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07 2012

Mehrsprachig, aber monolingual?

Ansprüche und Widersprüche der pädagogischen Praxis im Fach Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung

Rubia Salgado

„Die Besetzung der hegemonialen Sprache: zum Beispiel Deutsch. Ecke um Eckchen anbeißen, langwierige langatmige lustvolle Arbeit an der Sprache der Anderen. Anthropophagisches Lernen der dominanten Sprache. Das Verzehren der dominanten Sprache als Antwort auf die Aufforderung, diese zu erlernen. Die Sprache nicht als Heimat betrachtet. Sondern heimatlos in der deutschen Sprache zu leben, oder besser: sich der Idee der Heimat zu entledigen und die Sprache zu besetzen und zu gestalten. Nicht Bewohnen als Verb ausgewählt, sondern Besetzen. Antagonistisches Handeln. Die Sprache als Mittel zur Mutmaßung einer veränderten Realität. Anthropophagische Utopie. Durch die Sprache, die Welt in die Welt setzen. Verändert. Antagonistisches utopisches Handeln in und mit der Sprache, in und mit der hegemonialen Sprache. Distanz als nützliche Voraussetzung einsetzen und auf einer Metaebene die Sprache in ihrer konstitutiven Funktion im Verhältnis zur Realität erfassen. Ein Sprechen und ein Verhandeln und ein Reflektieren von Sprache, die verändernd auf die Wirklichkeit, in der sie stattfinden, zurückwirken. Performativität. Und Anthropophagie“ (Salgado 2011).

Die Ausgangbasis für eine Annäherung an das Thema der Konferenz „Eine Kommunalität, die nicht sprechen kann: Europa in Übersetzung“, bildete das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Deutsch als Zweitsprache als kritische Bildungsarbeit“. Zentrale Fragestellungen des Projektes bezogen sich auf das Spannungsfeld in der pädagogischen Praxis im Fach Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung. Diese Praxis verfolgt einerseits das Ziel, die lernenden Migrant_innen an vorherrschende Strukturen und Normen anzupassen und stellt andererseits den Anspruch der Ermächtigung, der Selbstermächtigung und der Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Lernenden. Die vermutete Gegensätzlichkeit der beiden Ansprüche wurde problematisiert, indem  Konzepte der Ermächtigung und Selbstermächtigung kritisch hinterfragt wurden, die die Handlungsfähigkeit der lernenden Migrant_innen im Kontext von Neoliberalismus und Migrationsgesellschaft zu erweitern suchen. Dieses Projekt wurde von maiz – Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Linz/Oberösterreich – in Kooperation mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck und dem Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Institut für Germanistik der Universität Wien im Jahr 2011 durchgeführt.

Bevor ich über das Projekt berichte, möchte ich den Ort meines Sprechens, Schreibens und Denkens darstellen. Oder es versuchen:

Wenn ich über die Arbeit im Feld Deutsch als Zweitsprache (DaZ) spreche, wiederhole ich immer wieder, dass mein Referenzort die Praxis ist – eine als Aktion und Reflexion verstandene Praxis. Von hier aus und in ein Kollektiv eingebettet werden Herausforderungen erkannt und als solche benannt. Es werden Fragen aufgeworfen, theoretische Ansätze und Positionen weitergedacht, verarbeitet, verschränkt, entfaltet und mit der Erfahrung in Beziehung gebracht. Erkenntnisse ergeben sich. Manchmal. Perspektiven für politische Handlungen und Interventionen werden entworfen. Oder nicht. Andere Fragen entstehen. Immer wieder.

Im Denken, Sprechen und Schreiben über die Prozesse der Forschungsarbeit formuliere ich ein Wir, das mich in die Gruppe der im Forschungsprojekt Interviewten inkludiert und gleichzeitig auf ein Nicht-Dazugehören hinweist. Ein sich hinterfragendes Wir. Wir und ich als Migrant_in bilden hier den Plural. Nicht essentialistisch. Strategisch.

Ich spreche, schreibe, denke nicht über die DaZ-Lehrer_innen nach, sondern über uns DaZ-Lehrer_innen in Hinblick auf unsere professionelle pädagogische Aktivität. Die Bildung eines Wir ist ein Angebot an die Reflexivität und gleichzeitig eine Herausforderung zur Reflexivität. Unter anderem, indem meine Anwesenheit als ich, Migrant_in, in diesem Wir nicht als Alibi, sondern als Hinweis auf eine strukturelle Leere fungiert und dort stört. Und gleichzeitig einlädt, ein Angebot macht. Dialog.

Ein Wir, das hinterfragt und stört.

Denn es gibt kaum Migrant_innen als Unterrichtende im Feld.

Ein Wir, das sich hinterfragt und stört.

Denn das Wir wirft forschende Blicke auf geläufige Selbstverständlichkeiten unserer alltäglichen professionellen Handlungen als DaZ-Lehrer_innen. Und enthüllt dabei Praxen, die unreflektiert Vorherrschendes reproduzieren. Und es enthüllt im eigenen Sprechen, wie ungleiche Machtverhältnisse in der Migrationsgesellschaft fortgesetzt werden und wie die eigene privilegierte Position unhinterfragt bleibt.

Das Wir hinterfragt sich, bemüht sich um Reflexivität und Selbstreflexivität, es ist aber auf keinen Fall selbstdestruktiv. Es erkennt unsere professionelle Kompetenzen an und unser Wissen, unseren Mut, unser Engagement. Und es verstärkt sie, indem es versucht, bestehende Räume des professionellen Dialogs und der Auseinandersetzung zu erweitern.

Dieses durch die Leere unterbrochene Wir lädt zum Dialog ein.

Somit komme ich zurück zum Projekt. Das Projekt war der erste Schritt zur Entwicklung bzw. der Rekonzeptualisierung eines Curriculums für Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung und zur Erstellung didaktischer Materialien und eines Fortbildungskonzeptes für DaZ-Lehrer_innen in Österreich. Im ersten Projektteil (2011) erarbeiteten wir Grundlagen für die zukünftige Entwicklungsarbeit. Wir untersuchten theoretische Konzepte, die aktuellen DaZ-Angeboten in der Erwachsenenbildung zu Grunde liegen, und deren praktische Umsetzung (in Österreich). Die hier vorgestellten Überlegungen gehen auf 13 Gruppen- und Einzelinterviews mit 25 Unterrichtenden und Projektleiter_innen in vier verschiedenen Bundesländern zurück.

Bei der Auswertung des Materials, das im Projektteil von maiz gesammelt worden war, wurden unterschiedliche Themen in ihren An- und Abwesenheiten erkannt, kartographiert, analysiert und interpretiert. In diesem Beitrag werde ich den Blick auf das Thema der Mehrsprachigkeit richten und von den Analysen und Interpretationen erzählen, die zu diesem Thema im Rahmen des Projektes durchgeführt wurden. Außerdem werde ich das Konzept der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, wie es Paul Mecheril und Inci Dirim formulieren, in Beziehung zur Idee der heterolingualen Adressierung setzen, wie sie von Naoki Sakai vorgeschlagen wird. Und ich werde nach möglichen Konsequenzen für ein weiterführendes Denken der pädagogischen Praxis im Feld DaZ suchen.

Mehrsprachigkeit, aber monolingualer Habitus

Die Aussagen der Lehrenden zum Thema Mehrsprachigkeit wurden in Zusammenhang mit den Ansprüchen und Widersprüchen der pädagogischen Praxis im Feld DaZ interpretiert, die in der Analyse der Daten deutlich wurden.

In allen Interviews wird dem Erlernen der hegemonialen Sprache Deutsch eine besondere Bedeutung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Gestaltung eines selbstbestimmten Lebens in Österreich beigemessen. Ein Überblick über die wiederkehrenden Aussagen zum Verhältnis zwischen Ermächtigung und Erlernen der dominanten Sprache kann folgendermaßen strukturiert werden:

  • Deutsch lernen ermächtigt, weil die Lernenden dadurch „handlungsfähig(er) werden bzw. gemacht werden“;

  • Deutsch lernen ermächtigt, weil die Lernenden dadurch „selbstbestimmter leben“;

  • Deutsch lernen ermächtigt, weil die Lernenden dadurch „mehr Selbstvertrauen“ erlangen;

  • Deutsch lernen ermächtigt, weil die Lernenden dadurch „einen Platz in der Gesellschaft finden können“.

Diesen Ansprüchen stehen Widersprüche gegenüber, die im Forschungsbericht näher beleuchtet werden. In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf den ersten hier erwähnten Anspruch/Widerspruch, da er auch Mehrsprachigkeit zum Thema hat. Aber noch ehe ich das Thema Mehrsprachigkeit behandle, möchte ich hier ein bestimmtes Bild diskutieren, das in den Aussagen der Lehrer_innen und Projektleiter_innen immer wieder vorkam, wenn es um das Ziel der Erweiterung der Handlungsfähigkeit ging.

Die Aussage, dass Deutschkenntnisse benötigt werden, um „nach Außen gehen zu können“ oder „draußen handlungsfähig zu sein“, erscheint wiederholt in Zusammenhang mit der Idee der Ermächtigung durch die hegemoniale Sprache. Hinausgehen wird als Verlassen eines imaginierten Innen präsentiert. Der Deutschunterricht wird durch das Ziel der Befähigung zum selbständigen Handeln im Außerhalb eines imaginierten Innen charakterisiert. Eines imaginierten Innen der Unselbstständigkeit. Aber auch der Deutschunterricht wäre demzufolge ein Innenraum – oder vielleicht ein Zwischenraum. Der Innen- oder Zwischenraum „Deutschunterricht“ wird einerseits durch die vorausgesetzte Unfähigkeit der Lernenden legitimiert, das Leben draußen selbstständig zu leben, erleben, organisieren, strukturieren, gestalten usw., und anderseits durch das Ziel der Befähigung der Lernenden.

Die Beschreibung oder die Benennung eines Innen kommt in den Interviews nicht vor. Es wird nur das Außen benannt: es handelt sich um den öffentlichen Raum mit seinen Plätzen, mit seinen Orten des Konsums und mit Institutionen, wie der Schule, dem Krankenhaus, der Ordination der Ärzt_in oder kulturellen Einrichtungen. Allen gemeinsam ist, dass sie innerhalb ihrer Grenzen eine bestimmte Fähigkeit zu selbstständigem Handeln voraussetzen. Diese Fähigkeit zu selbstständigem Handeln innerhalb dieses hegemonialen Außen wird den lernenden Migrant_innen (nicht durchgehend, aber in den meisten Interviews) abgesprochen, vor allem, weil sie die hegemoniale Sprache nicht oder nicht ausreichend beherrschen würden. Die Beschreibung des Außen als monolingual strukturierter Raum, der in einem Akt der Selbstständigkeit zu betreten ist, wird vor dem Hintergrund westeuropäischer feministischer und antirassistischer Forderungen nach Teilhabe und Mitgestaltung des öffentlichen Raums/des öffentlichen Lebens entwickelt. Aus einer postkolonialen feministischen Perspektive kann dieser öffentliche Raum als ein notwendiges Außen (oder genauer gesagt ein als notwendig oktroyiertes Außen) gelesen werden. Das (vermeintlich feministische) Ziel der Befähigung zur Interaktion im öffentlichen Raum ist gekoppelt damit, dass den lernenden Migrant_innen die Fähigkeit abgesprochen wird, sich trotz geringer Kenntnisse der hegemonialen Sprache selbstständig im öffentlichen Raum zu bewegen und dort in soziale Interaktion zu treten. Diese Zielsetzung könnte auf einem „Wissen“ von der Notwendigkeit und Richtigkeit einer bestimmten Form der Interaktion im öffentlichen Raum westlicher europäischer Gesellschaften beruhen. Vor allem wenn es um lernende Migrantinnen (Frauen) geht, spielen Standarderzählungen (Mohanty 1991, zit. nach Brunner/Hrzán 2009: 97) über „Isolation und Abschottung der Migrantinnen durch patriarchale Gewalt“ eine zentrale Rolle.

In diesem Sinn wäre das Ziel kritisch zu untersuchen, dass Migrant_innen befähigt werden sollen, ein imaginiertes Innen zu verlassen, ein notwendiges Außen zu betreten und dort selbstständig zu handeln. Man könnte sich fragen, ob es sich hier um einen verborgenen Befreiungsimpetus handelt (Castro Varela/Dhawan 2004: 205). Es könnte auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieses Ziel von zwei Standarderzählungen beeinflusst bzw. erst möglich gemacht wird: durch die Betrachtung der Migrantinnen (Frauen) als Opfer vermuteter patriarchaler Abschottungsgewalt sowie durch die Erzählung über das „Migrant_innenleben“ (hier sind nicht nur Frauen gemeint), das von einer (vermeintlich homogenen) Mehrheitsgesellschaft abgekoppelt ist. Dabei ist interessant, dass in Alltagsdiskursen das vermeintlich abgekoppelte Leben der Migrant_innen als ein Leben im Außen beschrieben wird.

In den Interviews wird behauptet, dass die lernenden Migrant_innen die hegemoniale Sprache brauchen, um „nach Außen zu gehen“. Das Leben in diesem imaginierten Außen ist ohne diese Sprache nicht zu „meistern“. Das Leben in diesem imaginierten Außen ist monolingual strukturiert.

Auf die Frage „Warum sollten Migrant_innen Deutsch lernen?“, antwortet eine Lehrerin: „Man fühlt sich nicht so ohnmächtig. Wenn lernende Migrant_innen aus der Perspektive der Lehrenden aufgrund nicht ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache als „ohnmächtig“ charakterisiert werden und das Erlernen der hegemonialen Sprache daher als Bedingung für die Entstehung von Handlungsfähigkeit verstanden wird, dann wird hier wohl vernachlässigt, dass die Lernenden nicht sprachlos sind (Krumm 2002).

Die Entnennung des Evidenten

Krankenhäuser oder Ordinationen von Ärzt_innen werden in den Interviews als Beispiele für Räume „draußen“ erwähnt, in denen die Lernenden selbstständig handeln sollen. Die Problematik von Kindern als Dolmetscher_innen wird in zwei Interviews thematisiert. Beide Passagen zeichnen sich durch einen appellierenden Charakter aus und wirken in einem ersten Moment als unschlagbares Argument für die Behauptung, dass das Erlernen der hegemonialen Sprache eine unabdingbare Bedingung für ein Leben in Würde und Selbstständigkeit ist. Hinterfragt man jedoch die Selbstverständlichkeit des monolingualen Habitus der (österreichischen) Gesellschaft, wird die Argumentationskraft etwas geringer. Dabei geht es mir nicht darum, die Unangemessenheit von Kindern in der Funktion von Dolmetscher_innen zu relativieren (vor allem in bestimmten Situationen wie bei Gesprächen mit Ärzt_innen) – im Gegenteil: Es gilt, nach Lösungen und Alternativen zu suchen. Darunter fällt auch das Erlernen der hegemonialen Sprache Deutsch. Aber in beiden Interviews gilt die Option „Deutsch lernen“ als einzige Lösung für das „Problem“. Andere Möglichkeiten (mehrsprachiges Gesundheitspersonal, kostenfreier Übersetzungsdienst usw.) werden nicht erwähnt. Diese Argumentation erzählt möglicherweise von ihrer Zugehörigkeit zu einem Diskurs, der von der Selbstverständlichkeit monolingualen Lebens in der  Gesellschaft ausgeht und dieses gleichzeitig als Wahrheit konstituiert.

Aber steht die implizite Affirmation des „monolingualen Habitus“ (Gogolin 1994) im Widerspruch zur Anerkennung der „anderen Sprachen“ der Lernenden, die von den Interviewten in Zusammenhang mit dem Konzept der Mehrsprachigkeit wiederholt angesprochen wird? Es ist auffällig, dass die Lehrer_innen über die Umsetzung der Mehrsprachigkeitsförderung im Rahmen der DaZ-Praxis kaum berichten konnten. Der Bedarf an Methoden und Materialien wurde erkannt und benannt, aber der latente Widerspruch wurde in den Interviews nicht thematisiert.

Die Vermutung eines Widerspruchs veranlasste uns zu einer näheren Betrachtung der Aussagen der interviewten Lehrer_innen und Projektleiter_innen zum Ansatz der Mehrsprachigkeit. Können wir die Behauptung „Sie haben natürlich eine Sprache“, wie sie im folgenden Zitat vorgebracht wird, als Hinweis auf eine anerkennende Haltung gegenüber den „anderen“ Sprachen der lernenden Migrant_innen verstehen? Bedeutet die Feststellung „Sie haben natürlich eine Sprache“, dass die Lehrenden sich für die Förderung der Mehrsprachigkeit der Lernenden engagieren? Oder beschränkt sich die Aussage auf die Funktion einer Benennung? Kann man in der Aussage ihre eigene Negation vermuten?

 Und das ist nicht der alleinige Schlüssel zur Integration, da gehört noch sehr viel anderes dazu, natürlich, aber was wir ihnen also jetzt in den Sprach-, in den Deutschkursen mitgeben können, das ist eben dieses Werkzeug Sprache, dass sie Deutsch … Das passiert mir immer wieder, dass ich die Sprache – sie haben natürlich eine Sprache …. Deutsch, dass wir ihnen wirklich dieses Werkzeug Deutsch mitgeben, um ihren Alltag dann auch wirklich so gestalten zu können, wie sie das selber wollen, und dass sie das auch erkennen, was sie wollen, und welche Möglichkeiten sie überhaupt haben und damit auch selbstbestimmter, ja, leben können, ja.

Diese Passage beinhaltet einige relevante Aussagen für das Aufspüren von Widersprüchen, das die Analyse des Materials strukturiert:

  1. Die Lehrerin spricht von der deutschen Sprache als „der Sprache“; sie korrigiert sich prompt, vervollständigt ihre Aussage durch die im ersten Moment nicht ausgesprochene „natürliche“ Tatsache, dass die Lernenden sprechen können;

  2. es wird behauptet, dass Integration nicht nur vom Erwerb der hegemonialen Sprache abhängig ist;

  3. die hegemoniale Sprache wird als Werkzeug beschrieben, das von den Lehrenden den Lernenden mitgegeben wird; Deutsch als Zweitsprache als etwas „Äußerliches“, das passiv entgegen genommen wird und dennoch zu Handlungsfähigkeit führt;

  4. Kenntnissen der hegemonialen Sprache wird die Funktion zugesprochen, die selbstständige Gestaltung des Lebens zu ermöglichen;

  5. (erst) durch Deutschkenntnisse, so die These der Interviewten, sind die Lernenden in der Lage zu erkennen, was sie wollen und was sie machen können.

Die Betonung der Funktion der deutschen Sprache als Werkzeug zeigt ein vorherrschendes Verständnis von Sprache als einem Instrument, das erstens bewusst und zweckgemäß eingesetzt werden kann/soll, und das zweitens die Eigenschaften eines für die Benutzer_innen äußeren Gegenstands hat, der von diesen nicht (mit) aufgebaut wird, sondern ihnen als Werkzeug „mitgegeben“ wird. In diesem Beitrag werde ich jedoch nicht die Betrachtung(en) zur Funktion von Sprache in den Interviews behandeln. Stattdessen lenke ich die Aufmerksamkeit auf das Thema Mehrsprachigkeit.

Mehrsprachigkeit vs. monolingualer Zwang

Das Erlernen der hegemonialen Sprache wird als Bedingung für die Entstehung von Handlungsfähigkeit begriffen. Damit ist die Vernachlässigung der Tatsache verbunden, dass die Lernenden nicht sprachlos sind (Krumm 2002). Die Aussage „Sie haben natürlich eine Sprache“ steht exemplarisch für einen hier vermuteten Widerspruch zwischen der offenkundigen Befürwortung einer Bildung zur Mehrsprachigkeit und dem Zwang zur Monolingualität.

Die Anerkennung und Förderung von Mehrsprachigkeit wird einer defizitorientierten Betrachtung von Migrant_innen hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse entgegengesetzt (Krumm 2002; Gogolin 1994, 2001, 2008). In Einklang mit diesem Verständnis wird im Feld Deutsch als Zweitsprache der Frage nachgegangen, wie der Sprachenreichtum der Migrant_innen und der Minderheiten nicht als Störung, sondern als Ressource betrachtet und genutzt werden kann.

Der Ansatz der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit (Mecheril/Dirim 2010) unterscheidet sich von Positionen, die sich auf einen durch Sprachvielfalt entstandenen Reichtum beziehen (Krumm 2002; Gogolin 1994, 2001, 2008; Barkowski 2008). Auch in diesem Ansatz wird Mehrsprachigkeit so verstanden, dass einer Person oder einem System mehrere Sprachen zur Verfügung stehen (Barkowski/Krumm 2010); zugleich werden aber auch unterschiedliche  Varietäten einer bestimmten Sprache betrachtet. Es wird hier von einer inneren Mehrsprachigkeit gesprochen, die einerseits darauf hinweist, dass Sprachen nicht statisch sind (Sprachen als Instrumente und Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen), und gleichzeitig einen situationsadäquaten Gebrauch dieser Varietäten erfordert. Mehrsprachigkeit wird mit einer kritischen Analyse der bestehenden Machtverhältnisse verknüpft und mit den damit verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen von Sprachen zusammengedacht (Dirim/Mecheril 2010: 103). Sprache wird als ein Raum beschrieben, in dem soziale Unterscheidungen getroffen werden. In Anlehnung an Bourdieu behaupten die Autor_innen, dass der Zugang zu gesellschaftlichen Kontexten nicht nur von den Sprachkompetenzen der Individuen, sondern vor allem von der Anerkennung der angewendeten Sprache oder Sprachvariante bestimmt wird. Die Wirksamkeit von Sprache ist von politischen, kulturellen, sozialen und rechtlichen Bedingungen abhängig. Aufgrund dieser Bedingungen werden Sprachen und Sprachvarietäten unterschiedlich bewertet. Anders gesagt, die migrationspädagogische Annäherung impliziert ein kritisches Verhältnis zur Struktur, in der der Wert der Sprachen hierarchisch geordnet ist (Ibid.: 102). Im Alltagverständnis herrscht nach der Auffassung der Autor_innen die Vorstellung einer internen Konsistenz, durch die „die Sprache“ klar von anderen unterschieden werden kann. Setzt man sich mit Sprachen in ihren sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen auseinander, so sind auch Fragen nach der Herstellung von Zugehörigkeit und Identität zu stellen, Fragen nach der Bildung eines vermeintlichen „Wir“, das angeblich eine nationale Sprache spricht.

Der Ansatz der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit beschäftigt sich vor allem mit der Institution Schule und beschreibt diese als Mitproduzentin von Wertdifferenzen zwischen sprachlichen Praxen der Migrationsgesellschaft und als einen Ort, an dem der Fortbestand einer als Nationalsprache legitimierten Varietät („Standardsprache“) gepflegt wird (Ibid.: 108). Die Vormachtstellung einer Sprache wird mit dem historischen Prozess der Durchsetzung der Idee moderner Nationen in Zusammenhang gebracht. Monolingualität ist als ideologisch zu verstehen. Gemischter Sprachgebrauch und Sprachalternationen wie Code-Switching werden aus der Sicht der monolingualen Sprachstandards als Defizit und/oder Bedrohung bewertet.

An dieser Stelle soll auf die Nähe zwischen der Problematisierung der Monolingualität im migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeitsansatz und der von Naoki Sakai formulierten Kritik am vorherrschenden Übersetzungsregime aufmerksam gemacht werden. Es handelt sich um ein Übersetzungsregime, in dem eine Sprache als einer anderen Sprache äußerlich dargestellt wird. In diesem Regime herrscht, so Sakai, eine „homolinguale Adressierung“ vor. Die „homolinguale Adressierung“ erhält ihre Legitimität von einer Vision der modernen internationalen Welt als Nebeneinanderstellung staatlicher Souveränitäten sowie der gegenseitigen Anerkennung von Nationalstaaten. Die Einheit der nationalen Sprache wird durch die Vorstellung einer homogenen Nationalgemeinschaft als eine Naturgegebenheit konstruiert (Sakai 2013). Ebenso wie Mecheril und Dirim im Ansatz der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, betont der Autor, dass die Idee der Einheit einer nationalen Sprache fundamental für die Herstellung nationaler Subjektivität war. Doch – so Sakai –  es lässt sich heute nicht mehr vertreten, dass für die Realisierung eines Ideals von Demokratie eine homogene nationale Sprache notwendig ist. Denn Nationen werden von Subjekten bewohnt, die heterogen sind im Verhältnis zur vermeintlichen Homogenität der Nation.

In der Migrationspädagogik, die den theoretischen Rahmen des Ansatzes der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit bildet, wird Migration als ein Phänomen beschrieben, das Grenzen der Zugehörigkeit, Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“, zwischen „Wir“ und „nicht Wir“ thematisiert und problematisiert. Die Migrationspädagogik ist interessiert an der Frage einer nationalen-ethnischen-kulturellen Zugehörigkeitsordnung, „[…] in der Menschen unterschieden und so positioniert werden, dass ihnen unterschiedliche Werte der Anerkennung und Möglichkeiten des Handelns zugewiesen werden“ (Mecheril et al. 2010: 15) Auch die Frage nach dem Beitrag, den die Pädagogik zur (Re-)Produktion einer nationalen-ethnischen-kulturellen Zugehörigkeitsordnung leistet, wird aufgeworfen, ebenso wird nach vorhandenen Möglichkeiten gesucht, diese Ordnung zu verändern und Alternativen zu ihrer Transformation zu entwickeln. Aus der Perspektive einer dekonstruktiven Differenztheorie werden der Blick und die Aufmerksamkeit auf Phänomene von Mehrfachzugehörigkeiten, Grenzgänger_innentum, Hybridität und Transkontextualität gerichtet. Ziel ist, das einteilende, vereindeutigende, klassifizierende und fixierende Denken und Handeln zu schwächen und zu unterlaufen (Mecheril et al. 2010). In beiden Positionen (in der Migrationspädagogik wie in der Kritik einer „homolingualen Adressierung“ durch die Forderung nach einer „heterolingualen Adressierung“) werden die Grenzen der Unterscheidung zwischen nationalen Sprachen problematisiert. Sowohl die Idee der Einheit einer Sprache als Naturgegebenheit wie auch ihre Identifizierung mit der nationalen Sprache stellen ein Problem dar. Der Ansatz der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit thematisiert außerdem die Überschreitung innerer Grenzen einer vermeintlich homogenen Sprache.

In Anlehnung an Naoki Sakai vermute ich, dass die Konsequenzen dieser Problematisierung für die pädagogische Handlung im Feld Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung in erster Linie eine Herausforderung für alle im Lernprozess beteiligten Akteur_innen darstellen. Denn es gilt, sich mit der Bedeutung und den Funktionen von Unverständlichkeiten und Verständlichkeiten auseinanderzusetzen. Oder wie in der Migrationspädagogik vermutlich formuliert würde: Es gilt, sich mit der Bedeutung und den Funktionen von Uneindeutigkeiten und Eindeutigkeiten auseinanderzusetzen. Kommunikation und Interaktion finden nicht nur im Verstehen statt, sondern auch im Nicht-ganz-Verstehen, im Nicht-Verstehen, im Missverstehen (Auch hier beziehe ich mich auf Sakai 2010).

Es geht darum, eine Utopie der pädagogischen Praxis im Feld DaZ zu  entwickeln, die nicht nur das Nicht-Verstehen ins Verstehen zu übersetzen versucht, sondern die das Nicht-Verstehen als Bestandteil von Interaktionsprozessen in der Migrationsgesellschaft wahrnimmt und diese Interaktionsprozesse unter den Bedingungen von Rassismus und Sexismus kritisch beleuchtet: Wie kommt es zum Nicht-Verstehen und wie können Angehörige einer diskriminierten Minderheit mit dem hegemonialen Nicht-Verstehen und mit dem hegemonial strukturierten Verstehen strategisch umgehen? Usw.

Eine pädagogische Praxis, die sich zur Förderung der Mehrsprachigkeit der Lernenden bekennt und einen Beitrag zur Gestaltung einer mehrsprachigen Gesellschaft leisten will, muss sich bewusst sein, dass dies Handlungen und Positionierungen gegen einen monolingualen Zwang erfordert und dass die Kritik der Monolingualität eine kritische Haltung gegenüber monolingual verfassten Nationalstaaten bedingt und impliziert. Die Kritik am Nationalstaat sowie die Problematisierung von Grenzen und von Zugehörigkeitsordnungen bedeuten zudem, ungleiche Machtverhältnisse und letztendlich die eigene privilegierte Position innerhalb der dominanten Verhältnisse zu hinterfragen.

Eine kritische Anmerkung zur Migrationspädagogik

Im Zuge der Auseinandersetzung mit dominanten und ungerechten Machtverhältnissen verbleibt die Migrationspädagogik innerhalb der Grenzen dekonstruktiver Fragestellungen und entzieht sich einer Kapitalismuskritik. Ökonomische Bedingungen, Produktionsverhältnisse, Arbeitsteilung werden nicht thematisiert. Naoki Sakai hingegen berücksichtigt Kapitalakkumulation als einen der Hauptpfeiler, auf dem die Entwicklung der modernen inter-nationalen Welt beruht. Der zweite Pfeiler, den er nennt, ist die Einteilung der globalen Menschheit in Nationalstaaten (also die Herstellung nationaler Subjekte). Eine kritische Kapitalismusanalyse, die auf der Annahme eines nationalen Subjektes aufbaut, wäre im Einklang mit seiner Argumentation nicht möglich. Denn eine solche Analyse würde übersehen, dass die beiden Hauptpfeiler Kompliz_innen sind und zusammenwirken. Diese Argumentation wird für unsere Arbeit im Feld DaZ durch die Umkehrung des Gedankens relevant: Eine kritische Analyse der Herstellung nationaler Subjektivität kann nicht auf der Naturalisierung ökonomischer Verhältnisse und Bewegungen (wie die der Kapitalakkumulation) basieren. Denn beide Pfeiler, auf denen die Entwicklung der modernen inter-nationalen Welt beruht, wirken zusammen und sind Kompliz_innen.

Sich für Mehrsprachigkeit einzusetzen bedeutet eine Radikalisierung des Verständnisses von Demokratie und infolgedessen eine Radikalisierung der pädagogischen Praxis, die in ihrem aktuellen Selbstverständnis demokratisch sein will. Es gilt, die Frage nach den demokratischen Subjekten in gegenwärtigen Migrationsgesellschaften zu stellen. Es gilt zu fragen, ob die Lernenden als demokratische politische Subjekte adressiert werden, wenn die Lehrenden über Mehrsprachigkeit reden bzw. Mehrsprachigkeit fördern wollen. Der anfangs vermutete Widerspruch zwischen der Befürwortung der Mehrsprachigkeitsförderung in den Interviews und dem monolingualen Habitus hat durch die hier angestellten Überlegungen (hoffentlich) Gestalt angenommen: Wenn nicht Kritik am monolingual verfassten Nationalstaat geübt wird, das heißt, wenn die Regime, die sowohl die nationalstaatlichen als auch die nationalsprachlichen Grenzen implementieren und legitimieren, in ihrer Inklusions- und Exklusionsgewalt nicht kritisch hinterfragt und unterlaufen werden, dann bleibt die Befürwortung der Mehrsprachigkeitsförderung ein schein-widerständiges Sprechen, das keine Transformation der gegebenen Verhältnisse bewirken kann.

Der Konjunktiv als Signal für Dialogbereitschaft

Die Arbeit an einer Sprache des Dialogs, nicht beendet, oder immer wieder am Beginn, neu, wiederkäuend, kauend. Dialog. Dieses durch die Leere unterbrochene Wir lädt zum Dialog ein. Dialog nicht bloß als Interaktion verstanden. Dialog, der sich nicht im Austausch von Erfahrungen, Wissen, Meinungen usw. erschöpft. Dialog im Sinne einer radikalen pädagogischen Praxis dialektisch und problematisierend verstanden. Ein Dialog, der einen Blick auf unsere gesellschaftliche Existenz als Prozess ermöglicht, als etwas, das aufgebaut wird, das nicht gegeben, sondern veränderbar ist. Ein Dialog, der zwar die Interaktion und das Mit-Teilen von unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen Realitäten ermöglicht, aber das Ziel verfolgt, neues Wissen herzustellen, um in der geteilten Hoffnung etwas anderes („um ser mais“) aufzubauen.  

 

Bibliographie

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Sakai, Naoki, „Übersetzung als Filter“, übers. v. Mennel, Birgit, in: Buden, Boris/Mennel, Birgit/Nowotny, Stefan, Jenseits von Europa übersetzen, Wien: Turia + Kant 2013; vgl. auch transversal 06/13: a communality that cannot speak: europe in translation (http://eipcp.net/transversal/0613/Sakai/sakai_de).

Salgado, Rubia, „Chewing the Borders oder Kauen, um wach zu bleiben oder Widerstand im Widerspruch“,  in: Andrea Thal (Hg.): Chewing the Scenery, 3. Aufl., hrsg. im Auftrag des Bundesamtes für Kultur als Teil des offiziellen Beitrages der Schweiz an der 54. Kunstbiennale Venedig 2011.