05 2003
Kampf, Ereignis, Medien
Übersetzt von Karoline Feyertag
Warum kann das Paradigma der Repräsentation weder in der Politik funktionieren noch in den künstlerischen Ausdrucksweisen, und hier insbesondere in der Produktion von Werken, die bewegte Bilder einsetzen?
Ich werde versuchen, auf diese Frage zu antworten, indem ich jenes Paradigma zur Anwendung bringe, das die Konstitution der Welt vom Verhältnis zwischen Ereignis und Mannigfaltigkeit her denkt. Die Repräsentation ist im Gegenteil auf das Paradigma Subjekt – Arbeit gegründet. In diesem Paradigma haben die Bilder, die Zeichen und die Aussagen die Funktion, das Objekt, die Welt zu repräsentieren, während im Paradigma des Ereignisses die Bilder, Zeichen und Aussagen dazu beitragen, die Welt sich ereignen zu lassen. Bilder, Zeichen und Aussagen repräsentieren nicht irgendetwas, sondern schaffen mögliche Welten. Ich möchte dieses Paradigma des Ereignisses ausgehend von zwei konkreten Beispielen erklären: der Dynamik des Auftauchens und der Konstituierung von post-sozialistischen politischen Bewegungen und der Funktionsweise des Fernsehens, also der Zeichen, Bilder und Aussagen in der zeitgenössischen Ökonomie.
Ereignis: Seattle 1999
Die Tage von Seattle waren ein veritables politisches Ereignis, das – wie jedes Ereignis – zuerst einen Wandel der Subjektivität und der ihr eigenen Art zu empfinden hervorgebracht hat. Die Losung "Eine andere Welt ist möglich" ist symptomatisch für diese Metamorphose der Subjektivität und ihres Empfindungsvermögens. Der Unterschied zu anderen politischen Ereignissen des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts ist radikal. Das Ereignis von Seattle verweist beispielsweise nicht mehr auf den Klassenkampf und die notwendige Machtübernahme. Es erwähnt nicht das Subjekt der Geschichte, die Arbeiterklasse, ihren Feind, das Kapital, oder den tödlichen Kampf, den jene sich liefern müssen. Es beschränkt sich darauf anzukündigen, dass "Mögliches geschaffen wurde", dass neue Lebensmöglichkeiten aktuell sind und dass es darum geht, sie zu realisieren; dass sich eine mögliche Welt ausgedrückt hat und dass man sie zur Vollendung führen muss. Wir sind in eine andere intellektuelle Atmosphäre eingetreten, in eine andere konzeptuelle Konstellation.
Vor Seattle war eine
andere Welt bloß virtuell. Jetzt ist sie aktuell bzw.
möglich, aber ein Aktuelles, ein Mögliches, das man
verwirklichen muss. Der Wandel der Subjektivität muss
raumzeitliche Gefüge erfinden, die über diese Umwertung
der Werte wachen, die eine nach dem Fall der Mauer,
in der großen amerikanischen Expansion und der New
Economy aufgewachsene Generation hervorzubringen vermochte.
Doppelte Schöpfung, doppelte Individuation, doppeltes
Werden.
Die Zeichen, Bilder und Aussagen
spielen eine strategische Rolle in diesem doppelten
Werden: Sie tragen dazu bei, das Mögliche entstehen
zu lassen, und sie tragen zu seiner Verwirklichung bei.
An diesem Punkt wird der "Konflikt" mit den
herrschenden Werten konfrontiert. Der Vollzug der neuen
Lebensmöglichkeiten stößt sich an der vorhandenen Machtorganisation
und an den etablierten Werten. Im Ereignis sieht man
das Untolerierbare einer Epoche und zugleich neue Lebensmöglichkeiten,
die sie beinhaltet. Der Modus des Ereignisses ist das
Problematische. Das Ereignis ist nicht die Lösung eines
Problems, sondern eine Eröffnung des Möglichen. Für
Michail Bachtin offenbart das Ereignis die Natur des
Seins als Frage oder als Problem – und zwar auf solche
Weise, dass die Sphäre des Ereignis-Seins gleichzeitig
jene der "Antworten und Fragen" ist.
In den Tagen von
Seattle haben wir es mit einem körperlichen Gefüge zu
tun, einer Mischung von Körpern (mit ihren Aktionen
und Passionen), welche aus individuellen und kollektiven
Singularitäten zusammengesetzt ist (Vielfältigkeit
der Individuen und der Organisationen – MarxistInnen,
ÖkologInnen, GewerkschafterInnen, TrotzkistInnen –,
MedienaktivistInnen, "Hexen", Black Block
etc., die spezifische körperliche Verhältnisse des
Ko-Funktionierens praktizieren); und es gibt ein Gefüge
sprachlicher Aussagen, eine Ordnung des Ausdrucks, die
aus einer Vielfalt von sprachlichen Anordnungen gebildet
wird (die Aussagen von MarxistInnen sind nicht dieselben
wie jene der MedienaktivistInnen, der ÖkologInnen oder
der "Hexen" etc.). Die kollektiven Aussagegefüge
drücken sich nicht allein durch die Sprache aus, sondern
auch durch die technologischen Ausdrucksmaschinen (Internet,
Telefon, Fernsehen etc.). Beide Gefüge sind in Hinblick
auf die aktuellen Verhältnisse der Macht und des Begehrens
konstruiert.
Es sind die historischen Bedingungen,
von denen sich das Ereignis abwendet, um etwas Neues
zu schaffen: Eine neue Mischung der Körper (Aktionen
und Passionen, die sich z.B. bei den Demonstrationen
aneinander reihen) und das Ausgedrückte, die sprachliche
Aussage als Resultat bzw. als Effekt dieser körperlichen
Mischung: Eine andere Welt ist möglich.
Die Körper werden vom Ausgedrückten
(dem Sinn) weder beschrieben noch repräsentiert. Die
mögliche Welt existiert vollkommen, aber sie existiert
noch nicht außerhalb dessen, wodurch sie ausdrückt wird
(die Slogans, die TV-Reportagen, die Internet-Kommunikation,
die Zeitungen). Das Ereignis aktualisiert sich in den
Seelen in dem Sinn, dass es eine Veränderung des Empfindungsvermögens
erzeugt (als unkörperliche Transformation), welche
eine neue Bewertung hervorbringt: Man erkennt das Untolerierbare
der Epoche und die neuen Lebensmöglichkeiten, die sie
impliziert. Beim Reden, beim Kommunizieren wurde der
möglichen Welt schon eine gewisse Wirklichkeit verliehen,
aber diese Wirklichkeit muss nun vollendet werden, sie
muss gemacht werden, indem neue Körpergefüge erfunden
werden.
Das Ereignis konstituiert das
Verhältnis zwischen den beiden Typen von Gefügen; es
ist das Ereignis, welches die Subjektivitäten und die
Objektivitäten verteilen wird, das die Konfigurationen
der Körper und der Zeichen umstürzen wird.
Nach Seattle waren
alle mit ihrer körperlichen Maschine und ihrer Ausdrucksmaschine
gekommen und kehrten mit der Notwendigkeit wieder heim,
diese in Bezug auf das, was getan und gesagt worden
war, neu zu definieren. Die Formen politischer Organisation
(des Ko-Funktionierens der Körper) und die Aussageformen
(die Theorien und Aussagen über den Kapitalismus, die
Subjekte, die Ausbeutungsformen etc.) sind abzuwägen
und auf das Ereignis zu beziehen. Sogar die TrotzkistInnen
sind gezwungen, sich die Frage zu stellen: Was ist geschehen?
Was geschieht? Was wird geschehen? Und zu berichten,
was sie beim Ereignis machen (die Organisation) und
was sie sagen (der Diskurs, den sie führen).
An dieser Stelle sehen wir, dass
die Ordnung der sprachlichen Aussage das Problematische
ist. Alle sind gezwungen, sich dem Ereignis zu öffnen,
d.h. sich dem Bereich der Fragen und Antworten zu öffnen.
Jene, die schon vorgefertigte Antworten bereithalten
(und ihrer gibt es viele), versäumen das Ereignis. Das
ist das politische Drama, das wir nach 1968 gelebt haben,
das Ereignis zu versäumen, weil die Fragen schon ihre
vorgefassten Antworten hatten (Maoismus, Leninismus,
Trotzkismus).
Das Ereignis insistiert, d.h.
es fährt fort zu wirken, Effekte zu produzieren: Die
Diskussionen über das, was der Kapitalismus ist, und
über das, was ein revolutionäres Subjekt heute ist,
machen im Licht des Ereignisses gute Fortschritte auf
der ganzen Welt. Sprache, Zeichen und Bilder repräsentieren
nicht irgendetwas, sondern tragen dazu bei, dass es
sich ereignet. Bilder, Sprachen und Zeichen sind konstitutiv
für die Wirklichkeit und nicht für ihre Repräsentation.
Unternehmen
Gehen wir nun über zu der Frage, wie die Zeichen, Bilder und Aussagen von den Unternehmen im zeitgenössischen Kapitalismus verwendet werden. Das Unternehmen erzeugt nicht das Objekt (die Ware), sondern die Welt, in der das Objekt existiert. Ebenso wenig erzeugt es das Subjekt (ArbeiterIn und KonsumentIn), sondern die Welt, in der das Subjekt existiert. Im zeitgenössischen Kapitalismus müssen wir zuerst das Unternehmen von der Fabrik unterscheiden. Vor zwei Jahren kündigte ein großer, französischer multinationaler Konzern an, dass er sich von seinen elf Produktionsstätten trennen würde. Diese Trennung von Unternehmen und Fabrik ist ein Grenzfall, der aber im zeitgenössischen Kapitalismus immer häufiger wird. In der großen Mehrheit der Fälle werden diese beiden Funktionen ineinander integriert; wir nehmen jedoch an, dass ihre Trennung sinnbildlich für eine tiefgehende Transformation der kapitalistischen Produktion ist. Was wird dieser multinationale Konzern beibehalten? Was versteht er unter "Unternehmen"? Alle Funktionen, alle Dienstleistungen und alle Angestellten, die es ihm erlauben, eine Welt zu schaffen: Marketing, Service, Gestaltung, Kommunikation etc.
Das Unternehmen erzeugt eine Dienstleistung oder ein Produkt. In seiner Logik existiert die Dienstleistung oder das Produkt, ebenso wie KonsumentIn und ProduzentIn, für seine Welt, die des Unternehmens; diese letztere muss in den Seelen und Körpern der ArbeiterInnen und KonsumentInnen verinnerlicht werden. Im zeitgenössischen Kapitalismus existiert das Unternehmen nicht außerhalb der ProduzentInnen und KonsumentInnen, die ihm Ausdruck verleihen. Seine Welt, seine Objektivität und seine Wirklichkeit vermischen sich mit den Beziehungen, die das Unternehmen, die ArbeiterInnen und die KonsumentInnen zueinander unterhalten.
Kommunikation/Konsumtion
Gehen wir vom Konsum
aus, da doch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage
umgekehrt wurde: Die KundInnen sind der Angelpunkt der
Unternehmensstrategien. In Wirklichkeit berührt diese
Definition aus der politischen Ökonomie nicht einmal
das Problem: der Aufsehen erregende Aufstieg, die strategische
Rolle, die die Ausdrucksmaschine im zeitgenössischen
Kapitalismus spielt (Meinung, Kommunikation, Marketing,
also Zeichen, Bilder und Aussagen). Konsumieren reduziert
sich nicht auf den Akt des Kaufens und Vernichtens einer
Dienstleistung oder eines Produkts, wie die politische
Ökonomie und ihre Kritik lehren, sondern bedeutet zuerst
die Zugehörigkeit zu einer Welt bzw. einem Universum.
Um welche Welt handelt es sich?
Es reicht aus, den Fernseher oder das Radio einzuschalten,
in einer Stadt spazieren zu gehen, eine Wochen- oder
Tageszeitung zu kaufen, um zu wissen, dass diese Welt
durch Aussagegefüge konstituiert ist, durch Zeichenregime,
deren Ausdruck sich Werbung nennt, und das Ausgedrückte
(den Sinn): eine Aufforderung, ein Kommando, welche
für sich eine Bewertung, ein Urteil, eine Ansicht über
die Welt, über sich selbst und die anderen darstellen.
Das Ausgedrückte (der Sinn) ist keine ideologische Bewertung,
sondern ein Anreiz (es gibt Zeichen), eine Aufforderung,
eine Lebensform anzunehmen, d.h. eine Art sich anzuziehen,
einen Körper zu haben, zu essen, zu kommunizieren, zu
wohnen, sich zu bewegen, ein Geschlecht zu haben, zu
sprechen etc. Das Fernsehen ist ein Fluss aus Werbung,
der regelmäßig von Filmen, Unterhaltungssendungen und
Nachrichtenprogrammen unterbrochen wird. Die Zeitung
reduziert sich – nach der Darstellung Jean-Luc Godards
–, wenn alle Seiten herausgenommen werden, die Werbung
beinhalten, auf den Leitartikel des Chefredakteurs.
Und ebenso ist das Radio ein ununterbrochener Fluss
von Werbung und von Sendungen, bei denen es immer schwieriger
wird zu wissen, wo die einen beginnen und die anderen
aufhören. Leider muss man Deleuze Recht geben in seiner
Überzeugung, dass das Unternehmen eine Seele habe, dass
das Marketing sein strategisches Zentrum geworden sei
und dass die Werbefachleute "kreativ" seien.
Das Unternehmen beutet zu seinem eigenen Vorteil die Dynamik des Ereignisses und den Prozess der Konstituierung von Differenz und Wiederholung aus, indem es sie entstellt und von der Logik der Wertsteigerung abhängig macht. Das "Ereignis" heißt für das Unternehmen Werbung (oder Kommunikation oder Marketing). Wir werden nur diesen besonderen Aspekt der Unternehmensstrategie im Bezug auf die Konstituierung der KonsumentInnen, seiner Kundschaft, analysieren. Die Unternehmen investieren mittlerweile bis zu 40% ihres Umsatzes in Marketing, Werbung, Styling, Design etc. Diese Investitionen in die Ausdrucksmaschine können bei weitem die Investitionen in "Arbeit" übertreffen.
Die Werbung verteilt
– wie jedes "Ereignis" – zuerst Wahrnehmungsweisen,
um so zu Lebensweisen aufzufordern; sie aktualisiert
Weisen des Affizierens und Affiziertwerdens in den Seelen,
um sie in den Körpern zu verwirklichen. Das Unternehmen
bewirkt mit Werbung und Marketing unkörperliche Transformationen
(die Losungen der Werbung), welche über die Körper und
nur über sie ausgesagt werden. Die unkörperlichen Transformationen
produzieren zuerst eine Veränderung des Empfindungsvermögens
(oder würden sie gerne produzieren), eine Veränderung
unserer Art zu bewerten.
Die unkörperlichen Transformationen
haben keinen Referenten, denn sie sind autoreferentiell.
Es gibt keine vorgängigen Bedürfnisse, keine natürlichen
Notwendigkeiten, die die Produktion befriedigen würde.
Die unkörperlichen Transformationen setzen die Bewertungen
und ihr Objekt zur selben Zeit, in der sie sie erzeugen.
Die Werbung stellt die spirituelle Dimension des "Ereignisses"
dar, die das Unternehmen und die Werbeagenturen anhand
des Gebrauchs von Bildern, Zeichen und Aussagen erfinden
und die sich in den Körpern verwirklichen muss. Die
materielle Dimension des Ereignisses, seine Realisierung,
vollzieht sich, wenn die Lebensweisen, die Arten zu
essen, einen Körper zu haben, sich zu kleiden, zu wohnen
etc. sich in den Körpern inkarnieren: Man lebt auf materielle
Weise zwischen den Waren und Dienstleistungen, die man
kauft, in den Häusern, zwischen den Möbeln, mit den
Objekten und den Dienstleistungen, die man als "Mögliches"
ergriffen hat, in den Informations- und Kommunikationsflüssen,
in die wir eingetaucht sind. Wir gehen zu Bett, wir
beeilen uns, wir machen dies und das, während dieses
"Ausgedrückte" in den Hertz-Wellen, in den
telematischen Netzwerken und in den Zeitungen weiter
zirkuliert (es "insistiert"). Es verdoppelt
die Welt und unsere Existenz als ein "Mögliches",
das in Wirklichkeit schon ein Kommando, eine autoritäre
Parole ist, die sich durch Verführung ausdrückt.
In welcher Form stellt das Marketing
die Aktualisierung in der Seele her? Welcher Typus von
Subjektivierung/Unterwerfung wird von der Werbung mobilisiert?
Die Gestaltung einer Werbung, die Verkettung und der
Rhythmus der Bilder, die Tonspur sind nach der Art eines
"Ritornells" oder eines "Wirbels"
organisiert. Es gibt Werbungen, die in uns nachwirken,
so wie ein musikalisches Thema oder ein Refrain. Es
ist Ihnen sicher schon passiert, dass Sie sich beim
Pfeifen eines Musikthemas aus der Werbung überrascht
haben (auf jeden Fall geschieht es mir). Die Leibniz’sche
Unterscheidung zwischen der Aktualisierung in den Seelen
und der Realisierung in den Körpern ist sehr wichtig,
da diese beiden Prozesse nicht zusammenfallen und vollkommen
unvorhersehbare Wirkungen auf die Subjektivität der
Monaden nach sich ziehen können.
Die Fernsehnetzwerke kennen keinen nationalen Grenzen, keine Klassen-, Status- und Einkommensunterschiede. Ihre Bilder werden in nicht-westlichen Ländern oder in den ärmsten Schichten der westlichen Bevölkerung empfangen, die eine schwache oder gar keine Kaufkraft haben. Die unkörperlichen Transformationen wirken gut auf die Seele der FernsehzuschauerInnen, indem sie ein neues Empfindungsvermögen schaffen, denn ein Mögliches existiert wohl, wenn auch nicht außerhalb seines Ausdrucksmediums (den Fernsehbildern). Diesem Möglichen genügt es, um eine gewisse Wirklichkeit zu haben, dass es durch ein Zeichen ausgedrückt wird, wie Deleuze es uns vorgeführt hat. Aber die Verwirklichung in den Körpern, die Möglichkeit zu kaufen und mit seinem Körper unter den Dienstleistungen und Waren zu leben, die von den Zeichen als mögliche Welten ausgedrückt werden, folgt dem nicht immer (und für eine Mehrheit der Weltbevölkerung überhaupt nicht), wodurch Erwartungen, Frustrationen und Ablehnung Anlass gegeben wird. Suely Rolnik spricht in Zusammenhang mit der Beobachtung dieser Phänomene in Brasilien von zwei subjektiven Figuren, die zwei Extreme darstellen, in denen sich die Variationen der Seele und des Körpers artikulieren, die von der gerade beschriebenen Logik produziert werden: dem Glanz der "Luxus-Subjektivität" und dem Elend der "Abfallsubjektivität". Der Westen ist entsetzt von den neuen "islamischen" Subjektivitäten. Aber das "Monster" hat er selbst erschaffen, und zwar mithilfe seiner "friedlichsten", verführerischsten Techniken. Wir stehen hier nicht Resten von traditionellen und zu modernisierenden Gesellschaften gegenüber, sondern tatsächlichen Cyborgs, die das "Älteste" mit dem "Modernsten" verbinden.
Die unkörperlichen Transformationen geschehen zuerst und schneller als die körperlichen Transformationen. Drei Viertel der Menschheit sind von diesen letzteren ausgeschlossen, sie haben leichter Zugang zu den ersteren (zuerst und vor allem durch das Fernsehen). Der zeitgenössische Kapitalismus kommt nicht zuerst mit den Fabriken an; diese folgen nach, wenn sie überhaupt kommen. Er kommt zuerst mit Worten, Zeichen und Bildern an. Und ebendiese Technologien gehen heute nicht nur den Fabriken, sondern auch der Kriegsmaschine voraus.
Das Ereignis ist eine Begegnung und sogar eine doppelte: Das eine Mal trifft es die Seele, das andere Mal den Körper. Diese doppelte Begegnung kann einer doppelten Verschiebung Raum geben, denn sie ist ja nur eine Eröffnung von Möglichkeiten in der Modalität des "Problematischen". Die Werbung ist nur eine mögliche Welt, eine Falte, die Virtualitäten birgt. Die Ausfaltung dessen, was in ihr eingehüllt ist, die Entfaltung der Falte, kann vollkommen heterogene Effekte hervorbringen, denn zum einen begegnen sie Monaden, die alle autonome, unabhängige und virtuelle Singularitäten sind. Zum anderen – wie wir in der neo-monadologischen Ontologie gesehen haben – ist eine andere mögliche Welt immer virtuell vorhanden. Die Gabelung divergierender Serien sucht den zeitgenössischen Kapitalismus heim. Unvereinbare Welten entfalten sich in derselben Welt. Deshalb ist der kapitalistische Prozess der Aneignung niemals in sich selbst geschlossen, sondern immer ungewiss, unvorhersehbar, offen. "Existieren heißt differieren", und diese Differenzierung ist jedes Mal aufs Neue ungewiss, unvorhersehbar und riskant.
Der Kapitalismus versucht diese Gabelung, die virtuell immer durch die Variation und die kontinuierliche Modulation möglich ist, zu kontrollieren: weder Produktion eines Subjekts noch Produktion eines Objekts, sondern Subjekte und Objekte in kontinuierlicher Variation, geleitet durch die Technologien der Modulation, die sich ihrerseits in kontinuierlicher Variation befinden.
Die Kontrolle drückt sich in den westlichen Ländern nicht nur durch die Modulation der Gehirne aus, sondern auch durch die Formung der Körper (in Gefängnissen, Schulen und Krankenhäusern) und das Lebensmanagement ("workfare"). Wir würden unseren kapitalistischen Gesellschaften ein Geschenk machen, wenn wir denken, dass alles durch die kontinuierliche Variation der Subjekte und Objekte geschieht, durch die Modulation der Gehirne und mittels der Vereinnahmung des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit durch die Zeichen, Bilder und Aussagen. Die Kontrollgesellschaft integriert die "alten" disziplinären Dispositive. In den nicht-westlichen Gesellschaften, wo die disziplinären Institutionen und das "workfare" schwächer und weniger entwickelt sind, bedeutet Kontrolle sofort Kriegslogik, selbst in Zeiten des "Friedens" (vgl. nach wie vor Brasilien).
Der paradigmatische
Körper der westlichen Kontrollgesellschaften wird nicht
mehr durch den eingesperrten Körper des Arbeiters, des
Wahnsinnigen, des Kranken repräsentiert, sondern durch
den fettsüchtigen (voll mit den Welten der Unternehmen)
oder den anorektischen Körper (Ablehnung dieser Welt),
welche im Fernsehen die von Hunger, Gewalt und Durst
geschundenen Körper der Mehrheit der Weltbevölkerung
sehen. Der paradigmatische Körper unserer Gesellschaften
ist nicht mehr der stumme, von den Disziplinen geschmiedete
Körper, sondern es sind die Körper und Seelen, die von
den Zeichen, Wörtern und Bildern (den Unternehmenslogos)
markiert sind, die sich uns einschreiben – ähnlich dem
Verfahren, durch welches die Maschine in Kafkas "Strafkolonie"
ihre Befehle selbst noch in die Haut der Verurteilten
einritzt.
In den 1970er Jahren hat Pasolini
sehr genau beschrieben, wie das Fernsehen die Seele
und den Körper der ItalienerInnen verändert hat, wie
es das Hauptinstrument einer anthropologischen Transformation
war, die zuerst und vor allem die Jugend betraf. Er
verwendet praktisch dasselbe Konzept wie Gabriel Tarde,
um die Modalitäten einer Wirkung des Fernsehens auf
Distanz zu beschreiben: Das Fernsehen wirkt durch das
Beispiel anstatt durch Disziplin, durch Imitation anstatt
durch Zwang. Es ist Aufsicht des Verhaltens, Einwirkung
auf mögliche Aktivitäten. Pasolinis Filmtrilogie über
Körper wurde abgelehnt, weil sie diese Transformation
nicht aufgegriffen hat. Sie sprach noch vom Körper vor
der Modulation der Gehirne und für gewisse Aspekte sogar
vor den Disziplinargesellschaften.
Diese unkörperlichen Transformationen,
die in unserem Kopf wie Ritornelle wieder und wieder
kommen, die augenblicklich auf der ganzen Welt zirkulieren,
die in jeden Haushalt dringen und die eine richtige
Waffe zur Eroberung, zur Erfassung der Gehirne und der
Körper darstellen – sie sind einfach unverständlich
für die marxistische Theorie und für die ökonomischen
Theorien. Wir befinden uns hier vor einem Paradigmenwechsel,
den wir nicht ausgehend von der Arbeit, noch von der
Praxis her erfassen können. Im Gegenteil könnte es vielmehr
sein, dass Letztere ein falsches Bild gibt von dem,
was Produktion heute bedeutet, denn der Prozess, den
wir gerade zu beschreiben versucht haben, ist tatsächlich
die Vorbedingung jeder Organisation von Arbeit (oder
Nicht-Arbeit).
Bilder, Zeichen und sprachliche Aussagen sind also das Mögliche, mögliche Welten, die die Seelen (die Gehirne) affizieren und sich in den Körpern verwirklichen müssen. Bilder, Zeichen und Aussagen intervenieren sowohl bei den unkörperlichen als auch bei den körperlichen Transformationen. Ihre Wirkungsweise ist die der Erschaffung und Realisierung von Möglichem, und nicht die der Repräsentation. Sie tragen zu den Metamorphosen der Subjektivität bei, und nicht zu ihrer Repräsentation.