10 2017
„Heimat, fremde Heimat“: Das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und Jugoslawien wurde fünfzig Jahre alt
Übersetzt von Mascha Dabić
Die aufgeheizte österreichische innenpolitische Saison 2016 war gekennzeichnet durch Skandale im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen, die aus obskuren Gründen zwei Mal in die Verlängerung gingen – eine noch nie da gewesene Situation. Zugleich fand im Jahr 2016 eine Reihe unterschiedlicher Veranstaltungen, Ausstellungen, Konferenzen und anderer Events statt, teilweise staatlich organisiert, teilweise von unabhängigen Initiativen. Mit diesen Veranstaltungen wurde daran erinnert, dass vor genau 50 Jahren ein Anwerbeabkommen über Gastarbeiter zwischen Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien abgeschlossen wurde. Diesem Thema wird seitens des offiziellen Österreichs für gewöhnlich keine besondere Bedeutung beigemessen, außer eventuell an einzelnen Jahrestagen, und so ist es mehr oder weniger der Eigeninitiative der Migranten in Österreich, die über ihre Situation reflektieren, und einigen Sympathisanten, größtenteils aus dem akademischen Umfeld,1 überlassen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Allerdings erfuhr das Thema Gastarbeit im Jahr 2016 angesichts der besagten politischen Ereignisse und der akuten Flüchtlingskrise eine zusätzliche referenzielle Aufwertung, sodass es gewissermaßen einen Sprung vollführte, heraus aus dem historischen Kontext, und sich in die Aktualität einschrieb – sei es, indem es explizit erklärt, oder aber deutlich hörbar verschwiegen wurde. Im Laufe des Jubiläumsjahres wurden die Gastarbeiter im offiziellen, öffentlichen Diskurs meist ausschließlich als ein Modell für eine erfolgreiche Integration von Migranten angeführt: „Es ist sehr wichtig, dass sich die zweite und die dritte Generation der Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien gut in die österreichische Gesellschaft integriert haben. Das Beispiel der Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien zeigt, dass Integration gelingen kann, aber dass es dafür viel Zeit braucht, sogar mehr als eine Generation“2, sagte im letzten Jahr Sebastian Kurz, der damalige österreichische Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, wobei er allerdings vergaß zu erwähnen, welche präzise Kriterien es denn sind, die darüber entscheiden, ob es sich um eine gute oder eine schlechte Integration handelt. Die Erklärung ist jedoch im Timing zu suchen: Zum selben Zeitpunkt, als Außenminister Kurz den Vorschlag macht, die Flüchtlingskrise nach australischem Modell zu lösen oder die „Integrationsunwilligkeit“ bei Schülern mit bis zu 1000 Euro zu bestrafen, wurden die jugoslawischen Migranten aus der verstaubten Kiste der österreichischen sozialen Wunder hervorgekramt, um von allen Seiten als ein gesellschaftliches Experiment vereinnahmt zu werden, welches, ausgerechnet mitten im Wahljahr und mitten in kontroversen Migrationspolitiken als ein Erfolg für die Politik Österreichs gefeiert zu werden. Jede größere und ernstzunehmende Partei (außer der rechtsradikalen FPÖ, deren Nichtteilnahme an diesem Trend keiner eigenen Erklärung bedarf), jede staatliche Einrichtung oder Agentur, deren Bezeichnung die Schlagworte Integration, Minderheit oder beides enthält, organisierte in diesem Jahr eigene Veranstaltungen, um den Jahrestag des Anwerbeabkommens zu begehen. Das Sujet war dabei vorhersehbar: offizielle Ansprachen, Unterhaltungsprogramm mit Minderheitencharakter, freies Buffet mit Balkanspezialitäten.
Wenn das österreichische Integrationsmodell, welches sich bereits seit einigen Generationen entwickelt, als erfolgreich gefeiert wird (im offiziellen Diskurs wird Migration noch immer zahlenmäßig erfasst – „zweite Generation“, „dritte Generation“ – so als würde dem von den Großeltern überlieferten Nachnamen mehr Gewicht zukommen als dem Umstand, dass man seit zwanzig Jahren oder länger in Österreich lebt), lässt die offizielle Seite vollkommen die Tatsache außer Acht, dass diese Integration über mehrere Generationen hinweg und die Transformation der zeitlich begrenzten Gastarbeit in unbefristete Arbeitsverhältnisse auf staatlichen Richtlinien und Dokumenten beruhten, die vor Ort, an den Arbeitsplätzen, gerade den zeitlich begrenzten Charakter der Gastarbeit als Priorität herausgestrichen hatten. Mit anderen Worten, es war von den zuständigen Behörden nicht geplant gewesen, dass die Arbeiter dauerhaft als Gäste blieben, sondern dies passierte schlicht und ergreifend, an den Richtlinien der Behörden vorbei. Davon zeugt auch der Text des Anwerbeabkommens aus dem Jahr 1966, der nach einem ähnlichen Muster abgefasst war wie entsprechende Dokumente, die von der Bundesrepublik Österreich angesichts des starken Wirtschaftswachstums in der Nachkriegszeit und dem damit einhergehenden Bedarf an Arbeitskräften ebenfalls mit Spanien (1962) und der Türkei (1964) abgeschlossen wurden. Die systematische Beschäftigung der jugoslawischen Gastarbeiter in Österreich gestaltete sich folgendermaßen: Die österreichischen Arbeitgeber mussten das jugoslawische Büro für Arbeitsvermittlung über offene Arbeitsplätze informieren, und Arbeitswillige konnten sich über das Büro für bestimmte Arbeitsplätze bewerben, um anschließend, nach einer verpflichtenden medizinischen Untersuchung, den Arbeitsplatz anzutreten. Die Kosten wurden vom Arbeitgeber übernommen. Zudem sollten die jugoslawischen Arbeiter von Rechts wegen ihren österreichischen Kollegen gleichgestellt sein. Die Grundidee der Unterzeichner des Abkommens bestand jedoch darin, dass es einen rotierenden Arbeitsplan geben sollte – die zusätzlichen Arbeitskräfte waren also als Gastarbeiter geplant, ganz im Sinne des Wortes, und sie sollten in erster Linie in Wellen beschäftigt werden, ihre Arbeitsverträge sollten also nur für kurze Zeit gültig sein. Die Bedeutung der zeitlichen Begrenzung im Rahmen der temporären Arbeit erfuhr eine zusätzliche Bestätigung, als bei der ersten größeren Wirtschaftskrise in Österreich (1975–1984) mehr als ein Drittel der jugoslawischen Arbeiter in ihr Herkunftsland zurückkehren mussten, als „technischer Überschuss“.
Das geplante, vereinbarte und normierte System der zeitlich begrenzten Arbeit begann jedoch einige Jahre nach seiner Initiierung zu zerbröseln, allerdings von innen, und trotz offizieller Bestimmungen. Viele Saisonarbeiter beschlossen zu bleiben, fanden eine neue Arbeit, um dem Gesetz der einmaligen Beschäftigung zuvorzukommen, oder holten ihre Familien nach, wodurch sie ihre Möglichkeiten zu bleiben erweitern konnten. Zugleich verlängerten auch zahlreiche österreichische Arbeitgeber auf eigene Faust die Arbeitsverträge mit den jugoslawischen Gastarbeitern, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, die neuen Arbeiter einer nächsten Welle von Neuem ausbilden zu müssen. Diese Vielfalt eines Transformationsprozesses, im Rahmen dessen der Gast zu einem mit Rechten ausgestatteten und aktiven Subjekt des österreichischen Staates wurde, im Rahmen dessen aus „ihnen“ ein „Wir“ wurden, fehlte fast durchgehend bei den offiziellen Jubiläumsfeiern, und in nur wenigen Ausnahmefällen konnten das historisch bedingte Muster und die recht vorhersehbare Repräsentationsweise durchbrochen werden.
Einige von den zuständigen offiziellen Institutionen durchgeführte Veranstaltungen (von denen die meisten nicht öffentlich waren), fielen aus dem oben beschriebenen Schema heraus; solche Veranstaltungen fanden in städtischen kulturellen Institutionen statt, in Museen, Galerien, Kinos, im Rahmen unabhängiger Kulturzentren oder an Orten, die unmittelbar vom Phänomen der Gastarbeit beeinflusst waren, wie etwa aufgelassene Fabriken. Unabhängig von der strukturellen Unterstützung des jeweiligen Programms (Finanzierung vom Staat, von der Stadt, von Parteien oder aus unabhängigen Quellen) lassen sich die übrigen Repräsentationsmodelle dieses außerordentlich komplexen Themas im besagten Jahr in zwei Gruppen einteilen. Der erste Typus von Veranstaltungen zielte darauf ab, den gesellschaftspolitischen Kontext aufzuzeigen, also die Mechanismen zur Kontrolle und Steuerung der Arbeitsmigration „von oben“ (Darstellung der administrativen Bedingungen, des Verhältnisses zwischen Kontrolle und Steuerung, Hinterfragung der politischen Entscheidungen und ähnliches). In solchen Programmen wurde eine solche Perspektive als neutral dargestellt und nicht kritisch hinterfragt.
Der zweite Typus überwog in den meisten Programmen. Die Rede ist von einem Modell, sich dem Phänomen „von unten“ zu nähern, es also auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren, indem die persönlichen Zeugnisse der ersten Gastarbeiter präsentiert wurden. Dazu zählen die meisten einschlägigen Ausstellungen und Veranstaltungen in Österreich (z.B. die Ausstellung „Unter fremdem Himmel“ im Volkskundemuseum Wien, eröffnet im September, oder die Wanderausstellung „In Arbeit kommen und bleiben“ in Linz), sowie Segmente einiger anderer Projekte zum gleichen Thema (Projektsegment „Langer Weg der Gastarbeit“, gewidmet den Orten der jugoslawischen Migration im 16. und 17. Wiener Gemeindebezirk, organisiert von der unabhängigen Initiative Platforma). Oberflächlich betrachtet ist es jedenfalls löblich, den einzelnen Akteuren dieses Phänomens, die bislang in der Begriffsdefinition der Gastarbeit geradezu untergetaucht waren, zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und damit ihre Position zu stärken; dennoch birgt eine solche Herangehensweise, die ein Phänomen an Hand von Einzelbeispielen zu erfassen versucht, ohne eine eigene theoretische Interpretation nach sich zu ziehen, das Risiko in sich, eine verfehlte Begriffsdefinition hervorzubringen.
Beispielsweise kamen in solchen Programmen Gastarbeiter zu Wort, die schwere körperliche Arbeit verrichtet hatten; ein Versuch, sich kritisch mit dem Umstand auseinanderzusetzen, dass hochqualifizierte Arbeitsplätze größtenteils der einheimischen Bevölkerung vorbehalten waren, fand jedoch so gut wie nicht statt. Solche Zeugnisse üben kaum Kritik am Aufnahmeland und an der damaligen offiziellen Politik und lassen sich dadurch allzu leicht auf Einzelfälle reduzieren. Im Zuge des beschriebenen dominierenden Diskurses, der die Geschichte der Gastarbeiter wie eine Geschichte mit einem Happy End erzählt, war bei den offiziellen Gedenkveranstaltungen meist die Rede von positiven Beispielen, also von jenen, die angeblich ausschließlich durch ihre hartnäckige und unermüdliche Arbeit es geschafft hatten, „gleichberechtigte Mitglieder der österreichischen Gesellschaft“ zu werden. Dieses Prinzip der „Montage“ eines Erfolgsmodells ist umso präsenter, je präsenter in einem Programm der Staat ist; kritische Betrachtungen über die äußerst prekären Bedingungen der Unterbringung und des Lebens, über die sprachlichen Barrieren, über die strukturellen Schwierigkeiten beim gesellschaftlichen Vorankommen, oder etwa über die Tatsache, dass die Gastarbeiter insgesamt von gesellschaftlicher Diskriminierung betroffen waren, wurden im Großen und Ganzen verschwiegen oder aber der „fehlenden systematischen Vorbereitung“ zugeschrieben, oder als temporäre Erscheinungen und Einzelbeispiele klassifiziert. Allerdings gab es einige Programme, größtenteils waren es selbst organisierte Initiativen, wie etwa „Langer Weg der Gastarbajt“, die den Versuch wagten, durch eine sorgfältige Auswahl der Gesprächspartner der Falle zu entgehen, eine eindimensionale Betrachtung anzubieten. So wurden Gastarbeiter aus der ersten Generation gebeten, dem Publikum Orte in Wien zu zeigen, die maßgeblich von der Gastarbeit und vom Leben der Gastarbeiter beeinflusst waren; solche Führungen unterschieden sich von den dominierenden Präsentationsmodellen, indem sie nämlich auch die negativen Aspekte eines Lebens zeigten, das von zeitlicher Begrenztheit und Ungewissheit geprägt war.
Die erste größere Veranstaltung zum Thema Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, bei der es darum ging, beide Repräsentationsmodelle miteinander zu verbinden, um das Thema allgemeiner zu erfassen, fand im April dieses Jahres in Wien statt, unter dem Titel: „.... dass ich mir Wien nicht vorstellen könnte, ohne unsere jugoslawischen Freunde ...“ (das Zitat stammt aus einer Ansprache des Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk anlässlich der Eröffnung der 10. Arbeitersportspiele 1989). Organisiert wurde diese Veranstaltung von der Universität Innsbruck, von der unabhängigen Minderheitenplattform „Initiative Minderheiten“ und vom Verein „Archiv der Migration“. Es handelte sich um eine Ausstellung und einer Mini-Konferenz in den Räumlichkeiten des früheren Arbeitervereins „Jugoslaven“, dem Dachverband der jugoslawischen Arbeitervereine in Wien. Heute befindet sich in diesen Räumlichkeiten das Kino Filmcasino. (Das einschlägige Archivmaterial mutet geradezu surreal an, denn darauf ist zu sehen, wie der Raum, in dem heute eines der wichtigsten Wiener Art-Kinos untergebracht ist, seinerzeit mit Bildern von Josip Broz Tito vollgespickt war).
Der theoretische Beitrag aus dem ersten Teil dieses Programms korrespondierte sehr gut mit dem zweiten Teil, im Rahmen dessen führende Funktionärinnen und Funktionäre der früheren jugoslawischen Arbeitervereine als Zeitzeugen und Ausführende einer bestimmten politischen Agenda an einer lebhaften Panel-Diskussion teilnahmen; ihre Aussagen über die Entstehung und die Funktionsweise der jugoslawischen Arbeitervereine (von denen es in Wien bis zu 20 gab) illustrierten ganz konkret die Mechanismen und die Methoden der offiziellen Beziehung zwischen dem Herkunftsland der Gastarbeiter und Österreich. Abgerundet wurde die Veranstaltung mit einigen Dokumentarfilmen zum Thema Gastarbeiter (von Krsto Papić, Želimir Žilnik und Goran Rebić), wobei nicht nur die Frage aufgeworfen wurde, auf welche Weise die jugoslawischen Filmemacher sich diesem Phänomen widmeten, sondern auch, auf welche Weise sie es „benützten“, um gewissermaßen Systemkritik zu üben.
Ein dritter Repräsentationstypus, bei dem es sich um eine Mischung handelt, betrifft die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gastarbeit durch die zeitgenössische Kunst. Trotz fehlender kontextueller theoretischer und historischer Referenzen erweist sich dieses Modell als vorteilhaft, nämlich dann, wenn es darum geht, das Thema zu aktualisieren und das kritische Potenzial darin zu aktivieren – dies ist möglich, wenn das Phänomen aus der Vergangenheit in der Aktualität des gesellschaftspolitischen Kontexts des Künstlers selbst seinen Ausdruck findet.
Es gab mehrere künstlerische Projekte3. Zu nennen ist insbesondere die Ausstellung „Ajnhajtklub“, organisiert von der Wiener Galerie Freiraum Q21. Internationale Künstler so wie Künstler aus dem Raum des ehemaligen Jugoslawiens, die sich mehr oder weniger als „zeitlich begrenzte“ Arbeitskräfte in Österreich aufhalten, nahmen an dieser Ausstellung Teil. Auch in diesem Fall bildete das Jubiläumsjahr den wichtigsten Referenzpunkt für das Konzept des Kurators, dennoch ging die Veranstaltung an manchen Punkten über das Narrativ der jugoslawischen Gastarbeiter hinaus und stellte das Thema der Gastarbeit und der zeitlich begrenzten Arbeit in einen breiteren gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext4.
Dennoch wurden die Inhalte der Ausstellung nicht in die Realität der aktuellen politischen Situation in Österreich übertragen, die ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise steht, was bedauerlicherweise bedeutet, dass das politische Potenzial der ausgestellten Inhalte nicht aktiviert werden konnte: Keine der ausgestellten Arbeiten befasste sich mit der augenscheinlichen Ähnlichkeit der damaligen Arbeitsmigration und der heutigen „Wirtschaftsmigration“ oder mit der Art und Weise, wie der Staat damit umgeht.
Die Ausstellung war also zwar inhaltlich und konzeptuell einigermaßen begrenzt, dennoch konnte ihr politisches Potenzial zur Entfaltung gelangen, wenn auch erst durch einige „externe“ Umstände, die ebenfalls einen Einfluss hatten. Da ist zum einen der Umstand, dass die Ausstellung unter der offiziellen Ägide des Österreichischen Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres organisiert und produziert wurde, an dessen Spitze zum damaligen Zeitpunkt der bereits erwähnte Außenminister Sebastian Kurz stand, was sich sicherlich auf die ideelle Konzipierung der Ausstellung auswirkte. Ein anderer, externer „Skandal“, der mit der Ausstellung zusammenhing, betraf den Umstand, dass Tanja Ostojić ihre Arbeit aus der ursprünglichen Ausstellung zurückzog5, was ganz abgesehen vom Ereignis selbst jedenfalls als Hinweis auf ein interessantes Symptom zu betrachten ist – es stellt sich nämlich die Frage, ob es sich möglicherweise um einen Fall von Zensur handelt oder ob es gewisse „vorgegebene Richtlinien“ gab, nicht nur bei diesem Projekt, sondern auch bei ähnlichen künstlerischen Projekten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, „die heiligen Kühe“ Österreichs in Frage zu stellen, allerdings mit staatlicher finanzieller Unterstützung. Zwar haben die Künstlerin Tanja Ostojić und der Kurator der Ausstellung Bogomir Doringer den gleichen geographischen migrantischen Background, allerdings standen in diesem Fall unterschiedliche Ideen im Bezug auf Integration zur Debatte, wenn auch abseits der öffentlichen Diskussion. Eine öffentliche kritische Betrachtung all dieser kontextbezogener Probleme fand nicht statt (abgesehen von einer öffentlichen Stellungnahme von Tanja Ostojić und vom Wiener Künstler und Aktivisten Aleksandar Nikolić6), dennoch hatte die informierte und breitere Öffentlichkeit in Österreich die Möglichkeit, aus diesem Beispiel einiges herauszulesen: nicht nur Mechanismen, mit denen Kontrolle über die Produktion im Bereich Kunst und Kultur ausgeübt wird, sondern auch eine Haltung, der zufolge das Thema Gastarbeiter und dessen Repräsentation im öffentlichen Raum noch immer einer Kontrolle durch zuständige Behörden bedarf. Mit anderen Worten, wir können die folgende Schlussfolgerung ziehen: Das Narrativ von der jugoslawischen Arbeitsmigration als einem Beispiel für „gelungene Migration“ hält sich möglicherweise deshalb so hartnäckig, weil das dominierende politische System es nicht zulässt, dass einer solchen Darstellung des Themas widersprochen wird.
An Hand der angeführten Beispiele hat sich gezeigt, dass die meisten Programme, die auf unterschiedliche Weise im Vorjahr darauf abzielten, sich den Prozessen der Arbeitsmigration zu widmen, in einem zu geringen Ausmaß versuchten, den offiziellen Diskurs zu dekonstruieren – einen Diskurs, der danach strebt, den Begriff des Gastarbeiters in der Vergangenheit zu fixieren, und zwar durch Interpretationen über den positiven Ausgang seines „Schicksals“. Ebenso, und das ist vielleicht noch wichtiger, hat es kein angeführtes Programm vermocht, einen direkten Bezug zwischen der Gastarbeit und der Gegenwart herzustellen; dadurch wurde es verabsäumt, diesem Thema eine größere politische und gesellschaftliche Bedeutung beizumessen, und zwar im Hinblick auf die derzeitigen Migrationsströme, von denen Österreich seit einigen Jahren stark betroffen ist.
Vereinzelt gab es in den Medien und im öffentlichen Raum Analysen, die sich mit der Verbindung des Phänomens der Gastarbeit und der aktuellen Migrationsströmen befassten, allerdings wurde dabei das Augenmerk auf die Unterschiede und die Trennlinien gelegt. Meist wird darauf verwiesen, dass es unterschiedliche Motive für die Migration gibt, sodass hauptsächlich die Startbedingungen dieser Gruppen von Gastarbeitern miteinander verglichen werden (Der Bogen reicht vom Streben nach wirtschaftlichem Wohlstand bis hin zu der Notwendigkeit, das nackte Leben zu retten). Indem die offiziellen Narrative die Gastarbeiter mit der „Wirtschaftsmigration“ in einen Topf werfen, machen sie einen Großteil der aktuellen Migrationsströme am ökonomischen Vorzeichen fest, wodurch die Mobilität aber auch der Verbleib dieser Menschen in Österreich ausschließlich von der Lage am Markt abhängig gemacht wird. So wird an einigen Stellen erklärt, ohne dass es dazu ein Bewusstsein über die offensichtliche Darstellung eines „ökonomischen Rassismus“ gäbe, dass einst die Situation am österreichischen Markt die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften diktiert hatte, dass allerdings der gleiche Markt auf Grund von Globalisierungs- und Automatisierungsprozessen einfach nicht mehr über so viele Arbeitsplätze im Dienstleistungs- und im Industriesektor verfügt, die für die Gastarbeit bestimmt sind. Eine zusätzliche Unterscheidung wird ins Treffen geführt, wenn es darum geht, welche Bedingungen und Anforderungen Österreich damals an die Neuankömmlinge gestellt hat und heutzutage stellt: Im Rahmen des historischen „vom-Zug-direkt-zur-Arbeit“-Systems war es möglich, leicht an eine Arbeitsbewilligung heranzukommen, während es heutzutage geradezu kafkaeske Mechanismen gibt, die darüber entscheiden, ob jemand eine Arbeitsbewilligung bekommt; dazu ist es notwendig, Sprachkenntnisse nachzuweisen, einen „Integrationskurs“ zu absolvieren, Diplome und Lizenzen zu nostrifizieren etc.
Es ist nicht nötig zu betonen, inwiefern diese und ähnliche Schlussfolgerungen über die Unterschiede den Blick auf zahlreiche wichtige Fragen vernebeln, wie etwa auf die Frage, welche systematischen Mechanismen und globale polit-ökonomische Kontexte dazu geführt haben, dass sich die Regulierung der Arbeitsbedingungen für ankommende Arbeiter derart stark verändert haben. Das offizielle Narrativ des österreichischen Staates betrachtet die Gastarbeiter als ein Beispiel für den Erfolg eines staatlichen Systems und seiner integrativen Prozesse; zugleich bekommen die heutigen Arbeitssuchenden in Österreich nicht die gleiche Chance auf einen gleichberechtigten Status im Hinblick auf den „gesellschaftlichen Wohlstand“ geboten. Die Gründe dafür sind sicherlich auch in den bereits erwähnten Trends auf den globalen Märkten zu suchen, ebenso in den aktuellen ideologischen Strömungen. Dennoch entsteht der Eindruck, dass diese Gründe möglicherweise doch auch mit einer spezifischen historischen Erfahrung Österreichs zusammenhängen, sowie mit der Reaktion des Systems auf diese Erfahrung. Mit anderen Worten, wenn das Phänomen Gastarbeit von offizieller Seite als ein Modell für einen erfolgreichen Prozess der Arbeitsmigration gilt, warum sollte dieses Modell heutzutage dann geändert werden? Wenn die gesellschaftliche Vielfalt zu den herausragenden Errungenschaften des modernen Österreich zählt und der Staat eine solche Lesart propagiert, warum setzt man einen solchen Trend zur „Bereicherung“ des gesellschaftlichen Blutbilds Österreichs nicht fort, indem man den Zuzug anderer und andersartiger Menschen weiterhin ermöglicht?
Anstatt dass der Staat aus den historischen Fakten lernt, indem er seine Mechanismen der Kontrolle und der Durchlässigkeit anpasst, scheint es so, als sollten in erster Linie die Migranten selbst aus dieser Erfahrung etwas lernen – unabhängig vom jeweiligen historischen Moment. In diese Richtung sollte sich ein emanzipatorischer Zugang zur Darstellung und Produktion kultureller Inhalte über das Phänomen Gastarbeit bewegen. Es ist sehr wichtig, persönliche historische Narrative festzuhalten und öffentlich zu präsentieren, solche Narrative, die von den offiziellen Happy-End-Erzählungen über die historische Arbeitsmigration abweichen, und die bis dato fast keinen Eingang gefunden haben in die offiziellen Annalen des Aufnahmelandes aber auch des Herkunftslandes, vor allem angesichts der Tatsache, dass solche Programme sehr gut kommunizieren können, und zwar nicht nur mit einem breiteren Publikum, sondern und gerade mit einem migrantischen Publikum, das sich auf Grund eigener Erfahrungen darin wiedererkennen und so auf eine konkretere Weise die eigene Zugehörigkeit oder gar die eigene Abwendung von diesem Begriff bestimmen kann.
Das gastarbeiterische Publikum – wenn wir es denn überhaupt so bezeichnen dürfen – ist eine äußerst heterogene Gemeinschaft mit einer Reihe spezifischer, unterschiedlicher Erfahrungen, der es insgesamt an einer autonomen politischen Artikulation fehlt. Wenn das Phänomen der Gastarbeit und seine eingeschriebenen Positionen des fixierten und verallgemeinerten Stattfindens nicht in Frage gestellt werden, eröffnet sich die Möglichkeit für offizielle Manipulationsversuche, und außerdem wird auf der anderen Seite die Generierung eines politischen Potenzials und eines artikulierten Engagements auf einer viel konkreteren Ebene verunmöglicht – im direkten Bezug auf das heutige staatliche System ebenso wie im Bezug auf sämtliche oben angeführte aktuelle gesellschaftspolitische Probleme, in denen sich dieses Phänomen widerspiegelt.
Dies ist die bearbeitete Version eines Artikels, der am 16. Januar 2017 auf der Website kulturpunkt.hr erschienen ist, im Rahmen des Projekts „Vernebelte Zukunftsbilder“, kofinanziert vom Fonds für Pluralismus und Vielfalt der elektronischen Medien: http://www.kulturpunkt.hr/content/dome-strani-dome
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1 http://www.kulturpunkt.hr/content/cuvanje-i-stvaranje-nove-povijesti-austrije
2 http://www.kosmo.at/ajnhajtclub-offiziell-eroeffnet/
3 Die Performance “Gruß!” (“Pozdrav!”) von Marko Marković im Rahmen der Veranstaltung „Langer Weg der Gastarbajt“, Filmpremiere „Unten“ von Đorđe Čengić, oder die Videoarbeit des Künstlerduos Doplgenger im Museum der Stadt Krems
4 Beispielsweise die Arbeit von Addie Wagenknecht, "Optimization of Parenthood, Part 2", wo eine Roboterhand auf das Weinen eines Kindes reagiert, indem sie die Wiege schaukelt; dadurch wird die Abwesenheit von Eltern problematisiert, die auf Grund ihrer Arbeit nicht bei ihrem Kind sein können, damals und heute.
5 Der Rückzug von Tanja Ostojić aus der ursprünglichen Ausstellung und die öffentliche Stellungnahme der Künstlerin, in der sie von Zensur gegen ihre geplante Arbeit spricht; ihre Arbeit sollte sich kritisch mit der Stellung der BKS-Sprache im Rahmen öffentlicher kultureller Institutionen befassen (https://art-leaks.org/2016/06/09/censorship-of-tanja-ostojics-art-project-at-the-q21-exhibition-space-in-mq-vienna-austria/)