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10 2001

Die Rote Zora - Ein Video von Oliver Ressler

28 min., dt./engl., 2000

Søren Grammel

languages
journal
protest

Jüngst wurde die politische Vergangenheit des deutschen Außenministers Joschka Fischer zum Anlaß genommen, die Zeit um 1968 einer Kritik zu unterziehen. Das Anliegen der Medien und der heutigen Oppositionspolitiker zielte nicht auf eine sinnvolle Aufarbeitung der verschiedenen Ansätze, Strömungen und Auswirkungen jener politischen Gruppierungen, die nach 1968 als außerparlamentarische Opposition begannen und aus der teilweise der spätere militante Widerstand hervorging. Das Ziel war vielmehr die politische Instrumentalisierung des "68er"-Mythos durch konservative und reaktionäre politische Kräfte. Die bewehrte Methode der Diffamierung ist die kontextunabhängige Separierung von Begebenheiten und Personen. Die Informationsvermittlung beschränkt sich dabei auf willkürlich herausgegriffene Daten, deren Relevanz nicht im politischen, sondern im persönlichen Bereich zu finden ist, so daß eine differenzierende Meinungsbildung nicht möglich ist. Hinter der scheinbaren Objektivität verbirgt sich oft die bloße Kriminalisierung der fremden Positionen zugunsten der Moralisierung der eigenen Position.

"Die Rote Zora" von Oliver Ressler ist eine Arbeit, die kritisch mit dem Genre der Fernsehberichterstattung arbeitet. Alternativ zu einer ausschließlich (oder auch vermeintlich) rechtsstaatlich geprägten Berichterstattung bietet die Videoarbeit eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einer militanten Frauengruppe, die in den 80er Jahren in Deutschland über zwanzig politisch motivierte Anschläge verübte und diverse andere Delikte beging. Die Rote Zora kämpfte gegen die Atom-, Gen- und Reproduktionstechnologien, die im Kontext der Herrschaftsideologie verstanden wurden. Die entsprechenden Anschlagsziele waren Konzerne wie Bayer, Schering oder Siemens, d. h. die Forschungsinstitute und das Eigentum von "Vertretern der patriarchalen Ordnung" (RZ 1983). Die Rote Zora bildete eine radikale politische Opposition zur bestehenden Macht und setzte auf eine "Politik der Sachbeschädigung".

Das zentrale Element des Videos bildet ein Interview, das im Sommer 2000 mit Corinna Kawaters geführt wurde. Kawaters ist die einzige Frau der Roten Zora, die wegen der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" (§129a) von einem Gericht verurteilt wurde. Ein weiteres Gespräch wurde mit der Sozialwissenschaftlerin Erika Feyerabend aufgenommen, die als Mitarbeiterin des Essener Gen-Archivs in den Sog der polizeilichen Ermittlungen gegen die Rote Zora geraten ist. Anders als die sensations- und verknappungssüchtigen Medien bietet das Video Raum für eine persönliche Erzählung und läßt ein Bild des sozialrevolutionären "Terrorismus" entstehen, das sich jenseits von Brutalität und Demokratiefeindlichkeit bewegt.

Neben den Interviews arbeitet Oliver Ressler mit visuellen Fundstücken der Roten Zora, wie zum Beispiel mit den Flugblatt-Typographien und Illustrationen. Sie bilden stroboskopische Unterbrechungen im Fluß der Interviewbilder. Dieser Umgang dient nicht einzig der Dokumentation bzw. Rekonstruktion einer visuellen Rhetorik der "Roten Zora", sondern untersucht ihre politische Praxis zugleich auch als ästhetische Praxis. Die Hinzunahme von fremden Material geschieht dagegen mit einer auffälligen Distanz, die durch eine ästhetische Aufbereitung der Bilder gekennzeichnet ist. Die originären Tagesschaubeiträge werden mit dicken und farbigen Rahmungen eingeblendet. In einer anderen Sequenz der "Roten Zora" wird kurz ein Ausschnitt des Kommerzfilms "Black Thunder - Die Welt am Abgrund", USA 1997, eingeblendet, in der eine Geheimdienstangestellte dem Chef Fakten zu einer terroristischen Vereinigung referiert. Die eingespielten Sequenzen machen deutlich, wie fließend die Grenze zwischen den objektivierten, staatlichen Nachrichten einerseits und den fiktiven Geschichten eines Fernseh- oder Kinofilms andererseits sind. Dementsprechend dokumentiert das Video auch, wie ausgerechnet ein von Corinna Kawaters veröffentlichter Unterhaltungsroman - Kawaters arbeitete als Journalistin und Schriftstellerin - zu einem der Hauptgegenstände im Prozeß gegen sie wurde.

Am Schluß zeigt das Video musikclipartig den Abschuß einer selbstgebastelten Rakete auf einen Büroturm. Die Szene stammt aus dem Film "An Act of Sabotage" von Christopher Anderson, USA 1998. Dazu klingt von "Ton, Steine, Scherben" ausgelassen Rio Reisers Stimme: "Hallelujah! Der Turm stürzt ein". Das Musikstück über die Szene zu legen war die Idee von Corinna Kawaters, die Oliver Ressler nicht nur über das Interview zur zentralen Figur der Arbeit macht, sondern die er auch selber um Änderungsvorschläge und Kritik gebeten hat.

Wenn die Arbeit auf einer Ebene die inhaltliche Auseinandersetzung mit der "Roten Zora" ermöglicht, so führt sie auf einer weiteren Ebene eine Diskussion über die Mechanismen medialer Darstellungsweisen, in dem sie das Genre der Fernsehberichterstattung für eine unübliche Darstellungsweise öffnet. Von besonderem Interesse ist die Frage, inwiefern Kunst einen Ort freistellen kann, der jenseits von ästhetisierender Künstlichkeit in der Lage ist, Themen zu erörtern, die in den ursprünglich dafür vorgesehenen Medien nicht mehr kritisch behandelt werden.

 
[aus: Katalog zur Videonale 9 in Bonn]