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12 2005

Zur Neuformierung kritischen Wissens

Alex Demirovic

Foucault konnte in den 1970er Jahren zu der Diagnose gelangen, dass die Universitäten zu ultrasensiblen Zonen geworden seien, weil sich ihre Machtwirkungen vervielfältigten und verstärkten, weil praktisch alle Intellektuellen durch sie hindurchgingen (vgl. Foucault 2003, 146). Heute, dreißig Jahre später, hat die Machtwirkung der Universitäten sicherlich nicht nachgelassen, wahrscheinlich hat sie sogar in mancher Hinsicht noch zugenommen, aber die Kämpfe haben sich verlagert, sie gehen trotz aller Diskussionen über Inter-, Trans- und Postdisziplinarität kaum um den wissenschaftlich-theoretisch sinnvollen Zuschnitt der Disziplinen, um die Inhalte, die unterrichtet, um Forschungen, die installiert, um Hochschullehrerstellen, die mit geeigneten Personen besetzt werden müssten. Die Erwartungen an solche Prozesse sind gering geworden, generell findet ein Rückbau der Möglichkeiten statt: Sparen heißt Herrschen. Die gegenwärtigen Veränderungen der Hochschulen laufen darauf hinaus, die Arbeitsbedingungen und die epistemische Form für kritische Intellektuelle und kritisch-materialistische Theorie wieder einmal zu ändern. Zunächst einmal handelt es sich um den Umstand, dass aus Altersgründen diejenige Generation die Hochschulen verlässt, die im Zuge ihrer Erweiterung Ende der 1960er Jahre berufen wurde. Dies gibt den Hochschulleitungen die Möglichkeit, direkt durch Berufungspolitik das Projekt kritischer Gesellschaftstheorie durch eine entsprechende Rekrutierung von affirmativen WissenschaftlerInnen zu beenden oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum noch entschiedener zu schwächen als dies in den vergangenen Jahren der Fall war. Immer weniger wird es möglich, Diskussionszusammenhänge an den Hochschulen aufrecht zu erhalten. Das Studium wird durch Modularisierung stark verschult, die Ausrichtung an berufspraktischen Ausbildungszielen, die damit verbundene Einführung von BA- Studiengängen und Studiengebühren zwingt die Studierenden, sich effizient und konzentriert an kanonisierten Wissensvorgaben zu orientieren. Die Möglichkeiten zu selbstbestimmter und vagabundierender, der Neugier und sachlich-begrifflichen Fragen folgender Wissensaneignung über einen längeren Zeitraum werden eingeschränkt. Komplementär werden die Hochschulen auf das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit eingestellt. Dies hat zur Folge, dass Fachgebiete, Studiengänge und HochschullehrerInnen evaluiert und mittels allgemeiner Qualitätsstandards homogenisiert werden. Die Leistungsvorgaben und Benchmarks werden in der Konkurrenz dynamisch immer weiter nach oben geschoben und machen die Evaluation zu einer Dauereinrichtung. Dies führt zu mehr Verwaltung ebenso wie zu noch mehr Bemühungen, Drittmittel einzuwerben. Zusammen mit den Folgen des modularisierten Unterrichts und vermehrten Prüfungen kommen viele HochschullehrerInnen nicht mehr oder nur noch knapp zu wissenschaftlicher Arbeit. Vom allgemeinen Niveau der wissenschaftlichen Arbeit abgesehen, wird das in der Folge auch das wissenschaftliche Niveau der Lehrveranstaltungen selbst senken.

Dass sich kritisch-materialistische Theorie der Gesellschaft an den Hochschulen reproduziert, ist schwieriger, wenn nicht sogar in vielen Hinsichten unmöglich geworden. Mit der Reorganisation des akademischen Wissensfelds wird auch das Bündnis mit kritischer Theorie aufgelöst. In vielen Disziplinen wie Ökonomie und Rechtswissenschaften oder Literaturwissenschaft, Psychologie und Philosophie, in denen es wenigstens Ansätze kritischer Theoriebildung gab, scheinen diese weitgehend verschwunden, in anderen wie Soziologie, Politikwissenschaft oder Geschichtswissenschaften sind sie marginalisiert. Dies bedeutet freilich nicht, dass es nicht einzelne Personen gibt, die zur kritisch-materialistischen Theorie beitragen. Aber wahrscheinlich können auch sie es vermehrt nur noch neben ihrer Hauptarbeit als VermittlerInnen von modular weitgehend festgelegten Lerneinheiten, GutachterInnen, AntragstellerInnen, WissenschaftsmanagerInnen und VerwalterInnen tun. Die kritische Tätigkeit findet eher als begrenzter feierabendlicher Zusatz neben den sonstigen Tätigkeiten statt, führt aber selbst nicht mehr zu einem identifizierbaren Zusammenhang von Lehre, Diskussion, Nachwuchsförderung, Theoriebildung und empirischer Forschung.

Wenn wir nicht von der Hochschule her denken, sondern von den Traditionslinien und epistemischen Formen kritischer Theorie der Gesellschaft – die von Helvetius und Condorcet, de Gouches und Wollstonecraft über Weitling und Marx, Luxemburg und Lukács, Gramsci, Horkheimer, Adorno, Sartre und Beauvoir bis zu Althusser, Foucault, Deleuze und die vielen anderen, die hier nicht genannt werden können, reicht – dann stellt sich die Frage anders. Denn ganz allgemein gesprochen gibt es freilich keinen Zweifel, dass in einer von sozialen Gegensätzen durchzogenen Gesellschaftsformation mit ihren Krisen, der Abpressung von Mehrarbeit und privaten Aneignung von gesellschaftlicher Arbeit, der Polarisierung von Arm und Reich, den weiterhin ungelösten ökologischen Problemen, der Kriminalisierung und Psychiatrisierung, den Entdemokratisierungsprozessen, der Ausplünderung des Südens auch weiterhin Kritik und kritische Theorie stattfinden wird. Doch die historische Selbstverständlichkeit ihrer Verbindung mit den Hochschulen wird es nicht mehr geben. Problematik, Begriffe, Relevanzkriterien, konkrete Gegenstände der Kritik und die Art und Weise der theoretisch-empirischen Analyse werden sich zukünftig herausbilden. Es wird eine neue epistemische Form entstehen, für die wie für viele andere gesellschaftliche Konstellationen vielleicht das Netzwerk relevant zu werden scheint (vgl. Boltanski/Chiapello 2003), also eine zu einem guten Teil inter- und transnationale Vernetzung von intellektuellen Debatten und postdisziplinärer theoretischer und politischer Arbeit, die begriffliche Reflexion, empirische Forschung, Erfahrungsbericht und neue Formen künstlerischer Praxis umfasst, die einzelne WissenschaftlerInnen an den Hochschulen ebenso wie JournalistInnen und Zeitschriftenredaktionen, freie Forschungsgruppen und -institute, militante Forschungszusammenhänge, Nichtregierungsorganisationen oder Think tanks einschließt. Die Lebensläufe verlaufen diskontinuierlich, die Arbeitsbereiche wechseln. Häufig handelt es sich um Projektarbeit mit kurzen oder längeren Beschäftigungsphasen, wissenschaftliche geht in politische Arbeit über und umgekehrt, es kommt zu hoher Mobilität und Flexibilität hinsichtlich der räumlichen Bewegung, der sozialen Kontakte, der Themen und Aktivitäten. Die Hochschulen können dabei insofern noch immer eine gewisse Rolle spielen, als es hier immer wieder Ressourcen gibt und einzelne Hochschulangehörige mit diesen Netzen und Projekten verbunden sind. Doch die Hochschulen verlieren ihre Bedeutung als Orte, an denen kritisches Wissen erarbeitet und reproduziert werden kann. Nicht zuletzt durch die Marginalisierung und Ausgrenzung kritischer Ansätze verringert sich ihre Innovationsfähigkeit und ihre Internationalität.

Es wäre freilich zu einseitig, nur positive Aspekte hervorzuheben. Die Nachteile sind offenkundig. Es kommt zu einer Prekarisierung der intellektuellen, kritischen Arbeit, es kommt nicht zur Möglichkeit einer Lebensplanung mit sicheren Erwartungen, sondern ein kompliziertes Management der Gefühle gegenüber BeziehungspartnerInnen, die weit entfernt wohnen, FreundInnen und KollegInnen, die verstreut über große Distanzen leben, wird erforderlich. Selbst die räumliche Mobilität ist prekär, weil sie von Ressourcen abhängig ist, die nicht immer zur Verfügung stehen. So sind die Möglichkeit, die Kontakte, Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten aufrechtzuerhalten, beschränkt oder bedroht. Diejenigen, die diese intellektuelle Arbeit leisten, können dies häufig nur neben sonstigem Gelderwerb tun, oder müssen häufig und in schnellem Rhythmus von Projekt zu Projekt springen. Der Aufwand für die Beschaffung der Ressourcen ist eher hoch und engt auch die Spielräume in der jeweiligen Projektarbeit wiederum ein. Die Projekte selbst sind häufig unrealistisch kurz befristet und vielfach unterfinanziert. Die Theoriebildung und empirische Forschung, häufig Auftragsarbeit in der Nähe von Parteien, Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen, droht kurzatmig zu werden.[1] Stabile Kompetenzen können sich möglicherweise nicht wirklich herausbilden, vielmehr erzwingt der schnelle Wechsel der Projekte und Themen, sich oberflächlich einzuarbeiten, sich nicht zu eng an Gewusstes oder gar Erfahrung zu binden. Aufgrund des Drucks, sich schnell in verschiedene Bereiche einzuarbeiten, droht die Gefahr des Dilettantismus; gleichzeitig gibt es nirgendwo in der Gesellschaft noch die Forschung, die umfassend einen Gegenstandsbereich untersucht. Auch methodologische Probleme sind gravierend: Die Auflösung der disziplinären Ordnung desorientiert, der Wissenskanon und die Referenzen werden instabil. Die Theorie tendiert zum Empirismus, denn da viele Einzeltheorien zu einzelnen Gesellschaftsbereichen und Handlungslogiken entstehen, von denen nicht zu erwarten steht, dass sie auf eine einzige universelle Logik – die Ökonomie oder die Sprache – reduziert werden können, entsteht das Problem ihres Zusammenhangs. Wird angenommen, Theorien seien bloße Werkzeuge, um einen besonderen Gegenstand bearbeiten zu können, so liegt der Verzicht darauf nahe, einen Zusammenhang zu denken.

Theorie ist ja substanziell etwas anderes als ein Instrument, es ist die Form, in der das dem Handeln voraus gehende und Welt erschließende Denken Gestalt annimmt, um jenem Richtung, Maßstäbe und Grenzen zu geben. Aus einer nicht unbegründeten Angst vor der Totalisierung der Theorie, die komplexe Verhältnisse auf bestimmte Aspekte reduziert, wird das Projekt der kritischen Theorie der Gesellschaft schon von vornherein durch das Theorie- und Wissenschaftsverständnis geopfert und behauptet, ihre Möglichkeiten seien eng begrenzt – eine Behauptung, die nicht falsch wäre, wenn sie damit verbunden wäre, dass die Praxis noch engere Grenzen hat. Doch auch die umgekehrte Gefahr besteht: um den Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren, werden aufgrund mangelnder Ressourcen (Individuen, Zeit, Geld, Kompetenzen, Forschungseinrichtungen) fragwürdige Schwerpunkte gebildet, von denen aus wie mithilfe eines metaphysischen Schlüssels die Breite gesellschaftlicher Entwicklungen erklärt werden sollen. So häufig wird ja übersehen, dass der Ökonomismus selbst eine sicherlich begrenzte, aber rationale Wissenspraxis war, sofern er für die wenigen wissenschaftlichen Kräfte eine Priorität ihrer Arbeit schuf. So ist es denn auch nicht zufällig, dass erst mit der allmählichen Verankerung gesellschaftskritischen Wissens innerhalb der Hochschulen auch die Herrschaftsmodalitäten der Politik und Kultur Gegenstände detaillierter Forschung wurden. Das alles (schwache Diskussionszusammenhänge, diskontinuierliche Arbeit, materielle Unterausstattung, methodologisch-epistemologische Unklarheiten) sind der intellektuellen Arbeit abträgliche Bedingungen.

Gibt es einen die historischen Phasen intellektueller, kritischer Theoriebildung und epistemischer Formen – Religions- und Sittenkritik, Journalismus, parteiorientierte Kritik der politischen Ökonomie, universitätsgestützter, kulturkritischer Nonkonformismus der kritischen Intellektuellen und schließlich die sich neu andeutende Form der netzwerkartigen, postdisziplinären nomadischen Kritikpraxis – übergreifenden Gesichtspunkt? Es geht ja nicht allein um die Beschreibung von vier oder fünf Phasen der Gesellschaftskritik, sondern es stellt sich die Frage nach dem Emanzipationsmoment und die nach dem Fortschritt der Emanzipation. In der ganzen Tradition des kritischen Denkens wurde er darin gesehen, dass alle den Zugang zu den gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit zur Erzeugung des universellen Wissens haben, dass sich alle die Kompetenzen zur geistigen Arbeit aneignen und von ihnen Gebrauch machen können, dass alle am Genuss und der Lust der Erkenntnis teilhaben – und das am Ende für dieses Ziel die gesellschaftliche Arbeitsteilung in ihrer Gesamtheit verändert werden muss. In den Krisen der Produktion und Reproduktion kritischen Wissens kommt es – wie im Fall von Wirtschaftskrisen – zur Reorganisation der intellektuellen Produktion und zu neuen und höheren Stufen der Vergesellschaftung und Kooperation (vgl. zu diesem Argument O'Connor 1999). Die internationale Kooperation dehnt sich deutlich aus, in Europa bilden sich länderübergreifende Forschungsnetzwerke und Austausch; Intellektuelle des Südens sind selbstverständliche TeilnehmerInnen an den globalen wissenschaftlichen Diskussionen und tragen zur Auflösung des Wissenschaftsmonopols des transatlantischen Nordens bei. Ebenso haben feministische, gender- und queer-Theorien in den vergangenen dreißig Jahren die Perspektiven kritischer Theorie der Gesellschaft nachhaltig verschoben. Eine zunehmende Zahl von Individuen drängt in das terziäre Bildungssystem, Frauen haben sowohl der Zahl als auch der Leistung nach die Männer eingeholt. Entgegen dem allgemein gepflegten Jugendkult lässt sich formalisiertes Lernen biographisch nicht mehr auf die Jugendphase begrenzen. Die Wissenschaften verlieren ihre Fähigkeit zur Behauptung eines linearen und bloß objektivierenden Wissens, sie verlieren ihre autoritäre Bindungskraft und werden zum Feld von Kontroversen. Als gesellschaftliche und politische Kraft in den verwissenschaftlichten Prozessen der alltäglichen Arbeit und des Lebens erfahren, kommt es zu Auseinandersetzungen um ihre Bedeutung und ihren Status. Gegen die Disziplinierung des wissenschaftlichen Wissens durch die disziplinäre Kontrolle und Regelung des Sagbaren und Unsagbaren entstehen kritische Praktiken der wissenschaftlichen Arbeit und des Wissens. Die Grenzlinien, die die Universitäten zwischen den Wissenschaften und dem Leben der Laien ziehen, verlieren dramatisch an Plausibilität. Dies wird dort ein Problem, wo dies von der Verachtung der Wissenschaften und der Rationalität ausgebeutet wird, wo antiintellektuell jede Alltagsreligion und jeder Alltagsverstand, wo Spiritualismus und Religion, um sich selbst aufzuwerten, theoretisch-systematische Analysen zu einer bloßen Meinungsäußerung abwerten. Jene Auflösung kann aber dort eine emanzipatorische Bedeutung annehmen, wo der Alltagsverstand unter den Druck wissenschaftlicher Argumente gerät und seine Macht der Selbstverständlichkeit verliert. Selbst das verkaufte, das kulturindustrialisierte Wissen kann eine demokratisierende Wirkung entfalten, weil es als kaufbare Ware allen gleichermaßen zugänglich wird und viel von der Aura der akademischen Sakralisierung verliert. Wissen, dessen Qualität sich in ständigen Überprüfungen immer neu ausweisen muss, ist damit in seinem disziplinären Zuschnitt, in seinem Kanon, in Theorien und Thesen, in der Art der Vermittlung auch verstärkt kritisierbar.

Es scheint, dass die gesellschaftliche Entwicklung dazu beigetragen hat, privilegierte Orte der kritischen Theorie und der Erkenntnis zu beseitigen. Wer wollte bestreiten, dass dies erneut – und vielleicht sogar noch grundlegender als in den 1930er Jahren - die Gefahr beinhaltet, die Bedingungen der Möglichkeit für die Existenz der natürlichen Subjekte der Vernunft und das Potenzial kritischer Theorie zu schwächen? Doch gleichzeitig vervielfältigen sich die Ausgangspunkte für emanzipatorische Politiken um die Wahrheit, der Kämpfe gegen das Bildungsprivileg und die tiefste Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung: die von geistiger und körperlicher Arbeit, sowie für die Erzeugung und Durchsetzung kritisch-theoretischen Wissens. Es gehört zu den Einsichten früherer Phasen kritischen Wissens, dass das kritische Wissen selbst keine selbstverständliche Gegebenheit ist, sondern dass es der spezifischen Anstrengungen bedarf, früheres kritisches Wissen zu bewahren und neues zu erzeugen. Daran sollte hier erinnert werden, um einen Impuls zu geben, dafür neue Wege zu suchen und zu gehen, so wie auch die vor uns neue Wege beschritten haben.

 

Literatur:

Boltanski, Luc/Chiapello, Eve (2003): Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz

Bourdieu, Pierre (1991): Der Korporativismus des Universellen, in: ders.: Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg

Demirovic, Alex (1999): Der nonkonformistische Intellektuelle, Frankfurt am Main

Foucault, Michel (2003): Die politische Funktion des Intellektuellen, in: ders.: Schriften, Bd. III, Frankfurt am Main

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1946): [Rettung der Aufklärung. Diskussion über eine geplante Schrift zur Dialektik], in: HGS 12, Frankfurt am Main 1985

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1947): Dialektik der Aufklärung, in: HGS 5, Frankfurt am Main 1987

HGS= Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main

Kaindl, Christina (2005): Vorwort, in: dies. (Hg.), Kritische Wissenschaften im Neoliberalismus. Eine Einführung in Wissenschafts-, Ideologie- und Gesellschaftskritik, Marburg

O'Connor, James (1999): Kapitalismus, Natur und Sozialismus. Eine theoretische Einführung, in: Kurswechsel, H. 3

Tjaden, Karl Hermann (2006): Voraussetzung, Gegenstand und Ziel kritischer Gesellschaftswissenschaft, in: Stephan Moebius, Gerhard Schäfer (Hrsg.), Soziologie als Gesellschaftskritik. Wider den Verlust einer aktuellen Tradition, Hamburg

 

Der vorliegende Aufsatz wurde in ausführlichen Fassungen veröffentlicht in Kurswechsel, Heft 4/2005 und im Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 7/8, 2006.



[1] Für die Gewerkschaften sind diese Entwicklungen, die sie m.E. noch nicht ernst genug nehmen, obwohl sie gerade im Bereich der Wirtschaftswissenschaften damit schon länger konfrontiert sind, folgenreich. Denn wie selbstverständlich konnten sie sich auf ein gesellschaftskritisches Wissen berufen, das ihnen in den vergangenen Jahrzehnten umfassend von kritischen WissenschaftlerInnen und ForscherInnen zur Verfügung gestellt wurde. Selbst wenn es finanziell gefördert werden musste, also nicht als frei verfügbares Allgemeingut vorhanden war, so gab es doch die ausgebildeten WissenschaftlerInnen. Das ist nicht mehr oder immer weniger der Fall. Damit werden die Gewerkschaften abhängiger von vorherrschendem und teurem ExpertInnenwissen oder, wo sie misstrauisch sind, entsteht die Gefahr der intellektuellen Selbstbegrenzung. Strategische Diskussionen werden kurzatmiger und verlieren an Komplexität. Für linke Zusammenhänge gilt Vergleichbares. Sie konnten seit den 1960er Jahren davon profitieren, dass es einen ständigen wissenschaftlichen und personellen Austausch mit den Hochschulen gab. Was so lange von Vorteil war, könnte zum besonderen Nachteil werden, weil nach 1968 die westdeutsche Linke ihren Ort in einem starken Maß an den Hochschulen hatte. Geht dieser verloren, wird die Linke überproportional stark geschwächt. Kapitalismuskritik könnte auf moralische und Gesinnungskritik zurückfallen. Sie wäre geschwächt, weil ihr der ausgreifende Horizont wissenschaftlich systematischen Wissens fehlt.