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07 2004

Arbeit Wissen Prekarität

Franco Berardi Bifo

Übersetzt von Klaus Neundlinger

"Wir haben keine Zukunft, weil unsere Zukunft zu flüchtig ist. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist die Verwaltung des Risikos. Der Kreisel der Szenarien des jeweiligen Jetzt. Erkennen der Formen." (W. Gibson: Pattern recognition)

 

Arbeit ohne Person

Im Februar 2003 veröffentlichte der amerikanische Journalist Bob Herbert in der New York Times die Ergebnisse einer Befragung, die er mit Hunderten junger Arbeitsloser in Chicago durchgeführt hatte. KeineR der Befragten ging davon aus, in den nächsten Jahren Arbeit zu finden, niemand sah sich imstande, gegen diesen Umstand Widerstand zu leisten oder eine große kollektive Veränderung in Gang zu setzen. Aus den Interviews geht ein allgemeines Gefühl der tiefen Ohnmacht hervor. Die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Verfalls seitens der Interviewten ist nicht auf dessen politische Dimension gerichtet, sondern auf scheinbar darunter liegende Ursachen, auf eine psychische und soziale "Rückentwicklung", die jede Möglichkeit, Alternativen zu schaffen, zu verunmöglichen scheint.

Die Fragmentierung der Gegenwart verkehrt sich in die Implosion der Zukunft. In seinem Buch "Der flexible Mensch" reagiert Richard Sennett auf diese existenzielle Lage der Prekarität und Fragmentierung mit der nostalgischen Erinnerung an eine vergangene Zeit, in der sich das Leben um relativ stabile soziale Rollen herum gestaltete und die Zeit eine lineare Verfasstheit aufwies, aus der sich entsprechende Verläufe der Identität ergaben. Der lineare Zeitvektor ist in Brüche gegangen: In einer sich ständig um- und neugestaltenden Ökonomie, der jegliche Form von Routine verhasst ist und die kurzfristig denkt, gibt es keine vorweg bestimmten Verläufe mehr. Den Menschen fehlen stabile Beziehungen und langfristige Ziele. Diese Nostalgie bleibt jedoch ohne Folgen für die Gegenwart, und die Versuche, entsprechende Formen von Gemeinschaft wieder zum Leben zu erwecken, fallen meist künstlich und steril aus.

Angela Mitropoulos bemerkt in ihrem Artikel "Precari-us?", der zuerst im Web-Journal Metamute erschien, der Begriff des "Prekariats" sei selbst prekär. Einerseits werde der damit gemeinte Gegenstand nur annäherungsweise bestimmt, und anderseits leiteten sich daraus Strategien ab, die paradox und widersprüchlich, also prekär seien. Was bezwecken wir eigentlich, wenn unser kritischer Blick sich auf den prekären Charakter der Beschäftigung richtet? Laufen unsere Bestrebungen auf einen festen Arbeitsplatz mit lebenslanger Garantie hinaus? Darum handelt es sich klarerweise nicht. Es ist zwar inzwischen von Flexicurity die Rede, womit Einkommensformen gemeint sind, die nicht von Beschäftigungsverhältnissen abhängen, dennoch geht es vielmehr darum, den thematischen Faden der Zusammensetzung und Auflösung der sozialen Klassen wieder aufzunehmen, wenn wir den Linien folgen wollen, entlang deren sich eine mögliche künftige Neuzusammensetzung abzeichnet.

In den 1970er Jahren setzten die Energiekrise, die wirtschaftliche Rezession und schließlich die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch computergesteuerte Maschinen eine große Masse an Arbeitskräften frei, die sich jenseits der sozialstaatlichen Garantien bewegte. Seither ist die Frage der Prekarität ins Zentrum der soziologischen Analysen, aber auch der Perspektiven verschiedener sozialer Bewegungen gerückt. Schon damals begann man, Kämpfe für ein von der Beschäftigung unabhängiges Grundeinkommen zu führen, um dem Umstand, dass ein Großteil der Jugendlichen keine Aussichten auf eine feste Anstellung hatte, etwas entgegenzusetzen. Die Situation hat sich seitdem stark verändert, weil das, was als marginale und vorübergehende Lage erschien, zur vorherrschenden Form innerhalb der Arbeitsverhältnisse geworden ist. Die Prekarität ist nicht mehr Randerscheinung noch Provisorium, sondern die verallgemeinerte Form der Beschäftigungsverhältnisse in einer digitalisierten, netzwerkartigen und sich ständig neu entwerfenden Produktionssphäre.

Mit dem Wort "Prekariat" meint man üblicherweise den Bereich der Beschäftigung, in dem hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses, des Lohns und des Arbeitstages keine fixen Regeln mehr auszumachen sind. Wenn wir jedoch in die Vergangenheit schauen, so stellen wir fest, dass diese Regeln in der Geschichte des Verhältnisses von Kapital und Arbeit nur eine begrenzte Zeit gegolten haben. Nur in der Zeit, die durch gewerkschaftlichen und politischen Druck von Seiten der ArbeiterInnen und durch Vollbeschäftigung gekennzeichnet war, und dank einer mehr oder weniger starken Rolle des Staates hinsichtlich der Regulierung der Wirtschaft konnten der natürlichen Dynamik des Kapitals rechtliche Beschränkungen auferlegt werden. Diese rechtlichen Verpflichtungen, die in bestimmten Zeiten die Gesellschaft vor der Gewalt des Kapitals geschützt haben, gründeten stets auf einem als politisch verstandenen Kräfteverhältnis. Dank der politischen Stärke wurde es möglich, Rechte einzufordern, Regeln festzusetzen und diese als Rechte der Person zu verteidigen. Mit dem Schwinden des politischen Einflusses der ArbeiterInnenbewegung sind die natürliche Prekarität der Arbeitsverhältnisse und deren Brutalität wieder zum Vorschein gekommen.

Das Neue ist also nicht der prekäre Charakter der Arbeit, sondern die technischen und kulturellen Voraussetzungen, unter denen sich die Info-Arbeit prekarisiert. Die technischen Voraussetzungen bestehen in der digitalen Organisation und Aufteilung der Info-Arbeit durch das Netz. Die kulturellen Voraussetzungen bestehen sowohl in der massenhaft verbreiteten Bildung als auch in den Konsumerwartungen, die sich in den letzten Jahrzehnten in den Gesellschaften herausgebildet haben und die ständig vom gesamten Werbe- und Medienapparat geweckt werden.

Gehen wir daran, den ersten Aspekt zu analysieren, der die technischen Transformationen betrifft, die sich über die Digitalisierung des Produktionszyklus vollzogen haben, so sehen wir, dass die grundlegende Frage nicht die Prekarisierung des Arbeitsverhältnisses ist (letztlich war die Arbeit immer prekär), sondern die Auflösung der Person als des Agenten des produktiven Handelns, als Arbeitskraft. Wir müssen uns den Cyberspace der globalen Produktion als ein immens ausgedehntes Plateau entpersonalisierter menschlicher Arbeitszeit vorstellen.
Die Info-Arbeit, also die zur Verarbeitung und Zusammensetzung von Segmenten der Info-Ware aufgebrachte Zeit, ist der äußerste Punkt des Abstraktionsprozesses der konkreten Tätigkeit, eines Prozesses, den Marx als eine dem Verhältnis von Arbeit und Kapital eingeschriebene Tendenz analysiert. Der Prozess der Arbeits(zeit)abstraktion hat die Arbeitszeit sukzessive von jeglicher konkreten oder individuellen Besonderheit gereinigt. Das Zeitatom, von dem Marx spricht, ist die kleinste Einheit der produktiven Arbeit. Innerhalb der industriellen Produktion jedoch wurde die abstrakte Arbeitszeit von einer physischen und juridischen Trägerin, von einem Arbeiter (einer Arbeiterin) aus Fleisch und Blut, der/die auch über eine rechtliche und politische Identität verfügte, verkörpert. Das Kapital kaufte natürlich nicht die Verfügbarkeit der ganzen Person, sondern die Zeit, als deren Trägerin die Person fungierte. Wenn das Kapital über die zur Schaffung des Mehrwertes notwendige Zeit verfügen wollte, war es darauf angewiesen, ein menschliches Wesen anzuheuern und dessen gesamte Zeit zu kaufen, weshalb es auf die materiellen Bedürfnisse und gewerkschaftlichen bzw. politischen Forderungen eingehen musste, als deren Trägerin die Person auftrat.

Wenn wir zur Sphäre der Info-Arbeit übergehen, so stellen wir fest, dass es nicht mehr nötig ist, täglich acht Stunden der Zeit irgendeiner Person zu kaufen. Das Kapital rekrutiert keine Personen mehr, sondern kauft Zeitpakete, die von ihren zufälligen und austauschbaren TrägerInnen getrennt sind. Die entpersonalisierte Zeit wird zum wahren Agenten des Wertschöpfungsprozesses, und diese Zeit hat weder Rechte, noch kann sie Forderungen stellen. Sie kann sich entweder zur Verfügung stellen oder eben nicht, doch diese Alternative besteht bloß in der Theorie, weil der physische Körper, auch wenn er nicht mehr als juridische Person anerkannt wird, sich etwas zu essen kaufen und die Miete zahlen muss.

Die informatischen Verfahren, die dazu führen, dass die Arbeitsleistung sich in die verschiedenen Formen der Kombination semiotischen Materials verwandelt, bewirken eine Verflüssigung der zur Herstellung der Info-Waren gesellschaftlich notwendigen Zeit. Die gesamte Lebenszeit der "menschlichen Terminals" steht, pulsierend und verfügbar, wie eine einzige, unförmige Gehirnmasse auf Abruf bereit. Die Zeitausdehnung wird minutiös auf Zellen verteilt: Kleinste Einheiten der Produktionszeit können auf punktuelle, zufällige und fragmentarische Weise mobilisiert werden. Die Kombination dieser Elemente wird automatisch durch das Netz durchgeführt. Das Mobiltelefon (ital. cellulario) ist das Instrument, das die Verbindung von Bedürfnissen des Semio-Kapitals und der Mobilisierung der lebendigen Arbeit des Cyberspace ermöglicht. Das Klingeln des Mobiltelefons ruft die ArbeiterInnen dazu auf, ihre Zeit in den abstrakten, vernetzten Fluss einzuspeisen.

Die Ideologie des Übergangs in Richtung der digitalen Sklaverei trägt den Namen Liberalismus. Die Freiheit ist ihr Gründungsmythos, es fragt sich nur, wessen Freiheit? Die Freiheit des Kapitals, natürlich. Das Kapital muss absolut frei sein, in jeden Winkel der Erde vordringen zu können, um ein Fragment an Zeit aufzutreiben, das sich womöglich zu einem noch geringeren Lohn ausbeuten lässt. Der Liberalismus, könnte man einwenden, predigt doch auch die Freiheit der Person. Die juridische Person ist frei, sich zu äußern, ihre VertreterInnen zu wählen, eine wirtschaftliche oder politische Unternehmung in Angriff zu nehmen. Das klingt zwar sehr interessant, doch leider ist die "Person" verschwunden, sie ist zu einem passiven, irrelevanten und sinnlosen Objekt degradiert worden. Die Person ist frei, sicher. Aber ihre Zeit ist ein Sklave. Wenn wir die Bedingungen, unter denen der Großteil der proletarischen und kognitarischen Menschheit heute seine Arbeit verrichtet, die durchschnittlichen Einkommensverhältnisse weltweit und die zwar noch im Gang befindliche, jedoch schon fast verwirklichte Aufhebung der in der Vergangenheit erworbenen Rechte der ArbeiterInnen in Betracht ziehen, so können wir ohne jede rhetorische Übertreibung feststellen, dass wir in einem Regime leben, das sich auf Sklaverei stützt. Der durchschnittliche Lohn auf globaler Ebene reicht für die im Dienst des Kapitals stehenden Personen kaum dazu aus, die zum Überleben unerlässlichen Güter zu kaufen. Und die Personen haben in keiner Weise Rechte bezüglich der Zeit, derer sie formal enteignet worden sind. Einer Zeit, die niemandem gehört, weil sie von der sozialen Existenz der Personen, die sie dem Produktionskreislauf des Cyberspace zur Verfügung stellen, getrennt erscheint. Die Zeit ist somit fraktalisiert, d. h. sie ist auf kleinste, wieder zusammensetzbare Fragmente reduziert, und die Fraktalisierung ermöglicht es dem Kapital, sich konstant auf die Suche nach dem niedrigsten Lohn begeben.

Wie kann man sich nun der Dezimierung der ArbeiterInnenklasse und ihrer systematischen Entpersonalisierung, der Sklaverei, die sich als neue Form des Kommandos über die prekarisierte und entpersonalisierte Arbeit etabliert, widersetzen? Jedem/r, der (die) sich den Sinn für menschliche Würde erhält, stellt sich diese Frage mit einiger Dringlichkeit. Und dennoch ist diese Frage kaum zu beantworten, da die Widerstands- und Kampfformen, die sich im 20. Jahrhundert als wirksam erwiesen haben, nicht mehr die Fähigkeit zu haben scheinen, sich auszubreiten und zu konsolidieren, und folglich können sie den Absolutismus des Kapitals auch nicht aufhalten.

Eine Erfahrung der Kämpfe der vergangenen Jahre ist, dass die Kämpfe der prekarisierten ArbeiterInnen keine Zyklen ergeben. Die fraktalisierte Arbeit mag sich da und dort erheben, das bewirkt aber noch lange keine Protestwelle. Der Grund dafür ist leicht zu finden. Damit die Kämpfe sich zyklisch organisieren, ist die räumliche Kontiguität der arbeitenden Körper und die zeitliche Kontinuität der Existenzen vonnöten. Ohne diese Kontiguität und Kontiuität entstehen keine Voraussetzungen dafür, dass die zellenartig aufgeteilten Körper zu einer Gemeinschaft werden. Es kommt zu keiner Welle, weil die ArbeiterInnen nicht in einer Zeit zusammenleben, und die einzelnen Verhaltensweisen können nur dann zur Protestwelle anwachsen, wenn eine fortdauernde Nähe gegeben ist, die die Info-Arbeit nicht mehr kennt.

 

Das Wissen als autonomer Raum und als Kapitalfunktion

Sitzen wir also in der Scheiße? Um ehrlich zu sein, es sieht fast so aus. Die Zivilisierung der sozialen Sphäre, die ihren Höhepunkt in den 60er Jahren erreicht hatte, wurde durch zwei Bedingungen erreicht, die mit der Ökonomie selbst verwoben sind: Die erste war die Kultur des bürgerlichen UnternehmerInnentums und die zweite war die politische Stärke der IndustriearbeiterInnen, die sich im Verlauf eines ganzen Jahrhunderts entwickelt hatte.
Beide Bedingungen sind zu Ende des 20. Jahrhunderts verschwunden. Zuerst hat das bürgerliche UnternehmerInnentum mit seiner Orientierung am Rationalismus, der Aufklärung und dem Protestantismus abgedankt, mit seinem Zugehörigkeitsgefühl zu einer territorialen, lokalen und städtischen Gemeinschaft. Diese Schicht ist von der von Burnham so genannten "managerial class" abgelöst und dann durch das entpersonalisierte, delokalisierte Aktionärskapital pulverisiert worden, das nur einen Beweggrund kennt: die Suche nach dem höchsten Profit und deshalb das Interesse, den Anteil am geschaffenen Reichtum, der der Gesellschaft und vor allem den ArbeiterInnen zusteht, möglichst gering zu halten. Die kapitalistische Klasse ist nicht mehr menschlich, und zwar in dem Sinne, dass sie nicht aus Menschen besteht, sondern aus technischen Automatismen, unpersönlichen Funktionen. Der bürgerliche Kapitalist (die Kapitalistin) mochte geizig oder großzügig sein, reaktionär oder progressiv, auf jeden Fall jedoch hatte er (sie) Interesse an der Prosperität und an der Ordnung dessen, was wir als das allgemein Menschliche betrachten, denn diesem universell Menschlichen gehörten auch die Bourgeoisie und ihre Kinder an. Heute ist dies nicht mehr so. Diejenigen, die heute ökonomische Entscheidungen treffen, gehören nicht zur Bourgeoisie, sie haben keine erkennbare kulturelle Prägung, sie sind nicht einmal unbedingt menschliche Wesen, oder zumindest ist ihre Denkweise nicht so, als ob sie zur menschlichen Gattung gehörten. Es handelt sich um mathematische Funktionen, und die menschlichen Wesen, die diese mathematischen Funktionen verkörpern (Funktionäre, Broker, Mafiabosse) nehmen am Schicksal der Menschheit keinen Anteil, noch interessiert sie die Zukunft des Planeten. Das Verbrechen ist kein Auswuchs mehr, der sich am Rand der legalen ökonomischen Aktivität abspielt, sondern es ist die grundlegende Aktivität des postindustriellen Wirtschaftssystems, innerhalb dessen die kulturellen und ethischen Verankerungen der traditionellen Bourgeoisie abhanden gekommen sind, und vor allem ist jene Beziehung zum sozialen, menschlichen und natürlichen Umfeld abhanden gekommen, die allen die Beachtung allgemein menschlicher Regeln auferlegte.

Auf der anderen Seite ist auch die ArbeiterInnenklasse aufgelöst, zerstört und dezimiert worden. Die Bastionen der gewerkschaftlichen und politischen Organisation, die ein Jahrhundert lang das zentrale Element der gesellschaftlichen Solidarität gebildet haben, sind durch die technologischen Umstrukturierungen und die darauf folgende Deterritorialisierung zerstört worden. Es gibt keine Arbeitsfront mehr, weil an den Platz der ArbeiterInnen ein Plateau abstrakter, beliebig zusammensetzbarer Zeit getreten ist.

Worin sollen wir also einen Anhaltspunkt dafür finden, wie wir uns einen Prozess der Re-Humanisierung der gesellschaftlichen Produktion vorstellen können? Der wesentliche Aspekt der Transformation der Produktion besteht in der Subsumtion der Intelligenz unter den Wertschöpfungsprozess. Der General Intellect ist, wie Marx vorausgesehen hatte, die zentrale produktive Kraft geworden, aber die Erbringung intellektueller Arbeit hängt nicht vom bewussten Willen der kognitiven ArbeiterInnen ab, insofern diese zum allergrößten Teil den Bedingungen einer prekären, entpersonalisierten Arbeit unterworfen sind.

Die kollektive Intelligenz hat, wenn sie auf das soziale Leben angewandt wird, immense Potenzialitäten, die durch die Unterwerfung unter das Prinzip des privaten Profits vergeudet und pervertiert werden. In den fünfzehn Jahren, die zwischen 1989 und 2004 liegen, ist die globale kollektive Intelligenz als integrierte Kraft in Erscheinung getreten, und zwar durch das Netz und dank der Digitalisierung, die die unzähligen Fragmente der Info-Arbeit kompatibel und integrierbar macht. In diesen Prozess aber schreibt sich auch die Apokalypse der Moderne als sein ureigenes Versagen ein. Die Prinzipien des Humanismus und der Aufklärung, jene Grundsätze also, die in den zwei Jahrhunderten der bürgerlichen Gesellschaft und der ArbeiterInnenbewegung als Gesetze und gesellschaftliche Regulierungsmechanismen wirksam waren und einigermaßen respektiert wurden, sind innerhalb zweier Jahrzehnte der Lächerlichkeit preisgegeben, ihres Sinns entleert und aufgehoben worden.

Das Wissen ist die entscheidende Funktion, die den Übergang zur allgemeinen Deregulierung und zur Herausbildung entpersonalisierter Mechanismen ermöglicht hat, und zugleich die verantwortliche gesellschaftliche Kraft, die in sich das größte Vermögen zur Veränderung birgt.

Die globale Bewegung, die in Seattle zum ersten Mal in Erscheinung getreten ist, hat dort ihren Widerstand gegen die transnationalen Unternehmen zum Ausdruck gebracht. In dieser Richtung hat die Bewegung wichtige Erfolge erzielt, sie hat es zustande gebracht, den Konsens hinsichtlich der Privatisierung der fundamentalen Ressourcen zu durchbrechen. Sie war jedoch nicht imstande, die enorme subjektive Energie, die sich über die internationalen Treffen und Foren der Bewegung und über die Basisorganismen angesammelt hat, die sie innerhalb der realen Produktionszyklen, der technologischen Forschung und des täglichen Lebens unterstützt und getragen haben, in andere Formen umzusetzen. So viele ForscherInnen auch in der Bewegung aktiv sind, ist es doch bislang nicht gelungen, Organismen selbstorganisierter Forschung zu etablieren, abgesehen von der Gemeinschaft der ProgrammiererInnen freier Software, die schon vor der Bewegung existierte und bis heute deren einzige konsolidierte soziale Ausdrucksform darstellt. Dennoch ist dies die Perspektive, die sich für die Zukunft abzeichnet: der Übergang von einer Protestbewegung zu einer Bewegung der Selbstorganisation seitens der ProduzentInnen von Wissen und Informationen.
 
Der Text wurde auch publiziert in: Kulturrisse 02/05.