08 2015
Islamisierung? Oh, der Bart!
Übersetzt von Birgit Mennel
Am Dienstag, den 30. September 2008, wird abends auf TF1 in den für ihre Feingefühl bekannten 20-Uhr-Nachrichten Islamisierung im Gefängnismilieu und die Möglichkeit von Gefängnissen als Brutstätten des Terrors zum Thema gemacht. So ein Zufall aber auch! Gerade am letzten Tag des Monats Ramadan. Die muslimischen Fernsehzuschauer_innen werden verzückt sein.
Eine Journalistin hat mich für diese 20-Uhr-Nachrichten interviewt (mit dem Vorbehalt, das Interview in der Schublade verschwinden zu lassen). Sie wird mich vermutlich – ich lasse mich nicht täuschen – in einer Montage von zwei Minuten aus einer gefilmten ¾-Stunde sagen lassen, was TF1 gerne hätte, dass ich es sage. Das heißt, Wasser in ihre Mühlen gießen. Ich hoffe, dass ich mich irre …. Ich weiß um die Risiken einer solchen Intervention und nehme sie in Kauf. Wenn ich solche Anfragen heute grundsätzlich positiv beantworte, dann einfach weil ich es vorziehe, ihnen ihre zwei Minuten zu stehlen und Blödsinn zu labern, als sie jemand anderem zu überlassen, der bewusst und gezielt Falschnachrichten verbreitet.
In den französischen Gefängnissen gibt es keine radikale Islamisierung. Es gibt keine Gefängnisse, die sozusagen en passant zu Zwischenlager für potenzielle Terrorist_innen werden. Wäre dem inmitten der repressiven Mächte des Staats, was die Gefängnisse sind, so, dann käme es innerhalb der Mauern zu gewaltvollen Attentaten. Der berühmte Djihad würde vor Ort mit tödlichen Aggressionen gegenüber dem Gefängnispersonal beginnen. Dem ist nicht so. Ich werde versuchen, diesen Gedanken zu entwickeln.
Es ist nicht religiöses Denken, das die Gefängnispopulation islamisiert, sondern soziale Armut. Man muss wissen, dass 90% dieser Population unter großer Armut leidet. Das hat zur Folge, dass selbst Französ_innen französischer Herkunft kippen, wenn sie die Diskussionen mitbekommen, die die Muslim_innen ähnlich großen Konferenzen in den Ecken des Spazierhofs, auf armseligen Rasenflächen oder in ungesunden Gefängnishöfen führen. Jenseits von freundschaftlichen Bezügen (kleine Gruppen gemeinen Rechts, die sich schon von draußen kennen) sind Muslim_innen die einzigen, die teilen und sich gegenseitig helfen. Unter muslimischen Gefangenen oder solchen, die es gerade werden und sich nicht kennen, werden einige Dinge vergemeinschaftet - von Briefmarken bis zu Essen wird alles unter Muslim_innen geteilt (jenseits der Institution, die die Armen verwaltet und sie mit erniedrigender Wohltätigkeit versorgt). Eine Gefangene ohne Geld muss eine weitere Klopapierrolle verlangen, gesetzt den gängigen Fall, dass sie die monatlich verteilte Rolle bereits aufgebraucht hat. Das heißt …
Was passiert in unseren guten alten Gefängnissen? Das ist einfach, seit Anfang der 1990er Jahre – nach den großen Aufständen Ende der 1980er Jahre – hat die Gefängnisadministration die Islamisierung gefördert, um die Gefängnisse zu befrieden. Genauso wie die Gewählten (Bürgermeister_innen oder andere) nach den Banlieue-Aufständen Imane aller Schattierungen herbeigerufen haben. In den 1980ern gab es zahlreiche Verhandlungen, in denen eher linke Aufständische harte Urteile kassierten. Zahlreiche Transfers der sogenannten Anführer_innen haben die Bewegungen zerschlagen und gleichzeitig in die vier Ecken des Gefängnis-Frankreichs verteilt. Ich selbst war zum Beispiel in Fleury-Mérgois inhaftiert, wo beim Spaziergang zwischen 100 und 200 Gefangene aufeinander trafen, und binnen zwei Tagen hat mich die Gefängnisdirektion nach Fresnes verlegt, wo wir beim Spaziergang immer nur zu zweit waren. Das war eine Möglichkeit, zu verhindern, dass ich vor meinen 200 Mitgefangenen in den Gebäuden von Fleury-Mérogis, das Wort ergreife.
Warum die Islamisierung in den Gefängnissen fördern und wie? Die Gefängnisadministration erleichterte es einigen selbsternannten muslimischen Imanen, das Wort zu ergreifen. Es handelte sich um eine Art „Kaidentum“ gegenüber jenen Gefangenen, die in der Lage sind, soziale Protestbewegungen anzustoßen …. Genau so dumm und einfach. Die Gefängnisadministration hat sich also in den Fänge ihres eigenen Spiels verheddert, als die für religiöse Diskurse offenen jungen Gefangenen ganz allmählich begannen, auf eine gute Lebensweise zu achten. Viele haben aufgehört, Tabak und Shit zu rauchen. Sie haben sich dem Sport verschrieben. Sie haben ihre Sprache verändert: das Göttliche stößt sich an verbaler Vulgarität. Sie haben sich weniger geprügelt und sich langsam von dieser schrecklichen Sucht innerhalb der Mauern, der Pornographie befreit, die sexuell frustrierte Gefangene zum Erliegen bringt. Aber das schlimmste für die Gefängnisadministration ist die Beobachtung, dass muslimisch gewordene Gefangene die legale, in jeder Gefängnisapotheke zu findende Dealer_in quasi nicht mehr brauchen, weil sich die Koranlektüre in eine Art innere Reglementierung verwandelte.
Kurz, ein mit Sauerstoff angereichertes Hirn ist weniger fügsam; das Gefängnis ist für diese jungen Muslim_innen nicht mehr der Ort einer sozialen Strafe, sondern eine von Gott geschickte Probe, die es zu bestehen gilt. Gott hat entschieden, dass diese Jungen das Gefängnis durchleben müssen. Die Justiz der Menschen verwandelt sich in eine Kleinigkeit und hat weder Zugriff auf die Körper noch auf die Bewusstseine. Der göttliche Wille überwiegt gegenüber dem sozialen Schicksal. Die Gefängnisadministration verliert ihre Rolle als Schreckbild sowie ihre Macht der Vergeltung. Vorher konfrontierte sich die von der Gefängnisadministration (durch Fernsehen etc.) verwaltete Verdummung mit der von der Religion destillierten Verblödung.
Imane ins Gefängnis kommen lassen – lange Zeit haben sie sich geweigert, die muslimische Religionsausübung anzuerkennen –, heißt, mit den selbsternannten Imane zu brechen, die nur ihre Religionsausübung einfordern. Die Gefängnisadministration hat sich von dieser neuen Generation von Gefangenen aus dem einfachen und guten Grund überholen lassen, dass sie keinen Zugriff mehr auf sie hat. Terrorismus ist eher vom intellektuellen und studentischen Milieu zu befürchten als von muslimischen Gefangenen, die, wenn sie erst Mal draußen sind, wieder in die ökonomischen Überlebensspirale einzutreten und ihr kleines Business sofort wieder aufnehmen. Auf Diskriminierung folgt Kriminalisierung. Und Gefängnisse als Terrorismus generierende Orte darzustellen, ist eine perfekte Demonstration. Sicher, manche Idiot_innen tappen in diese Falle; ich als maghrebinischer Atheist, machte mir angesichts des kommunitaristischen Drucks selbst einige Sorgen, ohne aber jemals den Punkt des Bruchs zu erreichen und immer wegen zwei oder drei Erleuchteten, die sicher noch viel ungläubiger waren als ich und versucht haben, sich durch übertriebene Religiosität einen Status zu verschaffen.
Und, wie sagte jemand: Ich habe Gott im Gefängnis getroffen. – Was machte er da? – Oh, er saß wegen Betrug …
Wir haben diesen Text L'Envolée entwendet.
Ein längeres Gespräch mit Abdel Hafed Benotman findet sich sowohl im Buch Das große Gefängnis sowie im gleichnamigen Webjournal.