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05 2002

Fragmentierung und Kooptation. Zu problematischen Aspekten der "Hybridität" oppositioneller Kunstformen

Ulf Wuggenig

Wenn heute - im allgemeinen wie auch im Konzept der Linzer Veranstaltung hybrid resistance - davon gesprochen wird, dass "unproduktive Dichotomien" zwischen Kultur und Politik, Kunst und Widerstand, künstlerischer Praxis und politischem Aktivismus überwunden seien, dann drängt sich die Frage nach der Reichweite solcher Thesen auf. Im Kontext der visuellen und konzeptuellen Kunst werden ihre Grenzen relativ rasch deutlich.

Im letzten Jahrzehnt waren in diesem Bereich widersprüchliche Entwicklungen zu beobachten, die sich bei abstrakterer Betrachtung nichtsdestoweniger auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen, nämlich die Entdifferenzierung zwischen künstlerischen und anderen gesellschaftlichen Feldern. Diese Entdifferenzierung - ein Begriff, den der Kulturtheoretiker Scott Lash [1] gegen die vor allem bei soziologischen Autoren verbreitete Sichtweise entwickelte, welche von einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft in autonome soziale Subsysteme ausgeht - wurde nicht nur von Akteuren im künstlerischen Feld selbst vorangetrieben. Sie ist auch das Resultat von Prozessen der Kolonisierung künstlerischer Felder von außen. In diesem Zusammenhang wäre etwa an jene Ökonomisierung des Sozialen und des Kulturellen zu denken, deren Logik von Theoretikern der Gouvernementalitätsstudien [2] im Anschluss an den späten Foucault herausgearbeitet worden ist. Ein Teilaspekt dieser Ökonomisierung ist das Eindringen von korporativer Macht in die europäischen Kunstfelder (nach US-amerikanischem Vorbild), die einen neuen Typus von "Wirtschafts-Künstlern" hervorgebracht hat. Dieser Typus zeichnet sich dadurch aus, dass er sein kulturelles und symbolisches Kapital relativ bereitwillig Akteuren des ökonomischen Feldes zur Verfügung stellt, u. a. für deren Imagepolitik, für die symbolische Bekräftigung interner Hierarchien, für die Motivierung von Mitarbeitern oder auch für die Entwicklung von "innovativen" Ideen.

Im Extremfall reicht die Macht von Akteuren aus dem ökonomischen Feld mittlerweile so weit, dass sie in der Lage sind, ganze Kunstbewegungen zu lancieren und in die Kunstgeschichte einzuschreiben, wie dies in Großbritannien bei Charles Saatchi und den "Young British Artists" (YBA) zu beobachten war. Angela McRobbie hat die Theorie-Aversion und den Anti-Intellektualismus dieser ausgerechnet in einem Zentrum der Cultural Studies und der feministischen Theorie (Goldsmiths College, London) ausgebildeten jüngeren Generation von britischen Künstlern beschrieben, ihre Überschreitung der Grenzen von "Kunst und Leben" in Form einer post-ironischen Plünderung der Populär- und Jugendkultur und auch ihre "culturepreneur"-Strategien, die sie als "Thatchers Kinder" im Feld der Kunst erscheinen ließen. Wenn der Zynismus dieser von Charles Saatchi gesponserten und durchgesetzten Künstler auf den ersten Blick apolitisch anmuten mag, so hat ihre Einbindung in die hegemoniale Entrepreneurkultur wie auch in den identitätspolitischen Diskurs von "Cool Britannia" doch nicht zu übersehende politische Konnotationen.

In Großbritannien jedenfalls waren im letzten Jahrzehnt zwar Prozesse der Entdifferenzierung von Kunst, Wirtschaft und Politik zu beobachten, von jener Überwindung "unproduktiver Dichotomien" im Sinne der eingangs skizzierten These kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht die Rede sein. McRobbie zufolge wurde im Gegenteil die in den 80er Jahren noch präsente politische und aktivistische Kunst durch die YBA marginalisiert. [3]

Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde in den 90er Jahren die "Privatisierung der Kultur" nach angelsächsischem Muster [4] vorangetrieben. Im Gegensatz zu Großbritannien bildeten sich in diesen Ländern zugleich aber auch Strömungen oppositioneller "politischer Kunst" heraus. Holger Kube Ventura, der einen Überblick über diese kritische Kunst erarbeitet hat, sieht den Hauptgrund für die Politisierung der Kunst im Einbruch des Kunstmarkts zu Beginn der 90er Jahre. [5] Diese reduktionistische Erklärung erscheint allerdings alles andere als überzeugend. Der Einbruch des Kunstmarktes betraf die Kunstfelder in allen westlichen Ländern. Weder in Großbritannien, noch in Frankreich, Italien oder Spanien ließ sich jedoch eine vergleichbare Politisierung der Kunst und des Kunstdiskurses erkennen.

Die Politisierung der Kunst in diesen Ländern als "Hybridisierung" von Kunst und Politik zu fassen oder von einem "hybriden Widerstand" zu sprechen, erscheint allerdings nicht unproblematisch. Denn bevor das Konzept der "Hybridität" über den Umweg der Rezeption von Bachtin zu einem der kulturtheoretischen Schlüsselbegriffe der jüngeren Zeit aufstieg, gab es die lange Geschichte des rassistischen Gebrauchs dieses Begriffs, von den Rassenlehren des 19. Jahrhunderts über die Eugenik bis zu den antisemitischen und nationalsozialistischen Schriften des 20. Jahrhunderts. Mit der Aneignung und Redefinition des Hybriditätsbegriffs durch kulturtheoretische Autoren wie Stuart Hall oder Homi K. Bhabha war nicht nur eine Zurückweisung der mit diesem Begriff ursprünglich verbundenen essentialistischen oder zwangsassimilatorischen Vorstellungen verbunden, sondern auch der Gedanke der wechselseitigen Durchdringung - in Interaktionen etwa von Zentrum und Peripherie, von Unterdrückern und Unterdrückten, von hegemonialen und subversiven Kräften. [6] Speziell dieser Aspekt des redefinierten Hybriditätsbegriffs erscheint mir heuristisch und theoretisch von Interesse, weil er die Aufmerksamkeit auf die wichtige Frage lenkt, wieweit "Widerstand" der Logik des Systems, gegen das er sich wendet, verhaftet bleibt. Der in diesem Sinn gebrauchte Begriff des "hybriden Widerstands" würde somit eine Form von oppositioneller Praxis bezeichnen, die mit dem Nebeneffekt verbunden ist, grundlegende Systemstrukturen zu reproduzieren.

Eine solche "Hybridität" der oppositionellen Kunst lässt sich meines Erachtens vor allem in zwei Hinsichten erkennen. Ein guter Teil der künstlerischen Produktion, die in Zusammenhang mit den Protesten gegen die österreichische Regierung, aber auch im Rahmen der Anti-Globalisierungsbewegung entstanden ist, folgt in einer ziemlich offensichtlichen Weise einer "akteursorientierten" Perspektive. [7] Sie widmet sich mit Vorliebe der Repräsentation kollektiver politischer Rituale, solchen der Stiftung von Solidarität, wie solchen der Anwendung von Gewalt, und lenkt die Aufmerksamkeit auf "gute" oder "böse" Akteure, seien dies Individuen, Gruppen oder Organisationen. In der Fixierung auf konkrete Entitäten (wie Individuen und Gruppen) und deren Absichten, in der Konzentration auf diskontinuierliche Handlungen und Ereignisse - insbesondere direkte Gewalt - und in der Privilegierung symbolpolitischer Ereignisse, die sich im wesentlichen auf der politischen Vorderbühne abspielen, läuft dieser Typus von künstlerischer Produktion Gefahr, die Strukturblindheit des hegemonialen medialen Diskurses und dessen Grundidee zu wiederholen, wonach die Welt im wesentlichen durch Rekurs auf Akteure zu verstehen sei.

Zu den strukturellen Merkmalen hierarchischer sozialer Systeme gehört die Tendenz, sich über die Behinderung von horizontaler Interaktion an der Basis und über Spaltungs- und Kooptationsprozesse von antisystemischen Oppositionsbewegungen zu reproduzieren. Jedenfalls werden beträchtliche Ressourcen und Energien benötigt, um diesem Fragmentierungs- und Inkorporationsdruck zu widerstehen. Fragmentierung und Kooptation drohen - wenn Kube Venturas Diagnose einer "Entsolidarisierung" im Feld der politischen Kunst zutreffen sollte - einmal mehr zum Schicksal von oppositioneller Kunst zu werden, das ist der zweite Aspekt ihrer Hybridität, den sie sich vielleicht nicht hinreichend bewusst gemacht hat, um frühzeitig adäquate Gegenstrategien zu entwickeln.


[1] Scott Lash, Sociology of Postmodernism. London 1992.

[2] vgl. z. B. Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/Main 2000.

[3] Angela McRobbie, In the Culture Society. Art, Fashion and Popular Music. London 1999, S. 6ff. Zur Rolle von Saatchi für die Britische Kunst der 90er Jahre vgl. insbesonders Rita Hatton / John A. Walker, Supercollector. A Critique of Charles Saatchi. London 2000.

[4] Chin-tao Wu, Privatising Culture. Corporate Art Intervention since the 80ies. London 2002.

[5] Holger Kube Ventura, Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum. Wien 2002, S. 88ff.

[6] Vgl. Bhabha, Homi K., Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000 und kritisch zum Hybriditätsbegriff Robert Young, Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture, and Race. London 1995.

[7] Zur Unterscheidung einer akteurs- und einer strukturorientierten Perspektive auf die Welt vgl. Johan Galtung, Menschenrechte - anders gesehen. Frankfurt/Main 1994, S. 46ff.