02 2000
Warum lieben wir es alle, Haider zu hassen?
Die Aussicht der Beteiligung von Jörg Haiders FPÖ
an der österreichischen Regierung hat im gesamten Spektrum
des "legitimen demokratischen" politischen Blocks
in der westlichen Welt Entsetzen ausgelöst: Von der sozialdemokratischen
Linken bis zu den Christlich-Konservativen, von Chirac bis
Clinton - von Israel natürlich ganz zu schweigen - haben
alle ihre "Besorgnis" ausgedrückt. Und sie
kündigten zumindest symbolische Maßnahmen einer
diplomatischen Quarantäne Österreichs an, bis diese
Krankheit verschwindet oder sich als nicht wirklich gefährlich
erweist.
Einige Kommentatoren betrachten dieses Entsetzen als Beweis
dafür, wie stark der antifaschistische demokratische
Grundkonsens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa noch ist.
Aber sind die Dinge wirklich so eindeutig? Das Erste, was
hier zu tun ist, ist, sich den gut versteckten, nichtsdestoweniger
unmissverständlichen Seufzer der Erleichterung im vorherrschenden
demokratischen politischen Feld in Erinnerung zu rufen, als
vor einem Jahrzehnt die rechtspopulistischen Parteien eine
ernsthafte Größe wurden. Die Botschaft dieser Erleichterung
lautete: Endlich der Feind, den wir alle miteinander so richtig
hassen können, den wir opfern - exkommunizieren - können,
um unseren demokratischen Konsens zu demonstrieren! Diese
Erleichterung muss vor dem Hintergrund dessen gelesen werden,
was gewöhnlich der entstehende "post-politische
Konsens" genannt wird.
Das Zweiparteiensystem, die vorherrschende Politikform in
unserer post-politischen Ära ist die Erscheinung einer
Wahlmöglichkeit, die es im Grunde gar nicht gibt. Beide
Seiten nähern sich in ihrer Wirtschaftspolitik einander
an - man erinnere sich an die jüngsten Aufwertungen einer
"straffen Finanzpolitik" durch Clinton und Blair
als Leitsatz der modernen Linken: Die straffe Finanzpolitik
fördert wirtschaftliches Wachstum, und das Wachstum erlaubt
uns, eine aktivere Sozialpolitik in unserem Kampf für
bessere soziale Sicherheit, Erziehung und Gesundheit zu machen
... So reduziert sich der Unterschied der zwei Parteien letztlich
auf gegensätzliche kulturelle Einstellungen: multikulturelle,
sexuelle und sonstige "Offenheit" versus traditionelle
"Familienwerte". Bezeichnenderweise ist es die rechte
Option, die anspricht und zu mobilisieren versucht, was immer
vom Mainstream der Arbeiterklasse in unseren westlichen Gesellschaften
übrig bleibt, während die multikulturelle Toleranz
zum Motto der neuen privilegierten "symbolischen Klassen"
(Journalisten, Akademiker, Manager ...) wird. Diese politische
Wahlmöglichkeit - zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten,
zwischen Demokraten und Republikanern ... - muss uns an unser
Dilemma erinnern, wenn wir in einer amerikanischen Cafeteria
Süßstoff verlangen: Überall gibt es nur die
Alternative zwischen Nutra-Sweet und Sweet and Low, zwischen
blauen und roten Tütchen. Und jeder hat die eine oder
andere Vorliebe (vermeide die roten, sie enthalten krebserregende
Substanzen oder vice versa), wobei dieses lächerliche
Festhalten an der eigenen Wahlmöglichkeit die völlige
Bedeutungslosigkeit der Alternative zeigt.
Und gilt nicht dasselbe für nächtliche TV-Talkshows,
wo die "Freiheit der Wahl" nur eine Wahl zwischen
Jay Leno und David Letterman bedeutet? Oder bei Softdrinks:
Coke oder Pepsi? Es ist allgemein bekannt, dass der Knopf
"Türe schließen" in den meisten Aufzügen
ein total funktionsloses Placebo ist und nur dazu dient, den
Individuen das Gefühl zu vermitteln, sie könnten
irgendwie zur Geschwindigkeit des Aufzugs beitragen. Wenn
wir diesen Knopf drücken, schließt sich die Tür
genauso schnell, als wenn wir nur den Etagenknopf drücken,
ohne diesen Prozess durch das Drücken des "Türe
schließen"-Knopfs zu "beschleunigen".
Dieser extreme Fall einer vorgetäuschten Mitbestimmung
ist eine passende Metapher für die Mitbestimmung der
Individuen in unserem "postmodernen" politischen
Prozess.
Und das bringt uns zu Haider zurück: Bezeichnenderweise
ist die einzige politische Kraft von Gewicht, die noch eine
antagonistische Antwort von Wir gegen Die hervorruft, die
neue populistische Rechte - Haider in Österreich, Le
Pen in Frankreich, die Republikaner in Deutschland, Buchanan
in den USA. Ende November 1999 ereignete sich eine seltsame
Sache in der New Yorker Politik: Lenora Fulani, eine Schwarzaktivististin
von Harlem, unterstützte die Präsidentschaftskandidatur
von Patrick Buchanans Reformpartei. Sie erklärte, dass
sie ihn nach Harlem zu bringen versucht und für ihn Wähler
mobilisiert. Während beide Seiten ihre Differenzen in
Bezug auf einige Schlüsselthemen zugaben, betonten sie
"ihren gemeinsamen ökonomischen Populismus und besonders
ihre Abneigung gegen den freien Handel". Warum dieser
Pakt zwischen Fulani, der extrem linken Unterstützerin
einer marxistisch-leninistischen Politik, und Buchanan, einem
reaganschen kalten Krieger und dem führenden Rechtspopulisten?
Die allgemeine liberale Weisheit hat eine schnelle Antwort
dafür: Extreme - rechter und linker "Totalitarismus"
- treffen sich in ihrer Ablehnung der Demokratie und, speziell
heute, in ihrer gemeinsamen Unfähigkeit, sich den neuen
Trends der globalen Ökonomie anzupassen. Außerdem:
Sind sie nicht beide antisemitisch? Während die antisemitischen
Vorurteile der radikalen Afroamerikaner gut bekannt sind -
wer erinnert sich nicht an Buchanans provokative Bezeichnung
des US-Kongresses als eines "von den Israeli besetzten
Territoriums"? Gegen diese liberalen Platitüden
sollte man sich darauf konzentrieren, was Fulani und Buchanan
effektiv verbindet: Beide (geben vor zu) sprechen zugunsten
der sprichwörtlich "verschwindenden Arbeiterklasse".
In der heutigen ideologischen Wahrnehmung übernimmt die
Arbeit selbst (die manuelle Arbeit im Gegensatz zur "symbolischen
Aktivität") und nicht die Sexualität die Stelle
einer obszönen Unanständigkeit, die aus der öffentlichen
Sichtbarkeit verschwinden muss. Die Tradition, die bis zu
Wagners "Rheingold" und Langs "Metropolis"
zurückreicht und wo der Arbeitsprozess im Untergrund
stattfindet, in dunklen Höhlen, kulminiert heute in den
Millionen anonymer Arbeiter, die in den Fabriken der Dritten
Welt für einen Hungerlohn arbeiten - von den chinesischen
Gulags zu den indonesischen und brasilianischen Fließbändern.
Wegen ihrer Unsichtbarkeit kann es sich der Westen leisten,
von der "verschwindenden Arbeiterklasse" zu quatschen.
Was aber in dieser Tradition entscheidend ist, ist die Gleichsetzung
von Arbeit mit Verbrechen, die Idee, dass Arbeit, harte Arbeit,
ursprünglich eine unanständige kriminelle Aktivität
ist, die vor der Öffentlichkeit versteckt werden muss.
Heute beziehen sich die beiden Supermächte, die USA und
China, aufeinander wie Kapital und Arbeit. Die USA verwandelt
sich in ein Land der geschäftlichen Planung, der Banken
und Dienstleistungen etc., während ihre "verschwindende
Arbeiterklasse" (mit Ausnahme einwandernder Chicanos
oder anderer, die vorwiegend im Dienstleistungssektor arbeiten)
in China wieder erscheint, wo der Großteil der US-Produkte
- vom Spielzeug bis zu elektronischer Hardware - unter Bedingungen
hergestellt wird, die ideal für kapitalistische Ausbeutung
sind: keine Streiks, ein begrenzter Spielraum für die
Arbeitskraft, niedrige Löhne. Weit entfernt davon, einfach
antagonistisch zu sein, ist die Beziehung zwischen China und
den USA folglich zur gleichen Zeit zutiefst symbiotisch. Die
Ironie der Geschichte liegt darin, dass China den Titel "Staat
der Arbeiterklasse" wirklich verdient: Es ist der Staat
der Arbeiterklasse für das amerikanische Kapital.
Der einzige Ort in Hollywood-Filmen, wo wir den Produktionsprozess
in all seiner Intensität sehen, ist, wenn der Actionheld
ins Versteck des Obergangsters eindringt und dort den Ort
der intensiven Arbeit ausfindig macht (Destillieren und Verpacken
von Drogen, Konstruktion einer Rakete, die New York zerstören
wird ...). Wenn in einem James-Bond-Film der Obergangster,
nachdem er Bond gefangen genommen hat, in der Regel mit ihm
eine Tour durch seine illegale Fabrik macht - kommt hier nicht
Hollywood der stolzen sozialistisch-realistischen Präsentation
der Produktion in einer Fabrik am nächsten? Und die Funktion
von Bond ist natürlich, diesen Produktionsort in einem
Feuerwerk explodieren zu lassen und uns die Rückkehr
zum täglichen Anschein einer Existenz in einer Welt mit
der "verschwindenden Arbeiterklasse" zu ermöglichen
...
Dies bringt uns dazu, warum die neue populistische Rechte
eine strukturelle Schlüsselrolle in der Legitimität
der neuen liberal-demokratischen Hegemonie spielt. Sie sind
der gemeinsame negative Nenner des ganzen Mitte-links-liberalen
Spektrums: Sie sind die Ausgeschlossenen, die durch diesen
Ausschluss (ihre Nichtakzeptierbarkeit als Regierungspartei)
die liberale Hegemonie negativ legitimieren und deren "demokratische"
Haltung beweisen. Auf diese Weise verschiebt ihre Existenz
den wahren Kern des politischen Kampfes (der natürlich
das Ersticken jeder radikalen linken Alternative ist) zur
"Solidarität" des gesamten "demokratischen"
Blocks gegen die Gefahr durch rassistische Neonazis und andere.
Darin liegt der letztliche Beweis der liberal-demokratischen
Hegemonie der heutigen ideologisch-politischen Szene, eine
Hegemonie, die durch den sozialdemokratischen "Dritten
Weg" vollendet wird. Der "Dritte Weg" ist genau
die Sozialdemokratie unter der Hegemonie des liberal-demokratischen
Kapitalismus, d. h., der ihr minimaler subversiver Stachel
gezogen wurde und die die letzte Referenz auf Antikapitalismus
und Klassenkampf ausschließt.
Außerdem ist es absolut entscheidend, dass die neuen
Rechtspopulisten heute die einzige "ernste" politische
Kraft sind, die die Menschen mit antikapitalistischer Rhetorik
ansprechen, obgleich in nationalistischem/rassistischem/religiösem
Gewand (multinationale Vereinigungen, die die allgemeine,
anständige arbeitende Bevölkerung "verraten").
Auf einem Kongress der Front National vor ein paar Jahren
brachte Le Pen einen Algerier, einen Afrikaner und einen Juden
auf die Bühne, umarmte sie und sagte dem Publikum: "Sie
sind nicht weniger Franzosen als ich - es sind die Repräsentanten
des multinationalen Großkapitals, die ihre Pflicht gegen
Frankreich ignorieren und die wahre Gefahr für unsere
Identität sind!" So heuchlerisch solche Erklärungen
auch sind, zeigen sie dennoch, wie die populistische Rechte
das Terrain besetzt, das von der "Linken" aufgegeben
wurde.
Hier spielt die liberal-demokratische Neue Mitte (wie sie
in Deutschland genannt wird) ein doppeltes Spiel: Sie setzt
uns Rechtspopulisten als gemeinsamen wahren Feind vor, während
sie in Wirklichkeit diese Panik gegenüber der Rechten
manipuliert, um im "demokratischen" Feld eine Hegemonie
zu errichten, d. h. das Terrain abzustecken und ihren wahren
Feind, die radikale Linke, für sich zu gewinnen und zu
disziplinieren. Aber durch die Ereignisse wie die Regierungsbeteiligung
von Haiders Partei (die, das sollten wir nicht vergessen,
vor ein paar Jahren einen Vorläufer in Italien hatte:
die Beteiligung von Finis neofaschistischer Alleanza Nationale
an der Regierung Berlusconis) bekommt die post-politische
und post-ideologisch Neue Mitte ihre eigene Nachricht in umgekehrter
- wahrer - Form zurück. Die Regierungsbeteiligung der
extremen Rechten ist der Preis, den die Linke bezahlt, weil
sie jedem radikalen politischen Projekt abgeschworen und den
Marktkapitalismus als "the only game in town" akzeptiert
hat.