05 2003
Proteste gegen die kapitalistische Globalisierung im Video
In meiner künstlerischen Praxis spielt Video seit Mitte der 90er Jahre eine wichtige Rolle. In themenspezifischen, in Kunstinstitutionen realisierten Installationen wie "Gelernte Heimat" (1996), "Institutionelle Rassismen" (1997), "The global 500" (1999) und "Nachhaltige Propaganda" (2000) bildet Video ein zentrales Element, das in Kombination mit Text/Bildmontagen oder Fotografien in Wand- und Rauminstallationen eingesetzt wird. Diese Videos basieren auf Interviews, die zu inhaltlichen Abschnitten der Ausstellungen realisiert wurden.
Seit dem Jahr 2000 entstehen auch unabhängig von Ausstellungen Videos, die außerhalb des unmittelbaren Kunstfeldes präsentiert werden können. Diese Videos bewegen sich zwischen Kunst und politischem Aktivismus und greifen Themen und Praxen des Widerstandes einer nicht-institutionalisierten Linken auf.
In diesem Text formuliere ich Überlegungen zu zwei 2002 fertiggestellten Videos, die Teilbereiche jener Bewegung fokussieren, die im vorherrschenden medialen Diskurs zumeist als "Antiglobalisierungsbewegung" bezeichnet wird.
Das Video "This is what democracy looks like!" (38 Min., 2002) thematisiert Ereignisse rund um eine polizeilich verbotene Demonstration gegen das World Economic Forum am 1. Juli 2001 in Salzburg, im Zuge deren 919 DemoteilnehmerInnen ohne unmittelbaren Anlass sieben Stunden lang von den martialisch auftretenden Polizeikräften eingekesselt wurden. Das demokratische Grundrecht auf freie öffentliche Meinungsäußerung wurde unterbunden, während die demokratisch nicht legitimierten Führungsschichten der Konzerne im Rahmen des WEF unter Ausschluss der Öffentlichkeit ungestört den neoliberalen Umbau der Gesellschaft vorantreiben konnten. Als Teilnehmer der Demonstration geriet ich in den Polizeikessel und versuchte, aus der Demonstration heraus mit der Videokamera die Geschehnisse aufzunehmen.
Kurze Zeit nach dem 1. Juli entschied ich mich, von meinem Videomaterial ausgehend die Ereignisse rund um die Einkesselung der DemoteilnehmerInnen zum Ausgangspunkt eines Videos zu machen. Dabei war ich mit der Tatsache konfrontiert, ein Ereignis zu thematisieren, das in seinem Ablauf und in seiner Dramaturgie stark von repressiven Polizeitaktiken und dem willkürlichen Vorgehen von Politikern und Polizisten bestimmt wurde. Die DemoteilnehmerInnen wurden nämlich durch den Polizeikessel in eine Zwangslage gedrängt, in der sie in ihren Möglichkeiten, auf die sich stündlich ändernden Verhandlungspositionen und das repressive Vorgehen der Polizei zu reagieren, stark eingeschränkt waren. Dieses ungleiche Kräfteverhältnis bestärkte mich, die Ereignisse ausschließlich aus der Sicht der DemoteilnehmerInnen zu thematisieren und jene der Polizisten, des Bürgermeisters oder von "neutralen" Beobachtern, die die mediale Berichterstattung ohnehin dominieren, auszuklammern. Ich führte daher einige Wochen später für das Video Interviews mit sechs DemoteilnehmerInnen durch, deren Beschreibungen und Einschätzungen durch die zeitliche Distanz und eine kritische Reflexion geprägt sind.
Mit der Entscheidung, das Video "This is what democracy looks like!" zu realisieren, ging die Absicht einher, zusätzlich an einem weiteren Video über einen anderen Teilbereich der antikapitalistischen Bewegung zu arbeiten, das stärker politische Praxen und Handlungsoptionen in den Vordergrund rücken sollte, die über die unmittelbare Reaktion auf Polizeitaktiken hinausgehen. Ich entschied mich für ein Video über die für mich interessanteste Gruppierung, die italienischen Disobbedienti (die Ungehorsamen), die damals noch unter dem Label "Tute Bianche" Aktionen gegen Abschiebegefängnisse in Italien durchführte und an den Mobilisierungen für eine demokratische Globalisierung teilnahmen. Die Disobbedienti zeichnen sich nicht nur durch ihre politischen Analysen aus, sondern zeigen auch Handlungsmöglichkeiten und Wege einer alternativen gesellschaftlichen Entwicklung auf. Mit dem Video wollte ich die Aktionen und theoretischen Überlegungen der außerhalb Italiens viel zu wenig bekannten Disobbedienti thematisieren, weshalb ich in Zusammenarbeit mit dem Autor Dario Azzellini im Sommer 2002 eine Reihe von Interviews mit ProtagonistInnen der Disobbedienti für das Video aufnahm.
Sowohl im Video "This is what democracy looks like!" als auch im Video "Disobbedienti" (54 Min., 2002) kommen ausschließlich Beteiligte aus der "Bewegung der Bewegungen" zu Wort und nehmen im Video die Rolle von aktiven SprecherInnen ein. Während bei "This is what democracy looks like!" die Bildebene ausschließlich aus von mir und VideoaktivistInnen in Salzburg bei der Demonstration aufgenommenem Videomaterial besteht und die InterviewpartnerInnen nicht zu sehen sind, sondern zu den durch Videobilder repräsentierten Ereignissen sprechen, wird im Vergleich dazu im Video "Disobbedienti" die physische Präsenz der GesprächspartnerInnen hervorgehoben. Alle Interviews wurden im Stehen aufgenommen an Orten, die für die Praxis der Disobbedienti von unmittelbarer Bedeutung sind. Die Inszenierung der GesprächspartnerInnen und die im Gehen aufgenommen Sequenzen streichen die Bedeutung des Körpers für das Konzept der Tute Bianche hervor.
Die beiden Videos "Disobbedienti" und "This is what democracy looks like!" kommen weitgehend ohne Off-Kommentare aus, die als Überleitungen, Vergleiche und Fragestellungen in vielen Dokumentationen bewerten, Distanz schaffen oder im Falle einer militanten Gruppierung die Distanzierung von den Aktionen ausdrücken können. Durch diese formale Reduktion und die starke Präsenz der ProtagonistInnen nähern sich Dario Azzellini und ich als Filmemacher der inhaltlichen Position der GesprächspartnerInnen an. Die konzeptionelle Anlage des Videos verweist auf unsere grundsätzliche Übereinstimmung mit den Analysen und Praxen der Disobbedienti, wodurch das Video zum politischen Statement wird.
Die Videos stehen somit in einem grundlegenden Gegensatz etwa zum investigativen Journalismus bürgerlicher Medien, der auf seine angebliche Neutralität pocht. Auch der "demokratisch-ausgewogene" Nachrichtenbeitrag im Fernsehen, der trotz seiner behaupteten Objektivität etwa den Ausschluss linker Sichtweisen betreibt und festschreibt, stellt nur insofern einen direkten Bezugspunkt dar, als er in dieser Videopraxis seine unmittelbare Umkehrung erfährt. So bildet etwa das in der Fernsehberichterstattung beliebte Motiv des politischen Aktivisten als "gewaltbereiter Demonstrant" (die Zuschreibung kommt ausschließlich in der männlichen Form vor) in den beiden Videos den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Gewaltdiskurs, durch den versucht wird, die antikapitalistische Bewegung in "gewaltbereite" und "friedliche" DemonstrantInnen zu spalten, gegeneinander auszuspielen und damit zu schwächen.[1]
In Diskussionen wird das Video "Disobbedienti" manchmal für seine Informationsdichte bei gleichzeitiger Komplexität des Gesprochenen kritisiert, da das Video während der gesamten Dauer von 54 Minuten den ZuseherInnen vollste Konzentration abverlangt. "Disobbedienti" wiederholt durch den Schnitt die hohe Sprechgeschwindigkeit der GesprächspartnerInnen als formales Element und unternimmt kaum den Versuch, diese durch Pausen aufzulösen. Um die Aufmerksamkeit der ZuseherInnen noch stärker auf die Argumente der ProtagonistInnen zu konzentrieren, wird an einigen Stellen im Video der kontinuierliche Bilderfluss durch weiße Flächen durchbrochen. Diese weißen Flächen stehen im direkten Bezug zu den weißen Overalls der Tute Bianche, deren Funktion im Video ausführlich erläutert wird, sind aber auch Ausdruck des Wunsches, die BetrachterInnen anzuregen, die visuellen Leerstellen mit ihren persönlichen Vorstellungen zu füllen. Sie stellen also den Versuch dar, für eine Entwicklung, die – dem Konzept der Disobbedienti entsprechend – fragend und ohne vorgefertigte Modelle voranschreiten soll, eine offene visuelle Entsprechung zu finden.
Weniger oft taucht die Kritik auf, das Video würde eine Heroisierung der Disobbedienti bewirken. Fragt man jene zum Teil politisch selbst aktiven Leute nach dem Grund für diese Einschätzung, erfährt man, dass die Ablehnung mit dem spektakulären Erscheinungsbild der Aktionen und einem behaupteten avantgardistischen Auftritt der Tute Bianche bzw. Disobbedienti (den diese übrigens selbst negieren) begründet wird. Wie die VertreterInnen der Disobbedienti im Video eloquent beschreiben, wird das Spektakel jedoch gezielt eingesetzt, um von den Medien wahrgenommen zu werden. Es ist also kein Selbstzweck, sondern kalkulierte Strategie. Gegen das Heroisierungsargument spricht auch die im Video von Francesco Raparelli thematisierte Kritik an den Disobbedienti, dass es ein Problem darstelle, wenn der soziale Ungehorsam der Disobbedienti zu einem Logo oder zur verbalen Darstellung von Praxen wird, die bereits vorher von anderen Subjekten des Konflikts ausgeübt wurden.
Diesen Einwänden halte ich die Wichtigkeit entgegen, die politische Praxis und die Einschätzungen der Disobbedienti zu thematisieren und einem Publikum außerhalb Italiens dadurch die Möglichkeit zu geben, aus diesen Erfahrungen zu lernen, sie kritisch zu reflektieren und vielleicht sogar die eine oder andere Facette in die eigenen Überlegungen oder die eigene Praxis einfließen zu lassen.
Aufgrund ihrer Inhalte werden die Videos "This is what democracy looks like!" und "Disobbedienti" auch außerhalb des unmittelbaren Kunstbetriebs gezeigt und rezipiert. Neben Präsentationen in politischen Zusammenhängen finden auch Präsentationen in Kinos und bei Videofestivals statt. Für mich ist es aber eminent wichtig, die Videos auch weiterhin in Kunstinstitutionen zu zeigen, da ich diese für zentrale Orte halte, an denen ein gewisser Freiraum für die Thematisierung marginalisierter politischer Sichtweisen und Praxen besteht.
[1] Vgl. Dario Azzellini & Oliver Ressler, Die Macht des Gewaltdiskurses, Kulturrisse 04/02.