09 2025
Tosquelles: Wahnsinn und Bürger:innenschaft
Aus dem Englischen und Französischen von Isabell Lorey
Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheint, das Adjektiv ‘queer’ mit François Tosquelles in Verbindung zu bringen, denn der starb, bevor dieses Adjektiv in der Gesellschaft weit verbreitet war. Aber man kann sagen, dass dieses Wort gut zu ihm passt, denn Tosquelles hatte die seltsame Eigenschaft, keine Angst vor dem Wahnsinn zu haben, während alle Institutionen, die sich damit befassen, es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihn einzudämmen und vom Rest der Gesellschaft abzusondern. Wie Tosquelles in mehreren seiner Werke schreibt, ist dieser Wunsch nach Eindämmung und Abgrenzung bei Personen in medizinischen Berufen besonders ausgeprägt. Deshalb bemühte er sich während seiner Zeit als Psychiater der spanischen republikanischen Armee mehr um die Ausbildung der Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen dieser Armee als um die Versorgung der Verwundeten und Deliranten, die er stattdessen der Obhut ehemaliger Sexarbeiterinnen anvertraute. Später betont er in Fonction Poetique et psychotherapy, dass die Schwierigkeit, die Worte und Handlungen von psychisch Kranken zu verstehen, beängstigend ist. Sowohl Pflegekräfte als auch Patient:innen wissen nicht, was sie sagen sollen, und diese Unfähigkeit macht ihnen Angst. Wenn Gewalt entsteht, flieht man entweder oder setzt ihr noch größere Gewalt entgegen, anstatt nach Worten zu suchen, um einzugreifen. Man ist überzeugt, dass der andere etwas verbirgt; der Verrückte glaubt, dass die Menschen um ihn herum etwas verbergen; diejenigen, die theoretisch nicht verrückt sind, glauben, dass die Verrückte ihre zwangsläufig bösartigen Absichten vor ihnen verbirgt. Und doch ist laut Tosquelles ein öffentlicher Ausbruch von Wahnsinn nur ein Grenzfall der Schwierigkeit der Kommunikation zwischen Menschen; daran ist nichts Außergewöhnliches.
Verrückte müssen wie alle anderen Fußball spielen
Diese Offenheit gegenüber dem Wahnsinn, diese Fähigkeit, ihn als nah und als Teil des normalen Lebens wahrzunehmen, wurde Tosquelles beigebracht, als er als Kind sonntags seinen Patenonkel ins Krankenhaus von Reus begleitete. Er erzählt, dass er im Alter von sieben Jahren von den seltsamen Regeln eines Fußballspiels zwischen Patienten und Krankenpflegern in diesem Krankenhaus fasziniert war: Die Regeln sollten jeglichen Körperkontakt zwischen den Patienten und ihren Gegnern verhindern und das Risiko ausschließen, dass das Spiel ein wenig ‘verrückt’ wurde. Tosquelles war bereits damals der Meinung, dass für Verrückte die gleichen Regeln gelten sollten wie für alle anderen, dass sie die gleiche Wertschätzung erfahren und am gleichen demokratischen und fußballerischen Raum teilnehmen sollten. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass sie sich nicht verrückt verhalten. Vielleicht kam er später zu dieser Schlussfolgerung, wie Carles Guerra in Madrid vermutete. Jedenfalls sind für Tosquelles ‘die Verrückten’ meist normale Menschen, denen in ihrem Leben etwas gefehlt hat und die dies möglicherweise korrigieren können, wenn man ihnen einen geeigneten Raum zum Austausch bietet und ihnen erlaubt, die Kette von Ereignissen zu entwirren, die sie in den Wahnsinn getrieben hat. Natürlich gibt es auch außergewöhnliche Verrückte wie Antonin Artaud, den Tosquelles einmal in Rodez besuchte, als dieser bereits todkrank und nicht mehr in der Lage war, zu kommunizieren. Aber das ist nicht der Normalfall für eine Psychotherapeutin oder einen Psychiater.
Soziale und mentale Entfremdung
Der Raum, den Tosquelles den Patient:innen des Krankenhauses von Saint-Alban bietet, ist nicht der gewöhnliche Raum einer psychiatrischen Einrichtung, die den Wahnsinn hinter ihren Mauern einsperrt und ihn in Stationen mit relativ homogenen Psychopathologien gruppiert. Es handelt sich auch nicht um den Raum eines gehobenen Hotels, den das Krankenhaus von Reus für die Patient:innen bereithielt, und wo man hoffte, sie durch eine gute, bürgerliche Behandlung und die Bewirtung in einem schönen Restaurant mit gut gekleideten Kellner:innen wieder an das Leben draußen anzupassen und die Symptome des Wahnsinns zu beseitigen, der nur als sozialer Abstieg gedacht und in seinen besonderen Dimensionen verkannt wurde. Wie Jean Oury betont Tosquelles, dass es eine doppelte Entfremdung gibt: die soziale Entfremdung, der die unterdrückten Klassen und die ehemals kolonisierten Bevölkerungsgruppen ausgesetzt sind, aber auch die mentale Entfremdung aufgrund familiärer Umstände sowie aller Arten von Schicksalsschlägen, eine Entfremdung, die quer durch alle sozialen Schichten verläuft. Die Psychiatrie hat es mit der Zusammensetzung dieser beiden Entfremdungen zu tun, die für jeden Menschen anders ist.
Der von Patient:innen selbstverwaltete Club
Als Tosquelles in Saint-Alban ankam, fand er einen wenig genutzten Raum und erklärte ihn zum Patient:innenclub, zu einem selbstverwalteten Ort, von dem aus die neue Bürger:innenschaft der Verrückten im Krankenhaus entwickelt werden sollte. Der Clubs sollte über verschiedene Aktivitäten und Workshops entschieden, an denen die Bewohner:innen des Krankenhauses teilnehmen konnten. Schon die frühere Direktorin des Krankenhauses, Agnès Masson, brachte die Patient:innen abends zum Tanzen, um die Langeweile und Apathie zu vertreiben, die das Leben im Krankenhaus meist kennzeichnen. Im Krankenhausalltag mit Tosquelles gingen die Patient:innen aus, arbeiteten mit den Bauern und Bäuerinnen auf dem Feld, nahmen an Dorffesten teil, spielten Theater, gingen ins Kino und entwickelten ein Kultur- und Freizeitleben, das genauso reichhaltig war wie das der normalen Bürger:innen, wenn nicht sogar noch reicherhaltiger. Das versuchten auch Jean Oury und Félix Guattari in La Borde zu erreichen. Die Einrichtung eines von den Patient:innen selbstverwalteten Clubs in der psychiatrischen Einrichtung wurde zur grundlegenden Institution der institutionellen Psychotherapie – und ist es bis heute mit TRUC, Terrain de rassemblement pour l’utilité des clubs, geblieben, in dem viele dieser Clubs zusammengeschlossen sind.[1]
Psychoanalyse im Krankenhaus und die Heterogenität der Sprachen
Der Raum, den Tosquelles den Patient:innen täglich bot, war der Raum der Psychoanalyse. Er war einer der wenigen Psychiater, die die Psychoanalyse in die psychiatrische Einrichtung eingeführt haben, und zwar als konkrete Form der Herausforderung dieser Einrichtung, als Angebot einer personalisierten Betreuung an einem Ort, an dem Patient:innen von vornherein nach homogenisierenden Kategorien zusammenkommen. Tosquelles kam in Barcelona durch österreichische Geflüchtete, die vom Nationalsozialismus vertrieben wurden, in Kontakt mit der Psychoanalyse. Seine Analyse mit einem von ihnen fand sofort zwischen den Sprachen statt, ohne die Leichtigkeit der Wortspiele, denen sich der Lacanismus hingibt, aber mit einer besonderen Aufmerksamkeit für die Musik der Sprachen, für Intonation und für andere Zeichen als die der rationalen Sprache. Das machte Tosquelles auch sehr aufmerksam für die Poesie.
In dem Video Une politique de la folie von Jean-Claude Polack, Danièle Sivadon und François Pain beschreibt Tosquelles seine psychoanalytische Methode lachend als déconniâtrie: Der oder die Patient:in treibt auf der Couch Unsinn (déconne), und er treibt auch Unsinn, indem er Assoziationen aneinanderreiht und Verbindungen zwischen scheinbar dissoziierten Übertragungen andeutet. Allerdings weist er auf etwas hin, das mir sehr wichtig erscheint: Bei dieser gleichzeitigen déconniâtrie muss die Heterogenität der beiden Gedanken – des oder der Analysand:in einerseits und des oder der Analytiker:in andererseits – als Möglichkeit ihrer Begegnung und der Übertragung bewahrt werden. Das zeigt auch Nicolas Philibert in seinem Film Averroès et Rosa Parks. Um Betreuer:in zu sein, darf man auf keinen Fall das, was die Patient:in sagt, nachahmen und sich mimetisch daran halten, wie es Besucher:innen psychiatrischer Einrichtungen gerne tun. Heterogenität ist die Grundlage der Sorgebeziehung in einer Gesellschaft, die uns glauben machen will, dass wir alle gleich sind – eine Vorgabe, der die Verrückte auf eigene Gefahr entkommen ist.
Indem wir uns um unsere Beziehungen zu anderen sorgen, schreiben wir unsere eigene Geschichte
François Tosquelles freute sich oft über seine Fremdheit, seine Zugehörigkeit zur katalanischen Kultur und seinen Akzent, den er auch nach seiner Niederlassung in Saint-Alban und später in anderen Teilen Frankreichs beibehielt. Heterogenität, die es zu schätzen und zu leben gilt, ist für ihn quasi selbstverständlich. Er empfiehlt sogar, so zu tun, als sei man fremd, denn das heilt besser. Es sind nicht so sehr die Institutionen, die umsorgt werden müssen – wie im Titel des Buches von Joana Masó, das anlässlich der großen Ausstellung über Déconniâtrie in Les Abattoirs in Toulouse erschienen ist.[2] Was wir umsorgen müssen, sind die Beziehungen zu anderen, und durch die Veränderung unserer Beziehungen zu anderen die Konstruktion unserer eigenen Geschichte. Das Buch Fonction poétique et psychothérapie ist das einzige, das Tosquelles auf Katalanisch geschrieben hat und das danach ins Französische übersetzt wurde. Darin zieht er eine Parallele zwischen der Komposition eines Gedichts – am Beispiel des Gedichts In memoriam des zehn Jahre älteren Katalanen Gabriel Ferrater – und der Komposition des Wortes zwischen Analysand:in und Analytiker:in. «Ich würde fast sagen, dass wir verrückte Menschen als Dichter:innen betrachten, die nicht in der Lage waren, aus ihrem Leben das unentbehrliche Gedicht zu machen, das ihnen positivere Erfahrungen ermöglicht hätte, als sie aufgrund ihrer Qualen erwarten konnten.»
Die eigene Singularität in einem Raum der Emanzipation annehmen
Für Tosquelles ist jedes Wesen, wie auch jede:r Dichter:in, vollkommen singulär, und es ist die Aufgabe des Psychotherapeuten, den Menschen diese Singularität bewusst zu machen, damit sie sie anzunehmen können. Sei es innerhalb der offenen psychiatrischen Einrichtung oder außerhalb – natürlich mit Hilfe von Unterstützungseinrichtungen, die im Zuge der psychiatrischen Reformen nicht ausreichend ausgebaut, während Krankenhausbetten abgebaut wurden. Das Problem der Patient:innen ist, dass in erster Linie die Stimmen der anderen – die der Eltern, Lehrer, Spötter – an ihre Ohren dringen, sie desorientieren und sie gleichzeitig davon überzeugen, sich anzupassen, bevor sie für sich selbst sprechen können, bevor sie den Raum dafür finden, der nicht ausschließlich innerhalb der Familie liegen kann, wie es in der sogenannten normalen sozialen Umgebung allzu oft der Fall ist. Es braucht einen Raum für Emanzipation; dieser Raum kann in der Schule, in der Stadt, in einem neuen Job und vielleicht auch im Krankenhaus gefunden werden. Wie ein Patient aus Saint-Alban sagte, kann das Krankenhaus die Schule der Freiheit sein.[3]
Ich habe das Krankenhaus auch als Schule der Demokratie erlebt, der Gleichheit zwischen Patientinnen auf einer Station des Krankenhauses Sainte-Anne, dank der von ihnen selbst organisierten Workshops und den Gesprächen untereinander, alles Frauen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund. Aber mehr als zufällige Umstände ist «die Psychotherapie der Ort, an dem Kranke oder Gesunde weiterhin anspruchsvolle Worte verweben können, die die Frage enthalten, wer sie sind und wie sie sich als singuläre menschliche Wesen unter anderen menschlichen Wesen konstituiert haben». Das Unbewusste, der Wahnsinn, insistiert in der Sprache oder durch bestimmte Verhaltensweisen, aber es gibt keine unüberwindbare Trennung zwischen Verrückten und Nicht-Verrückten. Heilung beginnt mit der Fähigkeit, den Wahnsinn nicht in der Öffentlichkeit auszuspielen, sondern ihn tief in sich zu bewahren und erfolgreich mit ihm zu spielen. Das war es, was Tosquelles seinen Patient:innen beibringen wollte.
Gesellschaft als eine kollektiv sorgende denken
Wenn der Wahnsinn fremd ist, wenn er sich im Verhalten und in den Worten der Patientin bemerkbar macht, wenn er sie halluzinieren lässt, dann ist er auch eine Signatur ihrer Singularität, ihrer spezifischen Einschreibung in die unendliche Vielfalt der menschlichen Wesen. In dieser Vielfalt kann jeder seinen Weg finden, mithilfe von Psychotherapeut:innen, Clubs und verschiedenen Lebensräumen, in denen jede Person zur Sorge um andere beitragen und in die noch erhaltenen Freiräume des öffentlichen Raums eingreifen kann. Paradoxerweise betrachtete Tosquelles mit den Erfahrungen des Spanischen Bürgerkriegs die Gesellschaft als eine kollektiv sorgende; eine solche schien sie in diesem bewaffneten Konflikt zu werden, in dem es kaum Patient:innen gab, die ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, sondern die Einzelnen sich in einem gemeinsamen Kampfgeist solidarisierten, wenn auch fast ohne Waffen, wie George Orwell, der an ihrer Seite kämpfte, feststellte. Die Gesellschaft als eine kollektiv sorgende zu denken, mobilisiert diejenigen, die sich beruflich um andere sorgen, wie Anwält:innen oder Sexarbeiterinnen, während die Pflegefachkräfte sich hinter ihrem vermeintlichen Wissen verstecken, um ihre Angst zu verbergen und ihre Untätigkeit zu entschuldigen.
Den Wahnsinn in einer multidimensionalen Gemeinschaft wieder an seinen Platz stellen
Der übliche Raum in einem psychiatrischen Krankenhaus, umgeben von hohen Mauern und mit einem gut bewachten Eingang, sperrt die Verrückten und ihre Wärter:innen ein, um ihre potenziellen Ausschreitungen (exactions) einzudämmen. Diese Ausschreitungen sind jedoch die einzige Möglichkeit, den kollektiven Raum mit ihrer Originalität zu prägen. Paradoxerweise gilt: Je stärker die Einschränkung, desto mehr sind Transgressionen an der Tagesordnung.
In dem von Tosquelles vorgeschlagenen oder in der Klinik La Borde umgesetzten psychiatrischen Raum geht es darum, den Wahnsinn zu entfalten, anstatt ihn einzudämmen, ihn mit den Worten des Alltags zu verflechten, ihm praktisch seinen invasiven Charakter zu nehmen, indem man ihn nach und nach an seinen Platz stellt. Dies geschieht durch die Vervielfältigung von Workshops, die Teilnahme an künstlerischen und theatralischen Aktivitäten und eine andere Art des Umgangs mit der lokalen Fremdheit. Die Mauern können fallen, aber die lokale Gemeinschaft wird durch viele Interessensgebiete geprägt, die über die zugängliche Außenwelt hinausgehen. Diese lokale Gemeinschaft ist gerastert, gestreift, um einen Begriff aus Deleuze und Guattaris Tausend Plateaus zu verwenden, das heißt, sie wird von einer Vielzahl unterschiedlicher Koordinaten bearbeitet. Diese Arbeit findet in einem sich wiederholenden Alltag statt, den Deligny ‘Gewohnheit’ (coutumier) nannte und der für jede:n eine Ankerfunktion hat, die umso wichtiger ist, je größer die mentalen Schwierigkeiten sind. Aus diesem Gewohnten zeichnen sich in den Lebensräumen unterschiedliche Wege ab, die Deligny als ‘Wanderlinien’ (lignes d’erre) bezeichnet hat. Während die Gewohnheit funktional ist und die wichtigsten Momente des Tages wiederholt, die mit den Mahlzeiten, dem Abwasch und der Körperpflege verbunden sind, ist die ligne d’erre unvorhersehbar und spezifisch für jede Person, ein Zeichen ihrer Singularität.
Gleichheit unter den Teilnehmer:innen der psychiatrischen Gemeinschaft
Obwohl die Gemeinschaft aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen besteht, werden sie nicht hierarchisch angeordnet. Wie in den Milizen der POUM während des Spanischen Bürgerkriegs oder in den katalanischen Landwirtschafts- und Handwerksgenossenschaften tendiert die Verwaltung der lokalen Gesellschaft dazu, vollständige Gleichheit zu schaffen, die auf der möglichst effizienten Mobilisierung der Fähigkeiten jedes und jeder Einzelnen basiert. Dies setzt zweifellos voraus, dass es einen oder mehrere Spielleiter:innen geben muss. Doch diese Rolle wird als Teil eines Kollektivs ausgeübt, wie es bei Tosquelles in Saint-Alban neben Bonnafé, Chaurand, den Schwestern und den besuchenden Résistance-Kämpfer:innen der Fall war, und bei Oury und Guattari in La Borde neben den anderen Betreuer:innen und ihren zahlreichen Gästen. Mit der Einführung des Gitters (la grille) in La Borde instituierten Oury und Guattari ein Rotationssystem, das verhindern sollte, dass sich sowohl Mitarbeiter:innen als auch Patient:innen in festgelegten Rollen einrichten und so durch eine Rückkehr zur Spezialisierung der Funktionen de facto wieder eine Hierarchie herstellten. Die fortschreitende Verrechtlichung der Arbeitsbedingungen geht von der Beschreibung in Tarifverträgen aus, die die Beziehungen zwischen den vermeintlichen Chefs psychiatrischer Einrichtungen und den Gewerkschaften, die das Personal vertreten, regeln sollen. Dadurch wurde es nach und nach immer schwieriger, mit Arbeitsbeziehungen zu spielen und sie zu verändern, vor allem aber kulturelle Kompetenzen zu berücksichtigen, die im Arbeitsrecht nicht aufgeführt, aber für das kollektive Leben unerlässlich sind. Um die institutionelle Psychotherapie weiter praktizieren zu können, bedarf es so entschlossener Tricks wie der von Odysseus, als er das Pferd, mit dem die Griechen den Krieg gewannen, in Troja einschleuste. In La Borde wurde das Gitter vor kurzem aufgegeben, da es immer schwieriger wurde, es umzusetzen.
Die Schwierigkeiten der Intersektionalität
Die Kriterien für die Organisierung einer effektiven Zusammenarbeit zwischen allen Mitgliedern einer psychiatrischen Einrichtung sind vielfältig und manchmal widersprüchlich. Ein Beispiel dafür ist ein kleiner Streit zwischen Tosquelles, Fanon und einer der Nonnen, die als Krankenschwester in Saint-Alban arbeitete. Eine Patientin, deren Zustand sich durch eine Insulintherapie stark verbessert hatte, war in La Terrasse untergebracht worden, einem Gebäude mit Glasfront, das auf die Entlassung aus dem Krankenhaus vorbereiten sollte. Eines Tages wurde Fanon, der für die Versorgung der Patientinnen in diesem Gebäude zuständig war, mitgeteilt, dass die Patientin alle Fensterscheiben zerbrochen habe. Was ihn jedoch wütend machte, war, dass die Schwester, die für diese offene Abteilung zuständig war, sich weigerte, die Patientin in das Gebäude zurückzuverlegen, in dem sie zuvor untergebracht war. Für Fanon hatte die Patientin einen Rückfall erlitten und musste die Insulinbehandlung wieder aufnehmen. Für die Krankenschwester war es ein spektakulärer Ausdruck ihrer Angst davor, entlassen zu werden, weshalb es notwendig war, sie weiter darauf vorzubereiten, indem man sie zeichnen ließ. Tosquelles entschied zugunsten der Krankenschwester, die erfahrener war als Fanon, da sie schon viel länger mit Patient:innen zu tun hatte. Nach einem Monat intensiver Arbeit und Zeichnen mit der Krankenschwester konnte die Patientin entlassen werden und erlitt keinen Rückfall. Fanon war der Ansicht, dass Tosquelles mehr Respekt vor seinem medizinischen Wissen und seinem Status hätte zeigen müssen und dass er dies nur deshalb nicht tat, weil er schwarz war. Tosquelles war vor allem der Meinung, dass angesichts einer kleinen Katastrophe in der Behandlung Erfahrung wichtiger war als Diplome. Dies ist ein wiederkehrendes Problem in den Beziehungen zwischen Pflegekräften.
Den Wunsch auf die Plätze bringen, den Wahnsinn zum Bürger machen
Wie Tosquelles in einem Text für den Internationalen Psychodrama-Kongress 1968 betonte, ging es ihm nicht darum, psychiatrischen Einrichtungen neue Standards aufzuzwingen, sondern darum, den Wunsch in sie hineinzubringen – den Wunsch jeder Person, der Betreuer:innen wie der Patient:innen, und der Patient:innen wie der Betreuer:innen. Dem Faden des Wunsches kann man im kollektiven Alltag durch Psychotherapie, durch theatralische und poetische Aktivitäten folgen, aber dafür müssen zunächst leere Räume im Krankenhaus oder in der Nachbarschaft eröffnet werden, in denen dieser Wunsch ausgesprochen und manifestieren werden kann. "Dies kann nicht allein die Aufgabe des Therapeuten sein, der dafür zuständig ist, den Boden zu bereiten und unverbindliche Wege aufzuzeigen, auf denen die Psychotherapie weiterverlaufen kann."[4] Und die Psychotherapie wird ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft schaffen, und eine Bürger:innenschaft hervorbringen, die unterschiedliche und ungleiche Wesen vereint. Indem die Analysand:in ihre singuläre Rolle in der Gesellschaft spielt, gibt sie dem Wahnsinn die Bürgerschaft zurück.
[1] Vgl. Chimères, 95, 2020: Folies en partage.
[2] Vgl. Joana Masó, François Tosquelles. Soigner les institutions, Ausstellungskatalog, Toulouse: Arachneen, 2021.
[3] Vgl. Giovanna Gallio, Maurizio Costantino, “The School of Freedom”, Interview mit François Tosquelles, in: Per la Salute Mentale / For Mental Health. Pratiche, ricerche, culture dell’innovazione / Practices, Research, Cultures in the Process of Innovation, Nr. 4, 1987, S. 181-209.