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05 2021

Ein Anfang von Streik

Max Heinrich und Helvetia Leal über Geschichte(n) des Kunststreiks von Sofia Bempeza

Max Heinrich / Helvetia Leal

Ein Streik ist eine Verweigerung, eine Unterbrechung, ein Aussetzen. Ein „Nein, so nicht!“-Sagen oder -Denken, ein Innehalten, Reflektieren, Sich-Zeit-und-Raum-Nehmen. Aber auch Organisieren, vielleicht Kämpfen, in jedem Fall Ausdruck eines grundlegenden Dissens. Einen Streik macht man am besten gemeinsam, solidarisch über das eigene Feld hinaus, und in seinem Herzen steht das Sorgetragen. Somit besteht der Dissens mit diskriminierenden Strukturen. Mit prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, die durch die Pandemie noch einmal verschärft worden sind. Mit Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Trans-, Bi-, Inter- und Homophobie, aber auch mit der Aneignung und Verwertung dienstbarer Kritikalität in und von neoliberalen Institutionen. Im Allgemeinen: mit den Produktions-, Kommunikations- und Sichtbarkeitsverhältnissen in einem durch und durch kapitalistischen (kulturellen) Feld.

In ihrem Buch Geschichte(n) des Kunststreiks fokussiert und streift Sofia Bempeza historische und aktuelle Kunststreikpraxen, die auf Verweigerung und Organisation im Kunst- und Kulturfeld hinweisen. Diese Auseinandersetzung bettet Bempeza in eine präzise und wichtige Analyse der kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Kunstfeld ein. Letztere haben nicht zuletzt auch das Künstler*innen-Individuum hervorgebracht, das durch die spätestens gegen Ende des 20. Jahrhunderts einsetzende neoliberale Transformation des Feldes nachhaltig bestimmt wird: durch strukturelle (Selbst-)Prekarisierung, (Selbst-)Optimierung und (Selbst-)Vermarktung in kreativ-unternehmerischen Ich-AGs. Bempeza nimmt hier im Besonderen auch deren Folgen für unsere Leben in den Fokus, womit sich die Frage nach der Positionierung, Verantwortung und den Möglichkeiten von Kunst- und Kulturproduzent*innen gegenüber den eigenen Bedingungen stellt.

Geschichte(n) des Kunststreiks schärft den Blick für die „eigene“ Praxis und Situierung und erklärt nicht (zu Ende). Theorie und Praxis werden hier nicht hierarchisch und nicht trennend schon im Schreiben verbunden. Bempezas situierte Theorieproduktion baut auf einer Praxis auf, die immer schon über das eigene Feld, die eigene Disziplin, das eigene Problem, die eigene Perspektive hinausdenkt, und weiß, dass es vielfältige Verbindungslinien braucht, wenn sich etwas verändern soll. Diese Reziprozität spiegelt sich auch in Bempezas vielschichtiger Praxis wider, in der künstlerisch-kuratorische, aktivistische und theoretisch-konzeptuelle Praktiken häufig ineinander übergehen.

Die drei Aspekte des Kunststreiks, die Bempeza in ihrem Buch herausarbeitet, sind Verweigerung, temporäre Adraneia und Organisation. Diese drei ineinandergreifenden Streikdimensionen sind in ihrem Verhältnis nicht chronologisch oder hierarchisch, sondern komplementär zu verstehen. Die Verweigerung ist der Moment, die Geste der Unterbrechung, des bewussten Nicht-Tuns von etwas (und nicht des Nichtstuns), des „Nein, so nicht!“-Sagens und somit ein minimales politisches Handeln. Gleichzeitig funktioniert die Verweigerung als Offenlegung und Sichtbarmachung der (institutionellen) Produktionsbedingungen von Kunst. Temporäre Adraneia bezeichnet das Innehalten und Abwarten, das Reflektieren der eigenen Position und der Situierung im Feld. Sie widersteht der Zeitlichkeit der unaufhörlichen Produktion, der vorherrschenden Aufmerksamkeitsökonomie, der fortwährenden (Selbst-)Anrufung und (Selbst-)Regierung des Kreativ- und Verfügbar-Seins. Der Zustand der Temporären Adraneia unterläuft und bremst diese, aber ohne Eskapismus oder vollständiger Rückzug zu sein, sondern als Ruhen und Sorgetragen im Rauschen des Kunstfelds. Die Organisation schließlich meint das solidarische Verketten von Momenten der Verweigerung, Intervention und Invention, die von temporärer Adraneia umgeben und durchlaufen werden, deren Selbst-Organisation, und das Abzielen auf die Veränderung der institutionellen Bedingungen und der Produktionsweise über das eigene Feld hinaus.

Die Geschichte(n) des Kunststreiks beginnen in Bempezas Buch mit der Artists’ Union im New York der 1930er Jahre. Die klassisch gewerkschaftlich aufgebaute Organisation engagierte sich und kämpfte für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstler*innen. Gleichzeitig zeigten sich viele Unionists solidarisch mit anderen linken Gruppen und Anliegen und unterstützten aktiv die Kämpfe anderer Arbeiter*innen. Diese doppelte Immanenzlinie nahm Ende der 1960er Jahre die Art Workers’ Coalition wieder auf, zu der viele bekannte Künstler*innen gehörten. Einerseits gerahmt durch die erste Welle der Institutionskritik in der bildenden Kunst, war die AWC gleichzeitig auch durch die feministischen, antirassistischen und Antikriegsbewegungen dieser Zeit informiert und mit diesen solidarisch.

Einen radikaleren Weg der Verweigerung und des Rückzugs, anschließend an ihre Involvierung in die AWC, ging Lee Lozano, als sie sich 1972, wie vorher angekündigt, vollständig aus dem Kunstfeld zurückzog. Die Frage danach, ob Streik die Waffe zur Veränderung von diskriminierenden Bedingungen und Strukturen im Kunstfeld ist, die notfalls eben auch die absolute Verweigerung und den Rückzug aus diesem bedeuten kann, oder ob die Kunst als solche diese Waffe zur antidiskriminatorischen Transformation des (institutionellen) Kunstbetriebs darstellt, zieht sich spätestens seither durch die Diskussion um die Rolle von Streikpraktiken im künstlerischen Feld. Braucht es also Praktiken, die einen dezidierten und härteren Bruch mit diesen oftmals prekären Bedingungen und Strukturen bedeuten und bewirken? Oder reicht es, (weiterhin) mit (maximal) kritischen, also unbequemen, aber trotzdem das weitere Dabeisein ermöglichenden Arbeiten im Kunstfeld präsent zu sein, die eigene Sichtbarkeit und Kredibilität nutzend, um das zu kritisieren, was die eigenen Bedingungen und Möglichkeiten hervorbringt – und um im Gewahrwerden dieser Verbundenheit mit und Angewiesenheit auf diese (wenn auch oft prekären) Produktionsbedingungen dann lieber doch keinen allzu radikalen Bruch zu riskieren?

Die Frage der Kritik(alität) ist ähnlich gelagert: Was verbleibt wohlig und wohlwollend im gepolsterten und ausgerollten Dienstbereich derjenigen Kritik(alität), die soft institutional critique genannt werden könnte, und die – als Lebenselixier und -versicherung zugleich – jede neoliberale Institution, jede Kreativindustrie und jedes kreativ-unternehmerische Ich-AG-Individuum fördert und benötigt? Und was überschreitet dieses Territorium, verrät diese Zeitlichkeiten und die gängigen Aufmerksamkeitsökonomien, Präsenzanforderungen und Sichtbarkeitsregime? Was riskiert einen Bruch, der nicht so schnell zu kitten sein wird – von wem auch immer –, eine Flucht, ein Abfallen, das möglicherweise den Karrierebogen knickt? Die Kunst – und im doppelten Sinne erfolgreichsten – ist wahrscheinlich das, was beides einlöst und auf dieser Grenze der Kritik tanzt, auf ihr reitet, sie auslotet und verschiebt, immer die neoliberal-institutionelle Vereinnahmung im Nacken (oder ihr schon längst anheimgefallen).

Der (Kunst)Streik verhält sich quer, immer leicht schräg zu dieser scheinbaren Dichotomie, denn er versucht deren Vektoren des Eigenen, Einzelnen und Individuellen zu durchkreuzen und zu überkommen. (Kunst)Streik, wie Bempeza ihn nachzeichnet und ihrerseits konzipiert, ist seinem Begehren nach gemeinsam, solidarisch, sorgetragend und sorgend. Die gegenwärtigen Kunststreikpraktiken, die in ihrem Buch vorkommen, werden dann auch alle von Gruppen und Organisationen getragen. Beispielsweise konnte Working Artists and the Greater Economy, 2008 in New York gegründet, eingebettet in eine aktive Community und indem sie direkt die Missstände der Entlohnungskonventionen der Kunstindustrie adressierten und klare Forderungen aufstellten, über ein von ihnen konzipiertes Zertifizierungsprogramm tatsächlich einen Teil der nordamerikanischen Kunstinstitutionen zu mehr Transparenz, angemesseneren Löhnen und zu mehr oder überhaupt Absicherung für Kunst- und Kulturschaffende bewegen. Oder ArtLeaks, 2011 von Kunstarbeitenden gegründet: ein osteuropäisches Netzwerk und eine digitale Plattform, auf der Zensur- und Ausbeutungsfälle im Kunstfeld veröffentlicht werden. Durch diese Öffentlichkeit können die Kritisierten weniger gut weiterhin top-down agieren, allenfalls nehmen sie die kritisierten Schritte sogar zurück. Auch wenn die konkreten Auswirkungen dieser Strategie im Allgemeinen schwer festzustellen sind, bleiben die Stärken der ArtLeaks-Praxis Mobilisierung, Vernetzung und Solidarisierung von Kulturschaffenden sowie die Praxis, die überall im Feld vorkommenden Missstände sichtbar zu machen.

Im vorletzten Kapitel Mehr als Kunst bestreiken kommt Bempeza dann wieder explizit auf ihre Konzeption und Forderung eines (Kunst)Streiks zurück, der sich mit anderen Streiks, Anliegen und Interventionen verbindet und solidarisiert und die diskriminierenden Verhältnisse als Ganzes adressiert und zu verändern versucht. Sie schlägt Verbindungslinien zu den translokalen Frauen*-, feministischen und Sorgestreiks, zum Schuldenstreik der Strike-Debt-Bewegung, zu den diversen Studierenden- und Bildungsstreiks, zu klassisch gewerkschaftlich organisierten Arbeitsniederlegungen, zum transnationalen migrantischen Sprachstreik. Und affirmiert somit mannigfaltige Anfänge von Streik. – Ein Anfang von Streik kann auch dieses Buch sein; indem es die Möglichkeit und Dringlichkeit von (Kunst-)Streikpraktiken aktualisiert, ihre Genealogien nachzeichnet, sie hin und wieder verbindet und verstärkt, und uns den (Kunst-)Streik als solidarische und gemeinsame Praxis für Gegenwart und Zukunft ans Herz legt.


Erstveröffentlichung: Texte zur Kunst, Heft Nr. 121 / March 2021, https://www.textezurkunst.de


Sofia Bempeza, Geschichte(n) des Kunststreiks
transversal texts, Dezember 2019
https://transversal.at/books/kunststreik