12 2001
Die doppelte Dienstleistung: Grenzüberschreitung als politische Aktion und als Kunstpraxis
Im Graubereich zwischen Kunst und Politik kommt es nicht selten vor, dass die AkteurInnen zwischen allen Sesseln hindurch fallend weder wissen was sie tun noch auch nur irgendwelche Effekte erzielen; "Grenzüberschreitung" bleibt in der Regel ein hohles Schlagwort im Namen des Distinktionsgewinns und der Verschleierung von Grenzen. [1] Nicht so im Projekt "Dienstleistung: Fluchthilfe", im Rahmen dessen Martin Krenn und Oliver Ressler kunst- und politikrelevante Fäden aufgreifen, zugleich relativ unverkrampft sowohl im Kunstfeld wie im politischen Feld agieren. Um ein Gegengewicht gegen die Ablenkungsmanöver der Mainstream-Medien von der verschärften Abschottung Schengen-Europas, gegen die Verschiebung des Diskurses von der Problematik des exklusiven StaatsbürgerInnenrechts hin zur sekundären Thematisierung individueller Flüchtlingsschicksale und komplementärer Feindbilder, konkret gegen die zunehmend hegemoniale (Sprach-)Politik der Denunzierung von Fluchthilfe als "Schleuserei", "Schlepperunwesen", "Menschenschmuggel" und "Sklaverei" zu setzen, konzipierten Ressler und Krenn ein Propaganda-Projekt für Migration, vor allem aber für die Menschen und Organisationen, die sich der Organisierung von Fluchthilfe widmen.
Das Projekt stützt sich im wesentlichen auf zwei mediale Outputs, die in unterschiedliche Öffentlichkeiten intervenieren: auf das knapp einstündige Video "Dienstleistung: Fluchthilfe" und eine postwurfgesendete Gratiszeitschrift mit dem sinnigen Titel "Neues Grenzblatt". Der Zugang von Ressler und Krenn ist in beiden Fällen ein klar parteilicher. Das ist gut so, denn die omnipräsenten Schlagzeilen vom modernen Sklavenhandel lassen sich nicht mit vornehmer Distanzierung konterkarieren.
Das Video, vorerst für eine Ausstellung im Kunstraum der Universität Lüneburg und für ein Spezialprogramm des österreichischen Filmfestivals Diagonale konzipiert, basiert auf der Selbstrepräsentation von MigrantInnen, AkteurInnen aus antirassistischen Organisationen, aber auch Abschiebebeamten, und erreicht dabei eine satte Intensität. Die in diesem Rahmen formulierten heterogenen, die komplexen Zusammenhänge oft zwangsläufig verkürzenden, seltener auch in ihrer Emotionalität naiv-moralistischen Aussagen liefern dennoch überzeugende Puzzleteile für die Konstruktion eines "anderen" Bilds konkreter Praxen der "Grenzüberschreitung".
Die Informationsbroschüre "Neues Grenzblatt", ebenfalls in Kooperation mit antirassistischen Gruppen und MigrantInnenorganisationen produziert, bewußt populär und in Anlehnung an volkstümliche Vereinszeitungen gestaltet, wurde im April 2001 entlang der gesamten EU-Außengrenze der Steiermark an 12000 Haushalte versandt. Inhaltlich wie sprachlich niederschwellige Beiträge sollten eine breite Öffentlichkeit interessieren und "Fluchthilfe als Service mit Qualität" bewerben, mehr noch: die Aktivierung von BewohnerInnen der Grenzregion als FluchthelferInnen nach sich ziehen. Letzteres durfte wohl als absichtlich utopisch gesetztes Ziel zu verstehen sein, dafür ist der Inhalt des Grenzblatts ein erstaunlich gutes Beispiel für die Möglichkeit, minoritäre und komplexe Sachverhalte relativ allgemein verständlich zu vermitteln. Die gegenhegemoniale Attacke, in Begriffs- und Titelwahl aufs erste ziemlich plakativ betrieben, hatte Erfolg: Was in den Mainstream-Medien pauschal unter dem Sigel "Schlepperbanden" denunziert wird, mutiert nicht nur im Kunstfeld, sondern auch in dem einen oder anderen steirischen Gasthaus zur "Dienstleistung: Fluchthilfe".
Mit der Lupe des Kunstdiskurses gelesen zitieren Ressler und Krenn im Titel ihres Projekts das Phänomen der "Kunst als Dienstleistung": Anfang bis Mitte der Neunziger wurde unter diesem Label einerseits einmal mehr gegen die nicht kleinzukriegenden charismatischen Strukturen im Kunstfeld gekämpft, die "Dienstleistung" also affirmativ gegen autonomen Werkcharakter und Künstlergenie gesetzt. Andererseits wurde gegen diesen affirmativen Gestus allerdings auch kritisch auf die problematischen Anteile einer allzu reformerisch-mikropolitischen Projektkunst hingewiesen, die sich im Laufe der Neunziger unter Aufgabe ihres Störpotentials in den Dienst des Sozialen, der "Gemeinschaft" gestellt hatte, [2] bis hin zum Service für die Organisationsentwicklung von multinationalen Konzernen. Alle diese Nuancen eines mehrfach überdeterminierten Begriffs manifestierten sich 1994 schon anläßlich des Workshops "Services" im Kunstraum der Universität Lüneburg, der gleichnamigen Ausstellungen im Künstlerhaus Stuttgart, im Kunstverein München, im Depot Wien etc., in der unter anderem daraus hervorgegangenen Publikation, [3] aber auch in der Kritik an den damit verbundenen Kunstpraxen. [4] Schließlich wurde anhand der Begrifflichkeiten von Dienstleistung und Service auch der unvermeidliche Dauerbrenner der kritischen Kunstpraxis verhandelt, dass nämlich jede Kritik am System vom System integriert und zur Neulegitimierung des Systems mißbraucht werden könne. Die Fronten zwischen reformorientierten und fundamental-kritizistischen Ansätzen verhärteten sich überaus schnell, die Diskussion verebbte - wie im Kunstfeld gewohnt - nach kurzer Zeit aus Mangel an Hipness.
Einige Jahre, nachdem das Thema Dienstleistung im Kunstkontext abgefeiert worden war, greifen Martin Krenn und Oliver Ressler nun diesen Fokus auf, um ihm allerdings in einer überraschenden Wendung neue Relevanz zu verschaffen. Im Kontext der Fluchthilfe korreliert der Begriff Dienstleistung nicht mehr mit einer tendenziellen Entpolitisierung von Kunst, sondern mit einer Entkriminalisierung kommerzieller, humanitärer und politischer Fluchthilfe. Mit dieser politischen Aufladung ergibt sich auch die Konkretisierung eines weiteren verwaschenen Modeworts der Neunziger, der Grenzüberschreitung: [5] Aus der vagen Utopie einer Grenzüberschreitung von der Kunst ins Soziale oder in andere Felder wird erstens, inhaltlich und mit der Fokussierung auf die Praxis der Fluchthilfe, eine radikal zugespitzte Spielart der Grenzüberschreitung, nämlich die konkrete Überschreitung der Schengen-Grenzen. Zweitens, formal und in der Überwindung aller Abstraktion von Feldgrenzen, entwickelt sich eine konkrete transversale Zusammenarbeit mit AkteurInnen, die ihre spezifischen Kompetenzen mit denen anderer verknüpfen. Im hier thematisierten Projekt sind das MigrantInnen als ProtagonistInnen des Videos, antirassistische Organisationen als Inhalts-Lieferantinnen für das "Neue Grenzblatt", schließlich die Künstler, die versuchen, Öffentlichkeit für das marginalisierte Thema herzustellen.
Damit ergibt sich nicht nur eine Kontinuitätsachse von früheren Kooperationen Resslers und Krenns wie "Gelernte Heimat" (Graz, 1996) und "Institutionelle Rassismen" (Wien, 1997), sondern auch ein weit allgemeinerer Zusammenhang zu - besonders in Antiglobalisierungs-Kontexten entstandenen - neuen Formen von transversaler Kooperation. In (und aus) Österreich hat sich diese doppelte (weil transnationale und felderübergreifende) Transversalität vor allem im Umfeld des Widerstands gegen die reaktionäre schwarzblaue Regierung seit Anfang 2000 verstärkt ausgebildet. In Plattformen wie gettoattack, Performing Resistance und Volkstanz, [6] in temporären, nomadischen Invasionen wie der Kärntner Kulturkarawane oder der VolxTheaterKarawane [7] und in der MigrantInnen-Mobilisierung der Wiener Wahl Partie [8] arbeiteten KünstlerInnen mit AktivistInnen aus dem politischen Feld zusammen, als hätte es nie eine Dichotomie zwischen Kultur- und Politlinken gegeben. Auch als Output dieser produktiven und konkreten Entwicklung der schon in den Siebzigern von Guattari und Foucault theoretisch geforderten Transversalität [9] kann Dienstleistung: Fluchthilfe interpretiert werden: Künstler wie Krenn und Ressler haben gelernt, sich nicht als universelle Intellektuelle wichtig zu machen, sondern in temporären Kooperationen mit politischen AktivistInnen an einer neuen Form der Dienstleistung Gegenöffentlichkeit zu arbeiten.
[1] Vgl. Günther
Jacob, Effekte von Grenzüberschreitungen. Kulturelle
Politik & soziale Distinktion, in: Gerald Raunig (Hg.),
Kunsteingriffe. Möglichkeiten politischer Kulturarbeit,
Wien: IG Kultur Österreich 1998, S.192-206; Gerald Raunig,
Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung, Wien:
Passagen 1999, S.17-19, S.93-101
[2] vgl. Gerald Raunig,
Spacing the Lines. Konflikt statt Harmonie. Differenz statt
Identität. Struktur statt Hilfe, in: Eva Sturm/Stella
Rollig (Hg.), Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum,
Wien: Turia+Kant 2001; Stella Rollig, Das wahre Leben, in:
Marius Babias/Achim Könneke, Die Kunst des Öffentlichen,
Dresden: Verlag der Kunst 1998, S.12-27; Christian Kravagna,
Arbeit an der Gemeinschaft, in: Marius Babias/Achim Könneke,
Die Kunst des Öffentlichen, Dresden: Verlag der Kunst
1998, S.28-47
[3] Beatrice von Bismarck,
Diethelm Stoller, Ulf Wuggenig (Hg.), Games, Fights, Collaborations.
Das Spiel von Grenze und Überschreitung, Stuttgart: Cantz
1996
[4] Alice Creischer/Andreas
Siekmann, Reformmodelle, in: springer III 2, S.17-23
[5] vgl. Gerald Raunig,
Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung, Wien:
Passagen 1999
[6] vgl. Gerald Raunig,
Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands, Wien:
Turia+Kant 2000
[7] vgl. http://www.no-racism.net/nobordertour/
[8] vgl. http://www.wwp.at/
[9] vgl. Michel Foucault,
Die politische Funktion des Intellektuellen, in: ders., Botschaften
der Macht, Stuttgart: DVA 1999, S.22-29; Gilles Deleuze, Foucault,
Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992, S.38: "... eine bestimmte
Form lokaler, spezifischer Kämpfe, deren Beziehung und
notwendige Einheit nicht mehr einem Prozeß der Totalisierung
und Zentralisierung entstammen konnten, sondern, wie Guattari
sagte, einer Transversalität."
[aus: Oliver Ressler, Martin Krenn, Dienstleistung: Fluchthilfe, Edition Selene, ISBN: 3-85266-186-2, 56 Seiten, dt./engl., 2002 http://www.t0.or.at/fluchthilfe]