06 2017
Madrid steht nicht zum Verkauf: Die Besetzung von La Ingobernable
Übersetzt von Gerald Raunig
Am 6. Mai 2017 füllte sich das Gebäude in der Calle Gobernador 39 in Madrid in einem Akt des Ungehorsams mit Nachbar_innen und Anwohner_innen aus der Stadt. Dies war der Höhepunkt einer Massendemonstration einer Vielzahl von Gruppen, die unter dem Motto „Madrid steht nicht zum Verkauf“ die wilde Gentrifizierung anprangerten, wie sie die Stadt Madrid in den letzten Jahren erlebt hatte. So wurde das Sozialzentrum La Ingobernable geboren, als umkämpftes Territorium, das mitten in der Goldenen Meile der Hauptstadt wie des Kapitals den Prozess der Enteignung umkehrt. Ein horizontaler und radikal demokratischer Raum der Äusserung und der praktischen Umsetzung der Tatsache, dass die Stadt nicht zum Verkauf steht, sondern gemeinsam aufgebaut wird.
Die Besetzung prangert nicht nur den Leerstand und Nichtgebrauch des Gebäudes an, sondern belegt auch die Mafia-Praktiken der letzten Regierung der Stadt Madrid unter der Leitung von Ana Botella (Partido Popular), die in diesem Fall ein kommunales Gebäude an Freund_innen in ihrem Umfeld verschenkt hatte. La Ingobernable leistet Widerstand dagegen und schlägt zugleich eine Alternative zum Modell einer touristisierten Stadt vor, die über keine gemeinsamen Räume verfügt.
Eine Vielheit von Menschen, die es leid sind, in einer Stadt, die nicht mehr ihnen gehört, auf alles verzichten zu müssen, setzen ihre Energie, ihre Zeit und ihre Körper ein, 3.000 Quadratmeter Staub in eine neue soziale Maschine zu verwandeln, die imstande ist, die Ausbreitung von Finanzialisierung, Individualisierung und Angst zu bekämpfen. Wer sich nicht darin fügen will, sich wie fremd durch die Stadt zu bewegen und der Ausbeutung und grenzenlosen Spekulation einfach nur zuzusehen, hat jetzt die Möglichkeit, an La Governable teilzunehmen und eine neue Lebensweise zu erfinden.
Sozialzentren spielten 2011 eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Besetzungen der 15M-Bewegung, als sie sich mit frischen Leuten zu einem der virtuosesten Ereignisse der Mobilisierung in den letzten Jahrzehnten verbanden. La Ingobernable ist Teil dieser virtuosen und überbordenden Zusammensetzung seit ihrer Entstehung und öffnet sich auch einer jüngeren Generation, die die Ansteckung sich weiter ausbreiten lassen kann. Während die Sozialzentren viele Jahre eher Überrest und Minderheit gewesen waren, eine vom Aussterben bedrohte Spezies, verfügen sie heute zweifellos über eine politische Reife, die oft in deutlichem Kontrast mit den anderen Komponenten des Wandels in Spanien steht.
In einer der letzten Maßnahmen einer durch Korruption und Klientelismus gekennzeichneten Legislaturperiode hatte die Stadtverwaltung des Partido Popular mit Ana Botella an der Spitze vor etwa zwei Jahren das Sozialzentrum Patio Maravillas geräumt. Nur ein paar Stunden später betrat eine neue und aufregende Zusammensetzung die Bühne der Stadtverwaltung: Geprägt durch die Präsenz einer munizipalistischen Kandidatur in der Tradition der 15M-Bewegung war sie unter anderem auch von Menschen aus gerade diesem Sozialzentrum geformt und in vielen Sitzungen in seinen Wänden und durch seine Aktivist_innen entwickelt worden.
La Ingobernable ist zweifellos ein Brennpunkt des politischen Experiments, die die bisherige Erfahrung der Sozialzentren mit neuer Kraft ausstattet. Hinzu kommt, dass die Madrider Stadtregierung aus Menschen zusammengesetzt ist, die teilweise von ähnlichen Erfahrungen kommen, was offensichtlich eine besondere Gelegenheit ermöglicht, die bisher nicht aufgetreten ist. Eine der größten Herausforderungen der munizipalistischen Bewegung ist es heute, mit List und Überzeugung die zentrale Rolle wiederzugewinnen, die die Sozialzentren bei der Erzeugung und Reproduktion von neuen Institutionalitäten, instituierenden Praxen und konstituierenden Prozessen einnehmen. Was auf dem Spiel steht, ist eine wahre Erweiterung der Formen der Demokratie, der Aufbau effektiver städtischer Gegenmächte, die Erfindung „eines lebenswerten Lebens“[1].