06 2001
ZAPATOUR 2001. Und der zapatistische Kampf als eine neue Form des politischen Widerstandes
Im März diesen Jahres zogen 24 Delegierte der Nationalen
Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN begleitet von einer Karawane
von UnterstützerInnen zwei Wochen durch mehrere mexikanische
Bundesstaaten auf die Hauptstadt Mexiko Stadt zu. Erklärtes
Ziel dieser - von nationaler und internationaler Presse viel
beachteten - Aktion war es, neben der Bündelung der sozialen
und politischen Bewegungen vor dem nationalen Kongress die
Bedingungen vorzutragen, um den bisher gescheiterten Dialog
mit der Regierung für den Frieden in Chiapas wiederaufzunehmen:
1. Die Entmilitarisierung Chiapas, d.h. der Rückzug aus
7 (von insgesamt 259) militärischen Positionen
2. Die Freilassung aller politischen zapatistischen Gefangenen
3. Die Anerkennung des Gesetzesvorschlags der Rechte und Kultur
der Indígenas von 1996, der u.a. durch die parlamentarische
Kommission COCOPA entwickelt wurde.
Am 11. März sollte die EZLN im Zentrum der Stadt Mexiko auf dem Zócalo, dem "Herz der Nation" und Repräsentationsort der Macht, einmarschieren und ihre Abschlusskundgebung halten. Der Zócalo, eine bis auf den riesigen Fahnenmast der Nationalfahne leere, vier Fußballfelder große Betonfläche, füllte sich an diesem Sonntag mit militanten Gruppen sozialer städtischer Bewegungen, linksliberalen SympathisantInnen aus der gehobenen Mittelschicht, engagierten KünstlerInnen und Intellektuellen, InternationalistInnen und ausländischen TouristInnen. Es waren mehrere Bühnen aufgebaut, auf denen Grußadressen vorgelesen, klassische Balladen gesungen und Tänze aufgeführt wurden. Berühmte und weniger berühmte Musikbands unterhielten das heterogene Publikum und bekräftigten ihre Solidarität mit dem Kampf der Zapatisten. Um den Platz herum ließen sich fliegende HändlerInnen nieder, die revolutionäre Souvenirs anboten: Fahnen der EZLN, T-Shirts mit Marcos, Zapata und El Che, Halstücher, Buttons, Videos und Informationsbroschüren. Es gab sogar ein T-Shirt wie das einer Popband, mit den "Tourdaten" der Karawane. Die angeregte, fast ausgelassene Stimmung auf dem Platz war die eines kulturellen Spektakels.
Am 1.1. 1994 war im mexikanischen Bundesstaat Chiapas die EZLN, eine militärische Bewegung aufgetreten, die die Rechte und Würde der Indígenas [1] einforderte, gleichzeitig aber auch die internationale neo-liberale Politik und Ökonomie anklagte. Das Besondere dieser Bewegung sind ihre kollektiven Organisationsformen - alle Beschlüsse werden von den zapatistischen Dorfstrukturen und den indianischen Gemeinden entschieden - und ihr spektakuläres Auftreten - alle KämpferInnen, unter denen sich auffällig viele Frauen befinden, sind mit dunklen Wollmützen maskiert. Mit dieser - inzwischen zum internationalen Erkennungszeichen der EZLN gewordenen - Maskierung reagieren die ZapatistInnen symbolisch auf ihre Nicht-Existenz und Unsichtbarkeit innerhalb der rassistischen mexikanischen Mehrheitsgesellschaft: Die Maskierung macht sie sichtbar.
Vor allem werden sie aber durch die poetische Sprache ihrer Kommuniqués, vorgetragen durch ihren charismatischen Sprecher Subcomandante Marcos, gehört. Die EZLN wurde zu einem Zeitpunkt der scheinbar verloren gegangenen politischen Visionen (Zusammenbruch der Oststaaten und der Krise linker Bewegungen) auch über die Grenzen Mexikos hinaus zum Vorbild einer Befreiungsbewegung und zeigt neue Widerstandsformen.
Die Figur des Subcomandante Marcos
Das seit Beginn des Aufstandes konstruierte Bild des Subcomandate Marcos, als Held und Mythos, im Sinne eines poetischen Rebellen, unterstützte die weite und populäre Verbreitung der zapatistischen Anliegen. Die EZLN selbst förderte das große Interesse und die mediale Präsenz des "Subs" durch persönliche Interviews und eigene Publikationen. Allerdings drohte jedoch die Gefahr, dass Marcos, der laut eigenen Aussagen explizit keine politische Entscheidungsgewalt hat, von der Regierung wie von der Zivilgesellschaft als der politische Führer der Bewegung vereinnahmt würde. Auch in der Berichterstattung zur Karawane der ZapatistInnen im März dieses Jahres wurde der Subcomandante in den Medien weiterhin als das Hauptmotiv oder gar als Star der RebellInnen gehandelt. Unverkennbar in seinem militärischen Outfit mit Maske und grüner Kappe, Pfeife, Headset-Mikrophon und Mobiltelefon füllte er medienkompatibel als postmoderner Held die Titelseiten der Zeitungen. Die liberale Tageszeitung Reforma druckte tägliche neue Statistiken nach Umfragen zu der wachsenden Beliebtheit Marcos ab.
Marcos und Fox auf den Titelseiten der Presse
Der Subcomandante Marcos teilte sich die Titelseiten allerdings mit dem Präsidenten Fox, dessen rechts-konservative Partei PAN (Partei der Nationalen Aktion) im Juli 2000 die zuvor über 70 Jahre regierende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) abgelöst hatte. Fox hatte während seines Wahlkampfes behauptet, in 15 Minuten werde er mit dem Problem Chiapas aufräumen. Als eine der ersten Aktionen nach seinem offiziellen Amtsantritt ließ er militärische Straßenblockaden in Chiapas aufheben und bot eine Wiederaufnahme der Gespräche an. Häufig gegen die Interessen seiner Partei setzte Fox auf eine neue Strategie in der Auseinandersetzung mit den ZapatistInnen. Sein Ziel ist es, die Ruhe in Chiapas wieder herzustellen und Rebellionen im eigenen Land zu verhindern, die seine neo-liberalen Wirtschaftsprojekte stören könnten. So scheint es zwar vollkommen absurd und an der Alltagsrealität der Chapanecos vorbei, aber für die Visionen des ehemaligen Managers Fox nicht verwunderlich, wenn dieser im Wahlkampf allen Indígenas ein kleines Lädchen und einen VW-Käfer verspricht. Sein populistisches Ziel ist die Befriedung des Landes, die sich im rating, den Beliebtheitsstatistiken in den Medien ausdrückt.
Der Kampf um die Titelseiten des politischen Führers Fox und des lebenden Mythos Marcos erinnert an das Spektakel des lucha libres (Freistilringen, ein beliebter Volkssport in Mexiko), als soziales und ästhetisches Drama zwischen zwei Helden, die ihre jeweiligen Rollen perfekt beherrschen und daher der mexikanischen Gesellschaft als Spiel wohlbekannt ist.
Die ZapatistInnen auf dem Zócalo
Je näher der Tag der Ankunft der Karawane in der Stadt und das abschließende Ereignis auf dem Zócalo rückte, um so mehr stiegen Spannung und Erwartungen. Nach siebenjährigem Kampf in dem entlegenen lakandonischen Dschungel sollten die Comandantes der ZapatistInnen und allen voran der Subcomandante Marcos nun in der Metropole persönlich erscheinen. Der Einmarsch der ZapatistInnen wurde von über 250.000 Menschen auf dem Platz begrüßt. Erinnerte die Atmosphäre auf dem Platz vor der Ankunft der Karawane noch mehr an eine heterogene Kulturveranstaltung, wandelte sich die Stimmung völlig, sobald die ZapatistInnen die Bühne vor dem Nationalpalast betraten. Das Publikum hörte aufmerksam den Reden der Comandante Esther und den Comandantes Tacho und David zu, die unterschiedliche Aspekte ihres Kampfes betonten. Und doch schien es, als warteten die meisten gespannt auf den Subcomandante Marcos. Sein Auftritt durchkreuzte jedoch die Erwartungen der Spektakelsuchenden und überraschte mit den fast nüchternen einleitenden Worten "Llegamos - aqui estamos". Das war keine siegestaumelnde Besetzung des symbolischen Zentrums der Macht, sondern viel mehr eine Aufforderung an die Versammelten im Sinne von: "Hier sind wir also und was nun? Ihr entscheidet, alles weitere hängt von euch ab...". Es wäre ein Leichtes gewesen, die Menschen auf dem Platz in eine entfesselte jubelnde Masse zu verwandeln. Marcos’ Rede, die in seinem typischen poetischen Stil gleichermaßen alle erdenklichen Identitäten der heterogenen Weltbevölkerung (z.B. Mixe, Tzotzil, Maya, ArbeiterIn, BürokratIn, HomosexuelleR, KünstlerIn, AktivistIn, Mann, Frau, Kind etc.) ansprach, ließ keinen Platz für überschwengliche Jubelausbrüche, sondern hatte viel mehr etwas sehr Eindringliches. Jeder war aufgefordert, seinen eigenen Beitrag zur widerständigen Gesellschaftsveränderung zu überprüfen.
Widerstand und Rebellion
Bei der Veranstaltung auf dem Zócalo zeigte sich die EZLN als eine rebellierende soziale Bewegung. Sie nennen sich RebellInnen, nicht Revolutionäre und propagieren keine Politik einer zukünftigen revolutionären Gesellschaft. Sie fordern die Anerkennung ihrer Differenz und stellen sich gegen Hegemonisierung und Homogenisierung von Kultur und Lebensweisen. Ihre Stärke liegt nicht in der militärischen Auseinandersetzung, sondern in der Entschlossenheit, mit der sie einen alltäglichen Widerstand gegen neo-liberale Projekte und Politik führen. Einerseits agiert die EZLN regional in Chiapas; andererseits eröffnet sie eine internationale Diskussion über mögliche Widerstandsformen und Proteste, die sie gekonnt medial verbreiten. Dieses Verständnis von Widerstand spiegelt ihre Attraktivität und ist einer der zentralen Verbindungspunkte zu nationalen und internationalen linken Bewegungen wie z.B. Stadtteil-, StudentInnen- und MigrantInnenbewegungen oder den Anti-Globalisierungskampagnen, die politischen Widerstand in konkreten gesellschaftlichen Situationen leisten.
Auch wenn konkrete gesellschaftliche Veränderungen in Chiapas von der mexikanischen Regierung immer wieder unterlaufen oder gar verhindert werden, zeigen die Aktionen und die große Bereitschaft der EZLN die Notwendigkeit der (selbst-)kritischen Auseinandersetzung und der Vernetzung. Sie setzen Diskussionen und Widerstand in Bewegung.
Literatur/Webseiten für weitere Informationen
Huffschmid, Anne (Hg.): Subcomandante Marcos. Ein maskierter
Mythos. Berlin 1995
LeBot, Yvon (Hg.): El sueño zapatista. Subcomandante
Marcos, Plaza + Janés Editores. Barcelona 1997
Schmidt, Gerold: Der Indio-Aufstand in Chiapas. Knaur. München
1996
Subcomandante Insurgente Marcos: Botschaften aus dem Lakandonischen
Urwald. Über den Zapatistischen Aufstand in Mexiko. Edition
Nautilus. Hamburg 1996
Vazquez Montealban, Manuel: Marcos - Herr der Spiegel. Klaus
Wagenbach Verlag Berlin 2000
http://www.ila-bonn.de/ezln/ezln.htm
http://www.zapapres.de
http://www.ezln.org
http://chiapas.indymedia.org/
[1] Indigena/o ist ein weiterer Ausdruck für Indio oder Indianer, der bewusst in Abgrenzung zu diesen als abwertend empfundenen Begriffen verwendet wird.