04 2016
Von der Kooperation zur schwarzen Operation
Ein Gespräch mit Stefano Harney und Fred Moten zu Die Undercommons
Aus dem Englischen von Birgit Mennel
Transversal Texts: Die Konzepte, die ihr in Die Undercommons erfunden, unsessbar gemacht, bewegt, verlagert habt, sollen selbstverständlich kein System in einem traditionellen Sinn bilden. Aber dennoch gibt es eine gewisse Affinität, Appositionalität, Nähe von Konzepten wie Studium, Planung, Police, queere Schulden, Logistikalität, allgemeiner Antagonismus, Entsiedelung, die Verschifften und so weiter. Könnte es hilfreich sein, anstelle eines Systems an eine Sozio-Geologie eurer Konzepte zu denken und die Frage zu stellen, wo sie sind, vor allem wenn sie in Verbindung gebracht werden? Wo ist die Umgebung? Um die Festungen herum, in der Planung der Panthers und wo noch? Ist sie möglicherweise überall, sogar in den umgebenen Büros der Rektor_innen, auf den Kommandobrücken und Gefängnistürmen?
Wo (und wann) ist der Laderaum? Ist es der Laderaum der Sklav_innen-Schiffe des Schwarzen Atlantik und/oder findet er sich überall dort, wo Governance und Police etwas festhalten?
Stefano Harney / Fred Moten: Diese Konzepte entspringen einem Terrain des Kampfes. Jenes Terrain wurde unsessbar gemacht, lange bevor wir dort Zuflucht gesucht haben. Jener Kampf war geplant, lange bevor wir uns dort eingefunden, uns an den Küchentisch gesetzt haben, um den Ofen herum gestanden sind oder eingeladen wurden, uns auf den Stufen niederzulassen oder auf der Party aufzuspringen. Schwarze Frauen haben diesen Kampf gedacht und geführt. Sie haben uns in dieses Land gelotst, das wir mit unserer Gastfreundschaft fortwährend ent-setzen. Diese Konzepte entspringen der schwarzen radikalen Tradition, konkret der Tradition schwarzer radikaler Frauen von damals und heute. Das rührt daher, dass schwarze Frauen das, was wir die Undercommons nennen, schon seit langem theoretisiert und geplant haben, als jenen Ort, an dem du nicht länger einfach nur du selbst sein kannst und es auch niemals warst. Ihre Planung ist unsere queere Schuld, unsere schwarze Schuld, unsere Trans-Schuld, die selbstverständlich nicht die unsere ist.
Der Laderaum ist anders. Er ist die Besonderheit in der allgemeinen Entfaltung der schwarzen radikalen Tradition, und auch wenn verschiedene Erzählungen von Schwarz-Sein die Besonderheit des Laderaums verändern mögen, können sie die Besonderheit des Laderaums nicht verändern. Darum funktioniert er auch nicht so wie die anderen Konzepte im Buch, sondern muss fortwährend widerrufen werden, wenn der allgemeine Antagonismus unserer Geschichte in der Gegenwart nicht nur ein Agonismus sein soll. Gleichzeitig ist diese unhintergehbare Besonderheit – und deshalb ist dies eine schwierige philosophische Sache – etwa auch im modernen Weltsystem unhintergehbar, weil der Schiffsladeraum die Bedingung der Möglichkeit jenes Systems darstellt. Jeder von Governance und Police festgehaltene Ort zeugt vom Gewicht/von der Spur jener Besonderheit, selbst wenn man nicht sagen kann, dass er jene Besonderheit ist.
Wo entlang dieser sozio-geologischen Linie sind die Undercommons? Wo ist das Unter in den Undercommons? Ist es der Maulwurf, der Untergrund, die Wasserader, ist es unter und außerhalb wie das lateinische sub? Bekämpft, problematisiert oder subvertiert es implizit das Konzept des Gemeinsamen/der Commons? Als Wissensform scheint es (ist es sie oder es?) sich stark davon abzusetzen, was als Gemeinsames/Commons diskutiert wurde, es ist nicht allgemein, aber es weist eine Nähe zum allgemeinen Antagonismus auf, es ist Wissen, das in der Governance entsteht, aber nicht in der Dichotomie von Opfern und Subjekten, es ist nicht auf dem Radar der Governance, wird aber immer von ihr gesucht und taucht noch vor der Governance auf. Als Subjektivierungsform, als Überleben, als Poesie, als Affizierung, als ein Verbinden und nicht ein Beziehen, als Widerstandspotenzial und nicht als Kritik, als abstrakte Linie und nicht auf Linie, ist es überall. Ist es überall?
Wenn man uns so nach den Undercommons fragt, sagen wir manchmal, dass uns die Undercommons des Konzepts mehr interessieren als das Konzept der Undercommons. Es ist für die Undercommons also nicht nur wichtig, ein unangemessener Begriff, ein unangebrachter Begriff, ein unfertiger Begriff zu bleiben, sondern es ist auch für den Begriff wichtig, sich mit einer verworfenen Terminologie im Allgemeinen in Verbindung zu setzen, sich den Diskussions- oder Nutzungsbedingungen zu widersetzen, die Vertrags- oder Vergleichsbedingungen abzulehnen. Selbiges gilt auch für Kredit und Schulden. Es gibt Kreditbedingungen, aber es gibt keine Bedingungen für Schulden, zumindest dann nicht, wenn es um schlechte Schulden geht, also um die Art von Schulden, mit der wir uns beschäftigen. Wenn wir unsere Schulden studieren, hört der Begriff nie auf.
Aber vielleicht sind die Undercommons weniger ein Set von gemeinsamen Fähigkeiten oder eines imaginierten gemeinsamen Raums – worauf der Begriff des Gemeinsamen/der Commons oft abzielt – und handeln daher möglicherweise weniger von kollektivem Leben als vielmehr von versammeltem Sein, beziehungsweise von einem Sein, das zugleich versammelt und gestrandet ist, zugleich gestohlen und weggegeben, das nicht genug ist, aber schon ganz gut und reichlich; oder vielleicht von kollektivem Leben in nicht versammeltem, unordentlichem, verstreutem Sein. Vielleicht täuscht die Frage nach dem „Wo“ über einen radikalen Nicht-Ort hinweg, lenkt von ihm ab oder verschleiert ihn, verschleiert eine allgemeine Verlagerung, das Feld des Gefühls, eine soziale Unterbrechung der Ontologie oder zumindest des Bekenntnisses der bereits bestehenden modernen Ontologie zu einer bestimmten klassischen Vorstellung von Raum und Zeit.
Elf Jahre nach der Veröffentlichung des Text über die Universität und die Undercommons in Social Text klingt das meiste immer noch so, als käme es aus den heutigen Wissensfabriken. Könnt ihr etwas zum aktuellen Status Quo der Universität sagen und zu neuen Rezepten, um aus ihr zu desertieren? Vor allem weil ihr immer noch in ihr drin seid, weil ihr in diesem Feld arbeitet und kämpft ...
Hier könnten wir ein wenig Philologie zu diesem Text riskieren. Unsere Arbeit begann in Freundschaft und immer schon im Studium der Freundschaft. Die Universität hat es geschafft, unsere Fähigkeit zu studieren zu blockieren, das heißt, sie blockierte ganz allgemein unsere Fähigkeit, Freundschaft zu pflegen. Zunächst schrieben wir einige kritische Texte, die nicht Teil des Buchs sind, in der Weise derer, die etwas von den Institutionen erwarten, auch wenn diese Erwartung um ihre Veränderung geht. Aber schon als wir den Essay „Die Universität und die Undercommons“ schrieben, begannen wir etwas zu verstehen, nämlich dass die moderne Universität nichts anderes ist als ein Informationsministerium in Kriegszeiten. Sie spuckt Information aus zur Unterstützung einer Tötungsmaschine in einem Krieg, den Europäer_innen und US-Amerikaner_innen während fünf Jahrhunderten zu globalisieren versucht haben. Dieser Krieg wird in verschiedenartiger Weise das Öffentliche, die Ökonomie oder einfach „Mensch“ genannt. Es ist ein Krieg gegen das Menschliche und gegen andere lebende Dinge, gegen die Erde, ein Krieg, der hauptsächlich im Namen des Menschlichen geführt wird, im Namen der Verbesserung des Menschlichen, der Nutznießung von Mensch und Natur.
Ein Informationsministerium produziert in Kriegszeiten erstens Information in Form von Lügen und Fehlinformation. Das ist heute weitestgehend die Funktion der Sozialwissenschaften. Aber zweitens produziert ein Informationsministerium in Kriegszeiten auch Propaganda für „die eigene Seite“. Das ist klarerweise die Funktion der Geisteswissenschaften. Die Naturwissenschaften mögen ihrerseits für eine dieser Funktionen eingesetzt oder direkt und stillschweigend in der Tötungsmaschine entfaltet werden. Was du also mit einem Informationsministerium in Kriegszeiten tust, ist, dass du seine Information zu sabotieren versuchst. Und für die Sabotage von Information haben wir ein Wort: Studium. Das heißt jedoch, dass das Studium, insofern es zuerst kommt, das ist, was das Informationsministerium immer zu regulieren versucht hat – das, was es akkumulieren und zugleich zerstören wollte. Du versuchst zu studieren, wo du studieren kannst, dich im Studium zu versammeln und zu verseilen, in Freundschaft, nicht zuallererst im Versuch, Information zu sabotieren. Vielmehr könnten wir sagen, dass das Studium Information darum sabotiert, weil das gerade nicht sein Ziel ist. Das Studium ist keine Kritik der Information. Das Studium ist tatsächlich ziellos und träge. Das Studium ist ein driftendes Hobo-Lager für kleine Farmpächter_innen mit unzeitgemäßen Träumen von kooperativen Bauernhöfen, mit Träumen, die sich niemals verwirklichen, so wie Christopher Taylor die Schriften von C. L. R. James über die Farmpächter_innen liest. Die Universität – das Informationsministerium – kann sabotiert, aber nicht transformiert werden. Das Studium transformiert nicht, es deformiert, subformiert, es ist eine formlose Formation.
Könnt ihr etwas über den Produktionsprozess der Texte sagen? Akademische Kooperation beim Forschen und Schreiben scheint ein Muss geworden zu sein, aber eure Praxis ist spezifischer und ganz anders, nicht zuletzt wegen der Überlappungen von poetischen und theoretischen Stilen und Sprachen, bis zu dem Punkt, an dem deren Grenzen nicht länger zu unterscheiden sind. Ist eure Kooperation rein affirmierend, oder gibt es Wege, um mit Dissens, Negation, partikularen Antagonismen umzugehen? Was ist mit den sehr spezifischen disziplinären Besonderheiten, zum Beispiel, wenn es um technische Begriffe aus der Ökonomie oder der schwarzen Ästhetik geht? Habt ihr eine Praxis der Diskussion dunkler Sätze, so es welche gibt? Wie gestaltet sich eure Zusammenarbeit bei Begriffserfindungen, beim Klang und Rhythmus der Texte, wenn Musik und Poesie nicht nur ihr Gehalt sind, sondern offensichtlich auch ihr formaler Aspekt?
Was, wenn wir Kooperation als den Zusammenbruch des Miteinander-Seins verstünden? Was, wenn Kooperation eine Notmaßnahme ist, um das Auftauchen des zur Kooperation fähigen Individuums zu hemmen? Kooperation wäre dann die Selbstverteidigung der Freundschaft, ihr gewaltvolles Moment. Kooperation könnte dann tatsächlich affirmative wie dissensuale Kommunikation beinhalten. Diese gewaltvolle Aussonderung in Kommunikation, diese Kooperation mag manchmal notwendig sein wie die von Revolutionär_innen theoretisierte Selbstverteidigung. Aber genauso sicher ist sie eine Abweichung, eine Ablenkung und eine Subtraktion vom Miteinander-Sein. Poesie ist, wo Dissens und Affirmation verschwimmen. In Verteidigung der Undercommons-Differenz wollten wir einen Motor der Differenz bauen, eine generative Maschine, die auch ein Mechanismus der und zur Abstimmung ist, in der Tradition dessen, dass man das, was man sagt, so klingen lässt, als wäre es etwas. Wir haben uns für den Übergang von der Kooperation zur schwarzen Operation interessiert. Was könnte ein dunkler Satz hervorbringen, über dasselbe des Gleichen hinaus und jenseits dessen, was cool ist, wenn um ihn herum eine Zusammenkunft entsteht? Wir haben definitiv darüber nachgedacht!
Haptikalität, Liebe, Innerlichkeit der Empfindung. Dies scheint ein anderer Ton zu sein als der von und über die Panthers, Kriminalität, schlechte Schulden, schwarze Schulden, Umgebung, die mit der Monstrosität des Widerstands spielt, sei er nun mikro oder mausartig. Seid ihr nunmehr Philosophen des Gefühls, und was bedeutet das für eine (affirmierende?) Theorie, die Kritik als Operation innerhalb des Staatsapparats verwirft? Was ist mit möglichen (Miss-)Interpretationen als Hippies, Romantiker_innen oder gar Idealist_innen?
Selbstverständlich können wir alle möglichen Dinge fühlen. Aber alle möglichen Dinge können auch fühlen. Haptikalität könnte ein Versuch sein, zu sagen, dass die Geschichte des Fühlens davon dominiert wurde, was wir fühlen können, aber eine Gegengeschichte musste sich notwendig damit beschäftigen, was Dinge fühlen. In Anbetracht dessen, wie brutal die Bedingungen für diese Gegengeschichte sind – was Hortense Spillers in ihrer Beschreibung dessen, was sie lange vor uns Empathie nannte, so ernüchternd darlegt –, ist es unwahrscheinlich, dass wir jemals vergessen könnten, wie sich das anfühlt.
Aber es kann auch sein, dass alles, was wir tun, Kritik ist, wenn Kritik Verdacht gegenüber dem bedeutet, was uns in diesem Krieg gegeben wird, und andererseits ist Kritik vielleicht nichts von dem, was wir tun, wenn Kritik Systembildung bedeutet. Wieder anders gesagt, ist da vielleicht nichts, was zum Widerstand werden könnte. Nehmt die von euch angesprochene Formulierung, „Innerlichkeit der Empfindung“, das ist etwas, was wir lieben, und weil wir es lieben, üben wir Kritik, da uns erzählt wird, Empfindung habe keine Innerlichkeit. Es ist nicht der Fall, dass darin keine Kritik läge. Es ist einfach so, dass wir uns nicht um die Kritik kümmern. Und die Panthers waren indes die ganze Zeit über verliebt.
Im Mai 2015 wurde die Aktivistin Ada Colau Bürgermeisterin von Barcelona, Barcelona en Comú gewann die Wahlen, als eine ebenso kritische wie affektive Assemblage, die aus der molekularen Praxis der Nachbarschaftsversammlungen hervorgegangen ist, aus Plattformen gegen Räumungen sowie aus mikropolitischen Anstrengungen, die auf Jahrzehnte lange Kämpfe gegen Prekarisierung, Gentrifizierung und die Auswirkungen der Subprime-Krise zurückgehen. Wie wäre es, wenn euer Konzept der prophetischen Organisation für diese Reterritorialisierungspraxen in Spanien zur Anwendung gebracht würde?
Ihr werdet verstehen können, dass wir uns der Idee widersetzen würden, unsere Konzepte (und unsere Haltung zu ihnen) so anzuwenden und zu erproben, dass sie sich auf eine einzige mögliche Verwendungsform beschränken. Es wäre viel interessanter, von einem Experiment mit oder durch ein Konzept zu lernen, wo Konzept und Experiment gleichzeitig entstehen, und wo nicht das eine das andere jagt und es sesshaft zu machen versucht. Ihr werdet uns zustimmen, dass dies eine gute Verwendung zum Beispiel des Konzepts des Kommunismus oder des Menschen ist, wie Sylvia Wynter anmerkte. Selbstverständlich erwarten wir aus der Perspektive der schwarzen radikalen Tradition, der indigenen Militanz oder des Dritte-Welt-Feminismus, eigentlich aus den unterschiedlichsten Kämpfen und Theoriezusammenhängen immer noch eine Art Zeichen – nicht der Solidarität, nun da die Europäer_innen massenhaft mit Wohnungslosigkeit und Prekarität kämpfen –, sondern ein Zeichen, dass sich Europa eines lernfreudigen Moments erfreuen könnte, einer Offenheit für Weisen des Denkens und Fühlens, die sich auf das (Wieder-)Erschaffen des Lebens aus den Ruinen der Wohnungslosigkeit und Prekarität und letztlich des Europäisch-Seins konzentrieren. Bisher gibt es noch kein derartiges Zeichen. Unterdessen bieten wir euch unsere Solidarität.