11 2006
Künstlerischer Internationalismus und Institutionskritik
I.
Es war 1970, als eine Gruppe namens „Guerilla Art Collective Project“ mit Fleisch gefüllte Militäruniformen auf den zentralen Platz vor der Universität in San Diego legte, versehen mit einem Schild „ship to …“, um einerseits gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren und andererseits Kunst zu machen (vgl. Breitwieser 2003: 16) Eines der Gruppenmitglieder und Urheber der Aktion, die hier an den Grenzen des Installativen und des Skulpturalen ebenso wie an der zwischen Kunst und Politik vollzogen wurde, war der Marcuse-Schüler Allan Sekula.
Der Sozialphilosoph Herbert Marcuse war einer der wichtigen Fürsprecher der 68er-Bewegungen. Er hatte mit seinem philosophisch-zeitdiagnostischen Werk „Der eindimensionale Mensch“ (1964) viele der damaligen Studierenden in Westeuropa und Nordamerika beeinflusst und sah in den Protestbewegungen, wie es später für die mit sozialen Bewegungen beschäftigte Forschung üblich wurde, neue Ansätze für die Verwirklichung alternativer, nicht-entfremdeter Lebensformen. Es waren allerdings nicht nur diese Ansätze, die die diversen Aufbrüche seit Mitte der 1960er Jahre einten und zeitweise das Zusammengehen sehr unterschiedlicher Anliegen – feministische, antikolonialistische, antirassistische, antiautoritäre, antiimperialistische, antimilitaristische – ermöglichten. 1968 als inter- bzw. transnationalistischer Aufbruch, als „eine Weltrevolution“ (il manifesto), in die auch breite künstlerische Mobilisierungen verstrickt waren, beruhte – ähnlich wie bei Dada fünfzig Jahre zuvor – bezüglich der Gemeinsamkeiten der AkteurInnen auf einer vor allem negativen internationalistischen Motivationslage: Der von den USA gegen Vietnam geführte Invasionskrieg war das herausragende negativ-verbindende Element. „Das militärische Eingreifen der USA in den Vietnamkonflikt gab den Protesten der verschiedenen nationalen studentischen Avantgarde-Gruppen eine internationale Dimension, eine sie verbindende Idee sowie eine gemeinsame Strategie“ (Gilcher-Holtey 2003: 49). So wie auf politischer Ebene die Gesellschaftskritik in den Metropolen über diese negative Klammer mit den Befreiungsbewegungen im Trikont verknüpft wurden, so schlossen sich auf kultureller Ebene die agitatorischen Bemühungen der studentischen Polit-Kader mit den ihre Methoden erweiternden KünstlerInnen kurz. Zahllose künstlerische Aktionen fanden in den unterschiedlichsten Ländern im Zuge der Protestbewegungen statt, verbanden die Antikriegs-Inhalte mit den sozialen, kulturellen und politischen Anliegen vor Ort und verbanden insbesondere sich selbst mit den Aktionen der sozialen Bewegungen. Tony Godfrey (2005: 190) wundert sich in seiner Geschichte der Konzeptkunst angesichts der vehementen studentischen Unruhen zwar, „wie wenig Kunst die politische Situation direkt ansprach“. Dennoch weist er dem Vietnam-Krieg eine solch große Bedeutung für die Entwicklung der Kunst Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre zu, dass er jedes Kapitel seines Buches mit Ausführungen dazu einleitet.
Die internationalistische Ausrichtung, so die These dieses Textes, fungiert hier als Bindeglied zwischen künstlerischen und sozialen Bewegungen und als Möglichkeit, die strukturellen Hürden zwischen beiden zu überwinden. Denn selbstverständlich oder gar der Regelfall ist dieses Zusammengehen keinesfalls. Ihm steht, so Pierre Bourdieu, die vollständige Verschiedenheit und Inkompatibilität der jeweiligen Felder im Wege. So existiere zwar eine „strukturelle Affinität zwischen literarischer und politischer Avantgarde“ (Bourdieu 2001: 398), die Versöhnung beider „durch eine Art sozialer, sexueller und künstlerischer Globalrevolution“ (Bourdieu 2001: 399) stoße aber immer wieder auf die Gräben oder Hürden, die zwischen beiden Bereichen bestünden. Auch im Kontext von 1968 sind diese Hürden nicht selten zu Tage getreten. Sie äußerten sich beispielsweise in den immer wieder aufgetretenen, gegenseitigen Beschimpfungen von politischen AktivistInnen und aktivistischen KünstlerInnen. So behauptete Henryk M. Broder 1971 vom Aktionskünstler Otto Muehl, er sei „kein Linker, sondern Analfaschist“, Muehl hingegen kritisierte die Verspießerung aller Revolutionäre, die nach getaner Revolte sich wieder „die Hausschlapfen anziehen“ (zit. n. Raunig 2005: 174). Die Auseinandersetzung um Muehl und die anderen AkteurInnen des „Wiener Aktionismus“ wurde nicht zuletzt deshalb so heftig geführt, weil die Kunstszene in Österreich eine gewisse Dominanz innerhalb der Situation 1968 innehatte, die laut Robert Foltin (2004: 74) insgesamt durch „einen Mangel an Theorie und durch geringe Militanz“ geprägt war.[1]
II.
Die These, dass im künstlerischen Internationalismus soziale und künstlerische Bewegungen zusammen kommen und/oder voneinander durchzogen sind, richtet sich auch gegen zwei engführende Lesarten Bourdieus, die in den Diskussionen um die Institutionskritik formuliert wurden. So hält beispielsweise die Lesart von Andrea Fraser (2005) im Anschluss an Bourdieu das Kunstfeld für dermaßen geschlossen, dass alles, was außerhalb getan wird, nach innen keinerlei Effekt haben könne – und umgekehrt. Gerald Raunig (2006) kritisiert Positionen wie die Frasers zu Recht als „Verschließungsphantasmen“. Eine ähnliche Haltung beklagt Stefan Nowotny (2006) bei Isabelle Graw (2005). In deren Text „Jenseits der Institutionskritik“ würde die „Kritik auf ihr Kunstsein festgeschrieben“, so Nowotny. Die Position Graws steht aber auch noch für eine zweite Verkürzung der Kunstfeldtheorie Bourdieus. Angesichts der verkaufsorientierten und an Inhalten völlig desinteressierten Klientel einer New Yorker Kunstmesse schreibt sie 2004 in einem taz-Artikel, „unter diesen Umständen“ ließe sich die „Vorstellung von Kunst als einer autonomen Sondersphäre […] nicht länger aufrechterhalten.“ Die Ökonomie der symbolischen Güter, von der Bourdieu spricht, findet jedoch seit der Autonomisierung des künstlerischen Feldes zwischen den Polen der totalen Kommerzialisierung und der „reinen Produktion“ statt.[2] Existenz und Expansion einflussreicher Kunstmessen widerspricht der Autonomie des Feldes also keineswegs.[3] Gegen beide Verengungen müssen also Einwände erhoben werden: Von der Autonomie des künstlerischen Feldes zu reden heißt weder, einen gesellschaftlichen Bereich zu behaupten, der keine Effekte nach außen zeitigen könnte, noch bedeutet es, dass hier ein von ökonomischen, sozialen und anderen Einflüssen unberührtes Terrain bestünde. Vielmehr geht es darum, spezifische Funktionsgesetze aufzuzeigen, die sich von denen in anderen gesellschaftlichen Feldern unterscheiden.[4]
Der Künstler, Fotograf und Kunsttheoretiker Allan Sekula formulierte den Protest gegen den Vietnam-Krieg auch noch in einer anderen, ebenfalls fotografisch dokumentierten Aktion. In dieser sechsteiligen Fotoserie robbt ein Aktivist barfuß und mit vietnamesischem Bauernstrohhut und Plastikmaschinengewehr ausgerüstet durch die reichen Vororte einer US-amerikanischen Großstadt. Der Titel der Aktion von 1972, „Two, three, many … (terrorism)“, nimmt direkt Bezug auf die antiimperialistische Fokustheorie Ernesto Che Guevaras. Im Zuge deren hatte Guevara gefordert bzw. dazu aufgerufen, „zwei, drei, viele“ Vietnam zu schaffen und damit – durch die Erzeugung verschiedener revolutionärer Brennpunkte – den so genannten Volkskrieg gegen den Imperialismus auszuweiten. Der internationalistische Appell Che Guevaras wird somit von Sekula in eine künstlerische Form gebracht, die zum einen auf die Berechtigung des Anspruches verweist, zum anderen aber eine symbolische Alternative zu den nicht-künstlerischen Umsetzungen von Guerilla-Konzepten in den Metropolen darstellt. Die Fokustheorie war nicht nur eine der Grundlagen, auf der die Rote Armee Fraktion (RAF) 1971 das „Konzept Stadtguerilla“ entwickelte. Nach einer ersten, auf Lateinamerika beschränkten Welle von Guerillagründungen entwickelte sich ausgehend von den Praktiken der Tupamaros, der linken Stadtguerilla in Uruguay, eine „zweite Welle“ (vgl. Kaller-Dietrich/Mayer o. J.) in den westlichen Metropolen. So bezogen sich auch der Weather Underground in den USA und andere linksradikale Gruppen in verschiedenen westlichen Ländern bei ihrem Gang in den Untergrund direkt oder indirekt auf dieses Diktum Che Guevaras.[5]
Ebenfalls im Kontext der Fokustheorie ist die Collagen-Serie „Bringing the war home“ (1967–1972) der US-amerikanischen Künstlerin und Kunsttheoretikern Martha Rosler zu sehen.[6] Darin sind verschiedene Motive aus dem Vietnamkrieg in Bilder aus zeitgenössischen US-amerikanischen Prospekten für Wohnungseinrichtungen montiert. Indem Rosler die Alltagseinrichtungen als Einrichtungen des Alltags in Frage stellt, baut sie hier auf einen ähnlichen Effekt wie die Berliner Kommune 1 mit ihrem Flugblatt zum Brüsseler Kaufhausbrand 1967. Die Kommune 1 hatte darin den Brand satirisch als Werbegag der USA bezeichnet und jenes „knisternde Vietnamgefühl (dabei zu sein und mitzubrennen)“ beschworen, an dem alle teilhaben sollten (vgl. Enzensberger 2004). Auch diese Satire-Strategie steht im Dienste des Gedankens, den Menschen in den Metropolen die Ungerechtigkeiten im Trikont direkt nachvollziehbar, quasi fühlbar werden zu lassen, den Krieg eben „nach Hause“ zu bringen.
III.
Versteht man die Institutionskritik nicht nur als Label für die Arbeiten der vier oder fünf immer genannten Protagonisten (Asher, Broodthaers, Buren, Haacke, Knight), sondern, wie Hito Steyerl (2006), als „eine neue soziale Bewegung innerhalb des Kunstfelds“, dann können Martha Rosler und Allan Sekula durchaus dieser zugerechnet werden. Die Infragestellung der eigenen Rolle innerhalb des Kunstsystems verknüpft mit konkreten gesellschaftspolitischen Themen wie hier der Kritik an der US-Außenpolitik und der Kritik an der Ideologie der idyllischen Privatheit der Familie verweisen dabei auf eine Fassung von Institutionskritik, die nicht nur über die Beschränkung auf Kunstinstitutionen wie Galerien und Museen hinausgeht. Sie umfasst auch mehr als der von Isabelle Graw (2005: 50) von diesem unterschiedene, erweiterte Institutionsbegriff, der Corporate Culture und Celebrity Culture mit einbezieht. Vielmehr ist sie im Sinne der utopischen Idee Herbert Marcuses, dass es gelte, auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, in der der Mensch nicht länger von Institutionen versklavt sei, als Kritik an den Institutionen der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt aufzufassen. Insofern muss auch die Analyse Steyerls ergänzt werden: Institutionskritik sollte nicht nur als eine Bewegung innerhalb des Kunstfeldes verstanden werden, sondern auch als eine, die ohne die die sozialen Bewegungen außerhalb des Kunstfeldes kaum denkbar gewesen wäre.
Der künstlerische Internationalismus, also eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung der künstlerischen Arbeit, die sich dennoch erst in der Konfrontation mit den BetrachterInnen entfaltet, erweist sich als Bindeglied zwischen künstlerischer und sozialer Bewegung. In dieser Funktion als Bindeglied sind Arbeiten wie die beschriebenen sowohl gegen ihre BefürworterInnen als auch gegen die GegnerInnen zu verteidigen.
Einer dieser Gegner ist beispielsweise Jacques Rancière (2006), der die genannte Arbeit Roslers als Beispiel für solche Art von Kunst anführt, die das Verhältnis zwischen Schein und Wirklichkeit zu stark vereindeutige. Werken wie „Bringing the war home“ gehe „der Sinn für die Fiktion verloren“ (Rancière 2006: 91), der aber für die eigentliche Politik der Kunst zentral sei. Rancière (2006: 87) plädiert für eine „Politik der Kunst, die dem ästhetischen Regime der Kunst eigen ist“ und die dem politischen Agieren des Künstlers/der Künstlerin vorausgehe.[7] Die Konfrontation zweier heterogener Elemente, wie sie in Roslers Collagen vorgeführt werde, sei kennzeichnend für kritische Kunst. Allerdings neige sie dazu, sich selbst zu einem bloßen Inventar der Dinge zu machen. Diese Inventarisierung wiederum führe gerade zum Gegenteil dessen, was intendiert war: Die Politik der Kunst reduziere sich auf „Wohlfahrt und ethische Ungenauigkeit“ (Rancière 2006: 96) bzw. löse sich in „jene Unbestimmtheit auf […], die heute Ethik heißt“ (Rancière 2006: 99). Kunst ist laut Rancière weder durch ihre Botschaften noch durch die Art und Weise politisch, wie sie soziale Strukturen, ethnische und sexuelle Identitäten oder politische Kämpfe darstelle. „Kunst ist in erster Linie dadurch politisch, dass sie ein raum-zeitliches Sensorium schafft, durch das bestimmte Weisen des Zusammen- oder Getrenntseins, des Innen- oder Außen-, Gegenüber- oder In-der-Mitte-Seins festgelegt werden“ (Rancière 2006: 77).
Die Arbeiten Roslers und Sekulas stehen keinesfalls ausschließlich in der Tradition expliziter politischer Agitationskunst wie der von John Heartfield oder Diego Rivera. Aber selbst ihre von Rancière als „direkte“ politische Kunst abqualifizierten Arbeiten könnten sich zur Schaffung jenes Sensoriums als geeignet erweisen, wenn man beispielsweise die unbestimmte Vorgabe des Zusammen- und Getrenntsein etc. als eine Beziehung deutet, wie sie im Verhältnis von Werk und BetrachterIn besteht und thematisiert wird. Denn nur die wenigsten „politischen“ Werke beschränken sich allein auf das Übermitteln von Botschaften und die Darstellung sozialer/politischer Konflikte. So hatte beispielsweise Michelangelo Pistoletto in einem seiner Spiegelgemälde („Vietnam“, 1962/1965) die kunsthistorische Fragestellung der Werk-BetrachterIn-Beziehung mit politischer Explizitheit verknüpft. Auf eine sich spiegelnde Metallplatte sind zwei auf Seidenpapier aufgemalte und entlang ihrer Kontur ausgeschnittene Personen geklebt, eine Frau im roten Trenchcoat und ein Mann im schwarzen Anzug mit Krawatte, die je einen Stock halten, an dessen oberen Ende ein Demo-Transparent befestigt ist, auf dem die Buchstaben „…NAM“ zu lesen sind. Beim Betrachten dieses lebensgroßen Bildes werden die BetrachterInnen gleich in die Abbildung des Geschehens, offensichtlich eine Anti-Vietnamkriegs-Demo, hineingezogen. Pistoletto positioniert hier die BetrachterInnen sowohl gegenüber dem Bild als solchem als auch gegenüber einer politischen Aussage, bezieht sie also in beide direkt mit ein. Diese künstlerische Haltung, die den/die BetrachterIn in direkte Beziehung zum Bild setzt, ist laut Tony Godfrey (2005: 114) „ein entscheidendes Kennzeichen der Konzeptuellen Kunst.“
Ein derartiger Kontext wird im Falle von Sekulas „Two, three, many … (terrorism)“ und Roslers „Bringung the war home“ durch den Internationalismus von 1968 hergestellt. Es geht bei diesem Internationalismus im Übrigen mehr um eine politische Haltung als um ein (beispielsweise trotzkistisches) Programm, um ein Bewusstsein von der gegenseitigen Bedingtheit gesellschaftlicher Kämpfe in verschiedenen Regionen der Welt. Nicht zuletzt durch die antikolonialen Befreiungsbewegungen gewann ein antiautoritärer Internationalismus – im Gegensatz zum proletarischen Internationalismus des frühen 20. Jahrhunderts – mit den Studierendenbewegungen der 1960er Jahre „auch theoretisch wieder an Bedeutung […]. Mehr noch: Er war einer ihrer zentralen Bestandteile. Internationalismus und `68´ bildeten eine Einheit und müssen deswegen auch so behandelt werden“ (Hierlmeier 2002: 23). Verwirklicht wurde diese internationalistische Perspektive in den sozialen Bewegungen auf diese Weise vielleicht sogar eher als im Kunstbereich, innerhalb dessen er als Verschleierung der westlichen Hegemonie kritisiert wurde.[8]
Umso mehr ist der künstlerische Internationalismus auch gegenüber Befürworterinnen von Roslers „Bringing the war home“ wie Beatrice von Bismarck (2006) zu betonen. Martha Rosler hat ihre Serie 2004 unter dem gleichen Titel fortgesetzt, darin aber statt Motive aus dem Vietnam-Krieg nun solche vom US-Einsatz im Irak verwendet. Zwar ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei der Irak-Serie um ein „Selbstzitat“ handelt, wie Beatrice von Bismarck (2006: 239) herausstellt. Ein inhaltlich vergleichbarer Bezugspunkt ist sicherlich auch die Freiheitsrhetorik, die von Seiten der US-Regierung damals wie heute verwendet wurde bzw. wird. Auch ist die Beobachtung nicht falsch, dass durch die grellere Farbwahl im Vergleich zur ursprünglichen Serie der Eindruck des Unheimlichen gesteigert wird, verstanden im Sinne Freuds als Rückkehr des Verdrängten. „Gerade in den fotografischen Collagen Roslers, die in das vertraute Heimische, in das traute Heim die Bilder des Krieges als das nur scheinbare Fremde hereinbrechen lassen, findet diese Rückkehr des Verdrängten eine prägnante visuelle Form“ (von Bismarck 2006: 240).
Dennoch bleibt bei dieser Betrachtung ein entscheidendes Kriterium unerwähnt, nämlich die Einbindung der künstlerischen Arbeit in die Strategien und Praktiken der sozialen Bewegungen. Auch die US-Intervention im Irak wurde zwar von weltweiten Protesten begleitet, allerdings agierte diese Bewegung in ihrer Mehrheit längst nicht mehr im Kontext eines Antiimperialismus Guevara’scher Prägung. Die Taktik, den Krieg auf wie auch immer geartete Weise „nach Hause zu holen“, blieb völlig aus. Und das nicht ohne Grund: Das Füllen dieser Parole mit emanzipatorischer Bedeutung scheint zumindest den sozialen Bewegungen vollkommen undenkbar in Zeiten, in denen islamistischer Terror wie der von Al Qaida zum einen mehrfach westliche Hauptstädte überzogen hat und zum anderen als allgemeines Bedrohungsszenario installiert wird. Der bzw. ein Krieg ist insofern längst „zu Hause“, also in den westlichen Metropolen angekommen, in die er in den 1960er und 1970er Jahren erst geholt werden sollte. Allerdings zeitigt er keinen der Effekte, die von den Akteurinnen und Akteuren der 68er-Bewegungen intendiert waren. Im Gegenteil, statt Aufklärung, Bewusstwerdung, Empathie, emanzipatorischer Radikalisierung finden institutionelle und psychologische Abschottung statt. Der Boom der Sicherheitstechniken und -politiken hatte bereits das Ende der Stadtguerillas in den 1970ern eingeläutet. Dieses Ende nicht zu reflektieren und da nahtlos wieder anzusetzen, wo sie dreißig Jahre vorher aufgehört hatte, muss bei einer Künstlerin wie Rosler doch verwundern. Denn schließlich hatte sie selber betont, wie relativ „die Maßstäbe ästhetischer Stimmigkeit auf die fotografische Praxis anzuwenden“ (Rosler 1999: 122) sind, und eine zeitgenössische Tendenz beklagt, Kunstwerke aus ihrem Kontext zu lösen. In der Fortführung der Serie wird so zwar an die ethische Fragestellung angeknüpft und nach dem Standpunkt der Betrachtenden zu und in der abgebildeten Situation gefragt. Der politische Kontext der emanzipatorischen sozialen Bewegung und ihrer Strategien aber bleibt – im Werk wie auch in der Kritik, die von Bismarck formuliert – ausgeblendet.
IV.
Sabeth Buchmann (2006) konstatiert im Hinblick auf die erste Phase der Institutionskritik, sie habe sich hinsichtlich der Forderung nach Kultur- und Gesellschaftsrelevanz von den historischen Avantgarden dahingehend unterschieden, dass ein anderer Umgang mit diesen Fragen gepflegt worden sei: Der „Aktionsradius war und ist nicht mehr länger die Gesellschaft“, so Buchmann (2006: 22), „sondern spezifische öffentliche, institutionelle und/oder mediale Felder.“
Sowohl die Geringschätzung des ästhetischen Wertes von künstlerischen Arbeiten wie „Two, three, many … (terrorism)“ oder „Bringing the war home“ als auch ihre Entkontextualisierung in politischer Hinsicht wird deren spezifischer Kritik aber nicht gerecht. Die besprochenen Arbeiten thematisieren sehr wohl zentrale kunstfeldimmanente Fragestellungen, die mit den Fragen und Anliegen sozialer Bewegungen verknüpft sind bzw. werden – sozusagen mit der normativen Wendung des Verstricktseins in die Herstellung der sozialen Welt: Wenn ich Teil des historischen Prozesses bin, dann, so einer der zentralen, als voluntaristisch kritisierten Gedanken der Fokustheorie, kommt es schließlich nur auf meine Entschlossenheit (und die von ein paar anderen) an, um die Verhältnisse umzukehren. Auf einen falschen Fokus heben insofern sowohl Rancière als auch von Bismarck ab: Rancière mit seiner Kritik an der Eindeutigkeit, die in der Konfrontation mit sozialen Verhältnissen bestehe und die die angebliche „Politik der Ästhetik“ zerstöre bzw. nicht ermögliche. Und von Bismarck (und eben auch Rosler selbst in ihrer Fortsetzung) mit der Ausblendung dieser Gebundenheit an den sozialen Kontext. Stattdessen ist auf die Scharnierfunktion zwischen künstlerischen Fragestellungen und Politikformen sozialer Bewegungen abzuheben. Denn indem sie an die kunsthistorische Frage der Beziehung zwischen KünstlerIn, Werk und BetrachterIn anknüpfen, wird aus dem geschöpft, was Bourdieu den „Raum der Möglichkeiten“ genannt hat, der „das Universum des Denkbaren wie des Undenkbaren definiert und begrenzt“ (Bourdieu 2001: 373). Die darauf fußende und in die Kämpfe der sozialen Bewegungen sowie ihren Praktiken der Solidarität eingebettete Entwicklung des künstlerischen Internationalismus stellt insofern eine potenzielle Erweiterung dieses Raumes dar.
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[1] Zum Zusammenhang von „Wiener Aktionismus“ und Studierendenbewegung vgl. insbesondere Foltin 2004: 58ff. und Raunig 2005: 169ff.
[2] Nina Tessa Zahner (2005) hat die Entstehung eines dritten Bereiches, eines „Subfeldes der erweiterten Produktion“ im Kontext der Pop Art der 1960er Jahre analysiert. Dieses vereint Elemente beider Pole in der Figur des Künstlers/der Künstlerin als UnternehmerIn. Die dauerhaften Transformationen des Feldes, die auf diese Entwicklungen zurückgehen, müssten gesondert diskutiert werden.
[3] Die „Autonomie des Kunstfeldes“, von der Bourdieu spricht, ist daher auch nicht zu verwechseln mit der „Autonomie des Kunstwerks“, die von der modernistischen Kunsttheorie behauptet wurde. Bourdieus ganze Kunstfeldtheorie zielt letztlich darauf, die „Autonomie des Kunstwerks“ als Ideologie zu entlarven. Sowohl Graws leicht empörte Aussage über die Dominanz des Geldes auf der einen, wie auch Zahners (2005: 290) Anerkennung für die Pop Art auf der anderen Seite, die Warhol u. a. das Verdienst zurechnet, „den ideologischen Gehalt jener Kunst aufgezeigt zu haben, welche mit dem Anspruch auftritt, autonom zu sein“, beruhen auf diesem Missverständnis.
[4] Bourdieu (2003: 141) spricht von einem „Raum mit zwei Dimensionen und zwei Formen von Kampf und Geschichte“: Zwischen dem „reinen“ und dem „kommerziellen“ Pol geht es um die Legitimität und den Status der Kunst, auf einer anderen Ebene um die Anerkennung der Werke und die Auseinandersetzung zwischen Jungen/Neuen und Alten/Arrivierten.
[5] Zur Geschichte des Weather Underground vgl. Jacobs 1997.
[6] Erste Bilder der Serie erschienen um 1970 als Beiträge zu einer Zeitschrift namens „Goodbuy to all that“ (Nr. 10), platziert neben einem Artikel des „Angela Davis Comitee in Defense of Women Prisoners“.
[7] Entschieden wendet Rancière sich auch gegen die von Bourdieu in Die feinen Unterschiede (1982) herausgestellten sozialen Bedingungen von Geschmacksurteilen und ihrer Eingebundenheit in die symbolischen Kämpfe einer Gesellschaft. Bourdieus Entmystifizierung des reinen ästhetischen Blick beschreibt er als „billiges Bündnis zwischen wissenschaftlichem und politischem Fortschrittsdenken“ (Rancière 2006: 79), hat dem aber nichts entgegenzusetzen als die Behauptung einer singulären „Form von Freiheit und Gleichgültigkeit […], welche die Ästhetik mit der Identifizierung dessen, was Kunst überhaupt ist, verbunden hat“ (ebd.). Ob gerade das der Grund ist, warum Rancière, wie Christian Höller (2006: 180) betont, „derzeit im Kontext linker Kulturkreise ohne weiteres als `most wanted´“ zu bezeichnen ist, wäre zu diskutieren.
[8] So kritisiert 1978 beispielsweise Rasheed Araeen (1997: 100): „Der Mythos des Internationalismus der westlichen Kunst muss jetzt zerstört werden. […] Die westliche Kunst drückt ausschließlich die Besonderheiten des Westens aus […]. Die westliche Kunst ist nicht international. Sie ist nur eine transatlantische Kunst. Sie reflektiert nur die Kultur Europas und Nordamerikas. Der derzeitige `Internationalismus´ der westlichen Kunst ist nicht mehr als eine Funktion der politisch-ökonomischen Macht des Westens, der seine Werte anderen Menschen aufzwingt. In einem internationalen Kontext wäre es daher eher angebracht, von einer imperialistischen Kunst zu sprechen.“