06 2001
Ende des ästhetischen Wohlfahrtsstaates?
Vortrag von 31. Mai 1996, am Symposium "Kulturpolitik?!" im Salzburger Kunstverein, veranstaltet vom Salzburger Kunstverein, den Galerien Fotohof und 5020, der Initiative Architektur und der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst.
In seinem Schlüsseltext zum Diskurs um den Postmodernismus
wirft Fredric Jameson die Frage nach den effektivsten Formen
einer zeitgemäßen Kulturpolitik auf. Eine der zentralen
kulturpolitischen Aufgaben sieht Jameson in der Entwicklung
einer "Ästhetik, Theorie und Politik der kognitiven
Kartographie". Sie impliziert, dass Künstler und
Theoretiker Orientierungen liefern, die einen Sinn für
die Position im neuen globalen gesellschaftlichen Raum vermitteln.[1]
Jameson greift in seiner kognitiven Kartographie der konstitutiven
Merkmale der Gegenwartsgesellschaft auf die wichtigsten Einsichten
der poststrukturalistischen Theorie (z. B. Simulacrum, Dezentrierung
des Subjekts, Zerreißen der Signifikantenkette) zurück,
aber auch auf die älteren Diagnosen der Theoretiker der
Massenkultur, die - wie etwa Adorno oder Dwight MacDonald
- bereits in den 50er Jahren die Auflösung der Grenzen
von Hoch- und Massenkultur bzw. die Durchdringung von Ökonomie
und Kultur, wie wir sie heute auch in Europa erleben, vorhersagten.
Jameson begreift diese Tendenzen als "Postmodernismus",
den er nicht als Stil, sondern als kulturelle Dominante interpretiert,
als homologen Ausdruck einer dritten Phase der Ökonomie
des Westens, des "multinationalen Kapitalismus".
Dieser "Spätkapitalismus" ist globaler, reiner
und durch amerikanische Hegemonie bzw. die damit einhergehende
Diffusion amerikanischer Modelle geprägt.
Im Unterschied zu gängigen soziologischen Diagnosen der
Gegenwartsgesellschaft (z. B. von Bell, Bourdieu oder Luhmann)
postuliert Jameson eine Auflösung nicht nur der Autonomie,
sondern auch der relativen Autonomie der Kultur. Die Kultur
breitet sich aus dieser Perspektive in alle Lebensbereiche
aus. Andererseits dringt die Warenlogik in einem Maße
in die Felder der kulturellen Produktion ein, dass der Rahmen
der ästhetischen Sphäre zusammenbricht. Diese Durchdringung
von Ökonomie und Kultur lässt für Jameson alle
Versuche einer "negativen Ästhetik", von Kant
bis Greenberg und Adorno, am "authentischen" oder
"reinen" Werk festzuhalten, obsolet erscheinen.
Jamesons Theorie, in der Mitte der 80er Jahre formuliert,
geriet vor allem wegen ihres ökonomischen Reduktionismus
in die Kritik. Auch ihre "Kulturimperialismus"-Annahme
ist umstritten. Nach dem Sieg der "freien Markt-Ökonomik"
über den Sozialismus, der Implosion der UdSSR und dem
Zusammenbruch der bipolaren Struktur hat die These einer unter
amerikanischen Vorzeichen stehenden Globalisierung allerdings
an Plausibilität gewonnen. Politologen, wie Fukuyama,
gehen von einer weiteren Diffusion des Liberalismus amerikanischer
Prägung aus und setzen die Ausbreitung dieses Modells
sogar mit dem Ende der Geschichte gleich. Ökonomen, wie
Thurow, beschreiben die Globalisierung der Logik des Marktes
und eine in der jüngeren Geschichte beispiellose Verdrängung
des Öffentlichen durch das Private.[2]
Speziell im kulturellen Bereich lässt sich eine Diffusion
amerikanischer Modelle kaum übersehen, von der Ausbreitung
privater techno-medialer Macht bis zu Corporate Sponsoring
und Collecting und der Betonung der "indirekten"
Förderung von Kunst und Kultur"[3].
Andere Analysen der gegenwärtigen Tendenzen einer Durchdringung
von Ökonomie und Kultur sind weniger fatalistisch. Pierre
Bourdieu, der das Aufkommen der postmodernen Kultur nicht
ökonomistisch erklärt, sondern einen Zusammenhang
mit Veränderungen in den Bildungssystemen und der damit
einhergehenden Herausbildung neuer Klassen herstellt - eines
Bürgertums und eines Kleinbürgertums neuen Typs
- versteht die Kultur nach wie vor als eine relativ autonome
gesellschaftliche Sphäre. Sie erscheint durch ein wachsendes
Übergewicht des temporellen (ökonomischen bzw. politischen)
Kapitals über das kulturelle in ihrer Autonomie aber
außerordentlich gefährdet, weshalb er auch in den
letzten Jahren nicht müde wurde, Künstler, Intellektuelle
und Wissenschaftler zur gemeinsamen Verteidigung ihrer korporativen
Interessen und zur Formierung eines großen "kollektiven
Intellektuellen" aufzurufen.[4] Die
Felder der kulturellen Produktion werden aus dieser Perspektive
in ihrer relativen Autonomie gleichermaßen durch das
Eindringen ökonomischer Denk- und Handlungsmodelle bedroht,
wie durch politische Instrumentalisierung, Feindseligkeit
und Zensur, wobei Bourdieu gemeinsam mit Hans Haacke vor allem
die jüngere amerikanische Entwicklung und die Kampagnen
zur Abschaffung der (direkten) staatlichen Kunstförderung
(National Endowment of the Arts - NEA) ins Blickfeld rückte.[5]
Die erfolgreichen politischen Angriffe auf den ästhetischen
Wohlfahrtsstaat in den USA beruhen auf strategischen Koalitionen
von Libertären (Neo-Liberalen) und Neokonservativen,
auf einem "liberal-konservativen Diskurs", den Ernesto
Laclau und Chantal Mouffe bereits früh als ein "neues
hegemonisches Projekt" identifizierten.[6]
In einem idealtypischen Sinn exemplarisch für die argumentative
Begründung von Versuchen, eine reinere Form von Kapitalismus
im Kulturbereich durchzusetzen, erscheint die in den 80er
Jahren als Expertise gegen die NEA-Kunstförderung verfasste
Schrift des Harvard-Politologen C. Banfield - eine Art kunstpolitisches
Manifest des Neoliberalismus.[7]
Banfield kann in seiner Polemik gegen die direkte staatlichen
Kunstförderung auf zwei zentrale Schriften des neueren
philosophischen Liberalismus verweisen, die zugleich die zeitgenössischen
ideologischen Pole der liberalen Tradition markieren: auf
die berühmte "Theorie der Gerechtigkeit" von
John Rawls, der mächtigsten philosophischen Rechtfertigung
des Wohlfahrtsstaates und auf das libertär-neurechte
"Anarchy, State, and Utopia", das Robert A. Nozick
verfasste.
Kennzeichnend für die libertäre Theorie ist die
Auffassung, dass jede aus einer effizienten Marktwirtschaft
resultierende Verteilung inhärent gerecht ist, d. h.
unabhängig von allen utilitaristischen Erwägungen
(hinsichtlich der Maximierung von Glück, Vergnügen,
Nutzen, Produktivität etc. oder der Minimierung von Leid,
Tyrannei etc.). Nozick postuliert wie die meisten Libertären,
dass eine Verteilung, die auf freien Transfers aus einer gerechten
Situation resultiert, selbst gerecht ist. Die Besteuerung
dieses Austausches ist ungerecht, und zwar selbst dann, wenn
sie dazu genutzt wird, andere zu kompensieren, die unverschuldet
(aus natürlichen oder sozialen Gründen) Handicaps
zu tragen haben. Die zentrale Schlußfolgerung von Nozicks
Theorie des Minimalstaates, die die Locke'sche Tradition vor
allem in Lebensstilfragen noch radikalisiert, impliziert auch
eine Absage an jede Art von Kulturpolitik: "A minimal
state, limited to the narrow functions of protection against
force, theft, fraud, enforcement of contracts, and so on,
is justified; any more extensive state will violate persons
rights not to be forced to do certain things, and is unjustified."[8]
Nicht zuletzt das Insistieren auf staatlichem Schutz des privaten
Eigentums trennt diesen neu-rechten "Anarcho-Kapitalismus"
vom linken Anarchismus ("Ultraminimalstaat"), der
sich nicht weniger entschieden gegen eine staatliche Kulturpolitik
wendet.[9]
In der Vertragstheorie von Rawls hingegen werden die Zufälligkeiten
sozialer und natürlicher Kontingenz, also der Umstand,
dass manche unverschuldet weniger in den Tausch einzubringen
haben als andere, als legitime Gründe für staatliche
Interventionen betrachtet. Bestimmte Grundfreiheiten für
alle sind sakrosankt ("Prinzip der Freiheit"), ansonsten
erscheint gesellschaftliche Ungleichheit prinzipiell gerechtfertigt,
aber nur dann, wenn sie von Vorteil für die am schlechtesten
Gestellten ist. Die Theorie stützt sich auf das Gedankenexperiment
eines "Urzustandes", in dem die Beteiligten, "ungebundene"
Akteure, zwar allgemeine Informationen haben (also z. B. über
ökonomische oder soziologische Gesetzmäßigkeiten),
aber nicht wissen, über welche Fähigkeiten sie verfügen
bzw. welche Position sie später in der Gesellschaft,
über deren Struktur sie entscheiden, einnehmen werden.
Dieser "Schleier des Nichtwissens" stellt sicher,
dass die Entscheidungen von einem moralischen Standpunkt aus
getroffen werden. Die Übereinkunft in der fiktiven Vertragssituation
läuft de facto auf eine risikoaversive Entscheidung nach
dem spieltheoretischen Maximin-Prinzip hinaus - also auf eine
Maximierung der Aussichten der am schlechtesten Gestellten,
weil die Beteiligten gemäß Rawls dazu tendieren
werden, sich gegen die ungünstigste Situation, in die
sie geraten können, abzusichern.
Verworfen würden von rationalen Akteuren gemäß
Rawls in jedem Fall die mit ausgeprägter Ungleichheit
einhergehenden marktradikal-libertären Vorstellungen,
aber auch der Utilitarismus, da bei Anwendung z. B. des Bentham'schen
Prinzips der Nutzensumme (das "größte Glück
der größten Zahl" und die verschiedenen Varianten
dieser Maxime), nicht auszuschließen wäre, dass
die Aussichten von Minoritäten unter das Niveau der Gleichverteilung
fallen. Zurückgewiesen würden im fiktiven Urzustand
schließlich aber auch ein kultureller "Perfektionismus",
der den Eigenwert von Kunst und Kultur betont und auf diese
Weise zu einer Begründung eines ästhetischen Wohlfahrtsstaates
gelangt sowie die heute als "kommunitaristisch"
bezeichneten Theorien, die das "gemeinsame Gute"
(z. B. die Kultur, bestimmte Lebensstile) gegenüber den
individuellen Rechten priorisieren. Zur Frage der Subventionierung
von Kunst und Kultur schreibt Rawls: "Steuern für
solche Zwecke lassen sich nur rechtfertigen, wenn sie unmittelbar
und mittelbar gesellschaftliche Verhältnisse fördern,
die die gleichen Freiheiten sichern und die langfristigen
Interessen der am wenigsten Bevorzugten angemessen fördern."[10]
Edward Banfield verweist zwar strategisch auf Rawls, stützt
sich aber weder auf dessen egalitäres Differenzprinzip,
noch auf den operational letztlich zu unbestimmten Utilitarismus,
der über Grenznutzenargumente auch egalitäre Deutungen
nicht-marktwirtschaftlicher Art zulässt.[11]
Der Angriff auf die staatliche Kunstförderung bewegt
sich theoretisch vielmehr in der Nähe der Nozick'schen
Theorie des Minimalstaats, allerdings nicht ohne sie in der
Form abzuschwächen, dass zumindest die indirekte Förderung
- die Steuererleichterung für den Kauf, die Vererbung
bzw. die Förderung von Kunst - befürwortet wird.
Banfield folgt der konventionellen neoklassischen Linie, die
Subventionen nur unter der Voraussetzung akzeptiert, dass
der Markt nicht alle relevanten Kosten und Nutzen berücksichtigt,
wenn also "Marktversagen" vorliegt. Marktversagen
wird in Zusammenhang mit Kunst aber nicht wirklich gesehen.
Aus libertärer Sicht sind z. B. weder die Erhaltung des
"kulturellen Erbes", noch die Förderung des
nationalen Prestige - also typische Bezugspunkte der Theorie
des Marktversagens im kulturellen Bereich - legitime Gründe
für direkte Staatsinterventionen. Und die schlechter
Gestellten, so wird behauptet, bringe man auch über die
Gewährung freien Zugangs nicht in die Museen. Eine staatliche
Unterstützung des kulturellen Sektors sei nichts anderes
als eine Verzerrung des Marktes, die verhindere, dass dieser
"die immens nützliche Funktion erfüllt, zu
entdecken, nicht nur, wer etwas will, sondern auch wie intensiv
dieses Begehren ist."
Die Forderung nach Abschaffung der direkten Kunstförderung
fand in den USA in den letzten Jahren zunehmend breitere politische
Unterstützung, nicht zuletzt bei den "antimodernistischen"
Gegnern der zeitgenössischen Kunst, deren Anti-Etatismus
sich gerne auf die Mobilisierung moralischer Panik stützt.
Vom reduzierten ästhetischen Minimalstaat US-amerikanischen
Typs ist Europa selbst in den Ländern mit schwacher staatlicher
Unterstützung noch weit entfernt. Es spricht jedoch alles
dafür, dass die Tendenz zur Ökonomisierung und Privatisierung
der Kultur sich noch weiter verstärken wird, nicht nur
aus Gründen der Lage der öffentlichen Haushalte
und des sich verstärkenden Zwangs zu symbolischer Differenzierung
im ökonomischen Feld, sondern auch deshalb, weil sich
der für die Phase des Modernismus charakteristische Anti-Ökonomismus
im Kunstfeld sich weitgehend verflüchtigt zu haben scheint.
Die Ökonomisierung der Kultur wird heute in den europäischen
Kunstwelten offensiv unterstützt, teilweise sogar direkt
in Form des Plädoyers für die "Amerikanisierung
unserer Gesellschaft".[12]
Die wachsende Durchdringung von Kultur und Ökonomie wird
auch in neueren Monographien über Deutschland und Österreich
beschrieben. In der "Europaratsstudie" zur österreichischen
Kulturpolitik heißt es etwa, dass sich "in Österreich
in den 80er Jahren eine neoliberale pragmatische Linie sowohl
in der Wirtschafts- als auch in der Kulturpolitik durchsetzen
konnte." Darüber hinaus wird festgestellt, dass
"die politische und wirtschaftliche Instrumentalisierung
der 'Kultur' ins Auge (springt)", "sei es zum Zwecke
der Image-Verbesserung Österreichs im Ausland, der Intensivierung
zwischenstaatlicher Kontakte, der Profilierung der Bundeshauptstadt
Wien im gesteigerten internationalen Städtewettbewerb
oder als Mittel unternehmerischer Produkt- und Verkaufspolitik."[13]
Elisabeth Wolf-Csanady kam in ihrer vergleichenden Dokumentenanalyse
der kulturpolitischen Rahmenbedingungen und der privaten Kulturfinanzierung
in Österreich und Deutschland zu dem Schluss, dass in
beiden Staaten die direkte Finanzierung sich prinzipiell nach
wie vor auf einen breiten Konsens stützen kann. Privates
Kultursponsoring nach dem amerikanischen Modell stößt
aber bereits auf breite Akzeptanz. Ähnlich wie in der
Europaratsstudie wird berichtet, dass eine "zunehmende
Instrumentalisierung der Kultur für kulturfremde Zwecke
in beiden Staaten in allen politischen Lagern zu finden sei"
und dass ökonomische Kriterien und Argumente für
die Kulturfinanzierung seit Mitte der 80er Jahre enorm an
Bedeutung gewonnen haben.[14]
Am deutlichsten werden die von Jameson beschriebenen Tendenzen
auf der Ebene der Wertorientierungen und Einstellungen im
Kunstfeld, die der realen Entwicklung zum Teil - vor allem
im Sponsoring Bereich - weit voraus sind. Dies lässt
sich an Hand der Ergebnisse der in den letzten Jahren (1993
bis 1995) von der Universität Lüneburg durchgeführten
Studie "Kunstfelder im internationalen Vergleich"
zeigen, in deren Rahmen eine große Stichprobe von rd.
1800 professionellen und nichtprofessionellen Besuchern von
Ausstellungen mit internationaler, zeitgenössischer Kunst
in Wien, Hamburg und Paris befragt wurden. Im Gegensatz zu
den anti-ökonomischen Einstellungen, die Bourdieu dem
Kunstfeld in seiner starken Verhaftung an deren älterem
modernistischen Selbstverständnis zuschreibt, zeichnet
sich das Kunstfeld unter der "condition postmoderne"
durch eine außerordentlich starke Akzeptanz der Ökonomisierung
des institutionellen Rahmens der Kunst aus, und zwar in Paris
mit seiner langen modernistischen Tradition genauso wie in
Wien oder in Hamburg. Raymonde Moulin hat in ihrer großangelegten
Studie über die französische Kunstwelt dargelegt,
wie diese "Aussöhnung von Kunst und Wirtschaft"
in den 80er Jahren noch unter sozialististischen Vorzeichen
("Economie et culture - un combat", Jack Lang) ihren
Anfang nahm.[15]
Aus den Erhebungen der Lüneburger Studie "Kunstfelder
im internationalen Vergleich" geht u. a. hervor, dass
professionelle Public Relations Arbeit und betriebswirtschaftliches
Management für Museen in den drei untersuchten europäischen
Kunstfeldern mehrheitlich begrüßt wird (von 59%
in Paris bis zu 92% in Wien). Im Hinblick auf korporatives
Kunstsponsoring ist der Konsens besonders hoch Die Finanzierung
durch Unternehmen wird in allen drei Kunstfeldern von rd.
drei Vierteln und mehr der Besucher von zeitgenössischen
Kunstausstellungen befürwortet (von 74% in Paris bis
91% in Wien). Die Instrumentalisierung von Kunstausstellungen
für PR- und Marketinginteressen von Städten - undenkbar
für jede Form von modernistischer "negativer Ästhetik"
- findet Zustimmung bei jeweils mehr als zwei Dritteln des
Publikums zeitgenössischer Kunst (von 68% in Hamburg
bis 84% in Wien). Sind die Vorbehalte gegenüber der kulturindustriellen
Transformation des Kunstfeldes am Beispiel dieser Indikatoren
in Wien insgesamt am schwächsten, so wird die Unterhaltungs-,
bzw. Erlebnisorientierung von Kunstmuseen in Paris am stärksten
unterstützt, also jener Stadt, der in dieser Hinsicht
historisch eine Vorreiterrolle zukommt (z.B. Centre Pompidou,
Musee d'Orsay).
Differenzierende Analysen zeigen, dass hinsichtlich der Befürwortung
der Ökonomisierung so gut wie keine Differenzen zwischen
Zentrum (Künstler/innen, Kritiker/innen, Kuratoren etc.)
und Peripherie (Nicht-Professionelle) des Kunstfeldes auftreten.
Lediglich die Erlebnis- und Unterhaltungsorientierung von
Museen stößt im Zentrum auf deutlich größere
Ablehnung. Vom Zentrum stärker unterstützt wird
andererseits die indirekte Förderung, wobei "Verschonungssubventionen"
für Sammler und Unternehmen am nachdrücklichsten
nicht in der Freien und Hansestadt Hamburg gefordert werden,
wie man vielleicht erwarten würde, sondern vielmehr in
Wien.
Die Unterstützung der Instrumentalisierung von Kunst
und Kultur und die Tendenz zu einer Legitimierung kultureller
Einrichtungen mit utilitaristischen ökonomischen Argumenten,
zu der in den US-amerikanischen "Culture Wars" im
übrigen auch die Verteidiger der NEA-Förderung neigen[16],
haben allerdings mit Neoliberalismus im engeren Sinn wenig
zu tun. Denn es sind gerade neoliberale Ökonomen, welche
die gängigen instrumentellen Rechtfertigungen von staatlichen
Kultursubventionen (z. B. die Umwegrentabilitätsstudien
bzw. Inzidenzanalysen) einer scharfen Kritik unterziehen.
"Die entscheidende Frage besteht nicht darin", betonen
etwa Werner W. Pommerehne und Bruno S. Frey, "ob die
Kunst das wirtschaftliche Geschehen stimulieren kann, sondern
ob sie dies besser kann als alternative Verwendungen der jeweiligen
öffentlichen Gelder."[17] Und
Edward Banfield z. B. insistiert darauf, dass der Kunst nichts
anderes als die spezifische Funktion zukomme, "ästhetische
Erfahrungen" zu ermöglichen, eine Persuasivdefinition,
mit deren Hilfe nicht nur politische oder didaktische Kunst
(wie etwa Jameson sie fordert) ausgeschlossen werden soll,
sondern konsequenterweise auch jede Art von staatlicher Kunstpolitik,
gleichgültig, ob sie sich an Beschäftigungseffekten
oder an nationaler Repräsentation orientiert.
Charakteristisch für den neurechten Diskurs ist nicht
der ökonomistische Utilitarismus gegenüber Kunst
und Kultur, sondern vielmehr die kunstpolitische Forderung
nach Priorität der indirekten gegenüber der direkten
Förderung. Wenn die auf Kunstvermittlung bezogene direkte
Förderung (inkl. Galerienförderung) im österreichischen
Kunstfeld den geringsten Anklang findet, die Forderung nach
Steuererleichterungen hingegen auf größere Resonanz
als in Paris oder Hamburg stößt, dann ist dies
nicht nur auf die Marginalität des österreichischen
Kunstmarktes oder auf die starke Regulierung in einem etatistischen
Land zurückzuführen, sondern auch auf eine besondere
politische Konstellation.
Amitai Etzioni bezeichnet im Anschluß an die ökonomische
Literatur zum "rent-seeking" die Fähigkeit
privater Marktteilnehmer, staatliche Einrichtungen im eigenen
Interesse zu manipulieren, als "politische Macht".
Auf politische Macht in diesem Sinn reagiert z. B. die in
Österreich periodisch immer wieder aufflammende Diskussion
um die sogenannten "Staatsgalerien", welche die
Konkurrenz von Galerien und Künstler/innen verzerren.
Diese Wettbewerbsverzerrung, die nicht selten dem Staat als
solchem angelastet wird, statt auch den Privaten, die politische
Mittel für die Bildung von Monopolen und Oligopolen usurpieren,
ist eine der Quellen für das ungewöhnlich stark
verbreitete Unbehagen an der direkten Förderung. Ein
anderer Grund ist in den propagandistischen Erfolgen der Neuen
Rechten zu sehen, die in Österreich in den letzten Jahren
einen im internationalen Vergleich beispiellosen Aufschwung
erfahren hat. Der prominenteste Verfechter der indirekten
Förderung ist niemand anders als Jörg Haider, der
etwa 1993 in seinem in Österreich in hoher Auflage erschienenen
Band "Die Freiheit die ich meine" fordert, dass
die "künstlerische Autonomie zu stärken und
der steuerlichen Förderung der Anschaffung von Kunstwerken
der Vorrang vor ministerieller Subventionierung für Kultur-Hörige
einzuräumen ist."[18]
Die Begründung folgt allerdings nicht den üblichen
liberalen und neoliberalen Dezentralisierungsargumenten, sondern
gramscianistische Überlegungen, die auf kulturelle Hegemonie
zielen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Rückgriff
auf den neokonservativen Soziologen Daniel Bell. Im Gegensatz
zu Jameson vertritt Bell die Auffassung, dass sich die Kultur
(insbesondere die postmoderne) gegenüber der Ökonomie
verselbständigt habe.[19] Während
sich die Ökonomie an funktionaler Rationalität orientiere,
sei die Kultur des 20. Jahrhunderts antibürgerlich, anti-rational
und hedonistisch. Die ökonomische Basis stehe zwar unter
liberaler bzw. konservativer Kontrolle, die Sphäre der
Kultur hingegen, die Welt der Museen, Galerien, Universitäten
etc., sei zu einer Domäne der Linken geworden - ein "kultureller
Widerspruch des Kapitalismus". Der neue Gramscianismus
von rechts dekontextualisiert diese noch unter dem Eindruck
der amerikanischen Kulturrevolten der 60er Jahre verfasste
These, die Bell im Nachwort der Neuauflage seiner Studie im
übrigen ausdrücklich zurückgenommen hat[20],
und überträgt sie nach rund 20 Jahren auf das Österreich
der 90er Jahre. Auf diese Weise kommt es zu einer pseudotheoretischen
Begründung des Phantasmas einer linken - von staatlicher
Förderung unterstützten - kulturellen Hegemonie
in einem der nachweislich intellektuell konservativsten westeuropäischen
Länder.
Entscheidende Argumente, zumindest gegen den genuinen, libertären
Marktradikalismus findet man in der sogenannten "second
best" Literatur in der Ökonomik.[21]
Gegenüber naiven Vorstellungen von Deregulierung wird
in diesen Arbeiten gezeigt, dass die behaupteten Vorzüge
des freien Marktes nur unter Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs,
also in fiktiven Modellwelten gelten. In der "Realität",
der "zweitbesten Welt" des "unvollkommenen
Wettbewerbs", können Liberalisierungsmaßnahmen
hingegen Effekte haben, die den modellplatonistischen Annahmen
genau entgegengesetzt sind. Das Verhältnis von Markt
und Staat ist bedeutend komplexer als es die Rhetorik der
heute global um sich greifenden Versuche, die Grenzen des
Öffentlichen zugunsten des Privaten zu verschieben bzw.
öffentliche Einrichtungen nach einer ökonomistischen
Logik umzuformen, erscheinen lässt. Dies gilt auch für
das Kunstfeld. Die indirekte Förderung verstärkt
historisch konstituierte, real vorfindliche Präferenzen.
Wie die Daten unserer Studie zeigen, unterscheidet sich das
Wiener Feld sowohl von dem in Paris als auch dem in Hamburg
durch eine deutlich stärkere Verbreitung parochialer
bzw. nationalistisch orientierter Kunstpräferenzen unter
den Sammler/innen.[22] Dieses Ergebnis,
in dem sich die Folgen der Vertreibung und Vernichtung des
kosmopolitischen Bürgertums in den 30er und 40er Jahren
wie auch einer bis in die 80er Jahre hinein antimodernistisch
orientierten Kulturpolitik widerspiegeln, mag erklären,
warum die fundamentalistische Neue Rechte in Österreich
im Gegensatz zur populistischen Rhetorik, mit der sie gewöhnlich
auftritt, in Fragen der Kunstpolitik nicht vor jener "Privilegierung
von Privilegierten" zurückschreckt, auf welche die
indirekte Förderung de facto hinausläuft - ein Effekt,
den auch die neoliberalen Ökonomen Frey und Pommerehne
unterstreichen. Durch eine Verstärkung der indirekten
Förderung würde in Österreich weder das offensichtliche
Marktversagen verringert, noch eine gerechte Situation im
Sinne von Rawls herbeigeführt werden.
Die neuere Forschung lässt keinen Zweifel daran, dass
die seit 1975 intensivierte korporative Kunstfinanzierung
in den USA sowohl konservativer als auch weniger pluralistisch
war als die staatliche.[23] Es ist somit
weder Zufall noch Ausdruck von Irrationalität, wenn in
den USA der Abbau des ästhetischen Wohlfahrtstaates von
der fundamentalistischen Rechten gefordert wird. Im Gegensatz
zu dem erfolgreichen medialen agenda-setting von fundamentalistischer
Seite, das sich mit Vorliebe auf das Mittel der diskursiven
Skandalisierung (z. B. Mapplethorpe, Serrano) stützt,
fand bisher die durch das Corporate Sponsoring und das Corporate
Collecting herbeigeführte schleichende Transformation
der Kunstfelder kaum größere Beachtung. Gemäß
den Daten von Victoria Alexander, die nicht weniger als 4000
Ausstellungen in den wichtigsten amerikanischen Museen auf
Finanzierungseffekte (Staat vs. Korporationen vs. Stiftungen
vs. Individuen) prüfte, ist dem korporativen Sponsoring
in den USA aber eindeutig ein beträchtlicher Anteil an
jener "Disneylandisierung" der Kunst zuzuschreiben,
die in den Zentren der untersuchten europäischen Kunstwelten
überwiegend abgelehnt wird. Einzelne Unternehmen, auf
die in den eher kasuistisch als stochastisch denkenden Kunstwelten
gerne verwiesen wird, weichen vom allgemeinen Trend (statistisch
gesehen als "Ausreißer") notwendigerweise
ab, sowohl aus Gründen ökonomischer "lrrationalität",
als auch aus Gründen symbolischer Distinktion. Da nicht
zuletzt auf Grund der Existenz solcher Ausreißer die
weitere Ökonomisierung der Kunstfelder auf ein hohes
Maß an Akzeptanz stößt, ist im Sinne der
Logik paradoxer Effekte zu erwarten, dass auch diejenigen
zur Verwischung der Grenzen von Kunst und Kulturindustrie
beitragen, die an sich ein Interesse an der Aufrechterhaltung
dieser Grenzen haben.
Anmerkungen
[1] vgl. Fredric Jameson, Postmodernism,
or The Cultural Logic of Late Capitalism. New Left Review,
1984, S. 52-99.
[2] vgl. Francis Fukuyama, The End of History
and the Last Men. New York; Lester C. Thurow, The Future of
Capitalism. New York 1996.
[3] vgl. Rosanna Martorella, Corporate Art.
New Brunswick 1990; Rosanna Martorella (Hg.), Art and Business.
Westport / London.
[4] Pierre Bourdieu, Les règles de
l'art. Paris 1992.
[5] Pierre Bourdieu & Hans Haacke, Freier
Austausch. Fft. / Main 1995.
[6] Ernesto Laclau & Chantal Mouffe,
Hegemony and Socialist Strategy. London / New York 1985, S.
175.
[7] Edward C. Banfield, The Democratic Muse.
Visual Arts and Public Interest. New York 1984.
[8] Robert A. Nozick, Anarchy, State, and
Utopia. New York 1974, S. 97.
[9] zum Anarchismus-Diskurs und zu den Differenzen
von linkem und rechtem Anti-Etatismus vgl. R. E. Goodin &
P. Pettit (Hg.), A Companion to Contemporary Political Philosophy.
Oxford / Cambridge, Mass. 1996, S. 215ff, 291ff.
[10] John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit.
Fft. / Main, S. 367.
[11] vgl. Will Kymlicka, Contemporary Political
Philosophy, Oxford 1995, S. 50ff.
[12] so Jean Christophe Ammann (Hg.), Kulturfinanzierung.
Regensburg 1995, S. 14.
[13] Michael Wimmer, Kulturpolitik in Österreich.
Wien 1995, S. 148, 154.
[14] Elisabeth Wolf-Csanady, Kunstsponsoring
und Kulturförderung durch Unternehmen in Deutschland
und Österreich und ihr kulturpolitischer Kontext. Fft.
/ Main 1994, S. 178, 195ff.
[15] vgl. Raymonde Moulin, L'artiste, l'institution
et le marché. Paris 1992.
[16] vgl. Paul Lamarre & Melissa Wolf,
National Endowment of the Arts Rescue Plan, Flash Art, April
1996, S. 39-40.
[17] Werner W. Pommerehne & Bruno S.
Frey, Musen und Märkte. Berlin 1991, S. 30.
[18] Jörg Haider, Die Freiheit, die
ich meine. Fft. / Main - Berlin, S. 229.
[19] Daniel Bell, Die kulturellen Widersprüche
des Kapitalismus. Fft. / Main 1991 (1976), S. 13ff.
[20] Vgl. das Nachwort in Daniel Bell 1991,
a. a. O., S. 338ff.
[21] vgl. Amitai Etzioni, Die faire Gesellschaft.
Fft. / Main 1996, S. 339ff.
[22] Vergleiche der Präferenzen der
Sammler/innen von Wien und Hamburg sind dargestellt in Ulf
Wuggenig, Macht und Ohnmacht der Kunstkritik. In: Peter Weibel
(Hg.), Quantum Dämon. Institutionen der Kunstgemeinschaft.
Wien 1997, S. 239-296.
[23] vgl. Victoria Alexander, Museums and
Money. The Impact of Funding on Exhibitions, Scholarship and
Management. Bloomington / Indianapolis 1996.