Eran Schaerf: Gesammeltes Deutsch
Isabell Lorey liest das erste Kapitel aus Eran Schaerfs Gesammeltes Deutsch (transversal texts 2023).
Kann ich, polnisch-deutsch-israelisch-jüdischer Herkunft, mich in einen deutschsprachigen Diskurs einmischen, ohne aus dieser Herkunft Profit zu schlagen oder mit Boni beworfen zu werden? Bis zum BDS-Beschluss des deutschen Bundestages 2019 ging ich davon aus. Nach der documenta fifteen 2022 kaum noch. Dennoch versuche ich genau das mit Gesammeltes Deutsch – in der Zuversicht, dass Deutschlands gerühmte Erinnerungskultur zu mehr taugt als zu einer nationalen Politik, die Erinnern mit Gedenken überblendet, um nur selektiv an die Gegenwart zu denken.
Wenn der deutsche Bundespräsident die Documenta mit den Worten eröffnet, „Kunst hat keinen politischen Auftrag“, höre ich mehr als die Sorge vor Antisemitismus und studiere zunächst diese neue Auftragslage – als Künstler, als Staatsbürger, als Subjekt, das sich teilt, multipliziert und gegenseitig assimiliert. Mehrere Sprachen mischen sich ein, das Denken sammelt sich in Vielheit, und es entsteht ein Gedächtnis, das sich nicht auf die Erinnerungen eines einzigen Subjekts verlassen kann. Gerne lasse ich mein Denken von einem mehrsprachigen Gedächtnis fremdbestimmen, aber nicht von einem philosemitischen. Gegen die Inanspruchnahme dieses Gedächtnisses für die Herstellung nationaler Narrative skizziert Gesammeltes Deutsch eine kontaminierte Genealogie entnationalisierender Praxen aus Film, Kunst, Literatur, Mode, Philosophie und Aktivismus. Eine löchrige Geschichte, in der Wissenslücken an und für dich sprechen.