07 2018
Die Freiheit des Übersetzers im Zeitalter prekärer Mobilität
Geisteswissenschaften, Regionalwissenschaften und Logistik
Übersetzung: Kristina Kramer
Border Performance: Regional- und Geisteswissenschaften an der neoliberalen Universität
Um die allgemeine Problematik von Mobilität und Migration in den Geisteswissenschaften zu veranschaulichen, werde ich im Folgenden die Regionalwissenschaften (englisch Area Studies) einer kritischen Diskussion unterziehen. In der frühen Phase dieser Disziplin (vor den 1980er Jahren) gab es praktisch keine oder nur wenige einheimische Dozenten oder Studenten in regionalwissenschaftlichen Seminaren an amerikanischen und anderen westlichen Universitäten. Ein Gebiet und seine Bewohner waren entfernte Forschungsgegenstände, zu denen regionalwissenschaftliche Experten eben dieser Region keine oder nur kaum persönliche Beziehungen unterhielten. Zumeist wurden die wenigen Studenten aus der entsprechenden Region, die anwesend waren, wie „einheimische Informanten“ behandelt. Heute besteht ein beträchtlicher Teil wenn nicht gar die Mehrheit eines Seminars aus Studenten aus der betreffenden Region oder verwandter ethnischer Gruppen. Wie können wir diese Veränderungen in Bezug auf geopolitischen Wandel und die Herausforderungen der globalen Bevölkerungsentwicklung verstehen? Welche Zielrichtung und Aufgaben der Regionalwissenschaften sollten wir angesichts des absehbaren Endes der alten akademischen Disziplinen bewahren? Wie sollten wir die Regionalwissenschaften verändern, um die intellektuelle Produktivität und die kritische Relevanz der Geisteswissenschaften für aktuelle globale Situationen zu verbessern? Oder sollten wir die Geisteswissenschaften abschaffen und durch eine völlig neue Disziplin ersetzen?
Als Auftakt zu dieser Diskussion möchte ich dem Leser noch ein Mal den inhärent sozialen Aspekt der Wissensproduktion in den Regionalwissenschaften in Erinnerung rufen. Anders als in den normativen Wissenschaften, wo Studienobjekte theoretischer oder allgemeiner Natur sein können, gelten die der Regionalwissenschaften als ein wesentlicher Teil der Gemeinschaften, denen sie angehören. Genauso wie das Kapital eine von der Arbeitskraft abstrahierte soziale Beziehung bezeichnet, unterliegen auch die von der Wissensproduktion in den Regionalwissenschaften aufgebauten sozialen Beziehungen einer Form der Abstraktion. An dieser Stelle sollen nicht die Übergänge zwischen diesen beiden Formen der Abstraktion theoretisiert werden, statt dessen möchte ich hier auf die Art und Weise eingehen, in der ein bestimmtes Element der Performativität eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, die beiden miteinander zu verbinden.
In der neoliberalen Universität, in der Performance generell zu einem Gegenstand ausgeklügelter Überwachungs- und Selbstüberwachungstechnologien geworden ist (Falter 2015), wurde eine besondere Art von Performance auf Bereiche wie die Regionalwissenschaften, für die der inhärent soziale Aspekt der Wissensproduktion offensichtlich ist, übertragen. Geistesarbeiter in diesen Bereichen werden dafür ausgezeichnet, dass sie die sprachlich-kulturellen Grenzen, wenn nicht gar die implizite Äquivalenz zwischen Sprache und Menschen, die ein Grundpfeiler der post-romantischen geopolitischen Ordnung ist, auf attraktive, ja „authentische“ Weise verkörpern und performen. Border performance, wie sie von den Regionalwissenschaften ausgeübt wird, ähnelt dabei in hohem Maße der Tätigkeit jener Beschäftigten in der Tourismusindustrie (Schedel 2015). Vor allem an Nicht-Elite-Universitäten ist sie heute oft einfach eine direkte Erweiterung dieser Industrie. Worauf ich hier jedoch aufmerksam machen möchte, ist das erforderliche Element der Performativität, das die starke Vermehrung von Grenzen verbindet und es so aussehen lässt, als ob die Grenze bereits vor der sozialen Beziehung, die sie kodifiziert, bestand.
Ich verstehe den Begriff „Performativität“ in diesem Kontext als eine dramatische Form der Inszenierung. Damit meine ich insbesondere die Inszenierung der ontologischen und metaphysischen Arbeit, die im Verborgenen erforderlich ist, um die gebietsbezogene Grundlage für die Aufteilung des humanistischen Wissens in einzelne Disziplinen, wie sie im Kielwasser der kolonial-imperialen Moderne instituiert wurde, natürlich und gegeben erscheinen zu lassen. Es handelt sich dabei um das Bemühen, Ethnozentrismus, Logozentrismus und Phonozentrismus zu einem einzigen einheitlichen Bündel zu schnüren, das in Form des normativen Bereichs fundiert und naturalisiert ist – Bereiche, die in der postkolonialen Welt vor allem die Form von Nationalstaaten und zivilisatorischen Entitäten wie „der Westen“ annehmen.
Region (area) ist dabei ein Konzept, das nicht so sehr das Territorium bezeichnet als vielmehr das Dispositiv, in dem Subjekte produziert werden. Die umfassende Beziehung zwischen Wissensproduktion und geopolitischer Region, wie sie regelmäßig durch die bipolare Struktur der kolonial-imperialen Moderne vermittelt wird, bildet das, was ich das Gebietsdispositiv (apparatus of area) nenne. Die Kant’sche Formulierung des Verhältnisses von Universalem und Besonderem, von der Samuel Weber sagt, dass sie geschichtlich im Zentrum der erlernten Reflexion über die Rolle der Geisteswissenschaften steht (Weber 1985, S. 15), ist nicht nur ein philosophisches Problem, da es in der disziplinären und sozialen Organisation der Geisteswissenschaften insgesamt verwirklicht wird. Bei der Ausbildung von Denkschulen mit geokulturellen Bezeichnungen handelt es sich vielmehr um einen performativen Akt, der charakteristisch für die kolonial-imperiale Moderne im Allgemeinen ist. Diese Namen, Nationalstaaten und Zivilisationen sind sowohl das Ergebnis der Geschichte des Kolonialismus und des Imperialismus als auch ein Bemessungsindex für den Stellenwert der sozialen Beziehungen auf globaler Ebene. Dabei ist der amphibolische Status von Regionen, die sich im Zwiespalt zwischen der Produktion von Subjektivität und der Aufnahme von Arbeit zur Gewinnung von Reichtum und zur Akkumulation von Mehrwert befinden, ein charakteristisches Merkmal der Moderne. Marx fasst es unter dem Begriff der primitiven Akkumulation zusammen (Walker 2019). Einer der Gründe, warum die primitive Akkumulation wieder zum Gegenstand theoretischen Interesses geworden ist, liegt in der Art und Weise, die es Forschern ermöglicht, eine entscheidende Schnittstelle zwischen der Kommodifizierung der Arbeit und der Abstraktion anthropologischer Unterschiede zu lokalisieren, die sogenannte Produktion von Subjektivität.
Das Gebietsdispositiv ist ein Schmelztiegel für die Produktion von Subjekten, die durch verschiedene anthropologische Unterschiede codiert sind. Ich verwende diesen Begriff, um ein duales Kontinuum zu bezeichnen, das von der Beziehung zwischen Homo sapiens und anderen Arten (typisiert durch die Tier-Maschine-Dichotomie) auf der einen Seite und auf der anderen Seite bis hin zu den Beziehungen zwischen verschiedenen menschlichen Gemeinschaften untereinander (typisiert durch den Vergleichsrahmen von Internationalismus und zivilisatorischem Unterschied) reicht. Der Status des akademischen Migranten betrifft daher nicht nur die Grenzen des Nationalstaates und das Spektrum gesellschaftlicher Unterschiede, die von ihm reguliert und repräsentiert werden, sondern auch die Grenzen der geisteswissenschaftlichen Disziplinen – und ich meine alle Disziplinen, nicht nur solche, die sich mit ausländischen Gebieten oder bestimmten Regionen befassen. Hier werden wir an Samuel Webers Beobachtung der Entwicklung disziplinärer Autonomie innerhalb der historischen Entwicklung der modernen Geisteswissenschaften erinnert:
Die in mehr oder weniger isolierte, in in sich abgeschlossene Abteilungen gegliederte Universität war die Verkörperung jener begrenzten Universalität, die das kognitive Modell der Professionalität auszeichnete. Es instituierte Bereiche der Ausbildung und Forschung, die, einmal etabliert, die Grenzen und Beschränkungen der einzelnen Disziplinen zunehmend ignorieren konnten. In der Tat führte gerade der Begriff der akademischen „Seriosität“ zunehmend dazu, die Reflexion über die Beziehung eines „Feldes“ zu einem anderen und damit auch die Reflexion des historischen Prozess, durch den einzelne Disziplinen ihre Grenzen festlegten, auszuschließen. (übersetzt von KK, vgl. Weber 1987, S. 32)
In Frankreich wird dieser dämlichen „Ernsthaftigkeit“ nirgendwo deutlicher der Status institutioneller Weihen verliehen als in den Regionalwissenschaften, was sie zu einem ausgezeichneten Beispiel für die gebietsbezogene Grundlage der Geisteswissenschaften im Allgemeinen macht. Auf seiner offiziellen Homepage schließt der Conseil National Universitaire (CNU), das nationale Verwaltungsorgan, das die Führungsstrukturen für Fakultätsmitglieder in Fernost- und Nahost-Studien überwacht, in Abschnitt 15 ausdrücklich Arbeiten aus, die nicht die lokale Dokumentation in der lokalen Sprache berücksichtigen (vgl. Section 15, 2018). Es wäre jedoch töricht, die Schuld an diesem Gründungsausschluss, der quasi einer institutionell legitimierten Art von „Rassismus ohne Rassen“ (Balibar 2007) gleichkommt, ausschließlich auf die Regionalwissenschaften zu schieben. Die Doppelung des Lokalen zu einer Identität, die nicht nur zwischen Sprache und Menschen, sondern auch zwischen erkenntnistheoretischen Objekten und sozialen Beziehungen auszumachen ist, betrifft die Geisteswissenschaften als Ganzes. Anders ausgedrückt, betrifft es die Verteilung des Heterogenen durch ein Dispositiv regionaler und anthropologischer Differenz. Abschnitt 15, der ebenso wie die paar anderen geisteswissenschaftlichen Absätze in der CNU auf regionalen Unterschieden beruht, ist genau der institutionelle Locus, an dem die Geisteswissenschaften eine Konvergenz zwischen dem erkenntnistheoretischen und dem sozialen Bereich bei der Kontrolle von Normen für Bevölkerung, Mobilität und Migration erklären. Gegenüber anderen, immaterielleren Aspekten der Mobilität, stellt die Kontrolle über die berufliche Mobilität, die zu den Hauptaufgaben des CNU gehört, einen wirksamen Hebelmechanismus dar, indem sie eine Verbindung zwischen der Konstruktion des Wunsches nach Wissen und der Kontrolle über soziale Mobilität herstellt. Die Tatsache, dass der Gründungsausschluss in Form einer Einladung zum deiktischen Common Sense („dem Lokalen“) erfolgt, unterstreicht letztlich nur das Ausmaß des dichten theoretischen Konzepts, das der Begriff der Region darstellt. Die Auswirkungen der Regionalwissenschaften, die genau darin bestehen, Ort und Denken in einer naturalisierten amphibolischen Konstruktion (für die die „westliche Theorie“ die essenzielle Vorlage des mimetischen Begehrens in der kolonial-imperialen Moderne liefert) untrennbar zu verbinden, sind unendlich viel theoretischer als die Philosophie selbst. Die Philosophie, selbst in ihrer Funktion der „verallgemeinerten Übersetzung“ (Derrida 2004, S. 65: generalized translation), kann nur davon träumen, solche Auswirkungen tatsächlich hervorzurufen. (Daher konzentrierte sich Derridas Arbeit zu einem großen Teil auf das Problem der Fiktionalität im Zentrum der Iterierbarkeit, das die Möglichkeit der Metaphysik insgesamt eröffnet).
Aus dieser sehr schematischen Diskussion können wir eine einfache Schlussfolgerung ziehen: Regionalstudien sind auf der Grundlage eines ursprünglichen Ausschlusses entstanden, der sich durch zwei Elemente ausdrückt, die gemäß den ethischen Anforderungen des Gebietsdispositivs niemals miteinander in Verbindung hätten gebracht werden dürfen. Das sind erstens der grundlegend komparative Rahmen, der im Zentrum der internationalen Welt, wie sie aus der kolonial-imperialen Moderne hervorgegangen ist, steht, und zweitens das Element des Gemeinsamen oder des Transnationalen, das diesem Vergleichsrahmen vorangeht (und das immer wieder von ihm verdrängt wird). Die Regionalwissenschaften können als eine Art logistisches Instrument verstanden werden, das dazu dient, die Untersuchung jener Bedingungen zu verbieten, die die Vorstellung einer spezifisch regionalen, doch irgendwie vordergründig universellen, theoretischen Produktion, die zugleich historisch und analytisch ist, lesbar macht. Mit anderen Worten, die Regionalwissenschaften tragen zur Verbreitung amphibolischer Gebiete oder Regionen bei, für die die Fantasie der „westlichen Theorie“ die Vorlage bietet.
Der Ausschluss des Common Sense, wie er Abschnitt 15 in Frankreich – und den Geisteswissenschaften auf der ganzen Welt überhaupt – zugrunde liegt, geht also, wie Samuel Weber uns erinnert, mit einer Verdrängung der historischen Bedingungen einher, die die organisatorische Matrix der Aufteilung in einzelne Disziplinen einerseits und die geopolitischen Spaltungen andererseits begünstigt haben. Das bipolare Erbe der kolonial-imperialen Moderne, d.h. die Spaltung in den Westen und den Rest sowie die Spaltung in empirische und allgemeine oder normative Sozialwissenschaften, konstituiert beides, die Geschichte der disziplinären Differenz, wie sie in der geokulturellen Imagination einer postkolonialen Welt zum Ausdruck kam, und die Unterdrückung dieser Differenz in einem internationalistischen Rahmen. Die Interaktion zwischen diesen beiden heterogenen Arten der grenzüberschreitenden Mobilität funktioniert für das Gebietsdispositiv im Wesentlichen analog und wechselseitig konstitutiv. Zweifelsohne hatten David Johnson und Scott Michaelsen etwas Ähnliches im Blick, als sie in dem von ihnen herausgegebenen Reader mit dem treffenden Titel Border Theory feststellten, dass alle Disziplinen und ihre Geschichten auf das Problem der Grenzgebiete ausgerichtet werden müssen, wenn dessen Theoretisierung nicht dazu führen soll, für die Rolle der nationalistischen und kapitalistischen „Struktur“ und „Ordnung“ bei der Beherrschung und Disziplinierung der Grenze blind zu sein (Vgl. Johnson & Michaelsen 1997, S. 2). Grenzen, egal ob sie sich auf Wissensdisziplinen oder die Steuerung der Bevölkerungsentwicklung beziehen, sind kompositorische Verfahren, die Bewegung durch die Zeit anstatt räumliche Stasis ausdrücken. Der Begriff „alle Disziplinen“ bezieht sich also nicht wirklich auf die Idee der Vollständigkeit, sondern auf eine Kontingenz entgegen der Struktur. Dieses Element der Kontingenz weist auf eine fundamentale Unbestimmtheit und sogar Instabilität auf der gebietsbezogenen Grundlage der Geisteswissenschaften hin, die eine endlose "Re-Performance" erfordert, um sich selbst zu erhalten.
Die in die Logistik und von der Logistik investierten Geisteswissenschaften
Zunächst, das gilt für die Anfangsphase, kann die Thematik des Gastarbeiters in einem positivistischen Sinn verstanden werden, der sich auf die Identität einer bestimmten Form von Arbeit innerhalb eines bestimmten Marktes bezieht. In Bezug auf die Hochschulindustrie ist der Gastarbeiter ganz allgemein gesagt die am leichtesten zu erkennende Figur „akademischer Mobilität“. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Mobilität nicht ohne Bezugnahme auf die Marktbedingungen verstanden werden kann, die sie strukturieren und regulieren. Unter den disparaten Prozessen, die hier beteiligt sind, ist nichts emblematischer als die Umstrukturierung der Hochschulbildung unter der Schirmherrschaft der WTO, die diese zu einem Teil der riesigen Konstellation jener Industrien macht, die in ihrer Gesamtheit unter dem Etikett der Dienstleistungsindustrien firmieren. Waren Finanzen, Informationstechnologie und Telekommunikation, Management, Einzelhandel und Logistik die ersten treibenden Kräfte hinter der Institutionalisierung der Dienstleistungsbranchen, so hat sich diese auf Tourismus, Recht, Unterhaltung, Sicherheit, Gesundheitsfürsorge und Bildung usw. ausgedehnt. Viele dieser Branchen repräsentieren Praktiken und Ressourcen, die bis vor Kurzem als nationale öffentliche Güter galten. Heute können wir auch hier eine Art des Gemeinsamen erkennen, die der historisch-spezifischen Konstruktion des Nationalstaates voran- und darüber hinausgeht.
In diesem Kontext reproduziert die Situation der akademischen Arbeit einen Widerspruch zu dem Versuch, innerhalb des rechtlichen Rahmens, der die Dienstleistungsindustrien durch Freihandelsabkommen global oder regional reguliert, verschiedene, hierarchische Formen der Arbeit zu unterscheiden. Jane Kelsey, eine der führenden Kritikerinnen von sogenannten Freihandelsabkommen wie der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA), der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), CETA, u.a., fasst die Unterscheidung bezüglich der Regulierungssysteme wie folgt zusammen: „Die reichen Länder wollen die Bewegung der Elite-Arbeiter als "Handelsfrage" definieren, behandeln aber die internationale Mobilität von allen anderen Arbeitern als Einwanderungsfrage.“ (übersetzt von KK, vgl. Kelsey 2017, S. 30). Das Regulierungssystem beeinflusst die Arbeit, indem es die Marktorganisation bestimmt und die Unterscheidung zwischen Migration und Mobilität in eine politische Frage für die Institutionen des modernen Nationalstaates verwandelt. Für den wachsenden Bestand an globalisierten, ausschließlich anglophonen Universitäten können Vereinbarungen ähnlich denen für konzernintern entsandte Arbeitnehmer und Garantien für vertragliche Dienstleister (die beide zu den Freihandelsabkommen wie TiSA gehören) wichtige Instrumente für die Bewältigung der globalen Arbeitskräftemobilität unter dem Vorwand der Handels- / Migrationsdichotomie bieten.
Während die Arbeitsmigration in den Universitäten heute oft sehr unterschiedlich behandelt wird, je nachdem, auf welcher Seite der Einwanderung / Handelsdichotomie man steht, sollten wir auch nicht vergessen, dass die akademische Arbeit – die ich in Bezug auf eine verallgemeinerte Materialwirtschaft und immaterielle Grenzverwaltung zu definieren versuche – selbst diese Unterscheidung intern reproduziert. Dieser Punkt ist etwas widersprüchlich und bedarf einer Erklärung. Betrachten wir zunächst die Äußerung Kelseys über die Stellung von Arbeit in Zusammenhang mit dem bevorstehenden Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA), einem transnationalen Freihandelsabkommen, das ein globales, für den Dienstleistungssektor vorteilhaftes Betriebsumfeld schaffen soll. Kelsey stellt fest, dass Arbeit selten sichtbar ist, außer als Ware, als Lieferform oder als „Handelshemmnis“(Vgl. Kelsey 2017, S. 26). Diese Unsichtbarkeit der Arbeit scheint auf den ersten Blick nicht viel mit akademischer Arbeit zu tun zu haben, vor allem nicht seit den 1990er Jahren, da sie immer mehr zum Gegenstand der unablässigen Evaluation gerade jener Indikatoren der sichtbaren Performance wurde. Wenn wir jedoch anfangen, die akademische Arbeit insgesamt in ein Verhältnis zur Übersetzung zu setzen, ergibt sich auf einmal ein anderes Bild und es kommen unsichtbare Verbindungen zum Vorschein. Die gerühmte „Unsichtbarkeit des Übersetzers“ (invisibility of the translator), auf die in den 1990er Jahren Lawrence Venuti hinwies, ist kaum die Spitze des Eisbergs, wenn es um die Beziehung zwischen Übersetzung und Logistik geht. Logistik ist der Begriff, der das anderweitige Sichtbarwerden von Arbeit in der Dienstleistungsbranche, wie bei Kelsey beschrieben, zusammenfasst, d.h., dass sie in der grenzübergreifenden „Art der Lieferung“ von Waren oder kommodifizierten Ressourcen und Dienstleistungen sichtbar wird.
Die Feststellung, dass die Arbeit in den Geisteswissenschaften heute zunehmend einem logistischen Modell entspricht, sollte uns nicht überraschen. Denn es ist tatsächlich genau das, was die Vorstellung von Bildung als Dienstleistungsindustrie impliziert. Beunruhigend ist jedoch die Erkenntnis, dass die Logistik im wahrsten Sinne des Wortes die Kernaufgabe der Wissensproduktion in den Geisteswissenschaften übernimmt. Der Vorteil eines logistischen Modells der Geisteswissenschaften liegt vor allem in seiner Fähigkeit, die Performativität von Grenzen gewinnbringend zu verwalten. Das fundamentale Interesse des Kapitals ergibt sich aus dem konfligierenden Impetus, einerseits die sozialen Beziehungen einem homogenen Wertemaßstab zu unterziehen, und andererseits eine Fülle von materiellen und immateriellen Formen der sozialen Segmentierung beizubehalten, die den Differenzwert von Arbeitsgütern anzeigen, aus denen Mehrwert gewonnen werden kann und auf denen ungleiche Akkumulationsregime gedeihen. Logistik ist die Wissenschaft, diese widersprüchlichen Ziele gleichzeitig durch den Effizienzindex als absoluten Wert zu verwalten. Der Effizienzindex ist natürlich durch und durch performativ, indem er die Mitarbeiter einer ständigen Leistungsbewertung unterzieht. Diese Art der Managementphilosophie, die auf der Selbstreferenzialität des Wertes basiert, bietet den Geisteswissenschaften praktischer Weise durch die Vielzahl von Standards und den Zusammenbruch der zeitlichen Bemessung von Arbeit, wie sie für eine postfordische, globalisierte Wirtschaft charakteristisch sind, einen vermeintlichen Ausweg aus der Valorisierungskrise. Sie überdeckt auch die paradoxe Form der Historizität und ihr Vergessen, wie es sich in der disziplinären Aufteilung in den Geisteswissenschaften herauskristallisierte.
Referenzialität ist nicht nur ein hermeneutischer Wert für die Regionalwissenschaften, sondern letztendlich eine zentrale infrastrukturelle Obsession in Bezug auf Finanzen und den Prozess der kapitalistischen Valorisierung (Solomon 2017). Während der frühen Gründungsjahre der Regionalwissenschaften in Nordamerika im Kalten Krieg wurden die Regionalstudien von dem Ideal perfekter Selbstreferenzialität heimgesucht, das die Form von einem hermetisch abgeschlossenen Gehäuse annahm. Forscher konnten einfach eine Gleichgültigkeit an den Tag legen, nicht nur gegenüber Wissen außerhalb ihrer Disziplin, aber auch gegenüber der Art und Weise, wie kulturelles Wissen in ihrem Fachgebiet mit Finanzen, Gewinn und Logistik in Verbindung gebracht wurde. Heute ist dieser Traum einer perfekten Selbstreferenzialität, der als Alibi für die kapitalistische Akkumulation dient, von den Regionalstudien zur Logistik verlagert worden, die sich in zunehmenden Maße nicht mehr voneinander unterscheiden.
Für eine politisch engagierte Geisteswissenschaft bietet die Logistik eine Vorlage, anhand derer sich ablesen lässt, wie das Gebietsdispositiv als ein Instrument zur Regulierung der Subjektivität über mehrere Bereiche der Wissensproduktion, der Finanzmarkt-Kapitalismus-/ Auditkultur und des globalen Bevölkerungsmanagements hinweg funktioniert. Eine der ersten Lektionen, die die logistische Perspektive vermittelt, betrifft den performativen Aspekt von Grenzen. Die Logistik der Grenzen betrifft nicht nur deren Einsatz, Überwachung, Kontrolle, Verhandlung und Nutzung zur Kapitalbildung, sondern auch die Unterdrückung ihrer Historizität. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, die Grenze in einer disziplinierten Art und Weise immer wieder zu (re-) performen. Die Logistik der Grenzen ist also ein umfassendes, performatives Dispositiv für den Umgang mit dem, was Samuel Weber als "Ambivalenz der Abgrenzung" ( Weber 1985, S. 15: the ambivalence of demarcation) im Kern der bipolaren Organisation der Geisteswissenschaften identifiziert hat.
Hinsichtlich der grundlegenden Unterscheidung zwischen Vernunft und Kultur, wie sie im Zentrum gegensätzlicher Anschauungen über die Mission der modernen Universität steht (Clark 2002; Readings 1997), versinnbildlicht die Umkategorisierung der Hochschulbildung in die Dienstleistungsbranche eine definitive Transformation dieses Gegensatzes. Es sieht so aus, als wäre der Gegensatz durch eine zwingende Identifizierung der beiden kurzgeschlossen worden. Die allgemeine Idee der Universität als Ort der Kulturgesetzgebung, die dazu diente, eine vage und ausdrücklich antitheoretische Vorstellung von [nationaler kultureller Identität] als eine Art Meta-Subjekt zu untermauern, ist am Ideal der Autonomie rationaler Forschung, die in der Praxis zum Ideal der Autonomie einer Disziplin wird, zerbrochen (Vgl. Clark 2002). Künftig werden die Geisteswissenschaften zu einem Ort der border performance, der im Wesentlichen als eine Form des globalen Arbeitsmanagements an die Tourismusindustrie angegliedert ist. Die historischen Entwicklungen und die damit einhergehende Geschichtsvergessenheit, für die paradoxerweise die disziplinäre Aufteilung gehalten wird, sind eine entscheidende Artikulationsstelle für jeden Versuch, sowohl die Geisteswissenschaften als auch die Arbeitsmigranten von jener Art der Subjektivierung zu befreien, die von der entstehenden Dienstleistungsindustrie der Geisteswissenschaften verkörpert wird. Daher sollten wir damit beginnen, Brett Neilsons Forderung nach Rechenschaft nicht nur für die philologischen und hermeneutischen Anliegen der „reisenden Theorie“ (traveling theory), sondern auch für die infrastrukturellen Bedingungen von Transport, Kommunikation, Erinnerung oder Wirtschaft (Vgl. Neilson 2014, S. 132-133) zu berücksichtigen, die die Produktion von Subjektivität hin zur Produktion als eine wirtschaftliche Aktivität artikulieren. Unter diesen infrastrukturellen Bedingungen spielt die Form von Performativität, die der disziplinären Aufteilung oder der Grenzen in ihrer Beziehung zu den geopolitischen Einteilungen eigen ist, eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer paradoxen Geschichtsvergessenheit inmitten einer offenkundig historisierenden Konstruktion.
Übersetzung
Nichts bietet sich in den Geisteswissenschaften so sehr als institutionelle Demarkationspraxis an wie die Übersetzung. Brett Neilson argumentiert in seinem bahnbrechenden Essay aus dem Jahr 2014 über die Beziehung zwischen Logistik und Übersetzung, dass, wenn Logistik im weitesten Sinne als „technische Operation“ der Globalisierung für kapitalistische Zwecke verstanden werden kann, die Übersetzung die entsprechende „soziale Praxis“ darstellt, die für dieselbe zweckgerichtete Rationalität verschiedene Modalitäten kooptiert, von der Erstellung der Protokolle der „kulturellen Interoperabilität“ bis hin zur Neudefinition der Rolle der menschlichen Arbeit als Ergänzung zu algorithmischen Prozessen.
Als Teil meines Langzeitinteresses an der Erforschung der Beziehung zwischen der Produktion von Wissen und der geopolitischen Organisation der Weltbevölkerung durch das Gebietsdispositiv, oder anders ausgedrückt, die Beziehung zwischen der disziplinären Aufteilung in den Geisteswissenschaften und anderen wichtigen Unterteilungen in einer Welt, die durch die Trope der Internationalität organisiert ist (wie die Arbeitsteilung und die im Staat konkretisierte Einteilung in Nationalitäten), habe ich mich insbesondere auf die Arbeit der Übersetzung konzentriert. Unnötig zu sagen, dass die Arbeit der Übersetzung eng mit dem Begriff der Arbeitsmigration und der Figur des Gastarbeiters verbunden ist. Und aus genau diesem Grund könnte man meinen, dass diese Arbeit innerhalb der Geisteswissenschaften insgesamt, die immer noch überwiegend national organisiert sind (z.B. spielt in Bezug auf Sprache, Arbeit, Gliederung in Fachgebiete usw. die Unterscheidung zwischen der nationalen und der ausländischen Sprache nach wie vor die dominierende organisierende Rolle) eine periphere Stellung einnimmt.
Ganz im Gegenteil würde ich mich gerne Mezzadra und Neilson anschließen, dass Regionalstudien eine entscheidende Rolle bei einer neuen Produktion der Welt spielten (Mezzadra & Neilson 2013, S. 42), und darüber hinaus argumentieren, dass der Übersetzungsvorgang, wie er in den Regionalstudien üblich ist, die Arbeit der Geisteswissenschaften als Ganzes charakterisiert, und nicht nur die der einzelnen Fachgebiete, die sich offenkundig mit „fremden“ Sprachen und Völkern befassen. Das moderne Übersetzungsregime, veranschaulicht durch die Rolle der Übersetzung beim Aufbau der Nationalsprache, geht über die Sprache hinaus und wird zu einem allgemeinen Modell für soziale Beziehungen in einem kapitalistischen Akkumulationsregime, das um den Nationalstaat organisiert ist. Die Übersetzungsarbeit nimmt eine zentrale, wenngleich auch unterschätzte Rolle in der geisteswissenschaftlichen Wissensproduktion ein. Somit ist die Subjektivität des Forschers-als-Übersetzer oder die verkannte Natur des „Gastarbeiters“, die allen akademischen Arbeitern gemein ist , ein Thema von größter Bedeutung für das Verständnis der politischen Verbindung zwischen Bevölkerungsmanagement und Wissensproduktion.
Die Anmerkungen, die Yann Moulier Boutang vor anderthalb Jahrzehnten über die Bedeutung von Freiheit für die Arbeit machte, verdienen in diesem Zusammenhang, entstaubt und erneut mit der seltsamen Situation translationaler Arbeit, die im Schmelztiegel des heutigen Gebietsdispositivs gefangen ist, in Verbindung gebracht zu werden:
In ihrer wichtigsten materiellen Dimension ist Freiheit die ungebundene Möglichkeit, nicht nur alle Zwänge wirtschaftlicher Art abzulehnen, sondern mit einer Art von Arbeit an diesem und jenem Ort aufzuhören, um eine andere Art von Arbeit zu wählen, eine andere Tätigkeit, seinen Lebensunterhalt anders zu bestreiten, anderswo, aber immer innerhalb der Ökonomie des Austausches [...] (übersetzt von KK, vgl. Moulier Boutang 2001, S. 109)
Im Zusammenhang mit der Industrie der Hochschulbildung werden zwei Dinge deutlich: 1) Die Freiheit des Ausstiegs wird nicht nur durch die im Wesentlichen nationale Konfiguration der Branche stark eingeschränkt, sondern unterliegt auch Einschränkungen durch eine zusätzliche Schicht disziplinärer Aufteilung, die unmittelbar mit der Geschichtsvergessenheit des modernen Übersetzungsregimes und des Gebietsdispositivs verbunden ist. 2) „Die Ökonomie des Austausches“, wie sie durch die Märkte organisiert wird, wird in den Geisteswissenschaften genau durch diese historischen Formen der von der disziplinären Aufteilung kodierten Übersetzung realisiert. Und gerade, weil sie durch die Produktion von Wissen, das selbst das rätselhafte Analogon aller anderen sozialen Praktiken, die die „Welt“ ausmachen, ist, vermittelt wird, ist diese „Ökonomie des Austausches“ immer an einer Übersetzungspraxis beteiligt. Die Übersetzung benennt die konkrete Form, die der Tauschwert in der Universität einnimmt, eine allgemeine Problematik der akademischen Arbeit im Dienste des Kapitals innerhalb der modernen Geisteswissenschaften.
Die Reduzierung der Übersetzung auf die Logistik, wie sie die Transformation der Geisteswissenschaften in eine Dienstleistungsindustrie kennzeichnet, verstärkt die Übersetzung von sozialem Wert in Tauschwert und erhöht die Notwendigkeit, Grenzen ständig zu performen. In dieser Konfiguration wird die Freiheit, sich „anderswohin“ zu bewegen, bereits von dem Gebietsdispositiv als eine Form der systemischen Verstärkung registriert. Deshalb kann der Westen auch niemals einfach als kartografische Einheit verstanden werden, sondern ist immer in ein paradoxes Schema logischer Differenz verwickelt, das sich in vergessenen historischen Trennungen ausdrückt. Daher muss die Bedeutung der Freiheit für die Übersetzungsarbeit neu definiert werden, um der performativen Natur der Grenzlogistik besser begegnen zu können.
In der Übersetzungswissenschaft wird der Freiheit des Übersetzers oft die Bedeutung von Normen gegenübergestellt (Chesterman 2016). Wenn jedoch akademische Freiheit eine institutionelle Angelegenheit und nicht nur eine Sache der individuellen Meinungsfreiheit ist (Vgl. Clark 2002), so steht der institutionelle Aspekt der Freiheit in der Übersetzung in direktem Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der disziplinären Aufteilung, die im modernen Übersetzungsregime zusammenkommen.
Deshalb ist es wichtig, sich an den verdrängten historischen Unterschied zu erinnern, wie er in der disziplinären Aufteilung als institutionalisierte Formen von Übersetzung und Adressierung kodiert ist.
Eine Darstellung der historisch-spezifischen Gründe, warum die Geisteswissenschaften nicht in der Lage waren, nachhaltigen Widerstand zu leisten und alternative Visionen zu ihrer Umwandlung in eine Dienstleistungsindustrie zu präsentieren, darf zwei Dinge nicht auslassen: Zum einen eine kritische Genealogie der performativen Rolle der Regionalstudien als logistische Übersetzungsmaschine, die sorgfältig an der institutionellen Peripherie angesiedelt war und deren Bedeutung in keinem Verhältnis zu ihrer relativen intellektuellen Bedeutungslosigkeit stand. Und andererseits die gleichgültige Komplizenschaft jener geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die als normativ angesehen und daher von empirischen Bereichen abgekoppelt wurden.
Interessant für eine mögliche Politik akademischer Arbeit als Gastarbeiter / Übersetzer sind Andrew Chestermans drei Prinzipien der „emanzipatorischen Übersetzung“. Das erste, von Chesterman so benannte TIANA Prinzip, ist ein Gegenvorschlag zu dem von einigen Ökonomen und Politikern geliebte Prinzip der Alternativlosigkeit TINA [There is no alternative] (S. Chesterman 2016, S.191). Das A, das in Chestermans Überarbeitung von TINA für „always [immer]“ steht („es gibt keine Alternative“ wird zu „es gibt immer eine Alternative“), erinnert glücklicherweise an die Beziehung zwischen Herkunft und Schmuggelware, die durch die Iterabilität untergraben wird. Daher überrascht es nicht, dass Chestermans zweites Prinzip das von Mikhail Bakhtin inspirierte Dialogische Prinzip ist. Dialog weist auf die Betonung der Relationalität hin, die auftritt, wenn der Ursprung nicht mehr die Position eines ontologisch Gegebenen einnimmt. Dieser Ontologie der Transindividualisierung entspricht eine Politik, die verkürzt als der Abbruch des neoliberalen Thatcherismus zusammengefasst werden kann. Sie geht davon aus, dass das Individuum die einzig aussagekräftige Analyseeinheit ist, und benutzt den Staat dazu, soziale Bedingungen zu schaffen, die der Kapitalakkumulation förderlich sind. Das Objekt der Zerstörung aber, das durch diese ersten beiden Prinzipien entfesselt wird, kehrt heimlich in Chestermans drittem Prinzip zurück, das ich das Prinzip der Individualität nenne. Anstatt die Übersetzung als einen Akt transduktiver Individuation zu sehen, führt Chesterman uns mit der Diskussion über die gesetzlichen Rechte und Verantwortlichkeiten eines Übersetzers zurück in den Bereich des sozialen Vertrags, der auf der Annahme einer impliziten Theorie des besitzergreifenden Individualismus beruht. Dies ist die von Myriam Suchet identifizierte „orthonomische“ Falle, die Illusion, die darin besteht, „Sprache“ als autonome und stabile Einheit zu denken, und die nur innerhalb eines bestimmten Denkprogramms, sozusagen eines orthonomischen Paradigmas besteht, durch das sich die Gleichung {eine einzige unteilbare Sprache} = {ein kohärentes sprechendes Subjekt} = {ein Nationalstaat} herauskristallisiert (Vgl. Suchet 2016, S. 48).
Da kein Platz mehr für weitere Diskussionen bleibt, wenden wir uns schnell Fred Moten und Stefano Harney zu, die das affektive Prinzip der Haptikalität als Ersatz für das kompromittierte dritte Prinzip von Chesterman hervorheben. Haptikalität ist eine Form des Gefühls, die weder individuell noch kollektiv, sondern transduzierend ist,: „Diese Form des Fühlens war nicht kollektiv, nicht festgelegt auf die Entscheidung, sie hielt sich nicht fest und sie verband sich nicht mit Siedlung, Nation, Staat, Territorium oder historischer Geschichte; sie wurde auch nicht wieder von der Gruppe in Besitz genommen [...]“ (Moten & Harney 2016, S. 120). Haptikalität als Fähigkeit, durch andere zu fühlen und umgekehrt, ist genau die affektive Struktur der Übersetzung. Übersetzung bedeutet, als Anderes zu sprechen, ohne ein eigenes Individuum zu sein. Hierin liegt unsere Freiheit, die wahre Freiheit des Übersetzers / Gastarbeiters. Dies ist weder die Freiheit, sich ganz wie man möchte zu fühlen (Konsumismus), noch die Freiheit, den Zugang für andere zu kontrollieren (Torwächter-Professionalität) oder die Freiheit, gleichgültig zu bleiben (disziplinäre Spezialisierung und Management), sondern die Freiheit die Unbestimmtheit, Potentialität und Virtualität dessen, was gemeinsam ist und geteilt wird, zu berühren und von ihr berührt zu werden. Die Freiheit, atopisch und indisziplinär zu übersetzen, ist die Freiheit, für eine radikale Umgestaltung des Gebietsdispositivs und der anthropologischen Differenz zu kämpfen.
Literaturverezeichnis
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Moten, Fred und Stefano Harney: Die Undercommons: Flüchtige Planung und schwarzes Studium, Wien / Linz / Berlin / London / Zürich: transversal texts, 2016. Aus dem Englischen von Birgit Mennel und Gerals Raunig. Hg. von Isabell Lorey.
Moulier-Boutang, Yann: “Between the Hatred of All Walls and the Walls of Hate: the Minoritarian Diagonal of Mobility”, in: “Race” Panic and the Memory of Migration, hg. von Meaghan Morris & Brett de Bary. Hong Kong: The University of Hong Kong Press, 2001.
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