03 2009
Activist Club, oder: Über das Konzept von Kulturhäusern, Sozialzentren und Museen
Übersetzt von Stefan Nowotny
Das Thema meines heutigen Vortrags wird die Verwendung der Kunst sein sowie die Suche nach Formen und Orten, in denen sie ihre emanzipatorische Rolle in der Gesellschaft erfüllen könnte. Zugleich möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf unser jüngstes kollektives Projekt lenken, das wir „Activist Club“ nennen. Seine Genealogie verweist selbstverständlich auf Anfänge, die im Prozess der Entwicklung so genannter Arbeiterkulturhäuser zu finden sind, und ich würde diese jüngste Arbeit gerne als eine Art Fallstudie heranziehen, die es uns hoffentlich erlauben wird, verschiedene Aspekte der Probleme, die in diesem Seminar behandelt werden, anzusprechen. Ich möchte auch hervorstreichen, dass das Thema meines Vortrags auf den Ergebnissen einer editorischen Arbeit beruht, die ich kürzlich für die neue Ausgabe unserer Zeitung Chto Delat mit dem Titel „What’s the Use of Art?“ [i] verrichtet habe.
Ich werde also mit einer sozusagen „kruden Frage“ beginnen, die an Kunst oder kritische Reflexion häufig herangetragen wird, um etwas ganz Einfaches in Erfahrung zu bringen: „Was ist der Nutzen dessen, was du tust?“
Diese Frage kann selbstverständlich ziemlich negative Reaktionen hervorrufen: sie mag als völlig abwegig, naiv oder einfach bedeutungslos erachtet werden. Wenn wir sie allerdings näher betrachten, sehen wir, dass sie nicht nur legitim, sondern auch sehr wichtig ist.
Es ist klar, dass wir im Zuge der Analyse dieser Frage beim alten Problem der Differenz zwischen dem Tausch- und dem Gebrauchswert all dessen landen, was durch menschliches Tun produziert wird. Wir können die Idee heute kaum ernst nehmen, dass die Bedeutung der Kunst mit ihrer Antifunktionalität zu tun habe, mit ihren Versuchen, der Instrumentalisierung seitens der Kulturindustrie oder direkter politischer Einwirkungen zu entkommen. Die Idee, dass sich die Kunst im Leben auflösen sollte, dass sie zugunsten der grundlegendsten Funktionen des täglichen Lebens abgeschafft werden sollte, kann heute ebenso wenig ernst genommen werden.
Wie können wir heute einen Weg finden, um nicht nur das Projekt der Bildung (dt. i. O.; Anm. d. Übers.) – das heißt eines Prozesses der individuellen Entwicklung auf dem Weg ästhetischer Erziehung (trotz aller offensichtlichen Sympathie dafür) – fortzusetzen, sondern auch eine neue Fortsetzung des Projekts der Kunst sowie des Denkens als Werkzeuge einer radikalen Bewusstseinstransformation zu entdecken?
Seit den Zeiten Schillers war das Ziel der Kunst als ästhetischer Erziehung die harmonische Entwicklung des Individuums, die Herausformung eines ganzen, zur Kreativität befähigten Menschen. Dieses Konzept war jedoch am individuellen bürgerlichen Subjekt orientiert: in letzter Konsequenz führt es zur Herausbildung des egoistischen Individuums. Es ist klar, dass eine Rückkehr zu diesem Konzept heute reaktionär wäre – genau das stellte unglücklicherweise die letzte documenta unter Beweis.
Zugleich gibt es, denke ich, einen allgemeinen Konsens darüber, dass sich die entscheidende Schlacht in unseren Tagen um die Produktion von Subjektivität herum entfaltet. Diese Aussage führt uns auf einen wichtigen Ausgangspunkt dieser Konferenz zurück: die Analyse des sowjetischen Produktivismus, der in seiner energischsten Ausformung die Frage nach einem Programm der „Konstruktion des Lebens“ aufwarf. Wie Boris Arwatow in seinem Buch Kunst und Produktion erklärte: „Kunst als unmittelbares und bewusst eingesetztes Instrument der Konstruktion des Lebens – das ist die Existenzformel einer proletarischen Kunst.“
Können wir diese Stimmung heute teilen? Und wo können wir heute einen Weg zur Fortsetzung des Projekts einer proletarischen Kunst finden? Einerseits leben wir in einer Zeit des anhaltenden Übergangs zum Postfordismus und Wissenskapitalismus. Der Abschied vom Fließband befreit unsere Hände – aber wo ist heute jene Fabrik, von der die ProduktivistInnen geträumt haben? Was einst eine Quelle der Hoffnung auf Fortschritt und Emanzipation war, hat sich historisch als reaktionäres Phänomen erwiesen, das überwunden werden musste. Die Herausbildung „neuer politischer Subjekte“, deren Analyse in den 1960ern vom italienischen Postoperaismus unternommen wurde, ist ganz und gar das Gegenteil von dem, worauf die ProduktivistInnen hofften. Der natürliche Auszug der ArbeiterInnen aus der Fabrik nahm seinen Anfang, und mit ihm begannen auch das „fließbandmäßige/kollektivistische“ Modell der Subjektwerdung sowie die Formen seiner politischen Organisation zusammenzubrechen.
Wo können wir heute die Fabrik finden oder jene Produktionsmittel, deren Ergreifen uns mit einem möglichst präzisen emanzipatorischen Impuls versehen würde? Diese Fabrik ist heute nirgends und überall. Die Entwicklung des Kapitalismus erlaubt es uns, die Produktion falscher Subjektivitäten in der Gesamtheit kapitalistischer Praktiken wahrzunehmen, und diese werden nunmehr überall umgesetzt: im Getümmel des tagtäglichen Lebens, in Kulturinstitutionen, in den Netzwerken der sozialen Interaktion selbst. Es ist diese Verständigung, die neue Kampfzonen eröffnet, und zwar nicht einfach für nicht-entfremdete Arbeits- und Wissensformen, sondern auch für den Bruch mit der Arbeit und der Produktion.
In dieser neuen Situation denke ich – auch wenn mir ganz klar ist, dass viele AktivistInnen damit möglicherweise nicht übereinstimmen werden –, dass wir mehr denn je eine andere Art von Wissen und Kunst brauchen. Wir brauchen sie so dringend wie saubere Luft: wir brauchen sie, um „Sauerstoff“ zu produzieren in einer Atmosphäre, die von den Nebenerzeugnissen der „Kreativindustrien“ völlig vergiftet ist. Aber wie sollten dieses Wissen und diese Kunst aussehen? Wo ist der Ort, an dem sie nützlich und bedeutungsvoll sein können?
Betrachten wir die gegenwärtige Situation in Bezug auf die Entwicklung von Kunstpraxen, welche sich an der Zusammenführung von Ästhetik, Kunst und Aktivismus versuchen.
In den letzten paar Jahren gelang es einigen KünstlerInnen und AutorInnen, die theoretische Begründung für eine Mannigfaltigkeit von Arbeiten auszuarbeiten und ausfindig zu machen, die es uns erlaubt, von einer neuen Situation innerhalb der Kunst zu sprechen. Diese Projekte haben Verbindungspunkte zwischen Kunst, neuen Technologien und der globalen Bewegung gegen den neoliberalen Kapitalismus aufgespürt. Die Herkunftslinien dieses neuen Interesses an politischer Kunst können bis zur documenta 10 (1997) zurückverfolgt werden und fallen mit dem Auftauchen der „Bewegung der Bewegungen“ zusammen, die 1999 in Seattle am politischen Horizont erschien. Diese Situation hat sich in der Folge in einer Vielzahl von kulturellen Projekten manifestiert wie auch in deren kritischer Haltung gegenüber dem Prozess der kapitalistischen Globalisierung und in einem politischen Verständnis von Autonomie – wie etwa der Verwirklichung politischer Aufgaben außerhalb des parlamentarischen Machtsystems. Alle diese Faktoren haben die Idee einer Rückkehr zum „Politischen“ in der Kunst hervorgerufen.
Aber diese künstlerischen Prozesse einfach als „politisch“ zu verstehen würde eine ernsthafte Unterschätzung der Situation bedeuten, in der wir uns befinden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das, worüber wir eigentlich sprechen, als Auftauchen einer künstlerischen Bewegung interpretiert werden kann: Die Beteiligten sind damit befasst, eine gemeinsame Terminologie zu entwickeln, die sich auf das politische Verständnis von Ästhetik und Autonomie gründet; ihre Praxis stützt sich auf konfrontative Ansätze gegenüber der Kulturindustrie. Dies findet eine konsistente Umsetzung im Rahmen internationaler Projekten, die in Netzwerken von selbstorganisierten Kollektiven durchgeführt werden, welche in direkter Interaktion mit aktivistischen Gruppen, progressiven Institutionen, verschiedenen Publikationen, Online-Ressourcen arbeiten, etc.
Aus der Geschichte wissen wir, dass derartige Merkmale einst zu den Charakteristiken der Avantgarde gehörten. Indessen sehen heute viele die Avantgarde als etwas an, was durch die sowjetische Erfahrung diskreditiert ist, in der die „Diktatur des Proletariats“ rasch zu einer „Diktatur über das Proletariat“ verkam – einer totalitären Situation, welche die meisten AktivistInnen und KünstlerInnen explizit ablehnen. Doch trotz der anti-avantgardistischen Prinzipien der „Bewegung der Bewegungen“ glaube ich, dass einige der wesentlichen Züge der Avantgarde für ein Verständnis der Gegenwartskunst von zentraler Bedeutung sind.
Wie Jacques Rancière einmal bemerkte (und ich stimme vollkommen mit ihm überein): „Wenn der Begriff der Avantgarde im ästhetischen Regime der Künste einen Sinn hat, dann […] nicht in Bezug auf die avancierten Sondereinheiten der künstlerischen Neuerung, sondern in Bezug auf die Erfindung von sinnlichen Formen und Ausstattungen eines künftigen Lebens.“
Aber zugleich sehen sich jegliches revolutionäre Denken und jegliche revolutionäre Ästhetik heute einem gewaltigen Problem gegenüber, das die Gelegenheiten begrenzt hat, diese „Formen und Ausstattungen eines künftigen Lebens“ praktisch unter Beweis zu stellen.
Gelegenheit zu finden, um trotz allem „die eigene Stellung zu behaupten“, ist von entscheidender Bedeutung – das ist jener seltene „Mut“, von dem Badiou spricht. Gleichzeitig jedoch müssen wir den Absturz in den Wahnsinn und die völlige Marginalisierung zu vermeiden versuchen, der im Zusammenhang revolutionärer linker Sekten häufig beobachtet werden kann.
Unser Kollektiv hat seine eigene Position – ist doch die Übernahme der bestehenden Produktionsmittel heute keine besonders effiziente Strategie. Ich denke, es ist besser, eigene Produktionsmittel zu entwickeln und zu demonstrieren, auf welch unterschiedliche Weise sie zum Einsatz gebracht werden und in politische Aushandlungsprozesse mit dem System eintreten können. Wir müssen also unsere eigene Struktur instituieren, und Chto Delat sieht sich selbst als einen neuen Typ von Institution, der auf das Prinzip der Kristallisierung aufbaut. Was ist damit gemeint? Es bedeutet, dass wir nicht versuchen, unsere Werke im Leben aufzulösen, sondern etwas tun, das dem genau entgegengesetzt ist: wir versuchen, einige Kunstpraxen in einer Mannigfaltigkeit von verschiedenen Situationen zu kristallisieren – innerhalb und außerhalb des Rahmens von Kulturinstitutionen.
Wir finden uns diesen Fragen auch näher, denn in Russland mussten wir uns anfangs aus dem Kunstbereich zurückziehen und in anderen Feldern tätig bleiben, sodass wir unsere Arbeiten zumeist in einem Rahmenwerk aus verschiedenen aktivistischen Gruppen, zivilgesellschaftlichen NGOs, Sozialforen, der Universität und dem Internet umsetzten und zeigten.
Wir sollten den gesamten Problemkomplex, der sich aus diesen sehr komplizierten Fragen ergibt, im Kopf behalten, auch deshalb, weil diese Fragen den Hintergrund für unseren Ansatz zur Realisierung des Activist-Club-Projekts abgeben.
Das Projekt begann vor einigen Jahren und nahm seinen Ausgang von meinem Workshop mit jungen italienischen KunststudentInnen und AktivistInnen, der im Rahmen des Projekts „Common House“, kuratiert von Marco Skotini an der Teseco Art Foundation in Pisa, stattfand.
Die Idee zu diesem Projekt entsprang natürlich dem Konzept des Arbeiterclubs, das Mitte der 1920er Jahre in der UdSSR eingeführt wurde und durch Alexander Rodtschenkos Arbeit zu großer Bekanntheit gelangte. 1925 für die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris entworfen, wurde der Arbeiterclub im wirklichen Leben nie umgesetzt. Er war also eine Art Modell dafür, wie solche Orte organisiert werden sollten. Die Arbeit führte ein westliches, bürgerliches Publikum in die völlig andere Methode ein, wie kulturelle Aktivitäten in der Freizeit der ArbeiterInnen in der UdSSR ausgerichtet waren (z. B. „Lenin’s Corner“, ein Versammlungs- und Seminarraum oder die Aufführung von „Live-Zeitungen“ etc.).
Alexander Rodchenko, Workers' Club (1925)
Die Aufgabe des Arbeiterclubs bestand darin, ArbeiterInnen eine Orientierung im Hinblick auf Fragen des politischen Kampfes zu geben und sie durch Seminare, Vorträge und Arbeitskreise in eine andere Art von ästhetischer Erfahrung und Kunstpraxis einzuführen. Er unterminierte die obsolete Vorstellung von einer dem Müßiggang hingegebenen BetrachterIn, die aus der Erfahrung des Kunstgegenstands im Museum Genuss ziehen und sich so von ihrer schäbigen alltäglichen Existenz „emanzipieren“ könnte. Es ging darum, einen Raum zu erschaffen, der auf Bildungsmethodologie, Kreativität und Partizipation aufgebaut war.
Es gibt ein wachsendes Interesse an diesem Konzept und sogar an direkten Rekonstruktionen von Arbeiterclubs. In jüngerer Zeit wurde einige Male versucht, diese Arbeit nachzubilden. Beispiele sind Christiane Post, die etwas Ähnliches bei der 6. Werkleitz Biennale entwickelte; oder Susan Kellys Installation „What is to be done?“; sowie der Leseraum in der Ausstellung „Forms of Protest“ im Van Abbe Museum.
Alexander Rodchenko, Workers' Club, reconstruction (Van Abbe Museum, Eindhoven, NL)
Als wir unsere erste Annäherung an das Konzept eines Activist Club 2006 in Pisa vorbereiteten, stieß ich auf eine Publikation von bookstorming.com und der Galerie Decimus Magnus Art (www.michelaubry.fr/livres.html, http://www.michelaubry.fr/mobilier.html), eine akribische Dokumentation der Nachbildung von Rodtschenkos Arbeiterclub durch den französischen Künstler Michel Aubry. Es war sehr inspirierend, eines der berühmtesten Werke der russischen Avantgarde in einer unglaublich detailreichen Rekonstruktion zu sehen. Diese warf auch ein Licht auf viele Einzelheiten der Komposition, die in der historischen Fotodokumentation des Projekts nicht zu sehen waren.
Alexander Rodchenko, Workers' Club, reconstruction by Michel Aubry
Wir sind jedoch nicht an einer Rekonstruktion interessiert, sondern vielmehr an einem Prozess, den ich als „Aktualisierung“ der allgemeinen Idee des Arbeiterclubs bezeichnen würde – Aktualisierung in einem Benjamin’schen Sinn, nämlich als Prozess der Rückgewinnung seiner verpassten Chance im Heute.
Für historische MaterialistInnen entwickelt sich Geschichte durch die Kette der Ereignisse hindurch – Revolutionen oder Momente, die von populären Mobilisierungen gekennzeichnet sind. Jede und jeder von ihnen bildet den Kulminationspunkt eines revolutionären Kampfes um Emanzipation. Es ist von einiger Bedeutung, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Formierung einer neuen Subjektivität nicht nur durch ihren Bezug auf die gegenwärtige politische Situation geprägt ist, sondern auch durch ihren Bezug auf die Vergangenheit. Warum zurückgehen? Weil die Möglichkeit des „Werdens“ ihren Ort nicht allein in den Möglichkeiten der Gegenwart hat, sondern auch in der Aktualisierung aller verlorengegangen Gelegenheiten der Vergangenheit gegründet ist.
Wir haben uns also dazu entschieden, uns auf die Arbeit an dem Konzept eines Activist Club zu konzentrieren. Und wir halten an unserem Glauben fest, dass der Versuch, diesen in Form eines Kunstprojekts zu verwirklichen, sinnvoll ist.
Warum Kunst? Warum nicht versuchen, ihn sozusagen inmitten der Multitude zu realisieren? Irgendwo im wirklichen sozialen Leben … Warum brauchen wir eine Zuflucht innerhalb der Kunstwelt, um uns wieder dieser Art von Dingen zu widmen?
Das ist eine wichtige Frage, und ich denke, wir befassen uns mit den Möglichkeiten, die Bedeutung von Kunst auszutesten, sowie mit der Frage, ob sich das Projekt unter dem Druck eines institutionellen Rahmenwerks aufrechterhalten lässt. Dann gibt es Hoffnung, dass es ins wirkliche Leben zurückgerufen werden kann …
Ein anderer Aspekt ist eher pragmatischer Art. Zurzeit können wir diese Ideen, ob in Russland oder irgendwo sonst, kaum außerhalb der Kunstwelt realisieren. Und aufs Neue stoßen wir hier auf die alte Diskussion über die Beziehungen zwischen der spontanen Kreativität der Massen, die keine ArchitektInnen oder KünstlerInnen brauchen, um ihre Aktivitäten in Szene zu setzen, und denjenigen professionellen AkteurInnen, die andere Visionen verfolgen, welche in vielfacher Weise determiniert sind, und zwar nicht nur durch die utilitaristische und populistische Logik des Augenblicks, sondern auch durch ihre Beziehungen zur Geschichte der Brüche in den Konventionen der Kunstproduktion sowie deren Entwicklung als lebendiges und emanzipatorisches Laboratorium von künftigen Lebensformen – als Stätte des Experimentierens mit etwas, das noch nicht existiert.
Wir mögen ganz besonders die folgende provokative Aussage des jungen Marx: „Wir sagen [der Welt] nicht: Lass ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch nicht will“ (Brief an Arnold Ruge, September 1943).
Und wir können das immer sagen. Für mich ist dieses Zitat auch ein weiterer Ausgangspunkt für alle revolutionären Ideen, die fähig sind, die Vielfältigkeit von Avantgarde-Traditionen zu aktualisieren.
Um also auf die Idee des Activist Club zurückzukommen: Wir sprechen über eine selbst auferlegte Herausforderung, welche in gewissem Maße vergleichbar ist mit derjenigen, die Rodtschenko einst von der Sowjetregierung aufgebürdet wurde – nämlich der bürgerlichen Öffentlichkeit andere Mittel zur Produktion des Raums aufzuzeigen, in dem Kunst mit politischem Lernen und politischer Subjektivierung zusammentreffen kann.
Aber der Unterschied zwischen den beiden Situationen ist hier von entscheidender Bedeutung: Es handelt sich um den Unterschied zwischen einer selbst auferlegten Aufgabe, die mit Unterstützung einer westlichen Institution für Gegenwartskunst umgesetzt wird, und der wirklichen Rückendeckung des Sowjetstaates; über diese Differenz sollten wir mehr nachdenken …
Wenn wir jedoch den Kern der Aufgaben betrachten, so können wir sehen, dass sie im Wesentlichen mehr oder weniger die gleichen geblieben sind. In der Hauptsache geht es darum, wie die KünstlerIn den wahren Wert der Kunst geltend machen kann.
Ein weiterer Aspekt meiner Inspiration war die gegenwärtige Diskussion um das Konzept und die Rolle von Sozialzentren. Es ist wichtig, zu bemerken, dass es von Seiten progressiver Museen eine Bewegung des Überdenkens ihrer öffentlichen Rolle gibt. Dies war eines der Themen, die kürzlich auf der am MACBA abgehaltenen Konferenz „Molecular Museum. Towards a New Kind of Institutionality“ diskutiert wurden, welche das Verhältnis zwischen Museen und Sozialzentren anschnitt. Ich denke, für uns alle ist das Konzept des Sozialzentrums – als Ort, an dem Kunst möglicherweise ihren reinen Gebrauchswert offenbaren und ihren Tauschwert ignorieren kann – sehr wichtig.
Die neuen Sozialzentren streben danach, ein breites Spektrum von Unterdrückten einzubeziehen und diesen die Chance zu geben, auf Kultur zu treffen und sie mit dem Kampf um ihre Rechte auf Anerkennung zu verbinden. Die Diskussion über die Zukunft der Sozialzentren kann mit dem in der Sowjetunion entwickelten Konzept des Arbeiterclubs verknüpft werden, denn beide teilen einen bestimmten Ansatz bezüglich des Werts der Kunst und der Wege, die Leute an deren Produktion teilhaben lassen.
Widmen wir uns nun aber einer näheren Betrachtung des Konzepts des Arbeiterclubs und seiner ehemaligen Umsetzung im Alltag der Sowjetunion in Form von Arbeiterkulturzentren – oder „Kulturhäusern“. Was war das?
Leider gibt es sehr wenig Forschung zu diesem Thema – während der Sowjetzeit und auch später, als das ganze System praktisch kollabiert war –, aber wir sollten dem Ausmaß dieser Entwicklungen Rechnung tragen. Im Jahr 1988 gab es in der Sowjetunion über 137.000 Clubeinrichtungen. Und ich denke, jeder und jede aus meiner Generation hatte einige direkte und positive Erfahrungen mit diesen Orten.
Ein Kulturhaus (dom kultury) war eine Einrichtung für viele und vielfältige Erholungsaktivitäten und Hobbys: Sport, Sammlertätigkeiten, Künste. Der Kulturpalast war so entworfen, dass er Raum für alle Arten von solchen Aktivitäten bot. Ein solcher Palast beherbergte ein oder mehrere Kinos, Säle, Konzerthalle(n), Tanzstudios, unterschiedliche Do-it-yourself-Hobbygruppen, Amateurradio sowie eine öffentliche Bibliothek. Alle diese Gruppen waren kostenlos, bis in die allerletzte Zeit hinein. Diese Häuser wurden üblicherweise von der Gewerkschaftsorganisation einer Fabrik gebaut und unterhalten, doch sie wurden häufig von lokalen Behörden – dem lokalen Sowjet – eingerichtet und dienten der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein besonderer Fokus galt den außerschulischen Bildungsaktivitäten von Kindern.
Es handelte sich also um eine Struktur, die alle Arten von sogenannten harmonischen Entwicklungen einer Person einbezog. Rodtschenkos Raum war ein recht bescheidener Vorschlag, der einen einzigen Modulraum entwarf, doch ein paar Jahre nach seinem Arbeiterclub wurde es zur größten Herausforderung für viele berühmte ArchitektInnen, ganze riesige Gebäude zu konstruieren, die all diesen Zwecken dienlich sein konnten.
Projects of cultural houses in the USSR
Es ist klar, dass das Konzept der Sozialzentren der Idee von Volkskulturhäusern ziemlich nahe steht, und ich denke, diese Erfahrungen sollten eingehender untersucht werden.
Aber kommen wir zurück zu unserem Projekt. – Warum aktivistisch?
Ich meine, gerade heute – in einer Zeit mit sehr begrenzten Möglichkeiten zur Entwicklung einer Kultur der Unterdrückten – sollten wir die alte Frage aufs Neue bedenken, die Paolo Freire aufgeworfen hat: „[W]enn die Umsetzung einer befreienden Bildung politische Macht erfordert, die Unterdrückten aber keine haben, wie lässt sich dann vor der Revolution eine Pädagogik der Unterdrückten umsetzen? Das ist eine Frage von größter Bedeutung; ein Aspekt der Antwort liegt in der Unterscheidung zwischen systematischer Bildung, die nur durch politische Macht verändert werden kann, und Bildungsprojekten, die gemeinsam mit den Unterdrückten im Prozess, der sie organisiert, durchgeführt werden sollten.“
Warum dieses Zitat? Die Grammatik des Zitats wirft ziemlich genau die Frage nach Organisationsprozessen auf. „Sie“: dabei handelt es sich offensichtlich um all diejenigen Leute, die aufgrund ihres Klassenstatus die Ungerechtigkeit der Welt intensiv erfahren, zugleich aber nicht über genug Wissen verfügen, um der strategischen Aufgaben ihrer eigenen Emanzipation gewahr zu werden.
In anderen Worten, es gibt dem alten, allgemein akzeptierten Modell zufolge bestimmte ausgezeichnete externe AgentInnen, die diese Praktiken der Emanzipation entwickeln – darum spielten Diskussionen über die Figur der ErzieherIn in der Sowjetunion und in Lateinamerika eine solch wichtige Rolle. In früheren Zeiten waren diese Menschen mit Gott und der Kirche verbunden; auf diese folgten revolutionäre Parteien und PsychoanalytikerInnen. Nach dem offensichtlichen Niedergang dieser Mittlerfiguren bleibt die Frage zurück: Ist Bildung ohne LehrerIn möglich? Heute ist es die Figur der LehrerIn/PädagogIn – als Figur der Repression unter dem Zeichen der Bildung –, die zu Recht und ernsthaft unter Verdacht steht.
Aber es könnte sinnvoll sein, diese Figur dialektisch zu überdenken und als jemanden zu begreifen, der oder die nicht vom Prozess eines Wissensaustauschs ablässt; als jemanden, der oder die etwas weiß, aber dazu bereit ist, sich auf einen stetigen Lernprozess einzulassen und dieses Wissen umgewandelt zurückzugeben.
Um also zurück zu unserem heutigen Thema zu kommen, würde ich sagen, dass die Idee eines Arbeiterclubs auf der Ebene der Herausbildung von Subjektivität heute nutzlos ist. Für mich ist die Verschiebung von der ArbeiterIn zur AktivistIn wichtig. Historisch hatte die Arbeiteridentität eine ausgezeichnete politische Stellung, aber ich bezweifle, dass sie es heute hat. Heute wird politische Subjektivität innerhalb und außerhalb von Arbeitsbeziehungen geformt, und die Position des politischen Subjekts wird stärker durch die Haltung bestimmt, die jemand als AktivistIn einnimmt.
In Russland wurde kürzlich ein Forschungspapier von Carine Clément publiziert, einer französischen Soziologin, die den Vorsitz im Institut für kollektives Handeln innehat. Sie präsentierte die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit über die neuen sozialen Bewegungen in Russland. Interessanterweise benutzte sie in ihrer Analyse der Prozesse, durch die sich die neuen Bewegungen herausbilden, ein Schema, dessen Pole durch zwei Haltungen charakterisiert sind: jene der „SpießbürgerIn“ (der passiven, unpolitischen BürgerIn) einerseits und jene der AktivistIn andererseits. Dies ist im Wesentlichen eine spezifische Abwandlung des Schemas der Subjektivitätsformung. Clément zitierte die Zeugnisse ihrer aktivistischen Auskunftspersonen, die beschrieben, wie es dazu kam, dass sie sich in Richtung aktivistischer Haltungen bewegten. Sie sprachen darüber, wie sie ihre Leben in einer neuen Perspektive zu sehen begannen, als etwas, das mit dem sozialen Ganzen verbunden war. Sie sagten, dass sie ein Gefühl des Selbstwerts, des Selbstvertrauens, der Stärke und der kollektiven Solidarität entwickelten, eine Bereitschaft, ihre Positionen zu verteidigen. Die Transformation des Subjekts bewirkt, dass die Person die Welt unter dem universellen Blickwinkel des Ganzen sieht, und verleiht ihr ein Gefühl der persönlichen Stärke und Furchtlosigkeit.
Für uns war es also wichtig, zuallererst diese Leute anzusprechen – auch wenn wir sie nicht als saubere Beispiele für ein richtiges Handeln vom falschen Handeln abtrennen wollen, sondern stattdessen den Anspruch geltend zu machen versuchen, dass jeder und jede AktivistIn sein kann, und behaupten, dass diese Erfahrungen allen offenstehen. Inspirierende Erfahrungen sind in jüngerer Zeit auch in verschiedenen Sozialzentren in Europa zutage getreten, in denen AktivistInnen ihre eigenen Umgebungen für Selbstbildungsaktivitäten schaffen, die sich um Kino-, Lese- und Diskussionsräume herum entfalten.
Doch ich bin oft enttäuscht von der ziemlich trashigen Vorstellungskraft, die die üblicherweise in solchen Zentren, Squats und Protestcamps umgesetzte Raumproduktion bestimmt. Ich persönlich fühle mich in ihnen wohl, und natürlich ziehe ich sie den von der neuen „kreativen Klasse“ so geliebten und übermäßig gehypten Lounges, die in ihrem behaglichen Hedonismus so widerwärtig sind, bei weitem vor.
Ich denke, solche Orte sollten anders organisiert werden. Wie unsere FreundInnen von der Universidad Nomada einmal postulierten:
„Seit einiger Zeit kursiert in den Diskussionen der Universidad Nómada ein Kofferwort, das zusammenfassen will, was wir für eines der Ergebnisse des kritischen Einsatzes seitens der Bewegungen und anderer postsozialistischer, politischer AkteurInnen halten: Wir sprechen davon, neue mentale Prototypen politischer Handlung zu schaffen.“[ii]
Ich würde den Vorschlag machen wollen, dass derselbe Ansatz in Bezug auf Raumpraktiken entwickelt werden sollte. In dieser spezifischen Installation des Activist Club, die für eine Kunstinstitution realisiert worden ist, versuchten wir zu zeigen, wie diese „spatialen Prototypen“ verwirklicht werden könnten und wie sie aussehen könnten. Ich hoffe, das ist einer der möglichen Wege, wie Kunst heute entwickelt werden kann.
Der institutionelle Rahmen für meine Konstruktionen bietet Kontextualisierungsmodule, die den BetrachterInnen die Gelegenheit geben, das von unserem Kollektiv produzierte Kunstwerk in einem angemessenen Setting zu erfahren. Dabei handelt es sich um Räume, in denen wir unsere Film- und Videoarbeiten screenen, in denen wir Zeitschriften und andere Druckmaterialien verteilen, in denen es möglich ist, Seminaraktivitäten und Diskussionen zu beherbergen oder eine soziologische Forschung durchzuführen, die die Öffentlichkeit mit einbezieht. Es handelt sich um Räume der Begegnung mit der Öffentlichkeit und ihrem Feedback, wobei die Raumstruktur so gestaltet ist, dass sie diesen Bedürfnissen dient. Ich würde sie auch „Take-away-Räume“ nennen – wir heißen jedes Kollektiv willkommen, das einen Versammlungsort und einen Ort für Screenings benötigt.
Das partizipative Moment ist sehr wichtig. Was wir also erschaffen, sind Räume, in denen die BetrachterIn dem Kunstwerk in einem angemessenen und (in unserem Verständnis) bildungsorientierten Setting begegnen kann. Ich meine nicht, dass dies ein universelles „Konzept“ erfordert, aber wir sollten versuchen, eine Methode zu entwickeln, einen Ansatz für die Produktion eines Raumes, der eine universelle Dimension haben kann. Und ich denke, diese Universalitätsansprüche werden manchmal missverstanden als etwas, das totalisierend ist oder jede Differenz ausschließt. Aber man muss nicht PhilosophIn sein, um anzuerkennen, dass das nicht der Fall ist. Wahre Universalität errichtet sich auf den singulären, lokalen und differenzierten Erfahrungen, genau wie Marx im Kommunistischen Manifest bemerkt hat: „[…] aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.“
[i] http://www.chtodelat.org/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=204&Itemid=295&lang=en
[ii] Universidad Nómada, „Mentale Prototypen und Monster-Institutionen“, übers. v. Birgit Mennel u. Tom Waibel, in: transversal, 05/2008, „Monster-Institutionen“, http://eipcp.net/transversal/0508/universidadnomada/de.