05 2001
Ambivalente Hybriditäten: vom Werden versprochener Subjekte
Manchmal liegen die Gründe für so genannte Missverständnisse gegenüber einem bestimmten Begriff in Schwächen dieses Begriffs selbst. Das wird spätestens dann augenfällig, wenn selbst wortführende TheoretikerInnen jenes Bereichs, in dem ein solcher Begriff zu zentraler Bedeutung gelangt ist, diesen "Missverständnissen" aufsitzen oder sie sogar erzeugen.
Der Begriff der Hybridität ist ein gutes Beispiel dafür. Vor allem innerhalb der Postcolonial Studies zu einem Schlüsselkonzept avanciert und mittlerweile in das weite Feld diverser politischer und Kulturaktivismen übernommen, scheint er zuweilen einem einzigen großen Missverständnis Ausdruck zu geben; so etwa wenn Edward W. Said, Autor einiger Standardwerke der Postcolonial Studies, mit Blick auf in Europa lebende MigrantInnen asiatischer oder afrikanischer Herkunft schreibt: "Ich denke, es wäre ein groteskes Missverständnis der kulturellen Entwicklung, wenn man aus rassischen oder ethnischen Gründen diesen neuen Bereich der europäisch-außereuropäischen Kultur ausschlösse. Alle Kulturen sind hybrid, keine ist rein, keine ist identisch mit einem reinrassigen Volk, keine ist homogen." [1]
Aussagen dieser Art scheinen zunächst - soweit sie sich auf die Feststellung beschränken, "Kulturen" seien in sich niemals homogen - schlicht und einfach banal. Die Sache kompliziert sich allerdings bereits angesichts der Frage, was die Rede von "Kulturen" hier eigentlich bedeuten soll: Wenn nämlich "alle Kulturen" hybrid sind, wie sollen diese Kulturen dann als solche, genauer: als bestimmte kulturelle Totalitäten identifizierbar sein? Schließlich setzt jede Aussage des Typs "Diese Kultur ist hybrid" voraus, dass "diese Kultur" als diese hybride Kultur (und nicht als eine andere) identifiziert worden ist; gleichzeitig kann diese Identifikation aber nicht an einer Identität der gemeinten Kultur mit sich selbst festgemacht werden, da diese ja hybrid ist.
Die Aussage spannt also ein diskursives Feld auf, das sich zwischen einem Hybriditätspol auf der einen und einem Identifikationspol auf der anderen Seite erstreckt. Der Versuch, sie in Richtung Hybridität aufzulösen, mündet letztlich in den Gemeinplatz: "Alles soziale Zusammenleben ist heterogen", mit dem so gut wie alle politischen und gesellschaftlichen Fragen eröffnet sind, aber kaum eine beantwortet; am anderen Pol verbietet sich zwar die Annahme einer vorgegebenen Identität (bzw. werden Identitätsfiguren als historische Narrative oder ideologische Konstruktionen analysierbar), aber nur um das Problem von Identifikationsoperationen, wie sie noch in der eigenen Aussage am Werk sind, völlig offen zu lassen.
All dies ist kaum verwunderlich, nicht nur angesichts der prekären Geschichte des Hybriditätsbegriffs, die in die Botanik, Zoologie und etwas später die "Rassenlehren" des 18. und 19. Jahrhunderts weist [2], und damit in den Umkreis von Ideen und Praxen der Züchtung, Kreuzung und Sozialtechnologien, für die die Opposition von "Reinhaltung" und "Vermischung" ebenso zentral war wie ein systematischer Identifikationswille, der wohlgemerkt vor dem "Hybriden" nicht Halt machte. Es ist auch kein Zufall, dass sich das Hybriditätskonzept - in den neueren Theoriebildungen gerade gegen rassistische Verfemungen gewendet - vornehmlich in Diskursen über "Kultur" entwickelt hat. Es ist oft festgestellt worden, dass der Diskurs über Kultur(en) sich weniger auf vorgegebene - etwa naturhafte - Identitäten bezieht, sondern vielmehr einen Schematismus der Identität(en) ins Werk setzt, der die Identitätsbestimmung von Kollektiven zwar in letzter Instanz leer lässt, aber nur um geradezu zwanghaft an kulturellen Identitätsfiguren interessiert zu sein - mehr noch: diese hervorzubringen.
Genau aus diesem Grund jedoch bleibt die Rhetorik der Hybridität nicht nur eigentümlich zahnlos in der Auseinandersetzung mit neorassistischen Kulturalismen theoretischer oder politischer Art, sondern findet sich von diesen zuweilen auch direkt in Dienst genommen: so etwa, als vor gut zwei Jahren aus der FPÖ zu hören war, MigrantInnen aus den ehemaligen Monarchieländern würden ohnehin als "Österreicher" empfunden - im Gegensatz freilich zu den "außereuropäischen Muslimen". Der Erfolg des ermordeten niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn ist auf ein ähnliches Phänomen zurückzuführen: Mit den MigrantInnen verschiedener Generationen, die die niederländische Gesellschaft prägen, habe er kein Problem (nach ihrem Wahlerfolg fordert die Liste Fortuyn nun sogar eine Kampagne zur Regularisierung von Sans-Papiers, die der drastischen Verschärfung der Zuwanderungsbestimmungen vorausgehen soll), aber nun sei es eben - da sämtliche sozialen Probleme mit Migration verknüpft seien - genug damit, und überdies sei der Islam eine "rückständige Kultur".
Das Bekenntnis zur "Hybridität" - dieser Hybridität, die im jeweiligen Fall vordergründig affirmiert wird - lässt sich also, entgegen der suggestiven Formulierung Edward Saids, trefflich mit einer rigorosen Politik des Ausschlusses verbinden. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass die Verhandlung dieser oder jener Identität, dieser oder jener Hybridität nur dazu dient, einen anderen Ausgrenzungsmechanismus zu verschleiern, der nicht "kultureller", sondern politisch-juridischer Art ist: den konstitutiven Rechtsausschluss von Nicht-StaatsbürgerInnen aus dem Nationalstaat - mit allen seinen Konsequenzen, die heute sichtbarer denn je werden (denken wir an die Flüchtlingslager, die Flüchtlingsschiffe, die Formen der wirtschaftlichen Inklusion von ArbeitsmigrantInnen, die nichtsdestoweniger denselben konstitutiven Rechtsausschlüssen unterliegen, die daraus resultierenden Abdrängungen in die Klandestinität, aber auch an die fortschreitende Militarisierung der Grenzsicherung).
Die Soziologin Nora Räthzel bringt das Problem auf den Punkt, wenn sie schreibt: "Somit ist die Beantwortung der Frage: aus welchen Kulturen (Ethnien) setzt sich die Nation zusammen, keine Antwort auf die Frage, wie sich Ausgrenzungsprozesse verhindern lassen. Im Gegenteil, die Antwort Hybridität bestätigt nur den Rahmen, der Ausgrenzungsprozesse hervorbringt, indem sie ihn unangetastet lässt und lediglich seinen Inhalt anders definiert." [3]
Wie aber ist angesichts all dessen ein "hybrider Widerstand" denkbar? Eine etwas überspitzte erste Antwort darauf lautet: gar nicht. Jedenfalls so lange nicht, solange die Widerstandspotenziale (gegen Rechtsextremismen, Rassismen, die gegenwärtige Globalisierungspolitik etc.) im bloßen Faktum unterschiedlicher Gemengelagen von AkteurInnen vermutet werden. Ein solcher Widerstand baut auf den Bedingungen seiner eigenen Ohmacht; er droht eine abstrakte Heterogenität zum nicht weiter befragten Selbstzweck werden zu lassen und schließlich an einander ausschließenden Identifikationen zu zerbrechen. Die Ausweitung des Hybriditätsbegriffs über Fragen "kultureller Zugehörigkeit" hinaus auf verschiedene Arten von Terrainüberschreitungen zwischen Kunst und Politik, Theorie und aktivistischer Praxis, StaatsbürgerInnen und Nicht-StaatsbürgerInnen etc. ändert daran, schon aufgrund bestehender struktureller Zwänge, meist wenig.
Eine weiterführende Perspektive eröffnet hingegen eine Analyse von "Hybridisierungsprozessen", die der Postkolonialismustheoretiker Homi K. Bhabha [4] gegeben hat: "Hybridität" habe sich im kolonialen Kontext vor allem dadurch entwickelt, dass die Kolonialmacht, um ihre Herrschaft konkret durchzusetzen, auf eine Übernahme von Autoritätssymbolen und -diskursen durch die Unterworfenen angewiesen gewesen sei. Diese Wiederholung des Herrschaftsverhältnisses im Akt der Unterwerfung ist jedoch etwas anderes als dessen bloße Repräsentation. Sie führt durch die Wiederholung bzw. durch die zustande kommende Verfremdung eine Differenz in die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse ein, die weder die koloniale Autorität noch auch die unterdrückte Gesellschaft unberührt lässt, sondern sie "hybridisiert" und zugleich die bestehende Macht verzeitlicht und destabilisiert; sie verfremdet und transformiert, so Bhabha, die Symbole der Autorität in Zeichen der Differenz.
Die Potenziale der Widerständigkeit nähren sich demzufolge aus dem Wesen der Macht selbst, die sich - um sich als Macht erhalten zu können - immer aufs Neue inszenieren muss: "Die Reiteration der Macht", schreibt etwa Judith Butler, "verzeitlicht nicht nur die Bedingungen der Unterordnung, sondern erweist diese Bedingungen auch als nichtstatisch, als temporalisiert - aktiv und produktiv. Die durch die Wiederholung erzielte Verzeitlichung bahnt den Weg für die Verschiebung und Umkehr der Erscheinung der Macht." [5] Der sich auf diese Weise formierende Widerstand hat jedoch einen Preis: Er ist dazu gezwungen, sich im Rahmen einer gewissen Komplizenschaft mit der Macht, gegen die er opponiert, zu artikulieren. Oder, um noch einmal Butler zu zitieren: "Im Akt der Opposition gegen die Unterordnung wiederholt das Subjekt seine Unterwerfung" [6] - nichtsdestoweniger handelt es sich um einen Akt der Opposition.
Ein gutes Beispiel dafür bietet die Wiener Wahl Partie, jene Plattform, die im Frühjahr 2001 in den Wiener Gemeinderatswahlkampf intervenierte. Zentrale Forderung der Kampagne war das Wahlrecht für nicht eingebürgerte MigrantInnen, zentraler Angriffspunkt dementsprechend die deliberative Fiktion eines umfassenden gesellschaftlichen Interessenausgleichs, der gleichwohl migrantische Teile der Gesellschaft ausschließt. Das Wahlverfahren entpuppt sich so als ein Dispositiv, das zwar eine gewisse demokratische Kontrolle der staatlichen Macht erlaubt, zugleich aber einen Ausgrenzungsmechanismus etabliert und wiederholt, der in der Wahl selbst kaum anfechtbar ist.
Die Wiener Wahl Partie reagierte darauf, indem sie sich nicht als Partei, sondern - in einer Geste der Verfremdung - als Partie formierte, wodurch der Ausgrenzungsmechanismus unterlaufen und eine konstitutive Zusammenarbeit zwischen migrantischen und nicht migrantischen Gruppen möglich wurde. In Anwendung klassischer Wahlkampfmethoden (Öffentlichkeitsarbeit, Wahlkampfauftritte auf Wiener Märkten etc.) und spezifischer Strategien (z. B. der Verbreitung von Flugblättern in türkischer und serbokroatischer Sprache) wurde nicht nur die Wahlrechtsforderung vertreten, sondern auch um Wahlbeteiligung eingebürgerter MigrantInnen (insbesondere der so genannten zweiten Generation) geworben, deren unterdurchschnittliche Teilnahme an Wahlen als Sekundäreffekt des gesellschaftlichen Ausschlusses verstanden werden kann.
Obwohl extrem darauf bedacht, jede Komplizenschaft mit der Macht zu meiden, konnte jedoch auch die Wiener Wahl Partie dieser Komplizenschaft nicht ganz entkommen: schon deshalb nicht, weil eine Wahlkampagne, deren AkteurInnen selbst nicht wählbar sind, sich natürlich ihrerseits den bestehenden Regulativen durch eine Art Selbstausschluss unterordnet. Auch allgemeiner gilt, dass Schwierigkeiten dort vorgezeichnet sind, wo die unterschiedlichen politischen Situationen und Abhängigkeiten von AktivistInnen die Handlungsoptionen limitieren und mitbestimmen. Schließlich vermag auch die notorische "Ehrenamtlichkeit" aktivistischer Arbeit, selbst noch als Komplizin vorherrschender Wertabsteckungen entzifferbar, Abhängigkeiten nicht zu umgehen, sondern nur in individuelle Erschöpfung und ökonomische Balanceakte umzuleiten.
Solche Erfahrungswerte belegen - abseits der persönlichen Entmutigungen, die sie zum Teil hervorrufen - vor allem die unausweichliche Wiederholung bestehender Machtverhältnisse, in die sich politisch-aktivistisches Handeln involviert. Sie weisen aber auch auf die Frage hin, wie mit dieser Unausweichlichkeit umgegangen werden kann, d. h. welches Ineinandergreifen von politischen Inhalten, Handlungsstrategien und der Herstellung konkreter Allianzen tatsächlich geeignet ist, eine bestimmte "Verschiebung und Umkehr der Erscheinung der Macht" (Butler) zu bewirken. Kurzum: Sie weisen auf die Frage nach der politischen Organisation hin.
Die Antwort "Hybridität" erweist sich angesichts dieser Frage als Leerformel: Selbst wo sie, wie bei Homi Bhabha, über die bloße Heterogenitätsfeststellung hinaus auf die Entstehungsbedingungen von Widerstandspotenzialen hinweist, bleibt sie doch zumeist die Auskunft über politisch-konkrete Veränderungspotenziale dieses Widerstands schuldig. Am Ende sickert der neue Hybriditätsdiskurs signifikanterweise dorthin zurück, woher er gekommen ist: in eine nebulose "Kultur", die nun nicht mehr als "die Quelle des Konflikts" zu verstehen sei, sondern als "Effekt diskriminatorischer Praktiken" sowie als "Produktion kultureller Differenzierung als Zeichen der Autorität" [7], der aber jedenfalls alle Hoffnungen anvertraut werden. Wenn auch kaum zu bezweifeln ist, dass dadurch Markierungen der Macht geschaffen werden, so ist es doch keineswegs ausgemacht, dass diese Markierungen etwas anderes sind als Symptome einer Gesellschaft, die keinen Ausweg aus ihren Problemen findet.
Die klassisch-marxistische Linke behauptete, im Proletariat das soziale Subjekt der Veränderung erkannt zu haben, und versprach eine gute und gerechte postrevolutionäre Gesellschaft. Jene heutige Linke, die die Antwort "Kultur" gibt, bevor sie die Frage nach der politischen Organisation (und damit den konkreten Handlungsperspektiven von alten und neuen politischen Allianzen) überhaupt stellt, verspricht häufig nur noch, dass die sozialen Subjekte selbst in Veränderung begriffen sind und sich daraus schon die entsprechenden Widerstands- und Emanzipationspotenziale bilden werden. Das könnte vielleicht beruhigend sein, wenn nicht zur gleichen Zeit die politischen und sozialen Verwerfungen der Gesellschaften, in denen wir leben, immer größer und immer rigoroser würden.
Ach ja, und da nächstes Jahr in Österreich Nationalratswahlen anstehen: Es ist Zeit, wieder Wahl Partien zu gründen!
[1] Edward W. Said, "Kultur, Identität und Geschichte", in: G. Schröder / H. Breuninger (Hg.), Kulturtheorien der Gegenwart. Ansätze und Positionen, Frankfurt/M.: Campus 2001, S. 53 f.
[2] Vgl. Annie E. Coombes / Avtar Brah, "Introduction: the conundrum of ‚mixing'", in: A. Brah / A. E. Coombes (Hg.), Hybridity and its Discontents. Politics, Science, Culture, London / New York: Routledge 2000, S. 3.
[3] Nora Räthzel, "Hybridität ist die Antwort, aber was war noch mal die Frage?", in: Brigitte Kossek (Hg.), Gegen-Rassismen. Konstruktionen, Interaktionen, Interventionen, Hamburg/Berlin: Argument-Verlag 1999, S. 207.
[4] Homi K. Bhabha, The Location of Culture, London / New York: Routledge 1994, S. 102-122.
[5] Judith Butler, Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001, S. 21.
[6] Ebd., S. 16.
[7] H. Bhabha, a.a.O., S. 114.