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04 2004

Strategische Operationen

Dorothee Richter

Als Ausgangsthese der Wiener Konferenz "Public Art Policies. Progressive Kunstinstitutionen im Zeitalter der Auflösung des Wohlfahrtsstaats" bestimmte Gerald Raunig die Position von progressiven Kunstinstitutionen als prekär von zwei Seiten aus: einerseits bleibt den AkteurInnen oft nur die Erkenntnis, dass sie entgegen allem progressiven Anspruch innerhalb einer Kunstinstitution immer schon als Teil eines hegemonialen Gebildes handeln, andererseits ist die angestrebte Progressivität zudem dadurch radikal eingeschränkt, dass die knapper werdenden Mittel der Wohlfahrtsstaaten den Vorwand liefern, kritischen Institutionen Gelder zu streichen.[1]

Wie ungeniert derzeit gerade solche kritischen Projekte gekappt werden, wurde u.a. am Beispiel des Kunstvereins Kokerei Zollverein Essen durchgespielt: trotz eingeworbener Kofinanzierung für Projekte wurde den Kuratoren gekündigt und eine der interessantesten, lebendigsten Institutionen in der BRD geschlossen.[2] Dass sogar die Existenz dieser Institution geleugnet werden kann, fiel mir bei der Rückreise von der Konferenz in die BRD auf: im Magazin der deutschen Bundesbahn wurde eben jene Kokerei in Essen vorgestellt, eine Industriebrache des postfordistischen Zeitalters, die Kunstinstitution wurde mit keinem Wort erwähnt, der Artikel fungierte als Promotion für einen "Erlebnispark" - die Kulturindustrie im Dienste mächtiger Interessen, wie gehabt. Im Postfordismus heißt dies wohl: weniger Brot, aber umso mehr Spiele.

Als Prozess der Auflösung gewachsener, selbstverwalteter Strukturen zugunsten von stromlinienförmigen Managementmodellen schilderte Franziska Kaspar das Beispiel der Kunsthalle Exnergasse, den Tagungsort des Symposiums im Kontext des WUK, des größten soziokulturellen Zentrums in Wien. Das Management des WUK hatte in den Jahren davor die Implementierung eines "Matrixmodells" (das ursprünglich für General Electric entwickelt worden war) forciert, das stark hierarchisierte Arten der Zusammenarbeit, eine neue Orientierung am Begriff des Kunden, einen Abbau von Arbeitsplätzen vorsah. Franziska Kasper: "Artikulierte und organisierte gesellschaftliche Interessen, wie gewerkschaftliche, wurden missachtet und Betriebsräte bedroht. Die 'Verdinglichung' der Menschen, ihre Reduktion auf 'betriebswirtschaftliche Rechengrößen' nahm zu. Arbeitsintensivierung wurde synchron mit Vernichtung einiger Erwerbsarbeitsplätze vorgenommen, Organisationsstrukturen 'abgeschlankt' und 'Arbeitskosten' vermindert."

Das Ergebnis der "Matrix" waren auch neue Begehrlichkeiten innerhalb des großen soziokulturellen Zentrums auf den - aus Managementsicht wenig lukrativen - Ausstellungsraum und ein deutlicher Rückgang bei der Beteiligung von Frauen im Vorstand und anderen Gremien. Noch einmal Franziska Kasper: "Zusammenfassend hat es sich für mich so dargestellt, dass per Vorstandsauftrag durch den Geschäftsführer das politische und kulturelle System im Betrieb verformt, Asozialität organisiert und die Geschlechterverhältnisse und die Geschlechterordnung verändert wurden. Das sind Mechanismen, die der kapitalistischen Marktökonomie des Neoliberalismus entsprechen."

Gerald Raunig baute in seinen Ausführungen auf diesen konkreten Erfahrungen der negativen Entwicklung einer sich als progressiv verstehenden Kunstinstitution auf. Im gouvernementalen Setting "regiert" nicht mehr nur der Staat, sondern ein schwer überschaubares Geflecht aus Institutionen und AkteurInnen, im konkreten Fall also nicht nur die reaktionäre österreichische Regierung im Versuch, durch Finanzierungskürzungen emanzipatorische Kunsteinrichtungen abzuschaffen, sondern ein Netz von ausgelagerten Unternehmungen, NGOs und "verantwortlichen" Individuen, hier exemplifiziert an der NGO WUK, die unter ökonomistisch verengter Argumentation eine neoliberale Transformation durchläuft. Raunig: "In der Auflösung des Wohlfahrtsstaats bildet sich ein neuer Bereich des Managements von Mikrosektoren heraus, ein Zwischenbereich zwischen der Regierung durch den Staat und der (Selbst-) Regierung und freiwilligen Selbstkontrolle der Individuen: scheinbar autonome Einrichtungen, NGOs, die unter Schlagwörtern wie "Zivilgesellschaft" und "Staatsferne" als Außen des Staats auf- und angerufen werden, in Wahrheit aber als ausgelagerte Staatsapparate fungieren." Raunig bezog sich zur Verdeutlichung dieser komplexen Sachlage wie schon in der Konferenzbewerbung auf den mehrdeutigen Satz von Deleuze: "Das letzte Wort der Macht lautet, dass der Widerstand primär ist." Die Argumentation des Vortrags zielte damit nicht nur auf die Analyse und Kritik des Status Quo (also "das letzte Wort der Macht"), sondern auch auf Handlungsoptionen, die es den AkteurInnen erlauben, "sich aus der Umklammerung durch den erweiterten Staatsapparat wenigstens temporär zu emanzipieren. Die Auflösung des Wohlfahrtsstaats ist weder ein naturgegebener Prozess ohne AkteurInnen, noch ein linearer Prozess ohne Brüche, Lücken und Falten. Genau in diesen Brüchen, Lücken und Falten besteht die Chance, mehr als den geordneten Rückzug aus den Privilegien des Wohlfahrtsstaats anzutreten."

Während Gerald Raunig - gegen eine Trennung von Bewegung und Institution - auf die "konkreten und vor allem prekären Verbindungslinien zwischen Institutionen und bewegungsnahen aktivistischen Kollektiven" insistierte, äußerte Helmut Draxler ein noch allgemeineres Misstrauen gegen polare Begriffsbestimmungen. Draxler erinnerte daran, dass auch kritische Institutionen wie der Münchner Kunstverein, den er in den 90er Jahren leitete, (auch historisch gesehen) bürgerliche Institutionen sind. Er fragte, inwieweit politisch intendierte Kunst inzwischen Mainstream sei und wie weit man von Widerständigkeit sprechen könne, wenn die Kooptierung von politischen Äußerungen eine verbreitete Marketing-Strategie ist. Die Position von Kunstinstitutionen und deren AkteurInnen kennzeichnete er als zutiefst dialektisch, und demgemäß schlug er ein "Sprechen vom falschen Ort aus" vor. Diesem "Sprechen vom falschen Ort aus" stellte er "das Sprechen vom richtigen Ort" gegenüber, das die Selbstgewissheit der "Wahrheit" in performativen Sprechakten vollzieht und im Extremfall putschistische Fantasien zur Aufführung (weniger zur Ausführung) bringt. Implizit vertrete ein solcher Sprechakt einen Führungsanspruch, so Draxler. Die Argumentation Draxlers erinnerte mich an die Relativierung des historischen Materialismus von Oliver Marchart, der bemerkt: "Das Ziel einer klassenlosen, transparenten Gesellschaft ohne Ausbeutung impliziert für Marx das Verschwinden des Antagonismus. [...] Alle folgenden Theorien, von Foucault über Lefort/Gauchet zu Laclau/Mouffe, dementieren nicht nur die Gültigkeit dieses Postulats, sie erkennen auch dessen totalitäre Implikationen."[3]
Auf der Ebene des Subjekts fordert Draxler, den Blick auf vielschichtige Antagonismen zu richten und die eigene Involviertheit mitzubenennen, anstatt von einem verfestigten Dualismus auszugehen: hier das revolutionäre Subjekt, dort der Staatsapparat. Die Frage wäre - in Anlehnung an eine Aussage Godards - nicht, wie man politische Kunst mache, sondern wie man Kunst politisch werden lässt. Draxler will dabei auf die Unterscheidbarkeit von Politik und Kultur verweisen, dennoch Orte beanspruchen, die Artikulationen von Widersprüchen des Subjekts, der Institution etc. möglich machen.

Als einen solchen Ort stellte Jorge Ribalta das MACBA in Barcelona vor[4]: das Museum macht nicht nur Ausstellungen möglich, die politischen Aktivismus einschließen und anregen, es stellt seine Räume auch für Treffen zur Verfügung, die nicht in Visualisierungen enden, sondern nur dazu da sind, bestimmte Themen zu diskutieren. Dieses Konzept funktioniert parallel zu Ausstellungen traditionellen Zuschnitts. In den Diskussionen am Rande des Symposiums wurde klar, dass dieses Modell in Deutschland oder Österreich eher das Problem einer Vereinnahmung politischer Gruppierungen zu Tage fördern würde; in der spezifischen Situation in Barcelona entwickelte sich das Museum dagegen zu einem Motor für politische Artikulation, die sonst keinen Ort der Diskussion vorgefunden hätte. Ähnlich produktiv erschien das Beispiel des Rooseum in Malmoe[5], das KünstlerInnen über vier Jahre zu Stipendienaufenthalten eingeladen hatte, entlang des Themas "Im Jahre 2052 wird Malmö nicht länger schwedisch sein" zur Migration zu arbeiten. Auch diese Produktionen werden nicht sofort in den Status der Re-Präsentation gezwungen, sondern erst nach Ablauf der vier Jahre der Öffentlichkeit vorgestellt.

Diese Weigerung, Produktionen und diskursive Prozesse sofort in die Verwertungszusammenhänge von Kunstinstitutionen einzuspeisen, also als Ausstellungen zu präsentieren, erschien in einigen Beispielen als eine Strategie der Selbstermächtigung. Marita Muukkonen schilderte etwa die Struktur des NIFCA, einer länderübergreifenden Kulturinstitution der nordischen Länder, als Workshop-Struktur, die es den TeilnehmerInnen möglich macht, sich mit einzelnen Themen tiefgehend zu befassen, und somit beispielsweise den Begriff einer nordischen Identität vor dem Hintergrund der Migration zu problematisieren.

Die im Rahmen der Konferenz vorgeschlagenen strategischen Operationen wie das Verbinden von Eigeninteresse mit einem gemeinschaftlichen Interesse, kooperative Arbeitsformen, kollektive Leitungsmodelle, die Möglichkeit zur Umkehrung von Machtverhältnissen, das Begünstigen von konflikthafter Debatte und des Zugänglichmachens von Diskursen, Plattformen für konfliktuelle Situationen, das Verweigern von Verwertung in Visualisierungen und Spektakel, die Langsamkeit, das ‚Sprechen vom falschen Ort aus' fordern allesamt eine andauernde Entscheidung und Verhandlung der beteiligten Subjekte.

Zudem will mir scheinen, dass die vielfach benannte und befürchtete Kooptierung von Arbeits- und Lebensmodellen einer kritischen Linken durch Managementmodelle des Postfordismus möglicherweise auch in die andere Richtung verlaufen kann. Gerade das eipcp – European Institute for Progressive Cultural Policies – mit seiner transnationalen Ausrichtung, seinem europaweitem Netzwerk, seinen internationalen Symposien entwickelt eine kritische Debatte auf der Folie von Strukturen, die die Europäische Union für Projekte vorsieht und für förderungswürdig hält. In diesem Zusammenhang möchte ich an John Cages Erwiderung auf McLuhans Diktum: "Das Medium ist die Botschaft" erinnern: "Nur soviel: Das Medium ist nicht die Botschaft. Ich möchte Mr. McLuhan ein Wort der Warnung zukommen lassen: reden ist lügen. Lügen heißt mitarbeiten."[6]


[3] Oliver Marchart: Gibt es eine Politik des Politischen? In: Das Undarstellbare der Politik, Hg. Oliver Marchart, Wien, 1998, S.93

[6] John Cage, zitiert nach Buchmann 1995, S.79