08 2001
Alles nur Theater? - Alles nur Politik.
International solidarisieren sich Künstler mit den inhaftierten Mitgliedern der VolxTheaterKarawane. Mit gutem Grund: Auf dem Spiel steht die Möglichkeit symbolischer Politik, die Verteidigung der Meinungs- und Bewegungsfreiheit schlechthin.
Zu Beginn der Debatte um die VolxTheaterKarawane stellte
sich die Öffentlichkeit die Frage: Alles nur Theater?
Handelt es sich wirklich nur um Gaukler? Inzwischen scheint
diese Frage beantwortet. Die Dame mit dem eisernen Grinsen,
die zu anfangs die Aktivisten vor laufender Kamera kriminalisierte,
scheint sie bejaht zu haben. Und selbst das Innenministerium,
das die Karawane - wie alles Oppositionelle in Österreich
- observierte und möglicherweise infiltrierte, scheint
zum Schluss gekommen zu sein: Alles nur Theater. Das trifft
sich gut bei einer Theaternation wie Österreich. So ist
es nicht verwunderlich, dass niemand die Gegenfrage stellte.
Die Frage nämlich: Alles nur Politik?
Denn dem aktionistischen Straßentheater, in dessen Tradition
die VolxTheaterKarawane steht, geht es nicht um bürgerlichen
Kunstgenuss, sondern um eine politische Botschaft außerhalb
der Theaterinstitutionen. Es ist keineswegs "nur Theater",
sondern zielt direkt ins Feld der Politik. Zwar bedient es
sich künstlerischer Strategien, um politisch zu intervenieren,
betreibt aber deshalb nicht "nur" Theater, nicht
"nur" Kunst.
In Österreich kam es im Zuge der Antiregierungsdemonstrationen
zu einer Fülle solcher theatraler Interventionen, die
von gleichermaßen arroganten wie ahnungslosen Wendephilosophen
als "antifaschistischer Karneval" bezeichnet wurden.
Ungeachtet der Diffamierungsabsichten seines Schöpfers
Rudolf Burger sollte man den Begriff tatsächlich begrüßen
und positiv wenden. Denn das Karnevaleske der Aktionen entsteht
ja keineswegs aus individuellem Ausdrucksbedürfnis oder
Spaß am Feiern, noch will es irgendwelchen herkömmlichen
ästhetischen Kriterien genügen. Sein Kriterium ist
vielmehr symbolpolitischer Natur.
Mit anderen Worten: Es geht um die symbolische Besetzung des
medialen und politischen Raums. Öffentlichkeit soll durch
möglichst drastischen Ausdruck erzeugt und damit Aufmerksamkeit
auf die politische Botschaft gelenkt werden. Die "Straße"
wird durch die Intervention des Straßentheaters vom
bloßen Verkehrsweg zur Bühne der Öffentlichkeit.
Symbolische Aktionen
Der Boom, den karnevalistische Polit-Aktionen in Österreich
wie auch in Genua und anderswo erfahren haben, sollte keineswegs
überraschen. Denn der symbolische Mehrwert theatraler
Aktionen steigt unter anderem mit der Bedeutung der Bildmedien.
Deren immer stärker werdende Rolle schreit gleichsam
nach plakativen symbolischen Aktionen. Auf diese Nachfrage
trifft das Angebot der Theateraktivisten, das nun von der
italienischen Polizei und Justiz kriminalisiert wird. So kommt
es auch nicht überraschend, dass sich mit der VolxTheaterKarawane
italienische wie österreichische Theatergruppen, ja selbst
ein illustrer Literatur-Nobelpreisträger, der Theatermann
Dario Fo, solidarisch erklärt haben.
Entgegen dem ersten Anschein geht es dabei um mehr als um
"nur Theater". Ja umgekehrt, es geht nur und ausschließlich
um Politik. Das heißt, es geht um die Verteidigung der
Möglichkeit symbolischer Politik schlechthin. Denn wo
deren Ausdrucksmittel - wie etwa Jonglierkeulen - als Waffen
definiert und Theatergruppen zu kriminellen Vereinigungen
abgestempelt werden, dort lässt sich öffentlicher
Raum an sich nicht mehr erzeugen, die Straße nicht mehr
zur politischen Bühne machen.
Aus diesem Grund ist die Freiheit der Kunst nur eine Unterkategorie
der politischen Meinungsfreiheit und kann nur mit Letzterer
zusammen verteidigt werden. Nicht weil sie "nur Theater"
machen, hätten die Aktivisten der VolxTheaterKarawane
längst freigelassen werden müssen, sondern weil
ihr Recht auf Demonstrations-und Meinungsfreiheit unverbrüchlich
sein sollte.
Gesinnungslisten
Leider ist dem real nicht so. Der Antiglobalisierungsbewegung
wird mit der Einschränkung von Meinungs-, Ausdrucks-
und Bewegungsfreiheit geantwortet. Und zwar in einem Ausmaß,
wie man es seit der Terrorismushysterie der 70er-Jahre nicht
mehr gesehen hatte. Otto Schily käme nichts gelegener
als eine europaweite schwarze Liste politisch Unliebsamer.
In der Bundesrepublik wurden anlässlich des Genua-Treffens
grundrechtswidrige Ausreiseverbote verhängt und damit
jedes Recht auf Bewegungsfreiheit - zum Zwecke politischer
Meinungsäußerung - ignoriert.
An den Grenzen zu Italien wurden Menschen abgewiesen, weil
sie bereits auf irgendwelchen arbiträren Listen standen.
Eine dieser Gesinnungslisten, die das Innenministerium Italien
übermittelt hatte, führte schließlich zur
Verhaftung der VolxTheaterKarawane. Und schließlich
greift Italien zur Kriminalisierung der Globalisierungsgegner
auf die grundrechtseinschränkende Antiterrorgesetzgebung
der 70er-Jahre zurück. In der Praxis erlaubt diese der
italienischen Justiz, langjährige Gefängnisstrafen
allein für politische Gesinnung auszusprechen.
Der österreichischen Regierung kam all dies gelegen,
denn die Antiglobalisierer, die Italien jagte, deckten sich
im Fall der VolxTheaterKarawane mit außerparlamentarischen
Kritikern der ÖVP-FPÖ-Koalition. Deren Kriminalisierung
wollte man elegant an die italienischen Freunde der Berlusconi/Fini-Regierung
delegieren, denn die hatten ja die notwendigen Gesetze. Eine
günstige Gelegenheit, Rache an seinen Gegnern zu üben,
ohne sich die Hände dabei schmutzig zu machen. Dies scheint
Ferrero-Waldner in jener Pressekonferenz gedacht zu haben,
bevor sie ihr Grinsen wieder aufsetzte. Damit erwies sie sich
als würdige Ministerkollegin Böhmdorfers. Hatte
dieser die Kriminalisierung der parlamentarischen Opposition
für bedenkenswert befunden, so befindet Ferrero-Waldner
offenbar die Kriminalisierung der außerparlamentarischen
Opposition für bedenkenswert.
Doch das eigentlich Alarmierende ist die immer klarer werdende
Tatsache, dass österreichische Regierungskritiker, auch
wo sie rein symbolisch und kulturell arbeiten, systematisch
observiert, staatspolizeilich behandelt und auf schwarze Listen
gesetzt werden. Und wo die Gelegenheit günstig ist, schreckt
man offenbar nicht davor zurück, diese Listen zu ihrer
Denunziation und Kriminalisierung auch einzusetzen. Alles
nur Theater?
[erstveröffentlicht im Standard als "Kommentar
der anderen" vom 11. August 2001]