06 2008
Museum. Raum. Geschichte: Neue Orte politischer Tektonik
Ein virtueller Gedankenaustausch zwischen Belinda Kazeem, Nicola Lauré al-Samarai und Peggy Piesche
B. K.: Ausstellung: Benin – Könige und Rituale. Ort: Völkerkundemuseum Wien. Sommer 2007.
Ein Schritt in das Ausstellungsgebäude hinein. Es ist sehr dunkel. Ein paar Glaskästen und Landkarten, eine Bronze; ein alter weißer Mann im Safaristil, der auf Zeichenpapier die Kopfform der ausgestellten Bronze vor ihm festhält. Erinnerungen an koloniale Reiseberichte und Stiche, die afrikanisches Leben für das interessierte Publikum in Europa (auf-)bewahren sollen. Blickregime, die nach wie vor aufrecht sind.
Vor mir eine Trennwand. Lehmoptik. Erdfarben. Ich trete durch den Durchgang und fühle mich wie ein unerlaubter Eindringling im Palast des Oba von Benin. In dieser seltsamen Landschaft stehen in Glaskästen die Benin-Bronzen verteilt. Das Gefühl, etwas Besonderes entdeckt zu haben, wird durch die Beleuchtung gesteigert. Die wenigen Spots sind auf die Bronzen gerichtet, deren metallene Oberfläche golden strahlt, wie eine Armee verheißungsvoller Schätze. Die Bronzen selbst scheinen seltsam tot, sprach- und kontextlos. Ich gehe ganz nahe an die Glaskästen heran, schaue auf die ausgestellten Objekte, lese die angebrachten Etiketten.
Der nächste Raum: ein weiteres Heer an Glaskästen, Skulpturen, Bronzen, zig Etiketten. Nach circa zwanzig Glaskästen, allgemein gehaltenen Wandtexten und ewig gleichen Beschilderungen, die im Übrigen nichts voneinander unterscheidet als die Angabe der BesitzerInnen, interessiert mich der von der Kuratorin gewählte Erzählstrang nicht mehr.
Was könnten die „Objekte“ mir stattdessen anderes erzählen? Vermutlich etwas über koloniale Aneignungspraktiken, über verbotene Verkäufe und illegitime Handelspraxen, über ihre historische und aktuelle Bedeutung für den Königshof und die Bevölkerung Benins. Hinsichtlich der Beweggründe der KuratorInnen oder der Sinnhaftigkeit einer Schau mit hunderten, der Reihe nach aufgestellten Bronzen steht für mich jedoch die Frage nach dem Zweck dieser konkreten Ausstellung im Raum: Vermittlung? Konservierung? Zeigen, wie groß der eigene Bestand ist?
Ich verlasse die Ausstellung mit einem Gefühl der Leere, die seltsame Stumm- und Starrheit der Objekte lässt mich noch länger nicht los. Ich frage mich, wie die Ausstellung aussehen hätte müssen, um bei mir nicht dieses flaue Gefühl im Magen zu hinterlassen. Wäre es möglich gewesen, Blickregime zu ändern, die Verhältnisse und die Objekte in andere Kontexte zu setzen, diese hörbar zu machen und von Anfang an ein Statement zu Besitzverhältnissen und Aneignungen zu machen?
N. L. a.-S.: Ich kenne das seltsame Gefühl ratlosen Unbehagens, das
Belinda beschreibt, und das eine/n offenbar immer dann beschleicht, wenn sich
eine grundsätzliche Irritation einstellt, die sich im entsprechenden Moment
zunächst nicht wirklich artikulieren lässt. Mir ging es ähnlich, als ich vor
vielen Jahren zum ersten Mal das Ägyptische Museum in Kairo besuchte. Ich hatte
mich durch die lärmenden Menschenmengen an der Kasse gekämpft, endlich mein
Ticket erstanden und fand mich wenige Augenblicke später in einem
unübersichtlich verschachtelten Gebäude mit riesigen Ausstellungssälen und
Unmengen von „Stücken“ der pharaonischen Geschichte wieder: überlebensgroße
Statuen, rituelle Gegenstände, Totenmasken, Sarkophage, Grabbeigaben,
Alltagsutensilien, Schmuck, Perücken ...
Was mich, aus heutiger Rückschau, irritierte, war nicht die unglaubliche Anzahl der Exponate, sondern eher ihre Präsentation selbst. Das, was ich damals für mich nicht anders als „westlich“ übersetzen konnte, würde ich heute als eine Fortsetzung repräsentativer Gewalt bezeichnen, die – in Ägypten und sicher auch in anderen Ländern, denen eurozentrische Deutungsrahmen ein „hochkulturelles Erbe“ bescheinigen –, westlich vermittelt ist: Die „Objekte“ aus vorkolonialer Zeit wurden mit Beginn des 19. Jahrhunderts im Zuge einer bis dahin beispiellosen kolonialen Erstürmung pharaonischer Kult- und Kulturstätten durch europäische Archäologen und selbsternannte Entdecker in Goldgräbermanier ans Licht gezerrt, die sorgsamen und komplexen Rituale der alten ÄgypterInnen dadurch entweiht. Die zahllosen Ergebnisse der zahllosen Grabplünderungen sind nunmehr „beheimatet“ in einem Gebäude, das ungefähr zu ebenjener Zeit entstand. Es befindet sich heute auf dem Maydan at-Tahrir, dem „Platz der Befreiung“.
Die ambivalente Ironie der Geschichte holt zumindest einige von uns – gerade wegen des Wissens um koloniale Aneignungspraxen – in der Gegenwart ein. Sie äußert sich als das von Belinda beschriebene „flaue Gefühl im Magen“, denn sobald wir uns als BesucherInnen eines Museums dazu bereit erklären, universelle Schätze zu „würdigen“ und diese an vorgegebenen, ergo für „würdig“ befundenen Orten anzusehen, werden wir unversehens zu KomplizInnen, die den – aus meiner Sicht – verdinglichenden Voyeurismus überkommener Besitz- und Repräsentationslandschaften unwillentlich bestätigen. Es geht für mich folglich nicht nur darum, dominante Blickregime generell zu hinterfragen, sondern sie zugleich mit den jeweiligen individuellen Erwartungen oder Intentionen des (eigenen) Sehens in Beziehung zu setzen. Meine Frage wäre also: Was erwarten wir eigentlich, wenn wir dekontextualisierte, zu Objekten gemachte „Dinge“ anschauen, die eben nicht „für sich“ sprechen (können), weil sie als Element und Ausdruck historischer Subjekthaftigkeiten zunächst entsprechend rekontextualisiert werden müssten? Und weiterführend: Ist eine solche Rekontextualisierung überhaupt möglich und wenn ja, wie?
P. P.: Das erste Mal,
dass ich dieses Aufeinandertreffen europäischer Kulturgewalt und eines
möglichen geschichtlichen Alternativblickwinkels wirklich spürte, war bei einer
althistorischen Expedition in der Türkei als Teil meines Studiums. Drei Wochen
lang alle großen, wie ich sie nenne, „europäischen Memographien“ abzureisen und
diese fein säuberlich in historische Studieneinheiten zu modellieren, um
„Geschichte“ zu vermitteln – ein Klassiker dieser von euch bereits beschriebenen
grundsätzlichen Irritation. Sehr bezeichnend für mich ist hierbei, dass ich ein
solches Initialerlebnis ebenfalls außerhalb des vielleicht eher zu erwartenden
typisch deutschen oder europäischen Museums hatte. Ephesus, Alt-Smirna,
Pergamon. Museen hierzulande haben mich eher gelangweilt und wenig getriggert,
weder im intellektuellen noch im politischen Sinne. Aber auf einmal, mitten in
den Ruinen des alten Pergamon, fühlte ich diese Konfrontation, die mich selbst
unweigerlich Subjekt zu werden, mich selbst als Handelnde zu begreifen zwang.
Türkische AktivistInnen forderten mit Unterschriftenlisten auch die
TouristInnen auf, das Anspruchsrecht der Türkei auf den Pergamonaltar in Berlin
und weitere Artefakte zu unterstützen.
Unnötig zu erwähnen, dass unser Expeditionsleiter, Professor der Althistorie, uns unmissverständlich klar machte, dass „wir“ so etwas natürlich nicht unterstützen könnten. Betretenes Schweigen, Wegschauen und -gehen. Der bittere Geschmack des Momentes der unversehenen KomplizInnenschaft, wie Nicola es beschreibt. Allerdings hatte ich damals schon das Gefühl, dass dies ein sehr aktiver Moment war und die Entscheidung der meisten Studierenden, sich an den freundlichen Rat des Professors zu halten, einen aktiven Beitrag in diesem expandierten Geschäft europäischer Kulturgewalt darstellte. Eine wissenschaftliche Reise durch all die bedeutungsschwangeren Stätten des europäischen Geschichtserbes in einem Land, das zu eben jenem Erbe als nicht zugehörig begriffen wird und sich bei aller „Wissenschaftlichkeit“ doch am besten billigtouristisch bereisen lässt – eine an sich sehr bizarre Kombination.
Das Zurückfordern eigener kollektiver Erinnerungen und das paternalistische Abwinken der meisten TouristInnen hat mir zum ersten Mal vor allem emotional verdeutlicht, dass mit der Idee, wie hierzulande historische Identitäten hergestellt werden, grundsätzlich etwas nicht stimmen kann. Ich habe die Liste unterschrieben und kam nicht umhin zu bemerken, dass dies außer mir nur meine KommilitonInnen aus Ägypten und Griechenland taten. Zurück in Deutschland waren Museen fortan nicht mehr nur langweilig oder wenig stimulierend für mich, sondern vielmehr Orte politischer Tektonik. Eigentlich sollte es in diesen Hallen ständig rütteln und nichts an seinem Platz bleiben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was ein Museum als Konzept wirklich zu leisten vermag und ob es bei allen kolonialen Altlasten, die es nicht nur mit und in sich trägt, sondern die es meines Erachtens in erster Linie manifestiert, so genutzt werden kann, dass sich koloniale Aneignungspraxen auch wirklich erschließen, habe ich als verstörende Fragen hinter der Debatte um Nofretetes neue „Heimat“ ähnlich verspürt, wie damals in Pergamon. Das Szenario ist im Grunde gleich: Ägypten fordert die Büste seit 1924 zurück, elf Jahre, nachdem der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt sie in Tell al-Amarna ausgegraben und an den offiziellen Begutachtungsstellen der Fundteilung vorbeigeschmuggelt hatte. Elf Jahre, in denen sie nur heimlich in Deutschland ausgestellt und alles versucht wurde, Ägypten die Existenz der Büste weiter vorzuenthalten. Dass Ludwig Borchardt irgendwelche Tricks angewendet haben musste, um die Büste durch die Fundteilung zu bekommen, wird auch dadurch deutlich, dass er bis 1924 alles daran setzte, Nofretete der Öffentlichkeit zu entziehen. Dann ließ sich eine Ausstellung im Neuen Museum nicht mehr verhindern. Und schon wurde sie von Ägypten zurück gefordert. Ein jahrelanges Tauziehen begann. Erst 1935 wurde es durch ein Machtwort von Adolf Hitler selbst beendet.
Nun, kurz vor dem 100. Jahrestag ihrer Ausgrabung, ist ein neuerlicher Streit entbrannt, ob die Büste nicht wenigstens als Leihgabe für diesen Zweck nach Ägypten überstellt werden könne. Doch Berlin will die über dreitausend Jahre alte Büste nicht reisen lassen. Sie sei kein Popstar, den man auf Tour schicke, Erschütterungen und Klimaschwankungen würden ihr zu sehr zu schaffen machen. Aber Nofretete hat bereits ein ganz schönes Reisepensum hinter und noch vor sich – innerhalb Deutschlands und mehrfach in Berlin. Vorerst letzter Reisestop: Als Hieroglyphe, als Chiffre, als das Symbolzeichen für Altägypten schlechthin wird sie mit der bildenden Kunst Europas als Ikone Berlins im Kulturforum ausgestellt. Die Sonderausstellung „Hieroglyphen um Nofretete“ wirft mich wieder zurück auf die Fragen, was ein Museum eigentlich leisten kann und will. Nur beim Überfliegen der Nofretete-Debatte ist bereits deutlich, dass all die kolonialen Aneignungspraktiken offen liegen, quasi willentlich mit ausgestellt werden. Die Fortsetzung repräsentativer Gewalt scheint nicht wirklich das Problem der Museen zu sein. Die Niederlande haben bei weitem nicht alle ihre Rembrandts, oder wo gehört(e) eigentlich die Mona Lisa wirklich hin? Ist Europa über solche Fragestellungen erhaben, über solche vermeintlich nationalhistorischen Perspektiven hinausgewachsen? Natürlich sind dies nur rhetorische Fragen, doch verweisen sie auf eine Kontradiktion in den Ausstellungspraktiken europäischer und außereuropäischer Kunst.
Im Anschluss an Nicolas Gedanken zu unseren jeweiligen Erwartungshaltungen, wenn wir uns diesem Repräsentationsraum „Museum“ hingeben, würde ich das Konzept „Museum“ an sich hinterfragen wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Blickregime innerhalb dieser Manifestation europäischer Kulturgewalt überhaupt ändern können; ob wir nicht vielmehr ein ganz neues Konzept denken müssten. Bei der Sonderausstellung „Hieroglyphen um Nofretete“ ging es nicht einmal mehr um die so genannte Ägypten-Rezeption. Es ging vielmehr darum, der Lesbarkeit von Bildzeichen nachzuspüren, ungeachtet ihrer Bezugnahme auf Altägypten, die jedoch nicht ausgeschlossen ist. Klingt doch gut und scheint weit weg zu sein von der bekannten Ägyptomanie. Aber Vorsicht, die koloniale Repräsentation dekonstruiert sich schon lange selbst und das heißt nicht, dass sie sich aufgibt. Nofretete als die mittlerweile „schönste Frau Berlins“ (Berliner Zeitung) ist bereits vollständig in diese europäische Kulturgewalt inkorporiert und für mich ein Symbol der Wandlungs- und Reimplementierungsfähigkeit des Konzeptes Museum.
N. L. a.-S.: Unsere
unterschiedlichen und doch ähnlichen Erfahrungsberichte hinsichtlich gängiger
Repräsentationsmuster und -praxen, insbesondere von außereuropäischer Kunst und
Kultur, scheinen mir auf die Tatsache hinauszulaufen, dass das Konzept „Museum“
und der Raum „Museum“ einander nicht nur bedingen, sondern sich historisch
sinnstiftend überlagern. Dass dabei koloniale Aneignung einerseits einen
integralen Bestandteil der Idee „Museum“ selbst darstellt und sich andererseits
real und quasi zum Anfassen in einer „Objektpräsenz“ vor Ort manifestiert, ist
ein keineswegs neuer Gedanke. Entsprechend umfassend sind inzwischen auch die
kritischen und durchaus spannenden Überlegungen einer Interpretation solcher
Gegebenheiten und ihres Umgangs damit. Deutschland hat diesbezüglich –
Nofretete ist im Grunde nur eine exemplarische Metapher – einen enormen
Nachholbedarf, der sich unter anderem aus dem grundsätzlichen Mangel an
kolonialem Unrechtsbewusstsein speist. Für produktive öffentliche Diskussionen
oder Überlegungen, die in eine andere Richtung weisen könnten, ist dies äußerst
hinderlich.
Eine generelle Hinterfragung des herkömmlichen Konzeptes „Museum“ kann daher ein erster Schritt sein, um – wie Peggy es vorschlägt – in der Folge etwas zu denken, das sich im Sinne einer kritischen Überschreitung jenseits davon befindet. Insofern finde ich den theoretischen Gedanken von Mary Louise Pratt, Museen als Kontaktzone (contact zone) aufzufassen, um die interaktiven und improvisatorischen Dimensionen kolonialer Begegnungen herausstellen und Subjektkonstitutionen innerhalb gravierender Machtasymmetrien ernst nehmen zu können, einen wesentlichen Ansatzpunkt, um gleichermaßen herrschende Blickwinkel wie auch die reduktionistische Binarität von Eroberung/ Enteignung aufzubrechen. Denn obwohl, wie Peggy zu Recht feststellt, „all die kolonialen Aneignungspraktiken offen liegen, quasi willentlich mit ausgestellt werden“, sind sie, wenn überhaupt, ein eher lästiger Nebenschauplatz – frei nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Dass daran auch kritische Diskurse und alternative Praxen bislang nur wenig zu ändern vermögen, zeigt die von Belinda beschriebene bewusste repräsentative Intention, auf das augenscheinlich unzweifelhafte Vermächtnis weißen europäischen „Entdeckertums“ zurückzugreifen und einem bestimmten Publikum die Möglichkeit zu geben, selbst auf diesen Pfaden zu wandeln – wenn auch „nur“ innerhalb einer virtuellen Re-/ Inszenierung.
Schwarze Menschen/ People of Color sind als Subjekte damit sowohl aus der Geschichte als auch aus der Gegenwart zur Gänze verbannt. Historisch sind sie ohnehin „stumm“ und als MuseumsbesucherInnen werden sie weder in Betracht gezogen noch angesprochen. Anders lässt sich die selbstverständliche und deshalb so zynische Rahmensetzung der Wiener Benin-Ausstellung beim besten Willen nicht interpretieren. Hier, und in unzähligen anderen analogen Konstellationen, werden den gewaltvollen Kontaktzonen der Vergangenheit die der Gegenwart hinzugefügt. Es entstehen kontaktzonale Sedimentierungen; Ge-/ Schichten, wenn man so will, die nicht nur in unhinterfragten Tradierungen kolonialrassistischer und kulturdarwinistischer Provenienz wurzeln, sondern die überdies nur dann funktionieren, wenn Konzept und Raum „Museum“ als raum-zeitliches Neutrum und folglich als außerhalb der Geschichte befindlich begriffen werden. Verweigert man sich dieser intendierten Blickrichtung samt den dazugehörigen hegemonialen Blickverhältnissen zwischen schauenden Subjekten und geschauten Objekten und geht von einer ge-/ schichtlichen Gewordenheit dessen aus, was wir sehen und wie wir es zu sehen aufgefordert werden, dann sind Konzept und Raum „Museum“ in ein Spannungsfeld zurück geworfen, in dem ihre historisch-gegenwärtigen Sedimentierungen zur Disposition gestellt und analysiert werden können.
Die Frage ist allerdings, ob man sich in den Prozess einer solch umfassenden „Ent-Schichtung“ überhaupt hinein begeben mag. Trotz aller Möglichkeiten einer differenzierten Kritik oder der Elaborierung unterschiedlicher Perspektiven bin auch ich mir – ähnlich wie Peggy – nicht sicher, ob dies etwas Grundsätzliches zu ändern vermag. Die konzeptionellen und verräumlichten Fortschreibungen epistemischer Gewaltfigurationen sind nicht nur äußerst verdichtet, sie sind vor allen Dingen systemimmanent. Was man also zunächst thematisieren müsste, wäre der weiße oder westliche Blick und seine Repräsentationen, wären die kolonialen Alt- und Neulasten und ihre wandlungsfähigen polylogen Aussage- und Spannungsfelder, wären immer neue und subtilere Aneignungspraxen. Dekonstruktion, also. Für mich stellt sich daher die Frage, ob ein solcher selbst-/ kritischer, vornehmlich weiße/ westliche Selbst-/ Verständlichkeiten ins Zentrum der Betrachtung rückender Fokus – so unbestritten notwendig er für veränderte Zugänge auch ist – die eigentlichen „Objekte“ weniger stumm macht, ob er ihren Blicken aus Glaskästen und Vitrinen heraus tatsächlich begegnet, ob er ihren Geschichten eine narrative Eigenständigkeit überantwortet.
Um es kurz zu machen: Ich denke nein. Vielleicht bin ich auch deshalb, um noch einmal auf unsere individuellen Sehgewohnheiten oder Erwartungshaltungen zurückzukommen, eine passionierte Besucherin „minorisierter“ Museen, wo wie auch immer geartete hegemoniale Narrative keinen vordergründigen Raum mehr beanspruchen können, selbst wenn sie unterschwellig natürlich immer mitklingen. Solche Orte sind für mich die eigentlichen Kontaktzonen, um mit Geschichten in Beziehung zu treten, um mich mit verschiedensten kulturellen Verortungen und Zugehörigkeiten auseinanderzusetzen und nicht zuletzt, um Sphären des Überlebens und Widerstandes kennen lernen zu dürfen. Um es mit Peggys schönem Bild zu sagen: Dies waren und sind für mich die tatsächlichen „Orte politischer Tektonik“, repräsentationspolitischer Inspiration und einer im besten Sinne re-/ konstruktiven Arbeit. Orte sich wandelnden Subjekt-Seins.
B. K.: Ich finde einen Punkt sehr wichtig, den Ihr beide angesprochen
habt, nämlich die Frage der Dekonstruktion hegemonialer „weißer/ westlicher
Selbst-/ Verständlichkeiten“, um es mit Nicolas Worten zu sagen. Doch führt
diese Dekonstruktion tatsächlich dazu, Blickrichtungen zu ändern, die Objekte
aus ihren Glaskästen heraus sprechen zu lassen?
Obwohl ich gern an die Kraft postkolonialer Theorie und Ansätze glauben möchte, dies in hegemonialen Museen zu ermöglichen, muss auch ich zugeben, dass ich skeptisch bin. Der Hang zur Dekonstruktion wird auf theoretischer Ebene ausgelebt, als ein quasi neuer Theoriezweig, dem es zu huldigen gilt, während sich in der Praxis, in den Ausstellungskontexten hegemonialer Museen die koloniale Repräsentationspolitik unbeirrt fortsetzt. Dies ist eine Erfahrung, die ich im Übrigen in den verschiedensten, vermeintlich aufgeklärten Zusammenhängen mache, sei es an der Universität, bei Podiumsdiskussionen und so weiter: An kritischer Theorie gibt es zwar mittlerweile kein Vorbeikommen mehr – das wissen auch die Leute, die sich einstmals beharrlich weigerten, auf diese einzugehen – doch wird sie einfach in den herrschenden Kanon aufgenommen und entsprechend rezipiert. In die tatsächliche Praxis fließt sie nicht ein. Zurück bleibt eine kritische Theorie, die ihrer kritischen Momente beraubt ist und, zumindest in diesen hegemonialen Räumen, keinerlei aktivistisches Potential mehr hat. Dies passt natürlich – und hier spreche ich vor allem für Österreich – zu der fortdauernden Abwehrhaltung in der Auseinandersetzung mit kolonialer Geschichte beziehungsweise der grundsätzlichen Infragestellung einer Relevanz postkolonialer Theorie. Dekonstruktion wird so zu einem theoretischen Akt, der keinerlei Konsequenzen für die eigene Praxis hat.
Obwohl ich mich vor diesem Hintergrund gern der Frage widmen würde, was mit diesen „institutionellen Lasten“ wie Völkerkundemuseen, ethnologischen Sammlungen und entsprechenden Ausstellungen in Zukunft passieren sollte beziehungsweise welche Aufgaben diesen Orten zukommen könnten, fände ich es spannender, sich aus diesen Räumen hinaus zu bewegen und sich solchen Ausstellungen zu widmen, die es schaffen, eigenständige Erzählstränge zu entwerfen.
Nicola sprach von „minorisierten“ Museen oder Ausstellungen, die zu Kontaktzonen werden. Ich möchte an diesem Punkt das Ausstellungsprojekt „Remapping Mozart – Verborgene Geschichte(n)“ erwähnen, welches im Mozartjahr 2006 in Wien gestartet und von Araba Evelyn Johnston-Arthur, Ljubomir Bratić, Lisl Ponger, Nora Sternfeld und Luisa Ziaja kuratiert wurde. Ausgehend von der hegemonial besetzten Figur Wolfgang Amadeus Mozarts und in Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Geschichtskanon zielte das Projekt darauf ab, „minorisierte“ Positionen und Stimmen hör- und sichtbar zu machen und diese miteinander in Verbindung, in quasi vielstimmige Gespräche zu bringen. Für alle Beteiligten ergab sich dabei die Möglichkeit, aus verschiedenen Positionen heraus Geschichte(n) zu betrachten, in Beziehung zu setzen und so einen Prozess des Re-/ Writings zu beginnen.
Ich möchte das anhand der „Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart“ etwas genauer erklären. In unserem Fall ging es um den Beginn einer Geschichtsschreibung aus Schwarzer Perspektive in Österreich, weshalb wir bestimmte Fragestellungen entwickelten, beispielsweise: Wie würden wir Angelo Solimans Geschichte schreiben/ erzählen? Wie lässt sich aus einer Schwarzen Position heraus der Protest seiner Tochter Josefine Soliman fassen, die als Schwarze Österreicherin im 18. Jahrhundert gegen die unmenschliche Zurschaustellung ihres Vaters im „k.u.k. Naturalienkabinett“ kämpfte? Natürlich gibt es speziell zu diesen beiden Personen bereits Publikationen – allerdings meist aus einer mehrheitsgesellschaftlichen, weißen Perspektive. Wichtig für uns jedoch war eine kollektive Erarbeitung von Schwarzer Geschichte – in diesem Sinne gestalteten wir daher die Konzeption des Songs und des dazugehörigen Videos „Let it be known“. Unter der Leitung von Dominic Mariochukwu Gilbert (aka Item 7) wurden alle Rechercheergebnisse zusammengefasst und flossen in den Song ein, wobei die kollektive Erarbeitung von Text/ Bild und das Teilen von Geschichte(n) im Vordergrund standen. Außerdem ging es uns um die Suche nach Verbindungen, die wir als Schwarze Menschen im Hier und Jetzt zu Schwarzen Lebenserfahrungen des 18. Jahrhunderts herstellen konnten/ können – und damit um das bewusste Brechen eurozentristischer Erzählstrategien. Dieses „talking back“, wie Claudia Unterweger angelehnt an bell hooks formulierte, ermöglichte es uns, verschiedene Subjektpositionen einzunehmen und uns einen Raum zu eröffnen, in dem wir unsere – vormals vereinzelten Stimmen – zusammenbringen konnten/ können.
Zurückkommend auf unsere Eingangsbetrachtungen, die sich vornehmlich mit ethnologischen Ausstellungen befassten, stellt sich mir nun die Frage, ob es auch bei eher „objektbezogenen“ Kontexten, in denen es vor allem um den Besitz und das Ausstellen betreffender Objekte geht, Möglichkeiten gäbe, einen solchen vielstimmigen Raum zu eröffnen. In einem Vorgespräch habt Ihr diasporische Museen erwähnt. Vielleicht könntet Ihr in einem weiteren Schritt mehr dazu sagen – auch zu Ausstellungsprojekten, die sich, ähnlich wie „Remapping Mozart“, Gegengeschichtsschreibungen widmen beziehungsweise gewidmet haben?
P. P.: Sich neue Räume zu erschaffen, zu erschließen und sich aus den
überkommenen alten des Museums heraus zu bewegen, hat als Bild eine wirkliche
Tiefe. Mir gefällt sehr gut, wie Belinda dieses Sich-Wegbewegen mit neuen
Erzählsträngen verbindet. In unserem Gespräch bin ich mittlerweile an den Punkt
gekommen, das Konzept „Museum“ für diasporische Historiographien für gänzlich
unbrauchbar zu halten. Die alten Wunderkammern der frühen Neuzeit hießen nicht
umsonst in ihren Anfängen „Raritäten- und Kuriositätenkabinette“. Neben
Naturalien, Kunst und Handwerk des eigenen, meist kleinen „Reiches“ ging es vor
allem auch darum, den eigenen Einfluss, die Größe der Herrschenden zu
demonstrieren, also zur Schau zu stellen. Und das ist genau der Moment, wo wir
ins Spiel kommen: als Artefakte von „Entdeckungsreisen“. Ein Museum sollte schlussendlich
immer auch den eigenen Untertanen zeigen, dass die Ordnungsgewalt nicht nur im
Hier, im Heimischen herrscht. Schließlich verweist es ja auf erhebliche
politische Macht, wenn sich solch großartige Schätze wie die Nofretete so
einfach in Berlin ausstellen lassen.
Hier scheint mir die eigentliche Crux zu liegen, die, wie ich meine, ein antagonistisches Verhältnis von Museum und Diaspora offen legt. Die Sammlungen der Wunderkammern als Grundstock eines europäischen Musealverständnisses wollten die Ordnung der Welt vermitteln, diese sozusagen im Heimischen zementieren. Die alten Kunst- und Wunderkammern sollten die gesamte kosmisch-göttliche Ordnung der Welt und damit Anfang und Ende einer gottbestimmten Entwicklung zeigen. Dass uns das nicht wirklich als (schauende) Subjekte einschließt beziehungsweise auf einen bestimmten Platz verweist, ist offensichtlich. Insofern halte ich Museen auch für ein aktives Instrument, um sowohl Prozesse der Kolonisierung als auch der postkolonialen Reinszenierung kolonialer Aneignungen zu manifestieren. Ich denke, wir haben hier eine ähnliche Lesart, was die Binarität von Eroberung und Enteignung betrifft, weshalb mir Nicolas Vorschlag, Museen als Kontaktzonen aufzufassen, sehr gut gefällt. Wichtig erscheint mir jedoch, direkt und unmissverständlich zu klären, dass es sich hier nicht um machtfreie multikulturelle Kontaktzonen handeln kann, da sie immer nur auf einem überkommenen Prinzip des Museums basieren und lediglich dessen Spielarten sein können. Nein, bewusst aus dem Museum herauszutreten und neue Räume zu erschaffen, heißt nicht nur, sich uns selbst als AdressatInnen zuzuwenden, sondern auch Begriffe wie Geschichtlichkeit, Quellen, Belege und damit schließlich auch Wissenschaft(-lichkeit) umzuschreiben und neu zu definieren. Die Frage, was von der europäischen Erinnerungskultur bleibt, wenn ihre Symbolik sich zunehmend entleert, finde ich daher sehr spannend.
Wichtiger jedoch ist Belindas Überlegung, wie diese neuen Räume aussehen könnten. Um uns aus den hegemonialen Narrativen und Blickwinkeln heraus- und auszuschreiben, müssen wir diese „Räume“ manifest neu bestimmen. Wir haben uns schon sehr viel zum inhaltlichen Neukonzipieren ausgetauscht: diasporische Blicke als Subjekte gestalten und als Schauende einzuladen; den in uns eingeschriebenen kolonialen Diskurs aufzudecken und in Ausstellungspraxen so darzustellen, dass er quasi entzaubert wird; die westliche Geschichtslegende zu demaskieren. Dies sind verschiedene Stränge und wahrscheinlich auch verschiedene Ansatzpunkte.
Das Aufdecken und Sichtbarmachen des uns eingeschriebenen Kolonialdiskurses hat meines Erachtens die 2005 von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund e.V.) in Auftrag gegebene mobile Ausstellung „Homestory Deutschland. Schwarze Biografien in Geschichte und Gegenwart“ sehr gut geschafft. Es ist nichts Aufregendes, Spannendes oder gar Exotisches dabei, wenn Biographien unsichtbar, unerzählt und verborgen sind. Um dies zu ändern, bedarf es in der Ausstellung einer tatsächlich körperlichen Arbeit, denn die BesucherInnen müssen hinter die Gesichter, die Fotos schauen, um etwas zu erfahren. Im Katalog wird das noch viel deutlicher. Dort müssen die Seiten wortwörtlich aufgetrennt werden, sonst lassen sich die hinter den Fotos befindlichen Biografien gar nicht lesen. Mir gefällt auch das Konzept des Wanderns, des Mobilseins und der Möglichkeit, verschiedene Orte aktiv zum Museum zu „machen“. Dieses Konzept bietet hervorragende Möglichkeiten eines Dialogs, weil sich – ganz anders als im manifesten oder vorgegebenen Raum, der per se Museum ist und mit diesem Status sozusagen bereits für Geschichtlichkeit zu bürgen scheint – das subalterne „Museum“ immer wieder neu erschaffen muss und erst über die eigentliche Ausstellung zu einem Erinnerungsort werden kann.
Diese Möglichkeiten sollten wir nutzen und mit dem wichtigen Anliegen der Subjektpositionierung diasporischer Geschichte verbinden. Mobile Ausstellungen sind ja nicht neu, aber ich denke, dass wir vor allem von solchen Ausstellungen lernen können, die eben gerade nicht ein lokales Museum anstreben, sondern in einen inhaltlichen Dialog mit dem Ort treten, an dem sie sich präsentieren, wie beispielsweise Häfen, Bahnhöfe, Werke oder Ämter. Einen Schritt weiter gehen solche Konzepte, die sich von vornherein aus dem realen, dem geographischen Raum ausschreiben. Ich denke etwa an Internetmuseen. Vielleicht liegt hier eine Möglichkeit, mit der ziemlich komplexen Aufgabe, Gegennarrative zu entwerfen, erfolgreich umzugehen. Damit meine ich weitaus mehr als eine als Ausstellung kreierte Internetseite. Vielmehr könnten zukünftige diasporische Ausstellungen als Wiki-Seiten konzipiert werden, die es den schauenden Subjekten ermöglichen, aktiv an der Gestaltung ihrer geschichtlichen Narrative mitzuwirken. Dies würde auch unserer Realität des Suchens und Ausgrabens entsprechen. Wir legen Geschichte/n immer noch und täglich frei – unsere Geschichte/n, überlagert vom Mainstream. Meine Idee ist vielleicht etwas zu radikal, und ich bin mir auch nicht sicher, wie sie sich genau umsetzen ließe. Aber der wandlungsfähige hegemoniale Diskurs wird uns immer wieder mit neuen Facetten konfrontieren, während wir unsere eigenen Narrative entwerfen. Das Erproben der hier diskutierten alternativen Strategien kann uns also nur helfen, diesen Facetten angemessen zu begegnen und gewappnet zu sein. Schwarze Menschen erschaffen und gestalten aktiv selbst ihre „Museen“ – mir gefällt die Idee dieser agency. Ich sehe das auch im Kontext eines Schwarzen Archivs, welches sich sozusagen selbst weiter schreibt.
Was nun die westliche Geschichtslegende betrifft, so ist hier ein meines Erachtens langer und zäher Weg zu gehen, der uns leider immer wieder als reactio fordert. Eigene virtuelle Räume aufzubauen heißt, einen neuen, parallelen Diskurs zu schaffen, und darin liegt immer meine Präferenz. Trotzdem: Die koloniale Repräsentationslegende wird uns noch lange in Atem halten. Doch auch wenn wir uns dem nicht gänzlich entziehen können, weiterhin als Objekte verhandelt zu werden, sollte das aktive, vom Hegemonialdiskurs losgelöste Gestalten unserer Geschichten im Vordergrund stehen und unabhängig vom Umgang mit dem traditionellen Konzept „Museum“ gesehen werden. Nur dann können wir etwas wirklich Neues, Eigenes entwickeln.
N. L. a.-S.: Ich finde es einen ausgesprochen beruhigenden Gedanken,
dass das Bewegliche, Nichtfixierbare und Grenzgängerische subalterner
Geschichten explosive Räume hervorbringt, die mit ihren unvorhersehbaren
„Kontinentalverschiebungen“, ihren ineinander fallenden Zeiten und ihrer
Vielstimmigkeit die vorgegebenen
alten Gemäuer des „Museums“ tatsächlich sprengen. Und dass sie uns dazu
einladen, uns ebenso beweglich, nichtfixierbar und grenzgängerisch auf den zu
Weg machen, um reale und virtuelle Geographien neu zu entdecken – nicht, um sie
zu erobern oder in Besitz zu nehmen, sondern um sie für uns, wie Houston Baker
Jr. es einmal poetisch formulierte, als „Sphären nährender Obhut und
Unterstützung“ wieder bewohnbar zu machen. Ich würde sagen, das biografische
Projekt „Homestory Deutschland“ war ein Versuch in diese Richtung, weil es uns
darum ging, eine eigenständige Repräsentationsform der Anerkennung und
Wertschätzung zu entwickeln und deren Ergebnis – ganz buchstäblich – „in den
Raum zu stellen“. Das erforderte einen kreativen Prozess, einen permanenten
Austausch, ein Sich-aufeinander-Einlassen, denn wir mussten sowohl mit den
Geschichten der biografisierten Personen als auch mit unseren eigenen
Geschichten in Beziehung treten und uns immer wieder positionieren. Und dabei
lernt man eine Menge von- und miteinander.
Für mich persönlich ist dieses zwischenmenschliche oder, in Bezug auf subalterne Räume, „zwischensphärische“ interkommunale Lernen ein sehr zentraler Punkt, um über alternative Diskurse, Ausdrucks- und Erinnerungsformen nachzudenken, über die vielschichtigen und zuweilen durchaus problematischen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Erwartungen, die damit einhergehen können. Dominante Strukturen sind „tricky“ und vertrackt, und die Tatsache, dass es keine „Lösung“ gibt, macht kreatives Arbeiten gleichermaßen aufregend wie schwierig. Angesichts unserer Diskussion würde ich Euch in jedem Fall zustimmen, das überkommene Konzept „Museum“ für diasporische Historiographien zu verwerfen, und ich teile mit Peggy den Gedanken der Mobilität. Doch finde ich „feste“ Erinnerungsorte – wie beispielsweise das Jüdische Museum in Berlin oder das Japanisch Amerikanische Museum in Los Angeles – berührend und wichtig. Dies sind selbstbestimmte reale Geografien, über deren konzeptionelle Setzungen sich vielleicht streiten ließe (auch die so genannte Peripherie ist bekanntlich nicht hierarchiefrei), aber diese Auseinandersetzungen halte ich für weitaus produktiver, weil sie sich nicht an einem wie auch immer gearteten „Außen“ abarbeiten, sondern die Heterogenität subalterner Diskurse und einen widerständigen Ort der Marginalität bereits voraussetzen.
Auch wenn uns, wie Peggy sehr richtig anmerkt, „die koloniale Repräsentationslegende noch lange in Atem halten wird“, liegt unsere Zukunft woanders. Ich finde den Gedanken einer Demokratisierung und eines polylogischen „Machens“ von Geschichte – wie etwa in Internetmuseen – wirklich spannend. Gerade bei unzugänglichen, verschütteten Geschichten wie der Schwarzen deutschen oder der Schwarzen österreichischen sind solche Zugänge wichtige Schritte für weitere gemeinsame „Grabungsarbeiten“. Diese Zugänge sind inklusiv und überraschend, sie verbinden das Unerwartete und entbergen das Unsichtbare – und genau darin liegt ihr befreiendes Potential. Unsere Verantwortung sehe ich darin, mit diesen Entbergungen sorgsam umzugehen und die Räume, die wir selbst schaffen und gestalten, offen zu halten, damit sie bewohnbar bleiben.
P. P.: Vielen Dank, dass du noch mal auf die manifesten Räume und Orte
verwiesen hast, Nicola. Auch ich halte das Jüdische Museum für einen sehr
wesentlichen und zentralen Ort, der uns viel über die Vermittelbarkeit,
Tradierung und „Konservierung“ von marginalisierter Geschichte im wahrsten
Sinne des Wortes zu erzählen vermag. Für mich ist der Ort wesentlich
bedeutungsvoller als manche der darin behausten Ausstellungskonzepte. Nicht
umsonst musste das Museum mit fast eineinhalbjähriger Verspätung eröffnen, weil
sich das architektonische so gar nicht mit dem angedachten musealen Konzept verbinden
wollte. Ich persönliche finde, dass das Gebäude für sich selbst am
ausdrucksstärksten spricht, dass es in seiner Leere und Anschaulichkeit die
Wege der jüdischen Diaspora über Jahrhunderte durchaus aufzeigen und
gleichzeitig etwas so Unbegreifliches wie den Holocaust in Architektur
manifestieren kann. Ein Konzept, das sich meines Erachtens hervorragend mit dem
mobilen Moment diasporischer Erinnerungsräume kombinieren lässt. Ja, ich glaube
auch, dass wir feste oder geographisch fixe Erinnerungsräume brauchen, wie zum
Beispiel das relativ neue Monument zur Erinnerung an die Sklaverei in
Amsterdam.
Diese Orte oder Räume sollten an neuralgischen Punkten erstehen und ihre Verbindungen könnten künftig einmal Diaspora kartographieren: „Mapping Diaspora“, sozusagen durch und als Verbindungen verschiedener Erinnerungsorte. Hier lasse ich mich natürlich gerade von meinen Visionen tragen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir in erster Linie den Weg der Interaktivität gehen sollten, um uns unsere Geschichte/n auf diese Weise zu erschließen und anzueignen. Wissenschaftlich und journalistisch werden wir noch viel mit hegemonialen Museumskonzepten beschäftigt sein, aber unser kreativer Zugang muss sich auf unser Eigenes, auf uns selbst richten. Nur so werden wir diejenigen sein, die von den „Ausgrabungen“ profitieren.
Die Entstehungsgeschichte des Amsterdamer Mahnmals zeigt im Übrigen auch dies sehr schön. Die Schwarze Community in den Niederlanden arbeitete bereits viele Jahre an eigenen Gedenkkonzepten, klagte sich immer wieder laut und hörbar in den Mainstream ein und konnte mit diesem Ort etwas schaffen, das in der dortigen, zutiefst unkonfrontativen Gesellschaft lange als undenkbar galt. Inzwischen ist dieser Ort zu einem sehr wichtigen Meilenstein auf dem Wege der Historisierung eigener Geschichtlichkeit für die Schwarze Community in den Niederlanden geworden. An einem interaktiven „Museum“ hingegen könnten mehr diasporische Communities teilhaben. Denn, um vielleicht mit einer letzten Vision abzuschließen, dies sehe ich als die größte Aufgabe für unsere Generation an: Diaspora zu verbinden in und mit dem, was sie für uns ausmacht. Diaspora, die sich über die in uns allen eingeschriebene kollektive Geschichte definiert, die nicht in erster Linie ein Ort, nicht geographisch manifest, sondern ein Kollektiv aus Erfahrungsidentitäten ist.
B. K.: Ich finde den Gedanken „Mapping Diaspora“ – das Zusammenbringen
vieler Geschichten als nie abgeschlossenen Prozess – wunderschön. Das erinnert
mich an einen Satz aus der Installation „Josefine Soliman, 2006“, die Claudia
Unterweger und ich während des Mozartjahres gemeinsam realisierten. Claudia
sagt an einer Stelle, dass Josefine Solimans Geschichte nur ein kleiner
Puzzlestein in der Geschichte der afrikanischen Diaspora ist. Ich stelle mir
das wirklich so vor: zahllose einzelne Puzzlestücke, manche davon unter dicken
Schichten von Staub versteckt, und wir, die nach und nach diese einzelnen
Stücke bergen, zusammenbringen, wieder an einer anderen Stelle einsetzen als
„Museum of Our Own“.... Wie schon gesagt, ein nie abgeschlossener Prozess.
Was solche Modelle auch schaffen könnten – und hier komme ich noch einmal auf unseren Ausgangspunkt zurück – ist eine Brechung des Museums als Ort der Exklusivität, der sich (noch) durch die „monologisierten“ Stimmen der KuratorInnen/ MuseumsdirektorInnen und den Besitz von Objekten – den Originalen wohlgemerkt – auszeichnet. Dies schafft natürlich auch ein anderes Publikum, eine offenere Art des Zugangs, und so könnten Museen tatsächlich zu Kontaktzonen, zu Orten/ Räumen vielstimmiger Erzählungen werden.
Links
Homestory Deutschland: www.isdonline.de/modules.php?name=News&file=article&sid=190
Remapping Mozart – Verborgene Geschichte(n): www.remappingmozart.mur.at
Der vorliegende Text erscheint parallel in: schnittpunkt
ausstellungstheorie & praxis (Hg.), Das Unbehagen im Museum.
Postkoloniale Museologien, Wien: Turia + Kant 2008.