06 2008
„Lost in Translation“. Transkulturelles Übersetzen und Dekolonialisierung von Wissen
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Artikulation von Gemeinsamkeiten in transkulturellen Begegnungen. Ich lege den Fokus auf die Begegnung zwischen mir als Forscherin und den Forschungsteilnehmerinnen in meinem Forschungsprojekt zur affektiven Beziehung zwischen Hausarbeiterinnen und ihren ArbeitgeberInnen. Beginnen möchte ich mit einem Ausschnitt eines Gesprächs zwischen mir, Carla und Dani, um von dort aus auf die Schaffung und das Zerbrechen von Gemeinsamkeiten in der Differenz zu sprechen kommen.
Zunächst zur Gesprächssituation. Das Gespräch fand 2004 mit Teilnehmerinnen der politischen Unterstützerinnen- und Hausarbeiterinnen-Gruppe „Respekt“ in Berlin statt. An dem Gespräch nahmen fünf Frauen, die in der Hausarbeit tätig sind, zwei Wissenschaftlerinnen und ein deutsches Mitglied der Unterstützerinnengruppe teil. Ich habe für die Diskussion hier einen kleinen Ausschnitt ausgewählt. Meine Gesprächspartnerinnen sind Dani aus Chile, die 2005 nach Chile zurückkehrte, und Carla aus Otavalo in Ecuador. Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt als Hausarbeiterinnen und lebten ohne eine Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik. Ich arbeitete damals an der Universität Hamburg als wissenschaftliche Assistentin. Zu Beginn des Gesprächs führte ich meine eigene Lebensgeschichte ein, um meinen eigenen biografischen Zugang zu dem Thema zu vermitteln.
Encarnación: Schon seit den 1990er-Jahren, die Spanier, die heute hier leben, erfahren diesen Rassismus nicht mehr, aber damals [ich meine die 1970er-Jahre]: Ah, du bist ein Ausländerkind, stinkst, stinkst nach Knoblauch, und immer beschimpften sie dich, du trafst Lehrer, die dich ablehnten, weil du kein Deutsch konntest, dann gab es so eine Form von Rassismus … und das prägt dich bis ins Erwachsenenalter. Weil du bist in einem Land und du möchtest nicht hier sein, weil du mit deinen Eltern bist, und das ist anders, weil du nicht Teil der Gesellschaft bist, und vorher [in Spanien] warst du es.
Carla: Entschuldigen Sie, das geschieht auch in deinem eigenen Land, wenn wir aus verschiedenen Kulturen sind, weil dies auch mir passiert ist. Ich bin aus einer anderen Kultur, und ich sprach früher eine andere Sprache. Meine Mutter sprach eine andere Sprache, und ich sprach früher ihre Sprache. Ich fing an, in die Schule zu gehen, als ich noch die Sprache meiner Mutter sprach, und lernte dann in der Schule Spanisch, als ich sechs war, ich konnte kein Spanisch. Es passiert nicht nur, wenn jemand aus einem anderen Land ist, es passiert auch in demselben Land.
Dani: In Lateinamerika, im Allgemeinen, passiert dies, der Rassismus ist stark gegen die indigene und die schwarze Bevölkerung.
Encarnación: Ja, und in Spanien auch, wenn du Baskin oder Katalanin bist, konntest du in der Zeit des Frankismus, konntest du die Sprachen nicht sprechen, und du musstest Spanisch lernen.
Carla: Und wie sagte man in unserem Land: Sie sind weiß. Wenn du ein Indio bist: dann bist du eine India, die stinkt, all dies, und wenn du ein Mädchen bist, dann prägt dich das, und das prägt mich noch bis heute hin.
„Lost in Translation“, so könnten wir dieses Gespräch betiteln. Es zeigt die Unmöglichkeit des Übersetzens von Lebenslagen, obwohl sie zugleich in einer Beziehung zueinander stehen. – „Kein Sprechen ist Sprechen“, schreibt Gayatri Chakravorty Spivak, „wenn es nicht gehört wird. Es ist dieser Akt des Hörens-um-zu-antworten, der als Imperativ des Übersetzens bezeichnet werden könnte […]. Aber die grundlegende Übersetzung zwischen Menschen ist ein Zuhören, das mit Sorgsamkeit und Geduld erfolgt, in der Normalität des anderen, und ausreicht, um zu bemerken dass die andere Person jene Anstrengung bereits unternommen hat.“[1]
Wie Spivak bemerkt, taucht der Imperativ des Übersetzens dann auf, wenn der Versuch unternommen wird, in einem Raum des „Zum-Schweigen-Bringens“ zuzuhören. Doch zunächst können wir diesen Raum des „Zum-Schweigen-Bringens“ nicht einfach durch unsere individuelle Intention des Zuhörens erschließen. Spivak weist hier auf ein strukturelles Moment in der Begegnung unterschiedlicher geopolitischer Positionen hin. Wir stecken in dem Dilemma, dass wir in unserem Versuch, Gemeinsamkeiten zu schaffen, immer auf unüberbrückbare Unterschiede stoßen. Diese Unterschiede jedoch, die aus antagonistischen gesellschaftlichen Verhältnissen erwachsen, werden innerhalb der kapitalistischen Akkumulationslogik in die binäre Logik von Identität und Differenz übersetzt. Der Marktlogik der Vermarktung und des Konsums folgend wird das Homogene als das Differente verkauft. Als die Negation der Differenz beschreiben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dieses Streben nach Ähnlichkeit: „Wo die Kulturindustrie noch zu naiver Identifikation einlädt, wird diese sogleich wieder dementiert. Niemand kann sich mehr verlieren. Einmal sah der Zuschauer beim Film die eigene Hochzeit in der anderen. Jetzt sind die Glücklichen auf der Leinwand Exemplare derselben Gattung wie jeder aus dem Publikum, aber in solcher Gleichheit ist die unüberwindliche Trennung der menschlichen Elemente gesetzt. Die vollendete Ähnlichkeit ist der absolute Unterschied.“[2]. Die negative Dialektik zwischen Gleichheit und Unterschied ist in eine identitäre Logik der Differenz verstrickt. Adorno und Horkheimer machten diese Beobachtungen in ihrer Analyse der US-amerikanischen Kulturindustrie zu einem Zeitpunkt, als die Koordinaten von Raum und Zeit von der analogen und digitalen Logik der neuen Massenmedien und der globalen Mobilität von Kapital und Waren sowie den transnationalen und/oder postkolonialen Migrationen noch unangetastet waren.
Das Spannungsverhältnis zwischen Identität und Differenz hat sich in dieser veränderten globalen Welt verschoben. Einige sprechen von einer Auflösung dieses Verhältnisses und plädieren für ein neues theoretisches Modell, das unterschiedliche Bewegungslinien, Schichten und Gegenüber in der Vielheit und Überlappung (assemblage) und nicht in der Geradlinigkeit der Gegenüberstellung denkt. Die Multitude der Bewegungen und Begegnungen erzeugt unsere Räume, führt zu kulturellen Produktionen und politischen Artikulationen. Auch die Vermarktungsstrategien des Kapitals arbeiten mit den unterschiedlichen Facetten der Differenz, die im Lokalen spezifiziert werden. Wie bereits Stuart Hall in seinem Aufsatz „Das Lokale und das Globale“[3] anmerkte, ist Globalisierung durch zwei Bewegungen charakterisiert: die der Homogenisierung und die der Differenzierung. Am Beispiel der Kulturindustrie – wie etwa des Fernsehens – beschreibt er, wie Formate und Inhalte vereinheitlicht werden und als gleichlautende Botschaften in unterschiedlichen Sprachen in alle Welt ausgestrahlt werden. Auch Nestor Garcia Canclini[4] und Jesús Martin Barbeiro[5] haben bereits Ende der 1980er-Jahre auf diese Tendenzen der Homogenisierung im globalen Kapitalismus und seine lokale Übersetzbarkeit hingewiesen. Insbesondere Garcia Canclini hat auf die Eindimensionalität dieser Bewegung hinsichtlich der Beziehung Mexiko-USA aufmerksam gemacht. Der Transfer der US-amerikanischen Kulturindustrie in den mexikanischen Kontext hat die lokalen kulturellen Artikulationen und Netzwerke ignoriert. Die mediale Gleichschaltung durch CNN en español, MTV latino usw. inkorporiert zwar auch die Ranchero-Musik der Grenzzonen, präsentiert jedoch diese Differenz mittels eines auswechselbaren Bildes, erprobt von US-amerikanischen Marktforschungsfirmen. Die Homogenisierung medialer Bilder und Informationen, die den Anschein der Differenzwahrnehmung erzeugen, gehört zu den fundamentalen Mechanismen der Produktion von Werten und Normen im globalen Kapitalismus.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, mit welchem Konzept der Übersetzung gearbeitet wird. Diese Frage ist notwendig, um den Vorgang der Übertragung von universellen Wert- und Normsystemen auf die Ebene des Lokalen zu begreifen. Demzufolge ist diese Form der Übersetzung mit dem verbunden, was Emily Apter[6] als „corporate, global United Nations-speak“ bezeichnet: eine korporatistische Sprache der Vereinten Nationen, die universale Werte der kapitalistischen Vergesellschaftung in eine identitäre Sprache des Anderen verpackt. Eine einheitliche Marktlogik wird in mehrere Sprachen übersetzt, jedoch ohne die spezifische Grammatik und Semantik des Kontextes zu beachten. Identitäre Botschaften werden so in einen multilingualen Raum ausgestrahlt, jeglichen spezifischen geografischen, politischen und historischen Inhalts entleert. Diese Produktion des Immergleichen im Differenten folgt einer identitären Logik, die keinen Raum für Polyphonie zulässt oder vorsieht. Ziel dieses Übersetzungsakts ist es, die Reproduktion einer einzigen dominanten Idee in unterschiedlichen Sprachen zu übertragen, ohne dass diese eine Transformation durch den spezifischen Rezeptionskontext erfahren würde. Apter bewertet diesen Vorgang der globalen Homogenisierung und ihrer sprachlichen Vermittlung als einen der Grundzüge der Kulturindustrie. Sie schreibt:
„Der Effekt mehrsprachiger Äußerungen auf die Zuhörerschaft hat eine unheimliche, zweischneidige Qualität: Auf der einen Seite verweist er auf ein korporatives, globales Sprechen nach Art der Vereinten Nationen, in dem jede Mitteilung dekontextualisiert und als trügerisch ‚wertfreie’ Simultanübersetzung in die Welt ausgestrahlt wird; und dennoch zeigt dieser Zuhörereffekt auf der anderen Seite, wie politisch unneutral die Richtlinien der Grammatik und der Übersetzung sind, in Abhängigkeit davon, wie und wo sie verwendet werden.“[7]
Als Gegenbewegung zu diesem Effekt der lingualen Homogenisierung, verpackt in linguistische Differenz, setzt der Strang der „translational transnationalism“ in den Übersetzungsstudien den Fokus auf das, was Lawrence Venuti[8] als „Ethik des Lokalen“ oder Colin MacCabe[9] als „die Eloquenz des Vulgären“ [the eloquence of the vulgar] bezeichnen. Dieser Strang beschäftigt sich mit den lingualen Vermittlungen, die aus der Vermarktung der Vielheit in dem Einen ausgeschlossen sind. Das sind die minoritären Sprachen und nicht standardisierte Formen des Sprechens wie zum Beispiel Dialekte, Vernakularsprachen, Kreol, Slang oder Akzente. Doch wie Spivak anmerkt, ist dieses Übersetzungsprojekt innerhalb der globalen Logik der kapitalistischen Akkumulationsweise nur bedingt einlösbar. Denn „niemand wird jemals ins Fulani oder Maya-Quiché übersetzen, ohne irgendwelche besonders ausgefallenen Ziele zu verfolgen“[10].
Auch in der obengenannten Begegnung mit Dani und Carla ist das Übersetzungsprojekt im Sinne einer „Ethik des Lokalen“ nur begrenzt einzuholen. Denn allein in unserer Begegnung zeigen sich unterschiedliche Akzente und Formen des Spanischen, die nicht auf ein einziges Sprachregister des Spanischen eingeebnet werden können. Sie reflektieren die unterschiedlichen Standorte unseres Sprechens. In meinem Fall ein „hybrides Andalusisch“, geprägt vom Leben in Deutschland in einer spanischsprachigen Gemeinschaft von lateinamerikanischen und peninsularen Akzenten und Dialekten. Carlas Spanisch ist durch das Quechua geformt und den nordecuadorianischen Akzent aus Otavalo. Danis Spanisch wiederum ist durch das Chilenische geprägt. Ihre Herkunftsdialekte sind ausgeprägter als bei mir, die in der Bundesrepublik aufgewachsen ist. Unsere Form des Sprechens ist auch durch unseren lokalen ökonomischen Hintergrund und den daraus entspringenden kulturellen Habitus beeinflusst. Das Übersetzungsprojekt, das in dieser Begegnung entsteht, folgt nicht dem Ziel, eine universale Gemeinsamkeit zu artikulieren, sondern stellt eher den Versuch dar, in der Differenz eine Sprache zu finden. Natürlich taucht die Frage auf: Wie sich verständlich machen, wenn eine gemeinsame Sprache nicht vorausgesetzt wird? Doch was ich anhand dieses Beispiels aufzeigen möchte, ist, dass selbst unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Sprache, wie z. B. des Spanischen, und selbst wenn diese auch gesprochen wird, diese Sprache Differenzen in sich birgt, die neue Voraussetzungen für die Formulierung eines gemeinsamen Projekts schaffen.
So kann es zur hier geschilderte Situation kommen, dass unterschiedliche Biografien in Berlin aufeinandertreffen und über gemeinsame Nenner wie „Sprache“, „Migrationserfahrung“, „Frau“ ins Gespräch kommen. Gemeinsamkeiten werden ausgemacht, die jedoch bei genauem Hinschauen auf soziale Ungleichheiten und somit Differenzen verweisen.
Bereits in meinem Aufsatz „Positionalität übersetzen“[11] habe ich auf die paradoxe Situation aufmerksam gemacht, die entsteht, wenn Gemeinsamkeiten angenommen und Differenzen ausbuchstabiert werden. Ich diskutiere in diesem Aufsatz einen Ausschnitt aus dem oben angeführten Gespräch und stelle fest, wie die Begegnung zwischen mir als weißer spanischer Staatsbürgerin und Carla als indigener Ecuadorianerin durch ein noch immer bestehendes koloniales Verhältnis geprägt ist. Denn: „Das Ausmaß und die unterschiedlichen Weisen, in denen das Spanisch einer Person durch das Quechua beeinflusst ist oder das Quechua einer Person hispanisiert wurde, sind Schlüsselindikatoren für den sozioökonomischen Status.“[12]
Mein Versuch, über eine gemeinsame Erfahrung eine Annäherung zu finden, scheitert zwar nicht, doch eine Distanz wird markiert, die sich durch meine Erzählungen über das frankistische Spanien nicht einebnen lässt. Ich stelle in meinem oben erwähnten Aufsatz fest, dass „die von mir angenommene gemeinsame Identität als Spanischsprechende“ durch unterschiedliche soziale Positionen, die aus einer rassistischen kolonialen und imperialen Vergangenheit, neuen Grenz- und Migrationsregimen, Heteronormativität und der derzeitigen Weltordnung erwachsen, infrage gestellt wird.
In den Mikroräumen des Alltags sind wir in diese historische, politische, soziale und kulturelle Komplexität eingebettet. Eine Kommunikation entsteht oder zerbricht auf dieser Grundlage, denn wenn wir von einer Gemeinsamkeit wie z. B. der spanischen Sprache ausgehen, so impliziert dies zwar eine mögliche Verständigung, doch ist die Wahrnehmung unserer Differenzen in dieser Verständigung nicht gegeben. Die Vermittlung oder der Versuch, sich verständlich zu machen, wenn man sich diese Positionalitäten vergegenwärtigt, erfordert keine linguistische oder wörtliche Übersetzung, sondern eine, die die politisch-kulturelle Dimension des Übersetzens selbst als Werkzeug der Verständigung und zugleich als Unmöglichkeit der Verständigung anerkennt.
Denn die Frage, die sich in der Begegnung zwischen mir und Carla sowie Dani stellt, ist: Wie ist mein Lebenshintergrund bzw. der meiner Eltern in denjenigen von Carla und Dani übersetzbar? Wie kann ich die Erfahrungen der Generation meiner Eltern mit den Erfahrungen von Carla und Dani ins Gespräch bringen?
Erfahrungen übersetzen
Meine Eltern immigrierten 1962 in die Bundesrepublik. Meine Mutter kam mit einer Gruppe von sechzig jungen Frauen aus Sevilla, der andalusischen Hauptstadt, nach Kirchenlamitz, einem katholischen Ort im tiefen Oberfranken. Dort traf sie auf eine gleich große Gruppe von Griechinnen und Türkinnen. Diese jungen, alleinstehenden Frauen waren die Attraktion des Orts, der zu diesem Zeitpunkt um die 2000 Einwohner hatte. Mein Vater war im Ruhrgebiet im Bergbau beschäftigt. Beide lernten sich in der Immigration kennen, und ich kam in Kirchenlamitz, Oberfranken, zur Welt. Kurz nach meiner Geburt kehrten wir nach Spanien zurück, nach einigem Hin und Her kehrten wir 1972 zurück nach Deutschland, nach Frankfurt am Main.
Es ist diese Lebensgeschichte, die Erfahrungen in einem im Aufbau befindlichen Europa in den 1960er-Jahren, einem frankistischen Spanien, einem Spanien im demokratischen Übergang Ende der 1970er-Jahre und einem postfordistischen Deutschland, die meinen Erfahrungsweg von der „Gastarbeitertochter“ zur „europäischen Staatsbürgerin“ geprägt haben. Im offiziellen Diskurs des spanischen Staates tauchen die Erfahrungen meiner Eltern nicht auf. Die Emigrantengeneration ist vergessen worden, sie erinnert an ein faschistisches und imperiales Spanien, das bis 1956 Spanisch-Marokko, bis 1968 Spanisch-Guinea und bis 1975 Spanisch-Sahara kolonialisierte (die Kanarischen Inseln sowie Ceuta und Melilla sind weiterhin spanisches Staatsgebiet), doch im westeuropäischen Vergleich als ökonomisch unterentwickelt galt.
Wie lassen sich die Erfahrungen meiner Eltern als „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik und jene von Carla und Dani, die ohne Papiere in Berlin leben und unter vollkommen entrechteten Arbeitsbedingungen als Hausarbeiterinnen arbeiten, ineinander übersetzen?
Dani und Carla sind nicht angeworben worden, sondern sie mussten einen klandestinen Weg nach Deutschland finden, da die offiziellen Tore für sie geschlossen waren, während die privaten Wohnungstüren von Haushalten, die ihre Hilfe und Pflege für ihren Haushalt benötigten, weit offen standen. Dani und Carla haben mir von der sexistischen und rassistischen Alltagsgewalt und der Polizeigewalt erzählt, die ihren Alltag in der Bundesrepublik ausmachen. Wie also ihre Erfahrung in die meiner Eltern übersetzen? Meiner Eltern, die in Baracken untergebracht waren, die mit den unmenschlichen Bedingungen der Fabrikarbeit kämpften, mit den Schwierigkeiten, ihre Familien nachzuholen, leben mussten. Immerhin, sie sind noch in Deutschland, und Spanien ist wieder ein „globaler Player“ im Rahmen der globalen Wirtschaft[13] und der „global governance“, wie die aktive Teilnahme Spaniens an der Erarbeitung einer restriktiven europäischen Asyl- und Migrationspolitik[14] zeigt. Dani musste nach Chile zurückkehren. Das Leben in der Bundesrepublik war anstrengend, und den Kampf um Arbeitsrechte für Hausarbeiterinnen und einen legalen Aufenthaltsstatus, den sie mit angeführt hatte, wollte sie in Chile weiterführen. Andere sind krank geworden von einem körperlich und seelisch zermürbenden Alltag, gekennzeichnet durch die Suche nach geschützten Arbeits- und Wohnverhältnisse.
Einige Aspekte der Erfahrungen meiner Eltern in der Bundesrepublik mögen sich in den Erfahrungen von Dani und Carla spiegeln, doch ist das Bild, das reflektiert wird, ein gebrochenes: eines, das die Übersetzung der Originale in die Kopie nicht zulässt; eines, das eine Übersetzung jenseits der Reproduktion des Immergleichen erfordert.
Die Begegnung zwischen mir, Carla und Dani, die durch Koordinaten der Macht bestimmt ist, entsteht über einen Versuch der Übersetzung unserer Lebenslagen. Die Unmöglichkeit, von einer gemeinsamen Identität auszugehen, wird darin deutlich, stattdessen weist diese Begegnung auf eine radikale Differenz hin. Denn tiefe Trennlinien sozialer Ungleichheiten strukturieren das Feld unserer Begegnung. Zwei einander gegenüberstehende Räume treffen hier aufeinander und kreieren für kurze Zeit einen gemeinsamen Ort. Diese Räume treffen nicht automatisch aufeinander, denn sie werden durch die existierende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Grenzen voneinander getrennt gehalten. Wie also diese unterschiedlichen Räume übersetzen?
Fangen wir mit meinem Raum an: dem britischen und, davor, dem der deutschen Universität. In den letzten acht Jahren wurde die europäische, insbesondere die deutsche Hochschule reformiert. Die Reformen erfolgten im Zuge der Transnationalisierung des tertiären Ausbildungssektors, wie sie in der Bologna-Erklärung von 1999 beschlossen worden ist.[15] Diese ist Ausdruck der Umwandlung der wohlfahrtsstaatlichen Bildungssysteme in warenförmige, auf den globalen Wettbewerb ausgerichtete Bildungsmärkte. Wissen ist eine Ware, über die international verhandelt wird. So veröffentlichte die Weltbank 1994 ein Strategiepapier, in dem die Relevanz des Erziehungssektors für die globale Ökonomie unterstrichen wird. Das ist eine der weiteren Koordinaten, die meine Begegnung mit Dani und Carla bestimmen.
Carlas Raum dagegen ist über die Gewalteffekte eines Migrationsregimes und eines rassifizierten und vergeschlechtlichten Arbeitsmarktes bestimmt. Er ist durch eine fortdauernde Feminisierung von Haus- und Pflegearbeit geprägt, die gesellschaftlich entwertet wird. Carla arbeitet ohne geregelten Aufenthaltsstatus als Hausarbeiterin und verdient fünf Euro pro Stunde. Inwieweit kann der Name „Frau“ uns beide vertreten?
Vom Frau-Werden
zur Frau in Übersetzung
In der italienischen feministischen postoperaistischen Bewegung der 1980er- und 1990er-Jahre haben Theoretikerinnen wie Judith Revel, Antonella Corsani und Sara Ongaro die Feminisierung der Arbeit als gemeinsames Merkmal des „Frau-Werdens“ diskutiert (Ongaro[16], Corsani[17], Revel[18], Querrien[19]). Insbesondere Judith Revel führt über den Begriff der „Feminisierung der Arbeit“ den Gedanken des „Frau-Werdens“ ein. Mit dieser Perspektive lädt uns Revel ein, über das Gegebene des Daseins als Frau nachzudenken. Mit Bezug auf Gilles Deleuzes und Félix Guattaris[20] Vorstellung des Werdens, das sich im Fluss befindet und der binären Identitätslogik entflieht, steht „Frau“ für das, was es ist und zugleich nicht ist. Es verweist auf eine Existenzweise, die empirisch mit den Lebenslagen von Frauen verbunden ist, sich jedoch qualitativ auf eine allgemeine Daseinsform in der Gesellschaft bezieht, die mit Formen der Entwertung und Prekarisierung von Arbeit einhergeht. Das „Frau-Werden“ wird zum primordialen Bezugspunkt in der Debatte um die Feminisierung der Arbeit. Es betont, wie Tiziana Vettor von der Gruppe S/Convegno es beschreibt, zwei Aspekte: „die stärkere Präsenz von Frauen in jedem Arbeitsbereich, mit unterschiedlichsten Arbeitsverträgen; und dass in der Arbeit heute, im sogenannten postfordistischen Zeitalter, das Verhalten der Frauen durch eine Produktion geformt ist, in der – nach Deleuze – Züge des Symbolischen und des Weiblichen als körperliche Einheiten vorzufinden sind. Die Erwartungen, Wünsche und Beteiligungen von Frauen bildeten in der Tat einen der Hauptgründe für die Transformation von Produktionstypen im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus.“ Die Feminisierung der Arbeit wird hier also nicht auf den quantitativen Aspekt der Arbeit, sondern auf deren qualitative Dimension der Hervorbringung einer „weiblichen Subjektivität“ bezogen.[21]
Eine weibliche Subjektivität, die in der Ambivalenz der neuen, prekarisierten Arbeitsverhältnisse[22] steht, trifft Frauen genauso wie Subjekte im Allgemeinen, die in prekären Arbeitsverhältnissen das Zusammenschweißen von Erwerbsarbeit und Haushalt als primordiale Koordinate der Organisierung von Zeit und sozialen Beziehungen erfahren. Daher umfasst das Konzept der „Feminisierung der Arbeit“ ambivalente und widersprüchliche Vergesellschaftungsprozesse, in denen die als „weiblich“ bezeichneten Fähigkeiten unbezahlt durch den Produktionsprozess absorbiert werden. Es ist die Erfahrung, mehrere Lebensbereiche zu organisieren und zu verwalten – wie etwa die Pflege anderer, Beruf und Hausarbeit –, aus der diese „weibliche Subjektivität“[23] entsteht. Der Umgang mit den unterschiedlichen Herausforderungen in diesen Bereichen erfordert ein flexibles und resistentes Subjekt. Die „Feminisierung der Arbeit“ diktiert alle gesellschaftlichen Verhältnisse im Zeitalter neoliberaler Gouvernementalität.
Können wir diese Diagnose aber tatsächlich für alle gesellschaftlichen Prozesse der Hierarchisierung und Differenzierung festhalten? Haben wir es nicht mit anderen Formen der Vergesellschaftung und Subjektivierung zu tun, wenn ein Grenz- und Migrationsregime unsere Bewegungsmöglichkeiten diktiert und vernichtet?
Der Versuch, den biopolitischen Charakter der genannten Arbeitsverhältnisse mit der Identitätskategorie „Frau“, auch wenn sie als im Werden verstanden wird, zu bezeichnen, erscheint mir als problematisch. Nicht weil ich die Diagnose von momentanen Ausbeutungs- und Entrechtungsprozessen nicht teile, sondern vielmehr deshalb, weil in diesem Verhältnis die Betrachtung der notwendigen Übersetzbarkeit der Identitätskategorie „Frau“ außer Acht gelassen wird. Wie das oben angeführte Beispiel aus meiner eigenen Forschung zeigt, meinen wir Unterschiedliches, wenn wir „Frau“ sagen und von Migration sprechen. Daher ist auch die Diagnose der „Feminisierung der Arbeit“ geopolitisch und historisch verortet; sie ist über immanente Differenzen geprägt, und ihre Übertragung auf andere Verhältnisse bedarf einer Übersetzung.
Die Aufgabe einer solchen Übersetzung ist mit Chandra Talpade Mohantys Projekt einer geopolitischen und historischen Kontextualisierung der Hervorbringung von Geschlechterverhältnissen sowie der Artikulationen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ verbunden.[24] Dieser Versuch des Übersetzens wiederum ist von Walter Benjamins[25] Vorstellung geprägt, dass eine gute Übersetzung nicht diejenige ist, die die Vorstellung des Originals wiederholt, indem sie eine Kopie davon erschafft, sondern jene, die aus einer Verfehlung der Übersetzung des Originals entspringt. Im Falle des Übersetzens der „Frau“ könnten wir sagen: Es geht um eine Übersetzung, die die Spuren des „Frau-Werdens“ in sich birgt, jedoch auf etwas Neues verweist, das nicht im Original oder der Kopie zu finden ist. Dieses Andere ist das, was Derrida als das Überschüssige denkt. Derrida nennt es Supplement. Das Supplement, das nicht in eine wiedererkennbare oder identische Sprache eingeschrieben ist, kann nicht durch die Schaffung eines dritten Begriffs verständlich gemacht werden: „[…] das Supplement ist weder ein Plus noch ein Minus, weder ein Außen noch ein Innen als dessen Gegenstück, weder Akzidens noch Essenz.“[26]
Dieser Überschuss, der in der Verfehlung einer Übersetzung, in der Unübersetzbarkeit von Gegensätzen liegt, könnte im Sinne des lateinamerikanischen Kulturtheoretikers Alberto Moreiras als „kompromisslose Transkulturalität“ begriffen werden.
Kompromisslose
Transkulturalität
In der „kompromisslosen Transkulturalität“ verlässt das Projekt des Übersetzens die binäre Logik von Original und Kopie. Die Tätigkeit des Übersetzers fängt also, wie Gayatri Chakravorty Spivak meint, dort an, wo die Grenzen der Verständlichkeit offenbar werden. Für Spivak ist Übersetzung ein Weg, um näher an die Grenzen unserer eigenen Identität zu gelangen. Sie beschreibt den überzeugenden Charakter der Übersetzung in folgender Weise: „[…] eine der Möglichkeiten, die Begrenzung seiner Identität zu umgehen, wenn man erörternde Prosa produziert, ist, unter dem Titel einer anderen zu arbeiten, wie man mit einer Sprache arbeitet, die vielen anderen gehört. Dies ist schließlich einer der Reize des Übersetzens. Es ist ein einfaches Nachahmen der Verantwortung gegenüber der Spur des Anderen im Selbst.“[27]
Die von mir oben geschilderte Szene ist Ausdruck einer kompromisslosen Transkulturalität, die dadurch gekennzeichnet ist, dass wir miteinander kommunizieren, aber doch Unterschiedliches meinen. Sie zeigt das Widerstreben und den Widerstand dagegen, sich im Konsens eines universalen Erklärungsrahmens von Migration und „Feminisierung der Arbeit“ als „migrierte Frauen“ wiederzufinden. Der Raum der „kompromisslosen Transkulturalität“ erschafft sich durch die Unnachgiebigkeit der Widersprüche, die unseren Alltag bestimmen und die sich auch nicht über Fluchtlinien des Werdens oder des Exodus verflüchtigen. Er verweist auf die Grenzen der Übersetzbarkeit. Doch zugleich entsteht dieser Raum der Transkulturalität durch die Begegnung, durch das Zusammenkommen von Lebenslagen, die einen gemeinsamen Raum teilen, die jedoch nicht gemeinsam gelebt und erfahren werden. Transkulturalität ist der Raum einer ambivalenten Konvivialität, gekennzeichnet durch Intimität auf der einen Seite und Distanz auf der anderen.
Fernando Ortiz[28] schuf den Neologismus transculturación (Transkulturation) in den 1940er-Jahren und im kubanischen Kontext. Er formulierte hiermit eine Kritik an einen bestimmten Strang der US-amerikanischen Anthropologie und deren Konzepten des „kulturellen Kontakts“ und der „Akkulturation“. Ortiz kritisierte an diesen Konzepten die Annahme von verschiedenen kulturellen Einheiten, deren Begegnung für die als minoritär erachteten kulturellen Artikulationen in einer Einverleibung in das dominante Kulturverständnis resultieren sollte. Die Vorstellung der Akkulturation entsprach auf diese Weise jener der Assimilation. Ortiz entgegnete diesem Verständnis am Beispiel seiner minutiösen Untersuchung der Tabak- und Zuckerindustrie in Kuba, dass Kultur im Rahmen von Produktionsverhältnissen sowie in der Begegnung sowie Überlappung unterschiedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse und historischer Genealogien entsteht. Im Falle Kubas war dies durch das Zusammenkommen der ehemals versklavten Bevölkerung, der asiatischen VertragsarbeiterInnen und der spanischen Tagelöhner in den Zuckerplantagen gegeben. In der Begegnung dieser drei Gruppen entstanden neue Formen der Kommunikation und Kreativität, die nicht aus einem harmonischen Miteinandersein erwuchsen, sondern eher Überlebensstrategien darstellten, denen affektive Bindungen in der Verschränkung mit Hierarchien und Differenzen entsprangen. Fernando Coronil[29] bemerkt, dass Ortiz’ Konzept Kultur als Feld politischer Aus- und Verhandlungen versteht. Ortiz’ Kulturbegriff verweist somit auf ein Jenseits der Kultur in den kulturellen Praktiken selbst.
1982 wurde Ortiz’ Begriff der Transkulturalität auf die literaturwissenschaftliche Debatte übertragen. Der uruguayische Literaturkritiker Angel Rama entwickelte den Begriff der transkulturellen Narrativität der lateinamerikanischen Literatur. Mittels dieses Begriffes untersucht er die lateinamerikanische Literatur in der Begegnung zwischen Literatur und Populärkultur. John Beverley[30] kritisiert den Ansatz Ramas, da er vermutet, dass Rama durch die Einbindung der Tradition der Oralität in den Literaturkanon die Kultur der Subalternen unter einem dominanten Kulturbegriff subsumiert und somit verleugnet. Beverley schlägt vor, von einer „Transkulturalität von unten“ auszugehen, die in den Alltagspraktiken und Sprachen bzw. Vernakularsprachen auf den Marktplätzen oder in den Gassen der MigrantInnenviertel artikuliert wird. Alberto Moreiras vermutet in diesem Zugang eine Mystifizierung der Subalternen. Sein Argument knüpft an Ortiz’ Projekt wieder an, distanziert sich jedoch von den rhetorischen Implikationen eines Modernisierungsdiskurses, das er im Verständnis der Transkulturalität Ortiz’ vermutet. Statt an einen europäischen Diskurs der Modernisierung anzuknüpfen, möchte Moreiras den ideologiekritischen Aussagewert der Transkulturalität unterstreichen. Er nutzt dieses Konzept, um die komplexen kulturellen Machtdynamiken der rapiden Urbanisierung, Migration, kulturellen Entortung (dislocation) und Transformation von Gesellschaften in Lateinamerika zu begreifen, die durch das transnationale Kapital hervorgerufen werden.[31] Transkulturalität bezeichnet für ihn die Begegnung zwischen transnationalem Kapital und nationalen Logiken des Regierens, Alltagspraktiken und Wissenstechnologien, in der eine ambivalente Beziehung geschaffen wird, die einerseits den Anschein einer „kulturellen Verschmelzung“ produziert, andererseits aber durch die Sedimentierung und Verstärkung sozialer Unterschiede gekennzeichnet ist. Der Prozess einer angenommenen „Interkulturalität“ geht einher mit einer kulturellen Abschottung, die sich in rassistischen Segregationsprogrammen und Workfare-Regimen äußert. Das Politische transzendiert das Kulturelle, in dem es uns die Fratze der Ausbeutung und Diskriminierung als kulturelle Plattform der Begegnungen offenbart.
In der Begegnung zwischen transnationalem Kapital und einem nationalen bzw. lokalen Netzwerk von staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen findet ein Prozess der Kommunikation statt, in dem nicht das Erzeugen eines kohärenten Sinns im Vordergrund steht, sondern eher die Implosion von Sinn – die Verfehlung der Schaffung einer Rationalität. Es kommt zur Verfehlung eines Verstehensprozesses, die Moreira als „kompromisslose Transkulturation“ (uncompromising transculturation) versteht.[32] Die Analyse einer „kompromisslosen Transkulturation“ kann uns, wie Patricia Archibald hervorhebt, einen unangenehmen Einblick in die Tatsache geben, dass „ein Verlassen der entmenschlichenden Logik des Kapitals nirgendwo in Sicht ist“[33] Angesichts der „kompromisslosen Transkulturation“ und der permanenten Verfehlung im Verstehensprozess wird das Projekt des Übersetzens notwendig, um die Implosion von Sinn nicht als Supplement, sondern als Dissemination zu verstehen, in der „Transkulturation als Äußerung eines melancholischen Verhältnisses zur westlichen Ideologie“ gedacht werden muss, „in dem das Gewicht der Vergangenheit nicht in eine Zukunft abseits der Kontinuität umgewandelt werden kann“[34].
In den europäischen Kontext übersetzt könnten wir das Projekt der „kompromisslosen Transkulturalität“ als einen Versuch der Provinzialisierung Europas verstehen. Es ist ein Projekt, das an das hier geschilderte paradoxe Übersetzungsprojekt anknüpft. Zwar müssen wir die historischen, semantischen und regionalen Unterschiede, in denen Begriffe verortet sind (wie zum Beispiel jener der Transkulturation im lateinamerikanischen Kontext), beachten, doch ist die analytische Aussagekraft solcher Begriffe für das Verstehen von Machtbeziehungen und ihrer kulturellen Wirkmächtigkeit für die Diagnose europäischer Gesellschaften brauchbar. Ein Projekt des „transkulturellen Übersetzens“ ist an der Analyse von Hegemonie interessiert. Es knüpft an eine (post-)marxistische Tradition der Kulturtheorie an, in der Kultur als Ausdruck von Produktionsbedingungen verstanden wird. Zugleich jedoch reduziert es Kultur nicht auf die Logik der Ökonomie, sondern spürt den transzendierenden und transformierenden Charakter von Kultur auf. Folglich lädt uns Transkulturation ein, die Stofflichkeit der Kultur, die Ausgestaltung der Produktionsweisen und ihre differenzielle Vermittlung als Übersetzungsprozess zu denken.
Übersetzen, in den Kontext der „kompromisslosen Transkulturalität“ gestellt, bezieht sich auf die Vermittlung zwischen der Originalität eines sozialen Kampfes und deren Übersetzung in die Institution. Den Prozessen der Vereinnahmung, der Relativierung und der Einebnung eines politischen Projekts begegnen zu können ist somit das Ziel eines dekolonialisierenden Entwurfs des transkulturellen Übersetzens. In diesem Sinne möchte ich „transkulturelles Übersetzen“ als eine neue Interventionsstrategie begreifen, um von hier aus zu intervenieren und zu einer Transformation von Wissen beizutragen. Es stellt somit einen Versuch dar, an Fragen anzuknüpfen, die Marta Malo[35] formuliert hat: Fragen danach, „[…] wie mit den ideologischen Filtern und den überlieferten Rahmenwerken zu brechen ist, wie eine Erkenntnis herzustellen ist, die sich direkt aus der konkreten Analyse von Lebensbereichen, Kooperation, Unzufriedenheitserfahrungen und Rebellion nährt, wie diese Erkenntnis im Sinne einer sozialen Veränderung zur Anwendung zu bringen ist, wie das Wissen, das in den Netzen selbst bereits zirkuliert, wirksam werden kann, wie es sich stärken und mit der Praxis verbinden lässt etc. – wie sich letztendlich unsere mentalen Fähigkeiten, unser Intellekt von den Dynamiken der Arbeit, der Gewinnproduktion und/oder der Gouvernementalität trennen und mit einem (subversiven, verändernden) kollektiven Tun verbinden lassen, indem sie einem Zusammentreffen mit dem kreativen Ereignis entgegengeführt werden“[36].
[1] Gayatri Chakravorty Spivak, »Translation as Culture“, in: Parallax, Vol. 6, Nr. 1, 2000, S. 13–24 (alle nicht anderweitig ausgewiesenen Übersetzungen hier und im Weiteren sind von der Verfasserin oder den HerausgeberInnen).
[2] Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M.: Fischer 1988, S. 154 (Kap. „Kulturindustrie“)
[3] Stuart Hall, »Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität“, in: Ders., Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg: Argument Verlag 1994.
[4] Néstor García Canclini, Culturas híbridas. Estratégias para entrar y salir de la modernidad, México D.F.: Grijalbo 1990
[5] Jesús Martin Barbero, De los medios a las mediaciones: comunicación, cultura y hegemonia, Barcelona: Editorial Gustavo Gili 1996.
[6] Emily Apter, »On Translation in a Global Market“, in: Public Culture, Nr. 13, 2001, S. 1–12.
[7] Ebd., S. 5.
[8] Lawrence Venuti, The Scandals of Translation: Towards an Ethics of Difference, London: Routledge 1998. Emily Apter bezeichnet Lawrence Venuti als Wegbereiter für die Übersetzungsstudien, die sich mit Fragen von Globalisierung, kultureller Identität und minoritären Sprachen beschäftigen.
[9] Colin MacCabe, The Eloquence of the Vulgar. Language, Cinema, and the Politics of Culture, London: British Film Institute 1999, S. 9–11. Colin MacCabe hat sich mit dieser Frage insbesondere in Bezug auf das englische Fernsehen im englischsprachigen Kontext beschäftigt.
[10] Gayatri Chakravorty Spivak, »Questioned on Translation: Adrift“, in: Public Culture, Vol. 13, Nr. 1, 2001, S. 13–22, hier S. 16.
[11] Vgl. http://eipcp.net/transversal/0606/gutierrez-rodriguez/de (abgerufen am 20. Mai 2008).
[12] Priscilla Archibald, »Urban Transculturation“, in: Social Text 93, Vol. 25, Nr. 4, 2007, S. 91–113, hier S. 100.
[13] Nicht zuletzt die Ergiebigkeit, mit der die spanischen Banken Banco de Santander und BBVA in die argentinische Finanzkrise eingegriffen und dort an Kapital gewonnen haben, verweist auf diese Entwicklung.
[14] Encarnación Gutiérrez Rodríguez, »The ‚hidden side’ of the new economy – On transnational migration, domestic work and unprecedented intimacy“, in Frontiers: Journal of Women Studies, Nr. 28 (3), S. 60–83.
[15] Dieser Vertrag wurde in Prag (2001) und in Berlin (2003) weiterentwickelt und von vierzig Ländern unterzeichnet. Als Ziel formuliert der Bologna-Vertrag die »Harmonisierung des tertiären Ausbildungssektors“ in Europa durch ein vergleichendes Akkreditierungssystem, ein »Credit Point“- System, ein 2-Phasen-Hochschulausbildungsmodell mit einem »Undergraduate“- und einem »Postgraduate“-Strang, ein evaluationsbegleitendes Qualitätsmanagementprogramm und eine europäische Promotion. Das Modell will durch die Einführung einheitlicher Äquivalenzkriterien die Mobilität von Studierenden und Lehrenden innerhalb der EU fördern. In diesem Prozess werden europäische Universitäten nach dem englischen Modell in Dienstleistungszentren umgewandelt. Ein demokratisch-paritätisches Mitbestimmungsrecht an Universitäten, wie es in der Bundesrepublik von der StudentInnenbewegung der 1970er-Jahre ansatzweise erkämpft worden war, ist hier nicht vorgesehen. Dieses wurde vor allem bei dem Treffen in Prag thematisiert und eingefordert.
[16] Sara Ongaro, »De la reproduction productive à la production reproductive“, in: Multitudes, Nr. 12, 2003, S. 145–154.
[17] Antonella Corsani, »Une ‚chambre à soi’ au sein de Multitudes“, in: Multitudes, Nr. 12, 2003, S. 11–16.
[18] Judith Revel, »Devenir-Femme de la politique“, in: Multitudes, Nr. 12, 2003, S. 125–134.
[19] Anne Querrien, »Femmes, multitudes, propriétés“, in: Multitudes, Nr. 12, 2003, S. 135–144.
[20] Gilles Deleuze, Felix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin: Merve 1992.
[21] Vgl. Sconvegno (Manuela Galetto, Chiara Lasala, Sveva Magaraggia, Chiara Martucci, Elisabetta Onari, Francesca Pozi), »A snapshot of precariousness: voices, perspectivas, dialogues“, in: Feminist Review, Nr. 87, 2007, S. 104–112, hier S. 105.
[22] Vgl. Precarias a la Deriva, A la Deriva. Por los circuitos de la precariedad femenina, Madrid: Traficantes de Sueño 2004.
[23] Vgl. Luzenir Caixeta u.a., Hogares, Cuidados y Fronteras/Home, Care and Borders/Zuhause, Sorge und Grenzen, Madrid: Cruz Roja 2004.
[24] Vgl. Chandra Talpade Mohanty, »Aus westlicher Sicht: feministische Theorie und koloniale Diskurse“, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, 11. Jg., 1988, S. 149–162.
[25] Benjamin schreibt: »Wird dort gezeigt, dass es in der Erkenntnis keine Objektivität und sogar nicht einmal den Anspruch darauf geben könnte, […] so ist hier erweisbar, dass keine Übersetzung möglich wäre, wenn sie Ähnlichkeit mit dem Original ihrem letzten Wesen nach anstreben würde“ (Walter Benjamin, »Die Aufgabe des Übersetzers“ in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. IV.1, hg. von Tillmann Rexroth, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 12).
[26] Jacques Derrida, Positions, Paris: Éditions de Minuit 1972, S. 54.
[27] Gayatri Chakravorty Spivak, »Die Politik der Übersetzung“, übers. v. Sonja Asal, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Die Sprache der Anderen, Frankfurt a. M.: Fischer 1997, S. 65–93, hier S. 65 f.
[28] Fernando Ortiz, Contrapunteo Cubano del Tabaco y la Azúcar, hg. von Enrico Mario Santi, Madrid: Cátedra 2002 (Orig. 1940).
[29] Fernando Coronil, »Transcultural Anthropology in the Américas (with an Accent): The Use of Fernando Ortiz“, in: Mauricio A. Font, Alfonso W. Quiroz (Hg.), Cuban Counterpoints. The Legacy of Fernando Ortiz, New York: Lexington Books 2005.
[30] John Beverley, Subalternity and Representation: Arguments in Cultural Theory, Durham, NC: Duke University Press 1999.
[31] Vgl. Alberto Moreiras, »The End of Magical Realism: José Maria Arguedas’s Passionate Signifier“, in: The Exhaustion of Difference: The Politics of Latin American Cultural Studies. Durham, NC: Duke University Press 2001, S. 184–207.
[32] Ebd., S 190.
[33] Archibald, »Urban Transculturation“, a.a.O., S. 99.
[34] Archibald, »Urban Transculturation“, a.a.O., S. 110.
[35] Marta Malo, Nociones comunes. Experiencias y ensayos entre investigación y militancia, Madrid 2004.
[36] Marta Malo de Molina, „Gemeinbegriffe“, übers. v. Birgit Mennel, http://eipcp.net/transversal/0406/malo/de (abgerufen am 20. Mai 2008).