09 2000
MoneyNations. EUroland und die Ökonomie der Grenze
Das Projekt "MoneyNations" fand erstmalig in der
Shedhalle Zürich von 23.Oktober bis 13. Dezember 1998
statt. Ausgangspunkt von "MoneyNations" war es,
sich dem komplexen und widersprüchlichen Prozess der
Herausbildung von kollektiven und individuellen Identitäten
in sich (radikal) verändernden politischen Verhältnissen
zu nähern. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung stand
die kulturell wie ökonomisch argumentierte Verschärfung
der Grenzpolitik Westeuropas nach Zentral- und Südosteuropa
und die damit einhergehende Zunahme an rassistischen Diskriminierungen
für Nicht-EUropäerInnen. Das Projekt legte dabei
seinen Schwerpunkt auf die aktive Auseinandersetzung und Vernetzung
von KulturproduzentInnen und MedienaktivistInnen aus ost -
und westeuropäischen Kontexten und auf deren Repräsentation
innerhalb des Kunstkontextes, als sozialem und symbolischem
Ort. Über ein Jahr hinweg erarbeiteten wir ein "KorrespondentInnennetz",
in dem TheoretikerInnen, MedienaktivistInnen und KünstlerInnen
aus Mittel-, Zentral- und Südosteuropa aus unterschiedlichen
Perspektiven der Grenzproduktion eines vor allem westlich-zentrierten
Europas widersprachen. Die aus diesem Tauschprozess entstandenen
Produktionen beinhalten Videoproduktionen, fotografische Arbeiten,
Installationen, theoretische Texte und Narrationen. Die Produktionen
der KünstlerInnen und VideoproduzentInnen wurden in der
Ausstellung der Shedhalle vorgestellt und werden an verschiedenen
ost- und westeuropäischen Orten gezeigt und als Arbeits-
und Diskussionsgrundlage weiterverwendet. Mit einem dreitägigen
Kongress zum Thema "Ökonomie der Grenze" und
einem Workshop mit Medienproduzentinnen aus Ex-Jugoslawien
startete das Projekt in der Shedhalle. In diesem Jahr wird
das Projekt im Oktober/November 2000 in Wien in der Kunsthalle
Exnergasse fortgeführt, darüber hinaus wird eine
neue Ausgabe von MoneyNationsTV mit einem erweiterten Kreis
von ProduzentInnen des inner- und außereuropäischen
Raumes im Projekt EuroVsion2000 im Vorfeld in Prag erabeitet.
Die Beiträge der ersten Veranstaltungen in Zürich
sind auf der Website www.moneynations.ch
oder in der Publikation "The Correspondent" in englischer
Sprache veröffentlicht. Informationen über das Projekt
EuroVision2000 sind unter www.eurovisions2000.net
archiviert.
Die Kritik an einem eurozentrisch organisierten Herrschafts-
und Wissensapparat findet seit Anfang der 90er Jahre vermehrt
auch in der deutschsprachigen Kunst- und Kulturszene statt.
Für MoneyNations stellte sich aber die zentrale Frage,
ob wir von einer gemeinsamen Deutungsgrundlage des westlichen
Hegemoniekonzeptes bei den KulturproduzentInnen aus den post-kommunistischen
Staaten und denen des "Westens" überhaupt ausgehen
können? Können die Länder Osteuropas schon,
noch, oder wieder zum westlichen Zentrum gezählt werden,
oder bildet das Schengener Abkommen genau die Grenzen ab,
die sich kulturell, sozial und ökonomisch seit 1989 manifestiert
haben? Machtverhältnisse können darüber hinaus
nicht schlüssig über die binäre Struktur des
Westens als Zentrum und des Ostens als Peripherie erklärt
werden. Vielmehr scheinen sich auch neue Zentren in Zentral-
und Osteuropa herausgebildet zu haben, ebenso sind Rassismus
und Sexismus keine "westlichen" Phänomene,
sondern finden weltweit statt.
Im Gegensatz zur Nord-Süd-Diskussion ist aber das Verhältnis Ost-West durch seine historischen und politischen Unterschiede sehr viel widersprüchlicher und auch weniger bearbeitet. Die politischen Systeme, die sich einstmals gegenüberstanden, deren Propagandamaschinen des Kalten Krieges es ungehemmt zuließen, den "Anderen" als großes erschreckendes Feindbild darzustellen, werden heute wieder als nationale Einheiten, und über ihren jeweiligen Stand der aktuellen Verwestlichung und fortschreitenden Kapitalisierung, beschrieben. Berichterstattungen in den Medien lieben es immer noch, vor allem über den "wilden Osten" zu berichten, über mafiöse Strukturen, bankrotte Staatskassen und andere Ausnahmezustände. Und während die Grenz- und AusländerInnengesetze des vereinigten Europa den "Osten" staatspolitisch ausgrenzen und multinationale Konzerne und Investoren Zentral- und Südosteuropa als Billigstlohnländer nicht erst seit 1990 entdeckt haben, wird auf der kulturellen Ebene versucht, an eine historische Kontinuität einer ost- und westeuropäischen Identität anzuknüpfen. Typologisierungen, Exotismen und Zuschreibungen einer kulturellen Differenz tauchen nicht nur in den Medien, sondern auch in Ausstellungen über osteuropäische Kunst auf, die durch die Konstruktion von Authentizität (Sammlung Ludwig) oder über die Behauptung eines neuen Internationalismus (Manifesta), die Grenzproduktionen der "Festung Europa" und die Rolle Osteuropas als globalem Niedrigstlohnstandort ausblenden. Das Projekt "MoneyNations" versuchte, diese Widersprüche zum Thema zumachen.
Traditionell verlief eine europäische Identitätsbildung jeweils in Abgrenzung zu den "großen Anderen", Afrika, den USA, Japan, Asien und dem Orient. Diese Identität berief sich vor allem auf die Besonderheit einer kulturellen Tradition, um gleichzeitig die der "Anderen" abzuwerten. Eine Ausweitung der EU-Grenzen Richtung Osten oder der Beitritt in die NATO, wie sie für die Länder Osteuropas derzeit attraktiv gemacht werden, baut so erneut auf diese Exklusivität des "alten" Europa und des westlichen Zentrums auf, während die Realität des ehemaligen sozialistischen Staatenbündnisses wie auch der Länder des globalen Südens ausgeblendet werden. Kultur kommt also in den Prozessen der Exklusion eine ganz zentrale Bedeutung zu. Dennoch darf man nicht aus den Augen verlieren, dass der aktuelle europäische Zusammenschluss sowie die EU-Währungsunion in einem direkten Zusammenhang zur globalen Wettbewerbsökonomie stehen. Der Versuch der nationalstaatlichen Fusion zu "einem Europa" erschafft sich neue Leitbilder für eine neue gesamteuropäische Identität und grenzt dementsprechend diejenigen aus, die diesem Leitbild eines wirtschaftlich effizienten Europa nicht entsprechen. Diese Konstruktion der "Anderen" ist aber nicht stabil, sondern immer wieder wechselnden gesellschaftichen Verhandlungen unterworfen. Im Falle Osteuropas haben sich die Zuschreibungen seit 89 daher laufend, und von Land zu Land unterschiedlich verändert. Für die Region des ehemaligen Jugoslawien trifft diese variierende Darstellung vielleicht am krassesten zu. Bei einem Medienworkshop, der im Labor k3000 in Zürich stattfand und in Zusammenarbeit mit der Medienhilfe Ex-Jugoslawien und klipp-und klang Radiokurse stattfand, stand die (Selbst-)Repräsentation der aktuellen Entwicklung in diesen Ländern in den unabhängigen Medien daher im Zentrum.
Das Projekt MoneyNations setzte bei der Frage an, wie wir eine kulturelle Praxis entwickeln können, die in diese aktuellen Prozesse aktiv eingreift. Aus diesem Grund hat das Projekt auch nicht die Perspektive eingenommen, dass die Verschärfung der Grenzpolitik (auch in der Schweiz) allein von kapitalistischen Produktionsweisen abzuleiten ist, sondern fragte danach, welche Bedeutung rassistische und sexistische Zuschreibungen und Praxen für die Produktivkräfte im Spätkapitalismus haben, und welche Widersprüche, Instabilitäten und Widerstände sich hieraus bereits ableiten. Über ein Jahr hinweg erarbeiteten wir von der Shedhalle, zum Teil unterstützt von bereits existierenden Netzen (wie etwa "V2/East_Syndicate") und befreundeten ProduzentInnen, ein "KorrespondentInnennetz", in dem TheoretikerInnen, MedienaktivistInnen und KünstlerInnen aus Mittel-, Zentral- und Südosteuropa vorerst über Email sich auszutauschen begannen. Die Auseinandersetzungen und Konzepte der unterschiedlichen AkteurInnen innerhalb des Projektes verdeutlichten auch die Möglichkeit, suprastaatliche Kommunikations- und Widerstandsformen ebenso wie neue Produktionszusammenhänge für KulturproduzentInnen jenseits der jeweiligen Stigmatisierung als "bulgarisch", "deutsch, "rumänisch", "türkisch" etc., etablieren zu können.
Damit trifft sich die Perspektive des Projektes mit der allgemeinen Tendenz, dass die Deregulierung nationalstaatlicher Einheiten, als ein Effekt der Liberalisierung des Welthandels, auch die Grenzen 'nationaler' Zugehörigkeit, ebenso wie das traditionelle Geschlechterregime verschiebt und instabil macht. So ist zwar zu beobachten, dass Südosteuropa für die europäische Textilindustrie derzeit aufgrund der geographischen Nähe als Niedriglohnstandort weltweit eine VorreiterInnenrolle einnimmt, gleichzeitig ist dies ein Wirtschaftszweig, in dem vor allem junge Frauen ohne Absicherung zum Teil in Heimarbeit arbeiten; wobei diese Frauen aber auch zu Ernährerinnen ihrer Familien geworden sind und somit die alten Privilegien der vor allem männlichen Arbeiterschaft in Frage stellen. Die Theoretikerin Saskia Sassen deutet daher in ihren kritischen Analysen auch immer wieder darauf hin, dass in den Prozessen der "Globalisierung" sich auch neue Formationen herausbilden können und werden, die die alten Staatlichkeiten und ihre sexistische und rassistische Politik untergraben. Eine derartige Zivilgesellschafts- oder "Globalisierung von unten"-Diskussion beinhaltet für die spezifische Situation Osteuropas aber auch, sich mit der Funktion auseinander zu setzen, die den West-Investoren und dem Finanzkapital (Georg Soros) für die Kulturförderung und den sozialen Bewegungen zukommt. Darüber hinaus steht den positiven Annahmen globaler Demokratisierungsprozesse die reale Praxis der Verschärfung der Zuzugsbestimmungen und Nichtanerkennung eines rechtlichen Status für MigrantInnen innerhalb EUropas gegenüber. Das sog. Zwei-Kreis-Modell diskriminiert in besonderem Maße auch OsteuropäerInnen, die in die informellen Sektoren, als "ArbeitspendlerInnen" oder in andere zumeist geschlechtspezifisch segregierte Ungleichheitsverhältnisse (Arbeit als SexarbeiterInnen, Reinigungs- und Dienstpersonal) gedrängt sind.
Ein weiterer wichtiger Untersuchungsgegenstand war für
"MoneyNations" das Feld der Konsumtion: durch das
Aneignen kultureller Zeichen, Ideen und Gegenstände und
deren "Vereinheimischung" bilden sich auch neue
lokale Gemeinschaften, aus denen sich neue Rollenangebote-,
aber auch -zwänge ergeben. Ein zentraler Entwurf des
Projektes war es aus diesem Grund, Ökonomien, die als
"informell" im Gegensatz zu den formellen Ökonomien
der westlichen Wirtschaftssysteme beschrieben werden, neu
zu bewerten. In diesem Zusammenhang wurde innerhalb des Kongresses
'Ökonomie der Grenze' die spezifische soziale und ökonomische
Situation der post-kommunistischen Staaten ins Zentrum gerückt.
Seit 1989 sind in allen Ländern Süd-, Zentral- und
Mittelosteuropas Märkte entstanden, in denen eine neue
Form des Kleinhandels betrieben wird, die eine nicht einzuschätzende
Wichtigkeit für die Ökonomien Osteuropas haben und
den Westen als Zentrum peripher werden lassen. Die Künstlerin
Gülsün Karamustafa aus Istanbul beispielsweise berichtete
davon, dass sich ihre Stadt seit '89 zum zentralen Marktplatz
für die südosteuropäischen Länder entwickelt
hat. In Sofia (BUL) dagegen hat sich ein Markt für CD-Raubkopien
etabliert, der - obwohl verboten - immer noch einen großen
Teil einer funktionierenden Ökonomie ausmacht. Diese
Handelsformen zersetzen in mehrfacher Weise westliche Wertvorstellungen:
Sie stellen den Markenschutz ebenso in Frage wie nationalstaatliche
(Grenz-)Vereinbarungen. Gleichzeitig stellen sie innerhalb
der Transformationsprozesse in den post-kommunistischen Ländern
eine reale Lebensgrundlage dar. Diese widersprüchlichen
Entwicklungen wurden ebenso zum Objekte der Auseinandersetzungen
der TeilnehmerInnen, wie die Frage, wie wir über "Grenze
und Grenzziehung" reden wollen, um nicht die Probleme
Deutschlands oder der Schweiz an OsteuropäerInnen zu
delegieren, oder die "Grenze des Westens" als die
eigentliche zu beschreiben. Wir einigten uns daher darauf,
der "Grenze" aus der Perspektive der Subversion,
des Widerstands zu folgen. Die "Suitcase Economy"
wurde auch zum Synonym unserer eigenen Tauschverhältnisse
innerhalb des Projektes.
MoneyNations
www.moneynations.ch
Ausstellung, Webzine, Video- und Zeitschriftenprojekt, Workshop
und Kongress
mit: A-Clip (Berlin), Absolutno (Novi Sad), Mehmet Akiol (Zürich), Edit Andras (Budapest), Joerg Arendt (Bonn), Marion Baruch/Name Diffusion (Paris/Milano), Paula di Bello / Marco Biraghi (Milano), Jochen Becker (Berlin), Marica Bender / RadioZid (Sarajevo), Luchezar Boyadjiev (Sofia), Iara Boubnova (Sofia), Fritz Burschel / 'Kein Mensch ist illegal', Iana Cvikova / ASPEKT (Bratislava), Eva Danzl Suarez / FIZ (Zürich), Dogfilm (Berlin), Melita Gabric / Blaz Habjan / Martine Anderfuhren (Ljubljana/Genf), Hex TV (Köln), Berta Jottar (New York), K3000 (Zürich), Gülsün Karamustafa (Istanbul), Beat Leuthard (Basel), Level ltd. (Zürich), Geert Lovink (Amsterdam), Medienhilfe Ex-Jugoslavien (Zürich), Marton Oblath (Budapest), Ayse Öncü (Istanbul), Marion von Osten (Berlin/Zürich), Drazen Pantic / B92 (Belgrad), Marco Pelhian / Ljudmilla (Ljubljana), Lia & Dan Perjovschi (Bukarest), Pascal Petignat / Peter Riedlinger (Zürich/Wien), Sascha Roesler (Zürich), Polnischer Sozialrat (Berlin), Kalin Serapionov (Sofia), Oliver Sertic / Attak (Zagreb), Natalie Seitz / Markus Jans (Luzern), Nedko Solakov (Sofia), Peter Spillmann (Zürich), Deep Europe / V2_East-Syndicate, Mina Vuletic / B92 (Belgrad), Dr. Anna Wessely (Budapest), Jeta Xharra / Mediaproject (Pristina), Zelimir Zilnik / Terra Film (Novi Sad).