, die es vorfindet: indem es sie überwindet. Diese Überwindung impliziert notwendigerweise das Aussterben jeglicher Spezies.
Sowohl die menschliche Spezies als auch die nichtmenschlichen sind nur als Investitionsmöglichkeiten und als Quelle von Profit attraktiv.
Die Oligopole scheren sich (sagen wir es so, wie sie es empfinden!) um all die Konferenzen der Welt über Ökologie, Gaia, das Klima oder den Planeten einen Dreck. Für sie existiert die Welt nur für die kurze Zeitspanne, um das investierte Kapital Früchte tragen zu lassen. Jeder andere Begriff von Zeit ist ihnen komplett fremd.
Was sie beunruhigt, ist die relative „Knappheit“ der vor fünfzig Jahren noch weithin verfügbaren natürlichen Ressourcen. Sie sorgen sich um den exklusiven Zugang zu diesen Ressourcen, den sie benötigen, um die Kontinuität ihrer Produktion und ihres Verbrauchs zu gewährleisten, was eine absolute Verschwendung eben dieser Ressourcen darstellt. Sie sind sich völlig im Klaren darüber, dass es nicht genügend Ressourcen für alle gibt und dass das demographische Ungleichgewicht wachsen wird (schon heute leben 15% der Weltbevölkerung im Norden und 85% im Süden).
Weit entfernt von jeglichem ökologischen Kopfzerbrechen; bereit, jeden einzelnen Baum im Amazonasgebiet zu fällen; im Bewusstsein, dass nur eine Militarisierung des Planeten ihnen exklusiven Zugang zu den natürlichen Ressourcen garantieren kann. Es brauen sich nicht nur weitere riesige Naturkatastrophen zusammen, sondern auch „ökologische“ Kriege (um Wasser, Erde, usw.).
Wie immer bereit, ihre Konflikte mit dem Süden mittels Waffen zu regeln, werden sie diese ohne zu zögern benutzen, um sich alles zu nehmen, was sie brauchen, genau wie bei den Kolonien. Afrika mit seinen Ressourcen ist grundlegend, die Afrikaner*innen, die dort leben, einiges weniger.
Aber fahren wir in den Spuren von Samir Amin mit der Analyse der nächsten Katastrophe fort, die bereits im Gange ist: Scheinbar stellt die Globalisierung nicht mehr die Industrieländer den „unterentwickelten“ Ländern gegenüber. Stattdessen kommt es zu einer Verlagerung der Industrieproduktion in die letzteren, die als Subunternehmen der Monopole ohne jede mögliche Autonomie funktionieren, da ihre Existenz von den Bewegungen ausländischen Kapitals abhängt (abgesehen von China). Aber die Polarisierung zwischen Zentrum und Peripherie, die der kapitalistischen Expansion ihren imperialistischen Charakter verleiht, hält an und vertieft sich. Sie wird innerhalb der Schwellenländer reproduziert: Ein Teil der Bevölkerung arbeitet in Unternehmen und der verlagerten Wirtschaft, während der entscheidende Teil nicht in Armut, sondern ins Elend abfällt.
Die Finanzialisierung erzwingt eine beschleunigte „ursprüngliche Akkumulation“ in diesen Ländern. Sie müssen sich industrialisieren, „modernisieren“ und in wenigen Jahren aufholen, was die Länder des Nordens im Laufe der Jahrhunderte erreicht haben. Die ursprüngliche Akkumulation erschüttert das Leben von Menschen und Nichtmenschen in einer absurd beschleunigten Weise und verändert ihre Beziehungen, wodurch die Bedingungen für die Entstehung von „Ungeheuern“[6] aller Art geschaffen werden.
Das Neue der zeitgenössischen Globalisierung liegt darin, dass sich diese Verteilung von Zentrum/Peripherie auch innerhalb der Länder des Nordens installiert: Inseln von stabiler, entlohnter, anerkannter Arbeit, garantiert durch Rechte und Vorschriften (die allerdings kontinuierlich schrumpfen), umgeben von Ozeanen unbezahlter oder billiger Arbeit ohne Rechte und ohne soziale Absicherung (Prekäre, Frauen, Migrant*innen). Die Maschine „Zentrum/Peripherie“ ist nicht verschwunden. Sie hat nicht nur neokoloniale Formen angenommen, sondern hat sich in die westliche Ökonomie integriert. Die Organisation der Arbeit auf der Grundlage des General Intellect, der kognitiven, neuronalen Arbeit usw. zu analysieren, heißt, einen eurozentrischen Standpunkt einzunehmen, einen der schlimmsten Fehler des westlichen Marxismus, der sich unerschrocken weiter reproduziert.
Die Länder der Peripherie werden nicht bloß durch die Finanzen kontrolliert und gesteuert, sondern auch durch das Monopol der Technik und der Wissenschaft, das vollständig in den Händen der Oligopole liegt (das Recht gibt ihnen zudem die Waffe des „geistigen Eigentums“). Was auch immer die Macht von Technik und Wissenschaft sein mag, es sind Dispositive, die innerhalb einer politischen Maschine funktionieren. Der Kapitalismus, unter dem wir leiden, ist, um es auf eine Formel zu bringen, ein High-Tech-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, mit dem Hintergrund des Sozialdarwinismus, ohne die couragierten Klassenkämpfe der damaligen Zeit! – mehr als ein „digitaler Kapitalismus“, ein „Wissenskapitalismus“, usw. Es sind nicht Wissenschaft und Technik, die das Wesen der Profitmaschine bestimmen, sie erleichtern nur die Produktion und die Reproduktion der Klassenunterschiede.
Kriege, gewiss! Und die Revolutionen?
Die zweite lange Krise eröffnet wie die erste eine neue Ära der Kriege und Revolutionen.
Der Krieg hat seine Gestalt verändert. Er wütet nicht mehr zwischen nationalen Imperialismen, wie es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fall war. Was der langen Krise entspringt, ist nicht das Empire von Negri und Hardt, eine durch die Tatsachen weitgehend widerlegte Hypothese, sondern eine neue Form des Imperialismus, die Samir Amin als „kollektiver Imperialismus“ bezeichnet. Gebildet durch das Dreigestirn der Vereinigten Staaten, Europa und Japan und angeführt von ersteren, verwaltet der neue Imperialismus interne Konflikte um die Einkommensverteilung und führt schonungslose soziale Kriege gegen die subalternen Klassen des Nordens, um ihnen alles zu nehmen, was sie im Laufe des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnten, während er stattdessen wahrhafte Kriege gegen den globalen Süden organisiert, um die exklusive Kontrolle über natürliche Ressourcen, Rohstoffe und unbezahlte oder billige Arbeitskraft zu erlangen oder einfach um seine Kontrolle und die verallgemeinerte Apartheid durchzusetzen. Diejenigen Staaten, die es versäumen, die notwendigen strukturellen Anpassungen vorzunehmen, um ausgeplündert zu werden, werden von Märkten und Schulden erdrosselt oder von Gentlemen wie den Präsidenten der Vereinigten Staaten, die eine erschreckende Anzahl von Toten auf dem Gewissen haben, zu „Schurkenstaaten“ erklärt.
Die amerikanischen und britischen Neoliberalen versuchten zu Beginn der Epidemie, den sozialen Krieg gegen die subalternen Klassen sogar noch zu erweitern, und ihn dank des Virus in die malthusianische Eliminierung der Schwächsten zu verwandeln. Die liberalistische Antwort auf die Pandemie hatte noch vor Boris Johnson der Analyst beim Wirtschaftssender CNBC Rick Santelli klar und deutlich formuliert: „Impfen wir den Erreger der ganzen Bevölkerung ein. Es würde nur einen unvermeidlichen Kurs beschleunigen, aber die Märkte würden sich stabilisieren“. Das ist es, was sie wirklich denken. Unter günstigeren Bedingungen würden sie nicht einen Moment zögern, die „Herdenimmunität“ umzusetzen.
Diese Gentlemen, getrieben von den Interessen der Finanzwelt, sind von China besessen. Aber nicht aus den Gründen, die sie selbst in die öffentliche Meinung einbringen. Was sie nicht schlafen lässt, ist nicht der industrielle Wettbewerb oder der des Handels, sondern die Tatsache, dass in China, der einzigen ökonomischen Großmacht, die weltweite Organisation der Produktion und des Handels liegt, das Land sich aber weigert, in die Kreisläufe der Finanzhaie integriert zu werden. Die Banken, Wechselkurse, Börsen und Kapitalbewegungen stehen unter der strengen Kontrolle der chinesischen kommunistischen Partei. Die furchterregendste Waffe des Kapitals, die in allen Ecken der Gesellschaft und der Erde Wert und Reichtum absorbiert, funktioniert in China nicht. Die großen Oligopole können nicht einmal die Produktion und das politische System kontrollieren, und sie sind auch nicht in der Lage, die Wirtschaft zu zerstören, wie sie es mit anderen asiatischen Ländern zu Beginn des Jahrhunderts getan haben, als diese die von den internationalen Institutionen des Kapitals diktierten Anordnungen nicht respektierten. Sie könnten deswegen versucht sein, einen Konflikt zu beginnen. Aber angesichts der Ungenauigkeit und Inkompetenz der imperialistischen Regierungen und Staaten bei der Bewältigung der Gesundheitskrise sollten sie es sich zweimal überlegen. Vom Osten her betrachtet, bleiben sie „Papiertiger“.
Um es klar zu sagen: China ist kein sozialistisches Land, aber es ist weder ein kapitalistisches Land im klassischen Sinn noch neoliberal, wie viele Dummköpfe meinen.
Der Ausnahmezustand
Was Agamben und Esposito im Kielwasser von Foucault anscheinend nicht einsehen wollen, ist, dass Biopolitik, wenn es sie je gegeben hat, heute radikal dem Kapital unterworfen ist, und es wenig sinnvoll erscheint, das Konzept weiter zu verwenden. Es ist schwierig, etwas über die Gegenwart zu sagen ohne eine Analyse des Kapitalismus, der den Staat vollständig verschlungen hat. Die seit der Eroberung der Amerikas funktionierende Allianz von Kapital und Staat hat im 20. Jahrhundert einen radikalen Wandel durchgemacht, dessen sich selbst Carl Schmitt, wenn auch melancholisch, komplett bewusst war: das Ende des Staates, wie ihn Europa seit dem 17. Jahrhundert kannte, weil seine Autonomie nach und nach reduziert wurde und seine Strukturen, einschließlich der sogenannten Biopolitik, zu Artikulationen der Kapitalmaschine wurden.
Die Philosophen des Italian Thought haben den gleichen Fehler gemacht wie Foucault (aber vierzig Jahre später, das ist unverzeihlich!), der 1979, einem strategischen Jahr für die Initiative des Kapitals (die amerikanische Federal Reserve läutet im großen Stil die Schuldenpolitik ein), erklärte, dass die Produktion von „Reichtum und Armut“ ein Problem des 19. Jahrhunderts sei. Die eigentliche Frage wäre die des „Zuviel an Macht“. Bei wem? Das bleibt unklar. Beim Staat, der Biomacht, den Dispositiven der Gouvernementalität? Genau im selben Jahr wurde eine Strategie entworfen, die in Gänze auf der Produktion von hirnrissigen Unterschieden zwischen Reichtum und Armut beruht, und das „Zuviel an Macht“ ist dasjenige des Kapitals, das, wenn wir die alten und abgenutzten Kategorien verwenden wollen, der „Souverän“ ist, der über Leben und Tod von Milliarden Menschen entscheidet, über Kriege und über gesundheitliche Notlagen.
Der Ausnahmezustand wurde genauso von der Profitmaschine gebildet, so sehr nämlich, dass er mit dem Rechtsstaat koexistiert und beide in ihren Diensten stehen. Gefangen von den Interessen einer vulgären Warenproduktion ist er verbürgerlicht worden. Er hat nicht mehr die Bedeutung, die Schmitt ihm zuschreibt! Nachdem er seine erhabene und grausame Fähigkeit verloren hat, über ein tragisches Ende oder einen neuen Anfang zu „entscheiden“, ist er zu einem einfachen Instrument der öffentlichen Ordnung geworden.
Sibyllinische Schlussfolgerung
Die Kommunisten erschienen zum Ende der ersten „Belle Époque“ bewaffnet mit einer begrifflichen Ausrüstung der Avantgarde, einem Organisationsgrad, der sogar dem Verrat der Sozialdemokratie Paroli bieten konnte, die für Kriegskredite stimmte, einem Diskurs über die Beziehung zwischen Kapitalismus und Arbeiterklasse und einer Revolution, deren Ergebnisse die Kapitalisten und den Staat zum ersten Mal erzittern ließen. Nach dem Scheitern der europäischen Revolutionen verlagerten sie das Gravitationszentrum des politischen Handelns in den Osten, zu den unterdrückten Ländern und „unterdrückten Völkern“, indem sie den Zyklus der wichtigsten Kämpfe und Revolutionen des 20. Jahrhunderts eröffneten: den Bruch mit der kapitalistischen Maschine, die seit 1942 in der Trennung zwischen Zentrum und Kolonien, abstrakter und unbezahlter Arbeit, zwischen Manchester-Produktion und kolonialem Raubbau organisiert war. Der revolutionäre Prozess in China und Vietnam war ein Impuls für ganz Afrika, Lateinamerika und alle „unterdrückten Völker“.
Sehr schnell, unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, geriet dieses Modell in die Krise. Wir haben scharf und zu Recht kritisiert, allerdings ohne etwas vorschlagen zu können, was so weit gehen würde. Wir müssen in aller Deutlichkeit feststellen, dass wir das Ende der zweiten „Belle Époque“ komplett unbewaffnet erreichen, ohne Begriffe, die der Entwicklung der Macht des Kapitals gerecht würden und mit einer inexistenten Ebene der politischen Organisation.
Die Geschichte verläuft nicht linear, keine Angst. Schon Lenin sagte: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen“.
Aber wir müssen neu beginnen, denn das Ende der Pandemie wird der Anfang sehr harter Klassenkonfrontationen sein. Wir müssen ausgehen von dem, was in den Kampfzyklen von 2011 und 2019/2020 zum Ausdruck kam, in denen nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen Nord und Süd bestehen. Es gibt keine Möglichkeit einer politischen Neubelebung, wenn wir in Europa verschlossen bleiben. Um zu verstehen, warum die Eklipse der Revolution uns ohne jede strategische Perspektive hinterließ, und um zu überdenken, was ein politischer Bruch mit dem Kapitalismus heute ausmacht. Um die mehr als greifbaren Grenzen von Kategorien zu kritisieren, die die Klassenkämpfe auf globaler Ebene nicht im Geringsten erklären. Diese Kategorie nicht aufzugeben und stattdessen den theoretischen und praktischen Übergang vom Klassenkampf zu den Klassenkämpfen im Plural zu organisieren. Und mit dieser sibyllinischen Bekräftigung schließe ich.
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[1] Rob Wallace, Alex Liebman, Luis Fernando Chaves, Rodrick Wallace, „Covid-19 und die Kreisläufe des Kapitals“, Übersetzung: Christoph Brunner und Brigitta Kuster, https://transversal.at/transversal/0420/wallace-etal/de.
[2] Vgl. Samir Amin: „Überwindet den Krisenkapitalismus. Für eine Erneuerung des schöpferischen Marxismus“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik [Hg.]: Exit: Mit Links aus der Krise, Berlin: Edition Blätter 2011, S. 138-153. (A.d.Ü).
[3] Die Oligopole sind „finanzialisiert“, was nicht bedeutet, dass eine Gruppierung als Oligopol einfach aus Finanzunternehmen, Versicherungsgesellschaften oder Pensionskassen besteht, die auf den spekulativen Märkten operieren. Die Oligopole sind Gruppen, die sowohl große Finanzinstitutionen, Banken, Versicherungen und Pensionskassen als auch große produktive Einheiten kontrollieren. Sie kontrollieren die Geld- und Finanzmärkte, die in allen anderen Märkten eine vorherrschende Stellung innehaben.
[4] Interview mit Rob Wallace: „Coronavirus: ‹Die Agrarindustrie würde Millionen Tote riskieren“, in: Marx21, 11. März 2020, https://www.marx21.de/coronavirus-gefahren-ursachen-loesungen/. (Übers. mod.).
[5] Die Einsperrung ist sicherlich eine Technik der Biopolitik (Verwaltung der Bevölkerung durch Statistiken, Ausschluss und die Individualisierung der Kontrolle, die bis in die kleinsten Details der Existenz geht, usw.), aber diese Techniken haben keine eigene Logik, sondern sind zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als es der Arbeiterbewegung gelang, sich zu organisieren, Gegenstand der Klassenkämpfe. Der Wohlfahrtsstaat im 20. Jahrhundert war Gegenstand von Kämpfen und Verhandlungen zwischen Kapital und Arbeit, ein fundamentales Instrument, um den Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts entgegenzuwirken und die Institutionen der Arbeiterbewegung und später die Kämpfe der Frauen usw. zu integrieren. Der gegenwärtige Wohlfahrtsstaat wurde, seit die Machtbeziehungen alle wie heute üblich zugunsten des Kapitals verlaufen, wie jede andere Industrie, zu einem eigenen Investitions- und Verwaltungssektor umgewandelt, und er hat seine Profitlogik der Gesundheitswesen, der Schulbildung, den Renten usw. aufgezwungen. Selbst wenn der zeitgenössische Staat interveniert, wie er es in dieser Krise tut, tut er es aus einem Klassenstandpunkt und um eine Machtmaschine zu retten, von der er nur ein Teil ist. Wir leben nicht in einer biopolitischen Gesellschaft (R. Esposito), sondern in einer hyperkapitalistischen.
[6] Vgl. Samir Amin: „Überwindet den Krisenkapitalismus“, S. 150. (A.d.Ü.)