12 2023
Die Kunst, andere Welten zu schaffen
Übersetzung: Gerald Raunig
Ich habe Toni um 2005 in Paris kennengelernt. Damals, frisch promoviert, war ich, ich weiß nicht wie, in der Redaktion der Zeitschrift Multitudes gelandet, in der auch Judith Revel saß, die ich aus familiären Kontexten seit meiner Kindheit kenne. Und in der Tat ist es für mich unmöglich, an Toni zu denken, ohne an sie zu denken, mit der er fast dreißig Jahre lang zusammenlebte. «Judith und Toni» (sprich: judìtettòni) war für mich fast eine Zauberformel, die zu Gesprächen und Gelächter, endlosen Diskussionen über Politik, Kunst und Philosophie, aber auch zu Abendessen, Reisen und Urlauben führte. Und vor allem eine Tür, die immer offen war, bei aller Unordnung, allen Widersprüchen und Trennungen. Als ich Toni zum ersten Mal traf, kannte ich ihn also eigentlich schon. Nicht nur als Philosoph und Politiker – das war klar –, sondern als die Person, von der Judith erzählte, die ihn, glaube ich, in den frühen 1990er Jahren kennengelernt hatte. Ich hörte ihr fasziniert zu, als sie uns von dieser Person erzählte, die wirklich ungewöhnlich zu sein schien und in die sie sich vielleicht schon verliebt hatte. Ich erinnere mich besonders an das eine Mal, als mein Vater durch eine Laune des Schicksals sein altes Exemplar von Il Dominio e il Sabotaggio in die Hand nahm und es ihr gab, die peinlich berührt und amüsiert schien. Ich, die ich absolut nichts davon wusste, war verblüfft über diesen Titel und dieses Büchlein, das mir bei meinen vielen Streifzügen durch die Hausbibliothek entgangen waren.
Als ich anfing, mich mit den beiden zu treffen, lebten sie in Paris, aber auch in Venedig, wo ich sie gerne besuchte, nicht zuletzt, um die Biennale zu sehen. Toni interessierte sich nicht sonderlich für zeitgenössische Kunst – was man ihm nicht verübeln kann –, und selbst wenn wir einmal gemeinsam zur Biennale gingen, war seine Begegnung mit der Biennale eine zerstreute, manchmal amüsierte. Er schaute mit Distanz auf das Werden der Kunst, auf ihre oft oberflächlichen Rituale und darauf, dass sie «Ware und Aktivität» zugleich ist. Obwohl er sich nicht übermäßig für die aktuellsten Formen künstlerischer Arbeiten interessierte, hatte Toni dennoch einen zentralen Aspekt der zeitgenössischen künstlerischen Produktion als ein Experimentierfeld «anderer Welten» begriffen, wie er in seinem Text Arte e Multitudo schrieb. In diesem Büchlein, das er gleichsam zum Spaß, aber mit der ihm eigenen theoretischen Tiefe geschrieben hat, stellt Toni fest, dass die Kunst nicht als eine von den Produktionsprozessen getrennte Sphäre zu betrachten ist, sondern als etwas, das immer in der «Geschichtlichkeit des Zusammenseins» angesiedelt ist. Für jemanden, der wie er seine politische Praxis auf die Condivision und die Dimension der Kollektivität gegründet hatte, konnte es keinerlei Sympathie für den Künstler als Figur der Singularität geben, noch weniger für das «Künstler-Genie», als patriarchalisches Erbe mit tödlichen Auswirkungen.
Ich denke jedoch, dass Toni, vielleicht aufgrund dieser Distanz zur Kunstwelt, die Bedeutung seiner Gedanken in der künstlerischen Sphäre nie allzu ernst genommen hat. Die zahlreichen Einladungen, bei Ausstellungen, Museen oder künstlerischen Ereignissen zu sprechen, sowie die Tatsache, dass mehrere Künstler_innen sich direkt mit seinem Denken und seinem politischen Leben auseinandergesetzt haben (ich denke an Rossella Biscotti, Angela Melitopoulos oder Oliver Ressler, um nur einige zu nennen), zeugen von einem ständigen Dialog zwischen zwei Welten, deren Zusammentreffen nicht so vorhersehbar war. In der Tat scheint mir, dass Tonis Schriften, weit über seine sporadischen Interventionen zur Kunst hinaus, eine unerschöpfliche Quelle von Ideen und Methoden darstellen, um über diese «anderen Welten» nachzudenken, diese unerwarteten und unvorgesehenen Lebensweisen, die sich die Kunst selbst vorzustellen und mit denen zu experimentieren sie aufgerufen ist.
Jetzt, da Toni tot ist, habe ich mit Ergriffenheit die letzten Seiten seiner Autobiographie wieder gelesen, in denen er über die Phänomenologie der Gegenwart nachdenkt, und zwar genau aus diesem unerschöpflichen Wunsch nach einer Welt, die in das Gemeinsame, in die Beziehungen, in die Freude am Leben eingewoben ist. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte ich die ganze Tragweite dieser Überlegungen noch nicht begriffen, die mich angesichts der katastrophalen Ereignisse der letzten Wochen beeindrucken. Wir dürfen keine Angst haben, schreibt Toni, denn wir stehen auf der Seite des Lebens, und die Angst macht uns der faschistischen Logik des Kriegs untertan. In diesem Moment der Fassungslosigkeit angesichts der Gewalt in der Welt bleibt dies für mich das wichtigste Vermächtnis von Toni, das ebenso politisch wie existenziell ist.
Ciao Toni. Wir vermissen dich jetzt schon, aber du lebst weiter in unseren Gedanken und in unseren Kämpfen.