04 2008
Sozialzentren: Politische Monster und Maschinen für eine neue Generation von Institutionen der Bewegung
Übersetzt von Tom Waibel
Besetzte Sozialzentren waren in den letzten zwei Jahrzehnten im Kontext europaweiter sozialer Bewegungen verschwindende politische Erscheinungen. In der Phase von 1999 bis 2004 tauchten die Epizentren der Politik außerhalb der Sozialzentren auf: Es war die Zeit* der globalen Bewegung und der Anti-Kriegs-Bewegung**. Erfindung und Versuch brachten unterschiedliche, der strengen Logik der Sozialzentren fremde Gebiete hervor. Es schien, als ob für dieses Dispositiv die Zeit als politische Maschine abgelaufen war. Nach einer bestimmten Zeit taucht nun ein neuer Typus von Sozialzentren auf: öffentlicher Raum neu entstehender Subjektivitäten, Trägerinnen einer neuen Institutionalität, Schöpferinnen von militanter Bildung und Forschung und neuer kultureller und politischer Underground.
Der vorliegende Text versucht sich den Möglichkeiten einer Neuentstehung des als Sozialzentrum bekannten politischen Dispositivs als effiziente Institutionen der Bewegung zu nähern, d.h. als Institutionen der Freiheit, Singularität, Potentialität und radialer Differenz zur Macht.
Erste
Sequenz: Die Erinnerung. Es waren einmal Sozialzentren...
Das Jahrzehnt der 1980er Jahre hinterließ in ganz Europa ein bestimmtes Gefühl von Niederlage und Zykluswechsel. Der zweite Angriff auf das Kapital, angeführt vom Proletariat und den sozialen Kämpfen der 1970er, sah sich angesichts der ökonomischen, politischen und sozialen Verschiebungen, die sich als Überwindung der offenen Krise seit 1973 ankündigten, entwaffnet.
Der Pakt zwischen Kapital und Arbeit in den Nachkriegsdemokratien war im Verfall. Im Rennen um arbeitsmäßige Entortung und soziale Deregulierung übernahm die Finanzmacht die Leitung der kapitalistischen Neuordnung und machte die westlichen Metropolen zu neuen Standorten imperialer Befehlsgewalt. Das industrielle Gewebe des Westens war tödlich verletzt und die urbane Tat erlangte neue Bedeutung. Am Beginn der 1980er wurde die Metropolenrealität zum Szenario, das sich die kämpferischen Bewegungen tendenziell aneignen mussten. Die von neuen sozialen AkteurInnen angeführten Kämpfe mussten die Koordinaten politischer Intervention neu verorten. Wenn in der fordistischen Stadt die Arbeitsverhältnisse einen wesentlichen Teil des Konflikts bestimmten, so waren es in der postfordistischen Metropole die Kämpfe der Nicht-Arbeit, die die neue Krise des Sozialen ausmachen sollten. Die industrielle Umstrukturierung und der Streik warfen ein neues Subjekt auf die Straße, das aller Überlebensrechte beraubt war: No Future Punk, ein Schrei der Wut und vor allem der Wahrheit. Diese Situation führte zu einem fortschreitenden Niedergang des ArbeiterInnensubjekts als zentralem/r ProtagonistIn kämpferischer Bewegungen und überließ die ZeugInnenschaft den vielfältigen Erfahrungen des Sozialen, die sich ihren Weg bahnten. In dieser Lage begegnen wir der StudentInnenbewegung, den streikenden Jugendlichen und den mit Feminismus, Ökologie oder alternativer Kommunikation verknüpften Bewegungen, die die Konfliktszenarien mit den letzten großen Schlachten der ArbeiterInnenbewegung im Kampf gegen die Umstrukturierungsprozesse teilten.
Die zentrale Frage war aber: Wie lässt sich angesichts der im Prozess befindlichen strukturellen Veränderungen und Verschiebungen radikale Politik machen? Wer sollte oder könnte diese Kämpfe verkörpern? Die Mehrheit der Organisationen der extremen Linken war kahl geschlagen und die institutionelle Linke, verbraucht durch ihre Regierungsbeteiligung, war nach dem überwältigenden Sieg des neoliberalen Projekts im Trockendock geblieben.
Damit musste sich jede entstehende Realität einer doppelten Herausforderung stellen, um die Situation zu bewältigen. Einerseits sollte sie sich über den Niedergang der Apparate der radikalen Linken hinwegsetzen und andererseits musste sie eine Bewegung prägen, die sich die während der 1980er im ökonomischen, politischen, urbanen und sozialen Kontext erfahrenen Veränderungen aneignen können sollte. Angesichts dieser Krise gab es viele Antworten, und eine davon war die Neuinterpretation autonomer Bewegungen. Organisiert in freien Radios, Anti-Atombewegungen, feministischen Kollektiven, anarchistischen, autonomen oder Punk und Hardcore Kollektivitäten, begegneten sie als ErbInnen der Niederlage einem zentralen Problem. Die als Abbild und Analogie der neuen neoliberalen Macht geformte Stadt ließ keinen politischen, sozialen, kulturellen oder physischen Zwischenraum, in dem diese Erfahrungen zu wuchern vermocht hätten. In den Städten des Kapitals konkretisierte sich das Existenzrecht nicht im Recht auf Meinung oder Denken; auf eine höchst perverse Weise bedeutete existieren „ein Loch zu besitzen“: in aller Rohheit maß sich die Bewegungsfreiheit in Quadratmetern. Einen Raum zu haben, von dem aus man gegen das System kämpfen konnte, war in der Folge die Bedingung der Möglichkeit, um irgendeinen kämpferischen Entwurf in der Stadt zu schaffen. Aus diesem Grund entstanden die besetzten Sozialzentren.
Tatsächlich hatte das Sozialzentrumsmodell viele Erfolge und gewann wichtigen Raum. Freie Radios, Musikgruppen, Räume politischer Debatten und vor allem Orte, die eine alternative Gesellschaftlichkeit eröffneten, verbanden sich in den besetzen Räumen und breiteten sich als eigene, urbane, verschiedene und innerhalb der anonymisierten Städte wieder erkennbare Subkultur aus. Aber diese gemeinsame und kollektive Stärke, diese ethische und ästhetische Anerkennung, die sich zwischen den Gruppierungen der mit den Besetzungen verbundenen alternativen Linken bildete, hatte auch ihre perverse Seite. In einer Art von Politik der Selbstbestätigung blieben die besetzten Sozialzentren durch die eigenen Kommunikationsformen und Weltbeschreibungen in identitäre Dynamiken eingeschlossen und funktionierten wie eine politische Abspaltung. In dieser Abdrift verengte sich das soziale Umfeld und der Blick richtete sich grundsätzlich auf eine „Wir-Politik“, die ihrerseits Politiken von harter Segmentierung, von Ausschluss und Einschluss und von Innen und Außen hervorbrachte.
Mit der globalen Bewegung begann eine expansive und sehr vitale Phase, in der ein wichtiger Teil der Sozialzentren anfing, Erfahrungen mit anderen Blickpunkten und neuen sozialen Kräften zu machen. Eine Kraft, die sich in den von Regierenden organisierten Gipfeltreffen zeigte und ihre tragischste Episode im Sommer 2001 in Genua hatte. Als generelles Exempel von systematischer, brutaler und maßloser Repression gegen die globale Bewegung war das Gipfeltreffen von Genua eine sehr deutliche Warnung: Der globalisierte Kapitalismus würde auch im Herzen eines Europa des Rechts die etablierte Ordnung mit Waffen verteidigen.
Zweite
Sequenz. Es ist nicht das Ende: Die Sozialzentren kommen wieder
Exkurs. Problem: Die (Nicht-)Schaffung von Institutionen der Bewegung
Aus einer kritischen Perspektive lässt sich behaupten, dass die Bewegung heute, die europaweiten Bewegungen, noch immer unfähig sind, das politische Vermögen produktiv zu machen. Im Unterschied zu dem, was in Lateinamerika passiert, zeichnet sich in Europa nicht einmal in geringfügigen Linien eine Plausibilität postneoliberaler Szenarien ab, zumindest nicht in kurz- oder mittelfristiger Hinsicht. Daher ist es erforderlich, die defizitäre Entwicklung von Institutionen der Bewegung und den Mangel an Räumen zu untersuchen, um eine effizientere Politik zu schaffen, zu befestigen und zu entfalten. Wir vermissen eine größere Präsenz von Institutionen diesen Typs: flexibel, mobil, nomadisch und im Schwarm der Vielheit verankert; aus den Ablagerungen früherer Mobilisierungen entstanden, aus der Kommunikationsfähigkeit der globalen Bewegung***, des vielstimmigen Anti-Kriegs****-Ausdrucks, der Intuition des MayDay-Prozesses und der Bewegungen für neue soziale Rechte.
Hier ergeben sich ausdrückliche Verknüpfungen mit dem von Sandro Mezzadra und Gigi Roggero vorgestellten Problem, dem Organisationsproblem: „Das Netzwerkmodell wird heute in einer eher schwachen Variante praktiziert“,[1] und mit den Überlegungen von Raúl Sánchez über „die Art der Notwendigkeit [...], die die Frage nach der institutionellen Schöpfung [...] stellt.“[2] Wir halten daher fest, dass die Schaffung und Entwicklung solcher Institutionen es ermöglichen würde, sich in Richtung eines starken Netzwerks***** zu bewegen. Die Debatte um die Schaffung solcher Institutionen zu situieren, heißt voll in die Debatten und Praktiken einzutreten, die im Umfeld der Bewegung europaweit entstehen. Unsere Perspektive ist nicht theoretisch, leer oder enttäuschend im Sinn einer Rede über etwas, das nicht existiert, aber existieren könnte; sie fügt sich ganz im Gegenteil in die gegenwärtig angewandten politischen Praxen ein.
Wenn wir angesichts dieser Fakten von Institutionen der Bewegung sprechen, streben wir danach, neuartige, reale und praktische Initiativen zu thematisieren, die im europäischen Kontext entstehen und sich womöglich vervielfältigen. Ohne bisher von zahlenmäßiger Bedeutung zu sein, sind sie doch Fluchten der Wiederholung, monströse Erfindungen, die ein neues politisches Feld anzeigen, das im realen sozialen Feld erforscht und zugleich auf die Probe gestellt wird. Wir halten folgende Merkmale an ihnen fest:
1. Sie sind Laboratorien einer stabileren Begegnung von Singularitäten, die im gegenwärtigen Zyklus eine unterschiedliche politische Stimme angenommen haben und annehmen. Stabilität in diesem Sinn entsteht aus einer starken taktisch/strategischen Setzung: Sie ermöglicht neuartige Hybridisierungen dieser Singularitäten, bringt unterschiedliche Subjektivierungen hervor und ordnet sie neu an. Gleichzeitig handelt es sich in Momenten großer Zerstreuung und Fragmentierung sozialer Bindung um Räume, in denen Zeugnis über Situationen, Begehren und Projekte abgelegt wird, die das gemeinsame Leben, die gemeinsame Dimension der Singularitäten wachsen lassen.
2. Es sind Räume mit ökonomischen Ressourcen, die ein biopolitisches UnternehmerInnentum in Gang setzen und darauf drängen, die politische Aktivität auf einer realistischen und zugleich kreativen und virtuosen Ebene zu situieren. Hohe Kreativitätsniveaus und Kooperationskreisläufe erweisen sich als fähig, teilweise in die Produktion eines monetären Überschusses übersetzt zu werden, der auf virtuose Weise in Umlauf gebracht wird: Eine „Wohlfahrt****** von unten“, wenn auch auf niedriger Stufe, mit dem Ziel, die kollektiven Projekte noch mächtiger zu machen.
3. Sie situieren die Produktion eines kritischen Diskurses und die Initiativen zur Selbstausbildung, die wir mit Sergio Bologna „die Konstruktion eines immunologischen Systems durch eine kollektive Intelligenz“[3] nennen können, in einem Knotenpunkt. Forschung, Seminarzyklen und Diskussion werden zu konstitutiven Elementen, aus denen sich diese politischen Schöpfungen zusammensetzen: Ein wahrhafter Magnet für jene Subjektivitäten, deren Wissensproduktion der staatlichen oder marktbestimmten Regulierung entwischen möchte (ProfessorInnen, StudentInnen, SpezialistInnen, ForschungsstipendiatInnen, etc.).
4. Sie sind Institutionen, weder private noch öffentliche, die mittels variabler Geometrie Typologien gemeinschaftlicher Schöpfung ausprobieren. Sie planen noch nie da gewesene Kooperationen mit kulturellen, politischen oder akademischen Institutionen, um sowohl Unterstützung für verschiedene laufende Projekte als auch Verschaltungen zwischen und ausgehend von neuen Kooperationen hervorzubringen; sie versuchen die lähmende Dichotomie zwischen Repräsentationspolitik und individualistischer Vereinzelung zu überwinden, und sie setzen die Fähigkeit der reichhaltigen sozialen Netzwerke in Wert, um das Gemeinsame durch eine poststaatliche Institutionalität hervorzubringen.
Zweifellos gibt es unterschiedliche Typologien von Institutionen der Bewegung (Publikationsprojekte, transnationale Magazine, mobile/nomadische Universitätsdispositive, Hacker-Laboratorien...). Eine davon ist die Schöpfung, die wir als Sozialzentrum kennen, die, wie wir vorher feststellten, am häufigsten wiederholte Ausdrucksform der europaweiten Bewegung, da sie in praktisch allen großen Metropolen vorhanden ist. Es handelt sich um eine anomale Institution, deren Dynamik bedeutende Gefüge von Personen mit unterschiedlichen Geometrien des Einschlusses formt.
Wenn wir diese besondere Position während der letzten drei Jahreberücksichtigen, genau nach der Krise der globalen Bewegung und dem Versuch, sie durch die Reterritorialisierung der politischen Epizentren zu überwinden, stellen wir eine relative Entwicklung der Sozialzentren hin zu singulären Institutionen der Bewegung mit besonderen Merkmalen fest. Daher werden wir einige Aufgaben skizzieren, die wir für unumgänglich halten für deren Konsolidierung als Institutionen, Schöpfungen und letztlich als Kriegsmaschinen.
Ende
des Exkurses. Es folgt Sequenz 2. Merkmale der neuen Sozialzentren
In den letzten Jahren haben diese Räume in einem doppelten Prozess von Konstruktion und Dekonstruktion operiert: Die Motive der Dekonstruktion finden sich in der zeitlichen Begrenztheit einer Form von identitären Sozialzentren, die unfähig waren, mit neu entstehenden politischen Subjektivitäten in Austausch zu treten. Diese Sozialzentren waren angesichts des neuen Virus, der die Politik überschwemmte, kaum zur Ansteckung bereit. Die Motive der Rekonstruktion finden sich im Gegenteil in der Nicht-Körperlichkeit von Bewegungen und bestehenden Netzwerken jenseits der Verkrampfungen, so heftig diese auch sein mögen: Es beginnt eine Neukonstitution von Sozialzentren, die tatsächlich in der Lage sind, die neuen sozialen Protagonismen zu katalysieren. Die Zentren werden zur brauchbaren Schnittstelle für eine zeitgemäße metropolitane Politik, die in ihren Mitteln und politischen Dispositiven Durchlässigkeit und Verführung anstrebt, um ein neuartiges Repertoire von Vorschlägen und Aktionen zu verdichten. In einem ersten Moment dekonstruiert sich das Dispositiv und lässt sogar die klassische Form der Sozialzentren verfallen, um daraufhin zur Aktualisierung derselben als nützliches Werkzeug zu gelangen.
Diese Rekonstruktion wird wahrscheinlich, wenn die Zentren zu Räumen der Begegnung von vielfältigen Formen politischer Entwicklung werden. Aufgrund der in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts entstandenen Bewegungen haben wir festgestellt, dass diese Vielen, die in der öffentlichen Sphäre orchestriert handeln, tatsächlich Multitude genannt werden können. Die daraus entspringende politische Aufgabe besteht darin, solidere und produktivere Kooperationsformen des vielfältigen und pluralen Subjekts zu denken und auszuprobieren, die in der Lage sind, die unterschiedlichen Horden und Subjektivitäten, die die Form der Multitude ausmachen, über konkrete Codes festzulegen.
Daraus entwickeln sich die neuen Sozialzentren im Rahmen der Konstruktion einer Grammatik der Multitude als soliderer und stabilerer Raum der Begegnung. Der Verlauf bestand darin, aus der Durchlässigkeit ein Unterscheidungsmerkmal zu machen und damit verführerische Räume und Dynamiken zur Einbindung von Gruppen zu schaffen, die mit Geschichte und Praxis der Sozialzentren nicht unmittelbar verknüpft sind. Auf diesem metropolitanen öffentlichen Platz werden unterschiedliche Dispositive geschaffen, die die biopolitische Maschine der Sozialzentren und damit konsequenterweise das Gemeinsame hervorbringen: der Punkt des Exodus, der Flucht aus der metropolitanen Ausbeutung; eine Fabrik der künftigen, sich bildenden Klasse.[4]
1. Die Gestaltung eines stabilen, auf ihr urbanes Territorium bezogenen, kulturellen Programms. Ateneu de Nou Barris in Barcelona ist eine der fortgeschrittensten Erfahrungen. Die Hip-Hop-Schulen von Ateneu Candela (Terrassa), der Patio Maravillas (Madrid), das Centro Social Seco (Madrid) oder die Casa Invisible (Málaga) und deren Fähigkeit, hunderte von anonymen Schaffenden anzuziehen, illustrieren diese kulturelle Dichte ebenfalls. All das ist ein Beweis eines zunehmenden kulturellen Protagonismus als Träger von lebendiger Arbeit im kulturellen Bereich: Ein kreatives Dispositiv, das die Schöpfung als Akt von Widerstand, Affirmation und gemeinsamer Produktion in Szene setzt.
2. Veröffentlichung im Kulturbereich mit Lizenzen für Open Culture, Creative Commons oder Copy-Left. Im metropolitanen Rahmen einer wachsenden Vermarktung und Vereinnahmung entstehender kultureller Formen mit zunehmendem Gewicht auf urbane Governance wird das Sozialzentrum zum anderen Modell, das Kultur nicht nur produziert, sondern auch mit anderen Logiken produziert, die Wiederholung nicht nur ermöglichen, sondern auch anregen. Damit stehen wir einem institutionellen Dispositiv der Bewegung gegenüber, das das Schema G–G’, den Vorrang unendlicher Kapitalakkumulation durch die unendliche Akkumulation des Begehrens nach Freiheit und Schöpfung ersetzt.
3. Die neuen Sozialzentren sind metropolitane Räume, die sich durch die Schaffung von Kreisläufen der Selbstausbildung und militanten Forschung auszeichnen, um im Rahmen einer Neuzusammensetzung der kognitiven Arbeit anomale und nomadische Formen des gemeinsamen Lernens zu entwickeln. Damit öffnen sie Dispositive in Form von Wissensnetzwerken, die die Universitäten des Kognitariats vorwegnehmen, postmoderne Universitäten von selbst bestimmtem technologischem, anthropologischem und politischem Lernen ebenso wie von Subversionsmechanismen im großen Stil.[5]
4. Die Konstitution heterolingualer Dispositive.[6] Die europäische Metropolis beweist sich als vollständig postkolonial, als eine Vielheit von BürgerInnen, die nicht dazugehören. Die Sozialzentren situieren sich auf dieser Ebene und werden zu Räumen von Grenze und Vermischung, die sich als Kämpfe gegen jede Verflechtung mit nationaler Identität bestimmen, sei sie dominant oder angeblich „subaltern“. Diese Sozialzentren werden zu Barbarinnen, die auf einen radikalen Kosmopolitismus innerhalb einer „Definition von BürgerInnenschaft“ setzen, „die nicht mehr an den Nationalstaat gebunden, sondern bedingungslos und universal sein wird“.[7] Es öffnen sich Dispositive, die diesen Exodus, diese vermischte metropolitane Kultur ermöglichen: ein Dispositiv, das in der Hybridisierung und der postnationalen Identität eine immanente Geste der neuen Klassenzusammensetzung sieht, die sogar in der Lage ist, die Angstproduktion und die von Sicherheit beherrschte Governance der europäischen politischen Klasse zu überleben.
5. Neue Formen von sozialem Syndikalismus: Sozialrechtsbüros, prekäre Agenturen und Beratungswerkstätten, die versuchen, die singulären und gemeinsamen Aussageformen des prekären Lebens zu artikulieren. Sie sprechen von Arbeit, BürgerInnenschaft, Wohnung und Leben, von der Vielfalt zeitgenössischer Ausbeutung. Sie stützen ein Dispositiv von politischer Aussage und Kampf, das der Epoche des General Intellect entspricht und das Kooperationsnetzwerke auf der Grundlage besonderer Kenntnisse schafft. Die Sozialzentren fördern die informellen Momente, in denen die singuläre Verwerfung der Prekarität gemeinsam erfahren wird, Ratschläge in Umlauf gebracht werden, der Konflikt ent-individualisiert wird und damit die beste Tradition der Arbeiterkneipen und informellen Räumen der Klassenbildung wieder aufgenommen. Wir stehen daher einem Dispositiv gegenüber, das auf rekombinante Weise agiert, eine proletarische Selbstorganisation neuer Subjekte, die neue soziale Rechte einfordern, Rechte auf Ausbildung, Mobilität und Unterhalt.
6. Letztlich setzen diese Orte wichtige Experimente von Ermächtigung und sozialem Protagonismus im Territorium in Gang: Ein taktisches und posttraumatisches Verhältnis zu Macht und Repräsentationspolitik, das es ermöglicht, Kooperation, militantes Wissen, Allianzen und öffentliche Legitimität auf konkrete Errungenschaften hin auszurichten, um sich im metropolitanen Szenario als AkteurInnen zu situieren. Das ist der Fall in den virtuosen Verhandlungen zur Verteidigung besetzter Räume (Seco, Madrid; La Escalera Karakola, Madrid; La Casa Invisible, Málaga), in der erzwungenen Neuverteilung öffentlicher Mittel (Ateneu Candela, Terrassa) und in der Konfliktproduktion angesichts staatlicher Gewalt (Casas Viejas, Sevilla; Ungdomshuset, Kopenhagen).
Die Rekonstruktion von und die Begegnung und Konspiration mit den erwähnten Dispositiven erlaubt es, die Sozialzentren nicht aus der Defensive zu charakterisieren, als Rückzugsgebiete von NostalgikerInnen oder Erzürnten, sondern ganz im Gegenteil: Sie werden zu offensiven Dispositiven, wuchernden Kriegsmaschinen und Molekülen neuer sozialer Gegenmächte. Auf diese Weise werden sie zu einem Gefüge gegen die metropolitane Ausbeutung und das ist ihre bedeutendste Charakteristik: Innerhalb der Vielheit der Subjekte begegnen sie durch der Konstruktion und Entwicklung von Räumen etwas Gemeinsamen, den Sozialzentren, die einen Exodus vorschlagen, ein anderes Dasein in den Metropolen, einen anderen Gebrauch der besonderen Verbindlichkeit des General Intellect, um Räume von Genuss, Freiheit, Voice und Exit zu schaffen.
Wir stehen daher einem jener Experimente gegenüber, die eine produktive Übung gegen die Ausbeutung darstellen, die ein neues soziales Recht, ein neues metropolitanes Recht ankündigen und praktizieren: Das Recht, die Metropolis zu bewohnen, sie auf andere Weise zu deuten und ein effizientes Molekül des Lebens hervorzubringen. Dieses Recht wird durch unterschiedliche, einer variablen Geometrie eigenen Modalitäten eingenommen und verteidigt: Viele dieser Sozialzentren entstehen aus der Besetzung, gehen aber darüber hinaus, um der Ausbeutung diesen Raum durch unterschiedliche Verhandlungsformen mit den Verwaltungsinstitutionen abzugewinnen. Daher handelt es sich beim Sozialzentrum als sozialem Recht um eine konstituierende Praxis, die wir als Ausübung des Gemeinsamen anerkennen müssen.
Schließen wir, indem wir drei Hypothesen vorschlagen, deren Entfaltung wir für wünschenswert halten, um einen Qualitätssprung im politischen Einsatz zu machen, den die Sozialzentren ankündigen.
Hypothese 1. Diese Begegnung und Konspiration unterschiedlicher Gruppierungen, die sich ausgehend vom Dispositiv Sozialzentrum ergibt und die von Mobilisierungen, Kampagnen und gemeinsamen Zeitplänen begleitet wird, ist ein Fortschritt in der praktischen Definition von Klasse als vielfältigem Subjekt, das nach eigenen Formen von Organisation und Kooperation sucht. Durch den Versuch, die gegenwärtig vereinten Ausbeutungsformen zu entlarven, kommt man sowohl auf empirischem Gebiet als auch im Wissen um die Praktiken voran, die dieser Realität entwischen. In der Reflexion über eine neue Generation von Sozialzentren erscheint uns das ein zentraler Punkt: Nach den vielfältigen Formen politischer Aktion, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, werden diese Zentren zu organisatorischen Experimenten von Klasse, d.h. zu einer gemeinsamen politischen Aktion dieser Vielheit. Das Sozialzentrum begreift sich als eine Kriegsmaschine, fähig Initiativen zu starten, die in der Lage sind, eine neue Art von sozialen Rechten einzufordern, zu entwickeln und zu erfinden. Debatten, die unweigerlich dazu führen, ein Programm von Forschung und Befragung über die metropolitane Fabrik zu entwerfen, in deren Innerstem diese Sozialzentren und ihre Verbindung mit neuen Formen metropolitaner Politik hervorgebracht werden.
Hypothese 2. Die Schaffung von neuen Sozialzentren zeigt die Plausibilität einer radikalen und zugleich realistischen Politik im metropolitanen Kontext. Sie ist in keinerlei Hinsicht die Einzige. In den letzten zwei Jahren beobachten wir neue Ausdrucksformen, die es ermöglichen, ein neues politisches Werden für die jetzige Zeit zu erahnen,[8] die sich mit weniger bemerkbaren Formen verbinden, aber dennoch Politiken der Ablehnung metropolitaner Governance sind. Ein Werden, das sich im Fall Spaniens in der Periode von 2004–2007 [der ersten Legislaturperiode der Regierung von Rodríguez Zapatero] nicht in seiner ganzen Klarheit erkennen ließ. Das neue Szenario, das die aus den neuen Wahlen entstehende Regierung eröffnen wird, muss dazu benutzt werden, das Entstehen von verwegeneren, länger andauernden, geduldigeren und gleichzeitig ungestümen und virtuosen Bewegungen deutlich zu stärken, die fähig sind, einen langen, fruchtbaren, glücklichen und genussvollen Zyklus hervorzubringen, der die Batterie neuer sozialer Rechte, widerständiger Macht des Lebens, Wiederaneignung des Wesentlichen für das Leben (Wohnung, Fürsorge, Ausbildung, Mobilität, Unterhalt...) in die öffentliche Sphäre einbringen soll. Uns scheint, dass eine intensive Kooperation durch neue Vokabularien, neue Praktiken, neue gemeinsame programmatische Diagramme und Gestaltungen wünschenswert ist, um diesen Rahmen Realität werden zu lassen, darunter auch die Sozialzentren und die entstehenden Politiken, die als Antrieb eines neuen metropolitanen Exodus agieren sollten.
Hypothese 3. Auf die Sozialzentren zurückkommend stellen wir fest, dass sich die neue Dimension dieser Räume in verschiedenen metropolitanen Räumen Europas offensichtlich in unterschiedlichen Abwandlungen produziert. Es scheint uns, dass es für die Agenda der Bewegung wünschenswert und angemessen ist, eine spezielle Konferenz zu organisieren, um die europäischen Kooperationsformen zwischen Sozialzentren, transnationalen Kreisläufen der Selbstausbildung, gemeinsamer kultureller Programmierung und, warum nicht, soliden Formen von Austausch des Typs „Erasmus für/mit sozialen Bewegungen“ auszuprobieren. Das sollte ein Experiment sein, um das metropolitane Recht auf Sozialzentren im europäischen Maßstab zu situieren und zu artikulieren, eine Forderung und Praxis ersten Ranges, die Teil der Batterie neuer sozialer Rechte bilden wird.
Es scheint uns, dass diese Merkmale und Hypothesen die Sozialzentren als noch nie da gewesene, monströse Institutionen im metropolitanen Kontext bestimmen. Die Sozialzentren neuen Typs sind definitiv Experimente von neuen Institutionen. In diesem Sinn, und sicherlich ohne sie zu überschätzen oder zu fetischisieren, bringen sie Antworten für die aktuellen sozialen Bewegungen hervor. Sie sind Institutionen, die – wie andere in anderen Bereichen – neue autonome Räume schaffen, und ihr Vermögen liegt in der Fähigkeit zu Zusammenarbeit und Kooperation mit Kämpfen, die sich derzeit entfalten: Heute für den Zugang zu Wohnungen oder für die Rechte von MigrantInnen. Und Morgen für kommende andere, die aus dem Kontext entstehen, von dem wir hoffen, dass er ein Ende nimmt, dem des neoliberalen Kapitalismus.
Die
Autoren dieses Texts beteiligen sich an unterschiedlichen politischen
Erfahrungen (Publikationsprojekt Traficantes de Sueños, Universidad Nómada...) und
insbesondere an den Sozialzentren (Seco in Madrid, Casa Invisible in Málaga,
Ateneu Candela in Terrassa...). In diesem Sinn will der Text keine persönliche
Erklärung sein, sondern möchte Fragen ausdrücken, die einen Teil dessen, das
wir Bewegung nennen, beschäftigt. Daher knüpfen die in diesem Dokument
angestellten Überlegungen an derzeitige Debatten mit vielen Genossen und
Genossinnen, Freunden und Freundinnen an. Es ist unmöglich alle Namen zu
nennen. Dennoch wollen wir Carla Urbach und Joan Miquel Gual besonders erwähnen
und unsere sehr innige Wertschätzung für die Kommentare und Vorschläge
ausdrücken, die sie uns nach der Lektüre einer der Entwürfe dieses Textes
geschickt haben.
* im Original ital. (Anm. d. Übers.).
** im Original engl. (Anm. d. Übers.).
*** im Original engl. (Anm. d. Übers.).
**** im Original engl. (Anm. d. Übers.).
[1] Sandro Mezzadra und Gigi Roggero, „Singularization of the Common: Thoughts on the Crisis of the Movement of the Movements“, in: turbulence. Ideas for movement, 2003 (http://www.turbulence.org.uk/singularisationo.html).
[2] Raúl Sánchez Cedillo, „Zu neuen politischen Schöpfungen. Bewegungen, Institutionen und neue Militanz“, übers. v. Tom Waibel, in transversal: Instituent Practices Juli 2007 (http://eipcp.net/transversal/0707/sanchez/de).
***** im Original engl. (Anm. d. Übers.).
****** im Original engl. (Anm. d. Übers.).
[3] Sergio Bologna, „Proteger la mente o sobre la autoformación política“, in: Crisis de la clase media y posfordismo, Madrid: Akal, Colección Cuestiones de Antagonismo 2006.
[4] Vgl. die Textsammlung La Classe a Venire, in Rom: Posse, November 2007 (http://www.posseweb.net).
[5] Denken Sie an die Université Ouverte (http://www.cip-idf.org/rubrique.php3?id_rubrique=306), Libera Università Metropolitana (http://www.escatelier.net/), Universidad Nómada (http://www.universidadnomada.net).
[6] Sandro Mezzadra, „Leben im Übergang. Zu einer heterolingualen Theorie der Multitude“, übers. v. Tom Waibel, in: transversal: translating violence, November 2007 (http://translate.eipcp.net/transversal/1107).
[7] Judith Revel, „Nuevas experiencias de organización“ (http://estrecho.indymedia.org/newswire/display/68245/index.php).
[8] Vgl.: V de Vivienda [W wie Wohnung], http://www.vdevivienda.net. Es gibt andere Initiativen, die, obwohl weniger bekannt und wahrnehmbar, eine neuartige Form politischer Aktion ankündigen: Die Initiative der Mütter, die Rechte und Anerkennung der Kinderfürsorge einfordern (vgl.: http://www.stylofoam.com/marato/cast/index.html); die Mobilisierungen universitärer StipendiatInnen (vgl.: http://uabprecarietat.wordpress.com); oder der Protest der BusfahrerInnen in Barcelona (vgl.: http://comitedescansos.blogspot.com).