06 2001
Subkultureller Protest in Zeiten des Pop-Entrepreneurs
Der Subkulturbegriff hat in den letzten 20 Jahren eine rasante Degeneration zu einem bequemen Catch all-Begriff erfahren, mit dem Medien unterschiedlichster Provenienz eher hilflos die Vielzahl der heterogenen Subströmungen zu erfassen versuchen, in die sich die traditionellen Jugendkulturen verzweigt und unablässig weiterrepliziert haben. In dieser unübersichtlichen Situation einer sich stark ausdifferenzierenden hybriden Mainstreamformation, die von subkulturellen Szenen kaum mehr abgrenzbar ist, habe ich mir zunächst die Frage gestellt, ob heute post-subkulturelle Gruppierungen existieren, die auf subkultur-verwandte Strategien der Identitätsgenerierung setzen und falls ja, wie deren politisches Potenzial, etwa in der Frage einer weitergehenden Dekonstruktion patriarchaler Strukturen, einzuschätzen sei.
Die Frage nach der Existenz solcher Formationen beinhaltet
als Voraussetzung jedenfalls den Versuch einer Ablösung
vom Subkultur-Terminus (zumindest von jenem ohne "post"-Präfix).
Die Einschätzungen, wie sich Subkulturen konstituieren,
haben sich seit den goldenen Zeiten der Subkulturforschung
in den 70er Jahren stark verschoben. Geänderte gesellschaftliche
Rahmenbedingungen wie die Entstehung neuer komplexerer Stratifizierungen
jenseits überkommener Klassenmodelle sowie die fortgesetzte
Hybridisierung von sozialen Formationen lassen die lange Zeit
unumstrittenen Subkulturtheoreme des Centre for Contemporary
Cultural Studies (CCCS) überholt erscheinen, weil
eine eindeutige klassenspezifische Zuordnung von subkulturähnlichen
Formationen kaum mehr möglich zu sein scheint.
Die Subkultur-Analysen des CCCS lassen sich daher auch heute
noch als wissenschaftliche Pionierarbeit und amüsante
theoretische Erzählung zugleich lesen, weisen allerdings
einen sympathischen Kardinalfehler auf: Pop-Denker wie Dick
Hebdige waren so vermessen, jugendkulturelle Konsumentscheidungen
als proto-politische Akte zu interpretieren und damit subkulturelle
Kauf-Rituale zum politischen Gegenentwurf und zu einer selbstbestimmten
Form der Identitätsstiftung hochstilisieren zu wollen.
Mittlerweile fungiert Differenz anstelle von Anpassung als
Triebfeder des postmodernen Konsums und die Erzeugung von
Differenz wird dazu operationalisiert, die hegemonialen neoliberalen
Ideologien unter der Hand zu legitimieren. John Fiskes wichtige,
aber letztlich zu romantische Ideen von Konsumentensouveränität
haben Cultural Studies daher politisch auf dünnes Eis
geführt.
Heute gehen die mehrheitlich wieder ethnographisch arbeitenden
Devianz-ForscherInnen davon aus, dass Subkulturen vor allem
von den Mainstream-Medien, aber auch von Subkultur-TheoretikerInnen
als Gemeinschaften von Mythen-KonsumentInnen konstituiert
wurden. Als wichtigstes konstitutives Element erwies sich
dabei die "moral panic", die von den Mainstream-Medien
rund um Subkulturen geschürt wurde. In dieser medialen
Panikmache liegt das zentrale Identifikationsangebot für
den potenziellen Konsum-Rebellen: Wenn subkulturelle Artikulation
auf so heftige Repressionsversuche des Establishments stößt,
ist das Hauptziel der Differenzbemühungen gegenüber
der parent culture bereits erreicht.
Wenn man der plausiblen Einschätzung folgt, dass heute
kaum mehr vorstellbare medial generierte Wellen von "moral
panic" tatsächlich eine zentrale Rolle im Prozess
subkultureller Identitätsstiftung spielten, dann erscheint
ein rascher Abschied vom Subkulturbegriff erforderlich. Für
die USA diagnostiziert Lawrence Grossberg ein solches Verschwinden
subkulturell codierter Formationen. Das neoliberale Establishment
führe einen Krieg gegen die eigene Jugend, sodass sich
keine normative Mainstream-Formation mehr bilden könne,
gegen die sich subkulturelle Gruppierungen absetzen könnten.
Die früher auf diverse Subkulturen fokussierte "moral
panic" werde heute in den USA gegen die gesamte Jugend
mobilisiert.
In Großbritannien stellt sich die Lage ein wenig anders dar: Hier spielt die von Franz Morak in seinem verzweifelten Ringen um ein Quäntchen Modernität unablässig propagierte "Kreativwirtschaft" tatsächlich bereits eine makroökonomische Schlüsselrolle. Einmal abgesehen von diesem Terminus, der uns vor Augen führt, dass der einstmals schweineschädelzersägende Kunststaatssekretär nicht einmal zur Lancierung eines brauchbaren Euphemismus taugt, liegt in Moraks unfrommem Wunschdenken tatsächlich ein zukünftiges Identitätsproblem für subkulturverwandte Gruppierungen verborgen: Viele der neuen ProduzentInnen der Creative Industries entstammen subkulturellen Zusammenhängen - die britischen Creative Industries folgen aber einer strikt neoliberalen Logik, die auf Individualismus, Entrepreneursgeist und Sponsoring fußt und im gleichen Atemzug arbeitsrechtliche Fortschritte durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse konterkariert. Die Kulturindustrie trägt damit dazu bei, das traditionelle Klassenbewusstsein der britischen Subkultur-ProponentInnen durch eine diffuse "Network Sociality" zu ersetzen.
Die neuen Pop-Entrepreneure konfrontieren den neoliberalen Entertainment-Komplex aber ihrerseits mit einem Dilemma: Sie werden vom Mainstream einerseits als Avantgarde der gesellschaftlich erwünschten Flexibilisierung sowie als kreative Zellen benötigt, andererseits wegen ihres kritischen Potenzials argwöhnisch beobachtet und gesellschaftspolitisch mit Repressionen überzogen. Der kulturelle Innovationsanspruch innerhalb der Gesellschaft, lange Zeit von um Differenz ringenden Subkulturen erhoben, hat sich damit von den (Mythen-)KonsumentInnen zu ProduzentInnen, die in Netzwerkkonstellationen der Kulturindustrie zuarbeiten, verschoben. Die historischen Subkulturen (Mods, Punks, Gothics, Teds, Skinheads) existieren in translokalen Verbänden weiter, weltweit existent, aber eher in ruralen Regionen aktiv und fern von jedem Innovationsanspruch.
In Österreich haben sich neue pop-sozialisierte Formen subkulturähnlicher Kollektivierung herausgebildet, die zu einem gewichtigen Teil der spezifischen historischen Katastrophe der Machtübernahme von schwarz-blau geschuldet sind. Im Widerstand gegen die drohende Hegemonie des völkisch-reaktionären Provinzialismus tauchten neue Politikmuster auf, die ich im weiteren Sinn ebenfalls als post-subkulturelle Strategien einstufen würde. Angesichts der rechten Wende war ein Verbund aus neuen politischen Akteursnetzwerken wie volkstanz.net oder gettoattack zu Beginn drauf und dran, den Schritt von mikropolitischer Artikulation zu einer auch makropolitisch wirksamen Widerstandsbewegung zu schaffen. Der den LeserInnen der Kulturrisse nicht ganz unbekannte Politologe Oliver Marchart nennt drei Voraussetzungen für diesen Schritt von Mikroprotest zu makropolitisch wirksamem Widerstand: 1. Antagonisierung (im Falle der österreichischen Widerstandsbewegung gelungen: Es gab einen klar benannten politischen Gegner) 2. Universalisierung (teilweise gelungen: Es gab zumindest Teilansätze eines emanzipatorischen Programmes) 3. Organisierung (letztlich ist es nicht gelungen, eine breite Plattform außerparlamentarischer Oppositionsgruppen zu bilden).
Das österreichische Beispiel zeigt aber, dass sich zumindest unter außergewöhnlichen historischen Bedingungen subkultur-verwandte Gruppierungen trotz ihrer wesentlich stärkeren Integration in kulturindustrielle Prozesse politisch effektiver artikulieren können als die materiell stärker ausgegrenzten "historischen" Subkulturen mit ihrer eingebildeten Politisierung via Stil, via Sound oder via demokratischere Produktionsbedingungen. Im Gegensatz zur Interpretation des CCCS ist mittlerweile klar geworden, dass die "historischen" Pop-Subkulturen nicht nur strukturell sexistisch, rassistisch (siehe die Ignoranz gegenüber Soul oder die zögerliche HipHop-Rezeption) und oft homophob (siehe die anfängliche Totalopposition gegenüber Disco, der dominanten Matrix auf dem Weg in das Dancefloor-Paradigma), sondern auch politisch völlig unwirksam waren. Zwischen hohlem Pathos und maskulinem Mythos haben sie bestehende Herrschaftsverhältnisse oft in überhöhter Form reproduziert, während die Dancefloor-Revolution der 90er Jahre zumindest die fixierten Geschlechteridentitäten aufgeweicht (zum Tanzen gebracht?) hat.
Die zunehmende Unschärfe des Subkulturbegriffes führt
natürlich auch zu einem Ringen um einen neuen Terminus,
mit dem die oben beschriebenen post-subkulturellen Netzwerke
innerhalb der Creative Industries erfasst werden können.
Armadeep Singh apostrophiert diese Gruppierungen in einem
Essay als Channels oder Sub-Channels, Andy Bennett spricht
in Anlehnung an den französischen Soziologen Maffesoli
von Neo-Tribes, ich bezeichne sie als temporäre Substream-Netzwerke.
Die neuen Formationen sind in der Definition der SoziologInnen
Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer "posttraditionale
Formen der Vergemeinschaftung", in denen sich postmoderne
Konzepte von Individualität und Gemeinschaft zu einem
losen, nur im Augenblick verbindlichen Gefüge verbinden.
FundamentalkritikerInnen der Verknüpfung von Post-Subkulturstudien
mit Konzeptionen der Postmoderne verweisen hingegen darauf,
dass man nicht mehr von Formationen, sondern eher von Strategien
oder Praxen sprechen könne.
Substreams unterscheiden sich meinen Hypothesen und einer
empirischen Studie zufolge von einer historischen Subkultur
in den folgenden Punkten: Sie
· sind nicht an eine spezifische Klasse (wie z.B. die
Arbeiterklasse) gebunden.
· haben keine fixe Gruppenidentität, sind meist
nur lose, temporäre Zusammenschlüsse in Form von
Netzwerken mit wenig oder keiner Gruppenloyalität.
· sind stilistisch weitaus pluralistischer als die
"historischen" Jugend-Subkulturen.
· sind nicht so rigoros gegen den hybriden Mainstream
abgeschottet, wie es die "historischen" Jugensubkulturen
gegen den "historischen monolithischen Mainstream"
waren.
· Es ist möglich, gleichzeitig zwei oder mehreren
Substreams anzugehören.
· Zeichensysteme kommen nicht exklusiv innerhalb von
Substreams zum Einsatz.
· Substreams verfügen nur über ein geringes
Ausmaß normativer Setzungen.
· Sie sind nicht notwendigerweise streng lokal gebunden,
sondern können auch "virtuell" sein und damit
transregional über Datennetzwerke operieren, ohne die
für subkulturelle Formierung historisch so wichtige enge
lokale Anbindung.
· Sie sind ethnisch wesentlich stärker durchmischt
als die Mehrzahl der "historischen" Jugendsubkulturen.
· Sie sind vermarktungsbewusst und akzeptieren gewisse
Angebote des neuen hybriden Mainstreams.
· Sie versuchen politisches Engagement mit Spaß
zu verbinden. Sie sind nicht apolitisch, sondern meist außerhalb
traditioneller Politikinstitutionen und -foren aktiv.
Im Ringen um deskriptive Muster und neue Begrifflichkeiten bleibt die Frage nach der politischen Wirksamkeit der neuen post-subkulturellen Formation ungeklärt: Subkulturähnliche Formationen sind Diedrich Diederichsen zufolge immer nur in dem Maße politisch, wie sie an ihrem pragmatischsten Rand noch Tuchfühlung halten zu einem dynamischen, politischen Kontinuum am "fortschrittlichsten" Rand des hybriden Mainstreams. Das einzige Issue, bei dem eine solche Berührung zur Zeit noch bestehe, sei der Komplex Menschenrechte-Antirassismus-Minderheitenrechte. Er nimmt an, dass der Zusammenhang zwischen politischer Linker und Pop-Linker heute nicht völlig erodiert sei, aber von so vielen anderen überlagert würde, dass man ihn nicht mehr global, sondern nur noch punktuell herstellen könne. Ich denke, dass die politische Realität in Österreich Anfang 2000 Diederichsen ein schönes Beispiel dafür lieferte, wie sich solche punktuellen Bündnisse tatsächlich materialisieren können, wie also traditionelle makropolitisch orientierte linke Protestgruppen und Segmente der Jugendkultur temporäre Zweckkoalitionen eingehen können, wenn elementarste politische Freiheiten und Rechte bedroht sind. Mehr als diesen zarten Silberstreif der Hoffnung auf attraktive emanzipatorische Politikansätze kann ich aus der Analyse globaler und translokaler Jugendkulturformationen derzeit nicht herausdestillieren.