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04 2003

Logik und Theorie der Befragung

Die militante Praxis als Subjekt und als Episteme

Antonio Negri

Übersetzung aus dem Italienischen: Klaus Neundlinger

[...] Die Praxis der Mituntersuchung (con-ricerca) bedeutete nichts anderes als die Möglichkeit, über die Befragung den Grad an Bewusstheit und Bewusstsein bezüglich der Prozesse herauszufinden, in die die ArbeiterInnen als Subjekte der Produktion eingebunden waren. Wenn ich in eine Fabrik gehe und Kontakt zu den ArbeiterInnen aufnehme, indem ich gemeinsam mit ihnen eine Befragung hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen durchführe, dann besteht die Mituntersuchung zwar klarerweise in der Beschreibung des Produktionszyklus, in der Identifikation der Funktionen, die jeder und jede einzelne innerhalb dieses Zyklus übernimmt; gleichzeitig aber stellt sie auch eine allgemeine Bewertung des Ausmaßes an Ausbeutung dar, das jeder und jede bzw. alle zusammen erfahren, eine Bewertung der Fähigkeit seitens der ArbeiterInnen, aufgrund des Bewusstseins um diese Ausbeutung innerhalb des Maschinensystems und der Kommandostruktur darauf zu reagieren. Auf diese Weise eröffnet die Mituntersuchung in dem Maße, in dem die Forschung vorankommt, Perspektiven des Kampfes in der Fabrik, definiert Linien und Dispositive hinsichtlich möglicher Kooperationen außerhalb der Fabrik und wird in diesem Sinne fortgesetzt. Ganz offensichtlich nimmt in dieser Art von Untersuchung die Praxis eine hegemoniale und zentrale Position ein: eine Praxis, die es erlaubt, das Bewusstsein um den Produktionszyklus und um die Ausbeutung zu vertiefen, und die zu ihrer wahren Größe heranwächst, wenn sie Widerstand und Agitation erzeugt, d. h. wenn sie Kämpfe entwickelt. Dergestalt ist es praktisch möglich, ein antagonistisches Subjekt zu bilden, denn darum dreht es sich in der gesamten Argumentation. Von hier aus also, und das bedeutet, auch von dieser alten operaistischen Erfahrung ausgehend, können wir weitermachen. In dieser Hinsicht fragen wir uns: Wie sieht die Mituntersuchung aus, die wir heute, in der Postmoderne, durchführen können, inmitten eines Prozesses der totalen Transformation der Horizonte der Arbeit und der sozialen Organisation? Dabei handelt es sich offensichtlich um keine einfache Frage, auf die ich in diesem Zusammenhang auch keine definitive Antwort zu geben versuche; eher geht es darum, voranzukommen, an dieser Fragestellung zu arbeiten.

Wenn wir einen Augenblick die Befragung (in ihrer praktischen Prägnanz) betrachten, so wie sie sich heute weiterentwickelt, so stellen wir fest, dass das Wichtigste darin besteht, die biopolitische Bedingtheit und die entsprechend gestaltete Szene vom Hintergrund in den Vordergrund zu rücken. Es sind also die Körper, die zu zentralen Elementen in der Befragung werden, und das bedeutet, dass alle Dinge (die zum Körper gehören, zum körperlichen Leben) einbezogen werden müssen, wenn wir vorhaben, egal welche Konstellationen, Zusammensetzungen zu bilden, darzustellen oder nach und nach zu bestimmen. Dies halte ich für extrem wichtig, und dieser Zugang verdankt sich jener biopolitischen Methode, die wir erst zu praktizieren beginnen. Auf diese Weise brechen wir auch mit den allzu analytischen Methodologien, die die Soziologie eingesetzt hat ... jene Theorien, die ich die Salami-Theorien nenne, weil sie den sozialen Körper analytisch in dünne Scheiben auf- und einteilen. Im Gegensatz dazu beginnen wir heute wahrscheinlich, uns in erster Linie mit der Körperlichkeit auseinander zu setzen (und es ist keineswegs zweitrangig, dass wir dies tun können, weil wir nunmehr großes Vertrauen in das haben, was der Körper vermag).

Ein weiteres Element, das wir aufnehmen müssen, ist der Versuch, den (jeweiligen) Gegenstand zu konstituieren, indem wir weder seine Identität noch seine Differenz übernehmen, sondern stets, in jedem Fall seine Singularität und sein Tendieren zum „Gemeinsamen“. Dieser methodische Ansatz ist wirklich neu und originell: Während wir früher den Homo oeconomicus, den ästhetischen, den psychologischen usw. voneinander trennten und analytisch isolierten, können wir heute all diese Aspekte gemeinsam betrachten. Während wir uns einst vom Gesichtspunkt der Determinierungsprozesse und der Spezifizität der Phänomene aus stets zwischen Identität und Differenz bewegten, ist es unserem jetzigen Bestreben nach Determinierung möglich, über diese Dichotomie hinauszugehen, die uns oft blockiert, und die Multitude als „Gemeinsames“ zu konzipieren, bzw. die Differenz als Singularität. Meiner Meinung nach haben wir heute die Möglichkeit, solche alten Dichotomien zu überwinden, und zwar nicht nur den Worten nach, sondern ganz konkret: In der Singularität reichern wir die Inhalte der Differenzen an, während es uns im „Gemeinsamen“ gelingt, sie alle zusammen einzusetzen, in einem neuen Horizont von Aktivitäten. Die zentrale Perspektive, um die wir uns demnach bewegen, ist das „Gemeinsame“, also die Fragestellung, wie die Körper, die logischen Kategorien der Singularität, auf das „Gemeinsame“ (rück-)bezogen werden können, und darüber hinaus die Frage nach dem „Gemeinsamen“ als ontologischer Voraussetzung. Ich bin der Ansicht, dass auch die soziologische Forschung von diesem Standpunkt aus ständig die Bedingungen des „Gemeinschaftlichen“ sichtbar machen muss, innerhalb derer die Singularität sich bewegt. Dies ist ein grundlegendes Element, wenn wir etwas aufbauen wollen. Dabei handelt es sich um Konstellationen, die in etwa der Verteilung der Klassenelemente in der alten „Zusammensetzung“ entsprechen, wenn sie auch nun im Reichtum eines körperlichen Gemeinsamen neu zusammengesetzt werden. (Wohlgemerkt bewegen wir uns nunmehr – seit das Biopolitische als Forschungshorizont erfasst worden ist – vollständig in Kontakt mit den Körpern. Jede Singularität ist als Körperlichkeit bestimmt. Doch die biopolitische Körperlichkeit ist nicht nur biologisch, sie ist eher eine soziale Körperlichkeit. Wenn wir uns zum Beispiel ein Problem wie die Prekarisierung der Arbeit ansehen, erfassen wir in Wirklichkeit einerseits die mit Mühen verbundene Körperlichkeit des oder der Prekären in der Flexibilität und Mobilität der Arbeit. Dem müssen wir jedoch andererseits die Wahrnehmung des Vermögens, der Potenz der neuen Arbeitskraft hinzufügen. Einerseits haben wir also die schrecklichen Bedingungen, unter denen die prekäre Arbeit ausgeführt wird, doch auf der anderen Seite auch ihre neue Qualität: So sind wir imstande, die Prekarität zu erfassen, indem wir uns wellenförmig zwischen Identität und Differenz bewegen und das Gemeinsame gleichzeitig als Basis der Ausbeutung und als Aktivität des Widerstands begreifen).

Und schließlich, auf dieser Basis, der Übergang zur Praxis, die praktische Option: die Wiederentdeckung des Antagonismus. Wo aber findet dieser Übergang genau statt, wo sehe ich die Entscheidung für den Antagonismus? Ein theoretischer Hinweis diesbezüglich, der mir aus dem oben Gesagten zu erwachsen scheint, machte die Ausbeutung am Kommando und seiner Enteignung der Kooperation fest, also an der Möglichkeit, alle Tätigkeiten der Multitude zu blockieren. Die Ausbeutung erfolgt also genau aufgrund des Reichtums des Gemeinsamen und der Produktivität der Multitude. Sie versucht, deren Ausdruck zu blockieren, sie zum Schweigen zu bringen, sie zu zersetzen, zu eliminieren und zu enteignen. Wir müssen in diesem Zusammenhang der Entfremdung eine starke Materialität einräumen, die alle Aspekte des Körpers berührt – es handelt sich um eine Enteignung, eine Entfleischlichung, die gegen die Singularität, gegen das „Gemeinsame“ geht und die offensichtlich der Praxis entgegengesetzt ist, die aus dem „Gemeinsamen“ und den Prozessen, die zu dessen Herausbildung führen, hervorfließt. Dies führt zur Konfiguration der neuen Subjekte der Produktion und der Ausbeutung, die sich in diese Subjekte versenkt, zwischen dem Singulären und dem Gemeinsamen. Im Inneren der Dinge, die vor uns (in der Postmoderne) tanzen und sich bewegen, kommt diese Konfiguration zum Ausdruck, und das Bestehen auf ihr ist m. E. der einzige Weg, über den wir beginnen können, eine starke Resonanz der Forschung zu erreichen.

Stellen wir uns nun die letzte Frage, auch die auf möglichst offene Weise: Was wollen wir? Wir wollen klarerweise die Demokratie, die Demokratie auf globalem Niveau, für alle. Der Begriff „Demokratie“ ist sicherlich nicht einer der glücklichsten. Dennoch, wir haben keine anderen. Jedenfalls haben wir jedes Mal, wenn wir sagen, dass wir die Demokratie wollen, den Eindruck, in eine Falle zu gehen, weil man uns sofort fragt: Also was wollt ihr genau? Gebt uns eine Liste demokratischer Forderungen, die ihr auf diese Basis bringen wollt! Ich denke, es geht nicht darum, eine Liste zu machen, sondern höchstens, damit zu beginnen, auf der Basis des Gesagten, ein Schema zu entwickeln, was der Wunsch nach Demokratie oder besser nach dem „Gemeinsamen“ eigentlich bedeutet; ein methodisches Kriterium, um die alternativen Vorschläge zu bewerten, die kontinuierlich gemacht werden. Manchmal habe ich das Gefühl, eine ganze Reihe von Vorschlägen, die bis vor kurzem noch vollkommen utopisch erschienen, beginnen heute, sich als immer realer herauszustellen, so als sei das Bewusstsein gereift, dass wir in eine neue Epoche eingetreten sind. Auch wir müssen also in gewisser Weise so etwas wie die cahier de doléances führen, wie dies vor dem Ausbruch der französischen Revolution geschah: Dokumente, in denen die Klagen und Beschwerden des Dritten Standes aufgeführt waren, die aber mehr waren als einfache Formen des Protests. Es handelte sich gleichermaßen um das Anprangern von Ungerechtigkeiten und um Lösungsvorschläge. Die Methode des Handelns von unten durchquert nunmehr die Kritik, um eine praktische Antwort darauf zu geben.

Das Problem, das wir uns zu stellen haben, lautet: Auf welche Weise ist es möglich, heute eine Demokratie auf globalem Niveau zu denken? Eine erste kritische Annäherung (wie die, die wir in Empire versucht haben) hat die Entwicklung von imperialen Mechanismen der Kontrolle, der Teilung und Hierarchisierung sichtbar gemacht. Wir haben darüber hinaus gesehen, dass diese Kontrollmechanismen implementiert werden, um dann in einer kontinuierlichen Kriegshandlung zur Anwendung zu kommen. Das wahre Problem wird also darin bestehen, das subversive Begehren nach dem „Gemeinsamen“ wachsen zu lassen, das die Multitude durchquert, um es dem Krieg entgegenzusetzen, es zu institutionalisieren und in konstituierende Macht zu verwandeln.

Im Verlauf der vorangegangenen Vorlesungen haben wir gesagt, dass zumindest drei Elemente imstande sind, die Definition der Multitude in Begriffen des „Gemeinsamen“ zu gestalten. Das erste Element betrifft die soziale Ontologie, und besteht in der Feststellung, dass die immaterielle Arbeit auf kein Kommando angewiesen ist und als immaterielle und intellektuelle Arbeit über die Fähigkeit verfügt, Überschuss zu erzeugen. Einen Überschuss, der sich innerhalb eines „Netzwerkes“ entwickelt. Vom Standpunkt der Ontologie der Arbeit aus betrachtet bedeutet dies, das Problem zu stellen, wie in einer künftigen Demokratie Formen von „Netzwerken“ gewährleistet werden können. Das Netzwerk ist ein Netzwerk der Kommunikation, innerhalb dessen sich kooperative Werte im vollen Sinn des Wortes bilden, also sowohl hinsichtlich der Produktion als auch hinsichtlich des Politischen.

Das zweite Element ist das „Gemeinsame“ selbst, d. h. jene materielle Voraussetzung der Produktion, die weder Kapital noch Ausbeutung braucht, um existieren zu können. In dieser Hinsicht verhält sich der Kapitalismus immer parasitärer zur Akkumulation des „Gemeinsamen“. Von diesem Standpunkt aus ist das Gemeinsame das, was die Konstitution des Seins ermöglicht. Und dieses „Gemeinsame“ kann sich niemand wieder aneignen, noch kann es privatisiert werden. Wenn also die Theorien der Arbeit uns einerseits die Unwirksamkeit des Kommandos klar vor Augen führen, so zeigen uns die Theorien des Sozialen paradoxerweise die unveräußerliche Natur des „Gemeinsamen“. Das „Gemeinsame“ ist die unveräußerliche Materie, auf der wir die Demokratie aufbauen können.

Das dritte zentrale Element, das den Prozess der Multitude mitgestaltet, ist die Freiheit. Ohne Freiheit kann es keine schöpferische Arbeit geben. Ohne Freiheit gibt es weder Kooperation noch Gemeinsames. Wenn einmal die Aufmerksamkeit auf dieses Element gerichtet ist, dann verlagert sich die Kritik auf die Konzeption der Rechte innerhalb der rechtsstaatlichen bürgerlichen Demokratie. In diesem Sinne haben die Marxschen Schriften über das Recht m. E. immer noch Gültigkeit, vor allem die „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“. Natürlich muss diese Kritik auf die heute bestehenden demokratischen Rechte ausgedehnt werden, indem man zu zeigen versucht, wie die formale Gleichheit und die substanzielle Ungleichheit auch heute noch die Grundlage dieser Rechte bilden.

All dies wird sehr wichtig, wenn wir das Neuland einer für die ganze Welt gültigen Konstitution und eines globalen Rechtssystems einer Betrachtung unterziehen. Diesbezüglich ist es wichtig, zu unterstreichen, dass die Entwicklung des Kapitalismus dazu tendiert, jegliches regulierende Handeln seitens der Nationalstaaten unwirksam zu machen. Während also in der Moderne die Entwicklung des Kapitalismus eng mit dem Staat verbunden war, so hat sich heute, in der Postmoderne, der Kapitalismus auf multinationaler Ebene das gesamte soziale Geflecht angeeignet, sieht man einmal davon ab, dass er auf die Intervention von Nationalstaaten zurückgreift, wenn dies notwendig erscheint. Wenn wir vom Gemeineigentum, von der Arbeit im „Netz“, von den auf diesem Terrain garantierten Freiheitsrechten sprechen, so ist es klar, dass wir uns mit dem Prozess der Mundialisierung auseinander setzen müssen. Diese Auseinandersetzung ist extrem wichtig, weil sie uns ermöglicht, in aller Deutlichkeit festzustellen, dass wir uns jenseits jeglicher Garantie des Nationalstaates bewegen, und auch jenseits jeglicher Illusion bezüglich einer Rückkehr zum Gleichgewicht der Nationalstaaten. Die Demokratie muss heute in den Verhältnissen der Multituden untereinander ausgebaut werden, neue soziale Verhältnisse und neue Formen des Rechts müssen geschaffen werden. Wir sprechen hier nicht von der Zerstörung des Rechts, sondern von neuen juridischen Formen, die imstande sein müssen, Normen aufzustellen, die sich von den drei oben erwähnten Prinzipien herleiten. Andererseits muss es Sanktionen gegen diejenigen geben, die versuchen, das Kommando wiederherzustellen, ein neues Eigentumsrecht in Bezug auf das Netz oder gegen dasselbe aufzustellen oder den Zugang einzuschränken und die Knotenpunkte zu kontrollieren. Es muss Sanktionen gegen diejenigen geben, die technologische und/oder juridisch-politische Instrumente erfinden, um die Zirkulation des Wissens und diese riesige „Gemeinschaftlichkeit“ zu unterbinden, die die Produktion und das Leben zu fördern imstande sind.

Manchen mag es nun so scheinen, dass wir kein Wort über die Logik verloren haben. Vielleicht wird man mir zugestehen, darüber in Form von Anspielungen gesprochen zu haben, unter Bezugnahme auf die Befragung, die Theorie der Mituntersuchung und die Hervorhebung der pragmatischen Verhaltensweisen, die sich auf dem Terrain des sozialen Wissens entwickeln können und müssen. So verhält es sich jedoch nicht. Schon die ganze Zeit haben wir von Logik im strengen Sinn gesprochen. Nur weil wir davon nicht in akademischen Begriffen gesprochen haben, scheint es, als seien wir dem Thema der Logik bis jetzt ausgewichen – noch einmal, so war es nicht. Um also auch in akademischen Begriffen zu sprechen, um zu beweisen, dass auch wir AktivistInnen keine Schwierigkeiten damit haben, die verschiedenen Bereiche der Rhetorik zu durchqueren, sei nun im Folgenden ein Schema angeführt, oder besser gesagt ein „hoher“ Filter dessen, was wir bis jetzt logisch zu entwirren versucht haben. Es handelt sich also eigentlich um eine Zusammenfassung der Vorlesung, die um einige bibliographische Hinweise ergänzt wird.

1. Die Präambel zur Auseinandersetzung mit der Logik als Theorie der Befragung bildet eine Lektüre der Einleitung von Marx (wie wir bis jetzt mehrmals feststellen konnten). Gleichzeitig möchten wir hier auf Logic. The Theory of Inquiry (New York 1936) von John Dewey verweisen. Im Buch von Alan Ryan über John Dewey (Harvard: Harvard University Press 2001) wird geklärt, wie sehr sich die Linien der empirischen amerikanischen Logik und die Linien der Marxschen Logik durchkreuzen. Das Denken von Rodolfo Mondolfo und Sydney Hook erlangt in dieser Hinsicht erneut Aktualität. Hier tritt also die Zentralität der Praxis als epistemisches und politisches Element in den Vordergrund. Darüber hinaus haben wir in dieser Einführung auf dem Verhältnis zwischen Sprache, Rhetorik, Dialog und Erfindung bestanden, so wie diese in den zwei Dimensionen, die uns so nahe stehen, verwoben sind: einerseits der spinozistischen Logik des Gemeinbegriffs und andererseits der Wiederentdeckung des Gemeinbegriffs in der postmodernen Logik (siehe dazu Kairos, Alma Venus, Multitudo).

2. Die Befragung als logisches Dispositiv. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir im Laufe unserer Bemühungen um die Konstitution einer Logik der Forschung stets einen Denkprozess entwickelt haben, der von der Konstitution des Objekts (dies ist das Wesen der Befragung) zur dialogischen Entfaltung der Konstitution des Subjekts (dies ist das Wesen der Mituntersuchung) geht, bis er bei der Definition des konstitutiven Subjekts anlangt. Wir wohnen demnach einer Art Rückkehr vom Objekt zum Subjekt bei. Dies ist immer die Gangart einer revolutionären Logik gewesen, wie Ryan (in seinem Buch John Dewey) anschaulich erklärt und den Übergang vom revolutionären Liberalismus zum New Deal im Amerika der 1920er und 1930er Jahre vereinfachend darstellt. Diese „Rückkehr vom Objekt zum Subjekt“ könnte man aber auf jede revolutionäre Erfahrung beziehen. In den vorangegangenen Vorlesungen haben wir gezeigt, dass die Logik des Subjekts zwischen der Kausalität und der Diskontinuität der Entwicklung lebt. Die Identifikation der Logik des Ereignisses stellt den zentralen Punkt unseres Diskurses dar. In diesem Sinn kann man sagen, dass der „Gemeinbegriff“ (der Begriff) immer zwischen Identität und Differenz hin und herschwankt, dass er aber zwischen Singularität und Gemeinsamem seine Bestimmung erfährt. Wenn aber dies wahr ist, so folgt daraus, dass das Subjekt sich innerhalb eines Prozesses der Produktion von Subjektivität setzt, und zwar als Produktion jeweils bestimmter Zeitlichkeit und Räumlichkeit. Im selben Augenblick jedoch, in dem wir gesehen haben, wie das Subjekt sich in der Produktion des Gemeinsamen herausbildet (also über die Kooperation), unterstreichen wir das Ungenügen der rein logischen Dimension hinsichtlich der Vervollständigung der Befragung. Die Kooperation an sich erklärt noch nicht den Antagonismus, weshalb wir vom Standpunkt des Antagonismus noch einmal beginnen müssen.

3. Die Befragung als ethisch-politisches Dispositiv. In der fordistischen Gesellschaft des Massenarbeiters wurde die Untersuchung von der Praxis der Mituntersuchung als ethisch-politisches Dispositiv verstanden. In der Mituntersuchung waren das epistemologische Dispositiv und das Dispositiv des Militanz und der Agitation eng miteinander verbunden. Diesbezüglich siehe G. Borio, F. Pozzi, G. Roggero: Futuro anteriore. Dai „Quaderni rossi“ ai movimenti globali. (Rom: Derive Approdi 2002). Spricht man von der Befragung als einem ethisch-politischen Dispositiv, dann kommt man nicht umhin, sich mit Problemen der Erkenntnis und erkenntnistheoretischen Problemen zu beschäftigen, im Gegenteil, man versteht sie und ordnet sie innerhalb eines kollektiven Lernprozesses ein. Die Befragung als ethisch-politisches Dispositiv ist in gewisser Weise immer ein Bildungsroman. Das Thema der Bildung der Eliten verflicht sich mit dem Problem der Zentralität der Praxis. Der Prozess der Bildung der Eliten schmiegt sich eng an den Prozess der Organisation des Antagonismus. Klarerweise tun sich hier weitere Probleme auf, die besonders durch Wandlung der historischen Szenerie und der Klassenzusammensetzung noch verschärft werden. Was bedeutet also Befragung als ethisch-politisches Dispositiv in der postmodernen Gesellschaft, also nicht mehr in der fordistischen Gesellschaft des Massenarbeiters, sondern des Prekariats, der Mobilität und Flexibilität der Arbeit, der Immaterialität der Arbeitsleistungen und der Hegemonie der Kooperation? Ich gehe nicht davon aus, dass die Antwort sehr verschieden von der ausfallen wird, die man hinsichtlich der Themen der Mituntersuchung gegeben hat, und zwar vom methodischen Standpunkt und der schrittweisen Herausbildung des Subjekts aus betrachtet. Was mich betrifft, so bin ich diesen Fragen während der 1990er Jahre im Kontext der Zeitschrift Futur Antérieur nachgegangen, die in Paris vom Verlag L'Harmattan herausgegeben wurde. Wer diesbezüglich Interesse haben sollte, den darf ich auf die Ausgaben dieser Zeitschrift verweisen. Was den Prozess der Mituntersuchung innerhalb des Szenarios der Postmoderne und der Kooperation der immateriellen ArbeiterInnen betrifft, siehe A. Negri u. a.: Des entreprises pas comme les autres (Paris: Publisud 1993); bzw. A. Negri u. a.: Le bassin du travail immatériel (Paris: L’Harmattan 1996).

4. Die Befragung und die Logik der Sprache. Ist einmal das Verhältnis zwischen der Untersuchung als Dispositiv und der neuen postmodernen Produktionssituation geklärt, innerhalb deren die Sprache als grundlegendes Mittel der Produktion und Kooperation auftritt, geht es darum, die Bedeutung der Befragung im Bereich der Logik der Sprache neu zu definieren. Paolo Virno hat uns sowohl in Grammatik der Multitude (Wien: Turia+Kant 2005) als auch in Ricordo del presente. Saggio sul tempo storico (Turin: Bollati Boringhieri 1999) vielfältige Horizonte in Bezug auf diese Thematiken eröffnet. Was mich betrifft, so verwende ich zur Vertiefung des Problems der Sprache als Produktionsmittel (zur Herstellung von Kooperation und von Singularitäten) neben den Darstellungen Paolo Virnos die Werke von Bachtin, in denen die sprachliche Konstitution des Realen in stark materialistischen Begriffen analysiert wird.

Es ist klar, dass unsere Methode auf diese Weise zu wenden bedeutet, dass wir aufs Neue einigen großen Themen des Kommunismus gegenüberstehen. Daraus folgt auch, dass unsere Methode der epochalen Alternative gerecht wird, die wir nun auszuarbeiten beginnen, da die Krise des Neoliberalismus als eigene Alternative die Ziele des Kommunismus zum Vorschein bringt: die Wiederaneignung der Unternehmen, die gleiche Verteilung des Reichtums, die kollektive Verwaltung des Wissens usw. Über viele Jahre, seit der großen Krise der Zeit nach 1968, hat man nicht mehr gewagt, von diesen Dingen zu sprechen. Heute beginnen wir wieder darüber zu reden und eine Methode zu entwickeln, die uns an diese Ausdrucksmöglichkeit heranführt, weil uns bewusst ist, dass wir am Ende einer tiefen Krise leben: Entweder droht die Restauration einer harten Vergangenheit, oder es blüht die Hoffnung auf eine neue Welt auf. Es gilt also, zu entscheiden, und die Entstehung des Politischen ist aufs Engste mit dem Problem der Entscheidung verbunden.

Bevor wir jedoch einige Elemente hinsichtlich des Problems der Entscheidung behandeln werden, scheint es angebracht, die Phantasie an diesem Punkt weiterschweifen zu lassen. Wir müssen davon ausgehen, dass in dieser schrecklichen und grausamen Zeit des Übergangs, in die wir eingetreten sind, fast alles möglich ist. Phantasie und Entscheidung müssen deshalb in der Multitude miteinander verwoben werden, im Begehren nach Ausdruck, das die Multitude hervorbringt. Innerhalb dieser Phantasie stellt die demokratische Repräsentation, die uns immer als grundlegendes Element hinsichtlich der Garantie der Freiheiten präsentiert wurde, zumindest eine monströse Mystifikation dar. Das gegenwärtig von der Phantasie der Multitude aufgeworfene Problem ist das der Kombination der souveränen Macht (Potenz) mit dem produktiven Vermögen der Subjekte. Der ganze Diskurs über das Biopolitische, so wie wir ihn bis jetzt entwickelt haben, deutet auf diese Schlussfolgerung hin. Wie aber gelingt es, dieses Begehren der Multitude zu organisieren? Wie ist es möglich, eine andere Demokratie zu erfinden? Eine Demokratie auf nationaler Ebene gibt es nicht mehr. Auf globaler Ebene ist die Demokratie sogar undenkbar. Und doch ist es genau dieses Undenkbare, das heute die Aktualität des Begehrens bildet ... Wir müssen beginnen, in Begriffen der Aufklärung zu sprechen, wir müssen neue Wahlbezirke andenken, die nicht mehr den Nationen entsprechen, sondern das Gesicht der Erde durchqueren, indem sie zwischen reichen und armen Gebieten, zwischen Weißen und Schwarzen, Gelben und Grünen usw. einen Ausgleich suchen, Hybride bilden und deshalb die politischen Grenzen und Schranken auflösen. Damit stellen sie die Gewalt in den Dienst der Konstruktion des Gemeinsamen. Konstitutionelle Phantasie, das braucht es ... Aufklärung, das ist notwendig ... Kommen wir aber zur Entscheidung zurück. Was bedeutet es, das Problem des Verhältnisses zwischen der gemeinschaftlichen Erfahrung der Multitude und dem ethisch-politischen (auch juridischen) Begriff der Entscheidung zu stellen? Meiner Meinung nach kann und muss man über all das an vielen anderen Stellen sprechen, doch kann eine Antwort nur in der Sprache der Bewegung gegeben werden, innerhalb der Bewegung. Andererseits kommt es innerhalb der Bewegung tatsächlich zu einem Reifungsprozess dieser Themen. Die Parteien sind tot und begraben, es sind die Bewegungen, die diese Probleme stellen und Lösungen dafür andeuten. Was das Problem der Entscheidung der Multitude betrifft, so gibt es etwas in diesen Bewegungen, das von Seattle bis heute immer wieder betont wurde: Man spricht nicht mehr davon, die Macht zu übernehmen, sondern davon, die Macht zu bilden, eine andere Macht zu bilden, und auch wenn alle wissen, dass es sich dabei um eine utopische Perspektive handelt, so wissen sie doch auch, dass diese Perspektive durch den schwindelerregenden epochalen Übergang, den wir erleben, notwendig und realistisch geworden ist. Wir können nicht zwei- oder dreihundert Jahre warten, damit die Entscheidung der Multitude verwirklicht wird!

Dies könnte jedoch immer noch geschehen, die Niederlage könnte sich als unausweichlich erweisen ... Dann hauen wir einfach ab! Der Radikalität der konstituierenden Macht entspricht als Alternative der Exodus, ein Exodus, der genauso konstruktiv ist, der positive Formen der Beziehung zwischen Entscheidung und Multitude und insofern zwischen Freiheit und Produktion des Gemeinsamen zum Ausdruck bringt. Wenn wir keine andere Macht bilden können, dann kann die Multitude sich auf Streik, Desertion und Sich-der-Macht-Entziehen verlegen ... Diese Prozesse, die sich zwischen konstituierender Macht und Exodus ansiedeln, sind miteinander verwoben und wechseln einander ab. Sie sind wie Wellen, die aufeinander folgen, diese Entscheidungen der Multitude, sie sind verdammt stark, hart, ein stürmisches Meer bringt sie hervor. Die Multitude erfährt keine Abstumpfung mehr seitens der Macht. Im Gegenteil kommt es zu einem ontologischen Aufstand der Multitude. Wir leben das Biopolitische.


Dieser Text is der zweite Abschnitt des fünften Kapitels von Guide: /Cinque lezioni su Impero e dintorni/, Raffaello Cortina Editore, 2003.