10 2006
Die Maschine
Übersetzt von Birgit Mennel und Stefan Nowotny
Der folgende Text ist das Nachwort zu Gerald Raunigs Buch Tausend Maschinen, das im Frühjahr 2008 in der Reihe „Es kommt darauf an“ bei Turia+Kant erscheint (vgl. http://www.turia.at/titel/raunig_m.html).
Das große Verdienst der Arbeit von Gerald
Raunig ist es, das von Deleuze und Guattari formulierte Maschinenkonzept erneut
in Umlauf zu bringen und es der marxistischen Tradition gegenüberzustellen, die
ihre stärkste Erneuerung im Postoperaismus findet. Geralds Arbeit zeigt
mögliche Überlappungen und Kontinuitäten auf, lässt aber auch die
Diskontinuitäten zwischen diesen beiden Theorien erahnen, die sich in zwei sehr
unterschiedlichen Epochen entfalteten.
Ich möchte hier nur einige Elemente der Maschinentheorie von Deleuze und Guattari aufgreifen und zeigen, wie diese Theorie zu einer Definition des gegenwärtigen Kapitalismus beitragen kann. Die Konvergenzen und Unterschiede zur postoperaistischen Theorie werden dabei von selbst zum Vorschein kommen. Interpretiert man den Gesichtspunkt von Deleuze und Guattari, so ließe sich behaupten, dass der Kapitalismus weder ein „Produktionsmodus“ noch auch ein System ist, sondern eine Anzahl von Dispositiven der maschinischen Indienstnahme und zugleich eine Anzahl von Dispositiven der sozialen Unterwerfung. Die Dispositive sind Maschinen, wie aber Gerald im Anschluss an Deleuze und Guattari anmerkt, sind die Maschinen nicht von der techne abhängig. Die technologische Maschine ist nur ein Fall von Maschinismus. Es gibt technische, ästhetische, ökonomische Maschinen, und andere mehr.
Man kann von einer Maschine (einer technischen oder sozialen Maschine, einer Kommunikationsmaschine etc.) „in Dienst genommen“ und/oder ihr „unterworfen“ sein. Wir sind von der Maschine in Dienst genommen, wenn wir einen Bestandteil, ein Rad der Maschine bilden, ein für ihr Funktionieren notwendiges Element. Unterworfen sind wir der Maschine, wenn wir als ihre BenutzerInnen konstituiert werden, als Handlungssubjekt, das sich ihrer bedient. Die Unterwerfung wirkt auf die molare Dimension des Individuums ein (also auf seine soziale Dimension, seine Rollen, Funktionen, Repräsentationen, Affektionen), während die maschinische Indienstnahme auf die molekulare, präindividuelle, infrasoziale Dimension einwirkt (auf die Affekte, Empfindungen, Begehren sowie auf die Beziehungen, soweit sie noch nicht individuiert sind und noch keinerlei Subjekt zugeschrieben werden können). Ich werde versuchen, die charakteristischen Merkmale der Dispositive der Unterwerfung bzw. der Indienstnahme daran zu veranschaulichen, wie sie im Falle der Fernseh-„Maschine“ funktionieren.
Die Subjektkonstitution in Kommunikation und Sprache
„[…] wer kann da
heute noch sagen, dass sein Zorn wirklich sein Zorn ist,
wo ihm so viele Leute dreinreden und es besser verstehen als er?!“
Robert Musil[1]
Über die soziale Unterwerfung produziert und
verteilt das kapitalistische System Rollen und Funktionen; es stattet uns mit
einer Subjektivität aus und weist uns eine spezifische Individuation
(Identität, Geschlecht, Beruf, Nationalität etc.) zu. Die Unterwerfung
individuiert uns einerseits, sie konstituiert uns als Subjekt gemäß den
Anforderungen der Macht; andererseits bindet sie jedes Individuum an eine
„wohlbekannte“ Identität, die ein für allemal festgelegt ist.
Wie also produziert das Fernsehen Unterwerfung? Und welche Rolle spielen Sprache und Kommunikation in diesem Prozess?
Die Subjektfunktion in der Kommunikation und der Sprache ist nichts Natürliches, sie muss im Gegenteil konstruiert und durchgesetzt werden. Deleuze und Guattari zufolge ist das Subjekt weder Bedingung der Sprache noch auch Ursache der Aussage. In Wirklichkeit, sagt Deleuze, werden die Aussagen in jedem von uns nicht von uns selbst in unserer Eigenschaft als Subjekt produziert; was sie produziert, ist etwas ganz anderes, nämlich die „Mannigfaltigkeiten, die Massen und Meuten, Völker und Stämme, die kollektiven Gefüge, die uns durchqueren, die uns innewohnen und die wir nicht kennen“. Sie sind es, die uns sprechen lassen, und im Ausgang von ihnen produzieren wir Aussagen. Es gibt kein Subjekt, es gibt nur kollektive Äußerungsgefüge, die Aussagen produzieren. „[D]ie Aussage [ist] stets kollektiv, auch wenn sie scheinbar einzig von einem Individuum wie dem des zölibatären Künstlers produziert wird.“[2]
Aus diesen kollektiven Gefügen, aus der uns durchquerenden, uns konstituierenden Mannigfaltigkeit extrahiert die Fernsehmaschine ein Subjekt, das sich als absoluten und individuellen Grund und Ursprung seiner Ausdrucksweisen, Reden, Affekte denkt und erlebt. Das Fernsehen funktioniert, indem es von einer kleinen Anzahl bereits kodifizierter Aussagen der herrschenden Wirklichkeit sowie von einer Reihe vorgefertigter Ausdrucksmodalitäten ausgeht, und es beansprucht, aus diesen Aussagen und Ausdrucksweisen die den individuellen Subjekten eigenen Aussagen und Ausdrucksweisen zu machen. Wie geht es dabei vor?
Es gelingt dem Fernsehen, die mit der herrschenden Wirklichkeit des Kapitalismus konformen Aussagen als Aussagen der Individuen gelten zu lassen, indem es zum einen eine Interpretations-Maschine errichtet, die sich auf die Redeweisen und den Ausdruck der Individuen bezieht, und zum anderen eine Subjektivierungs-Maschine einsetzt, die aufgrund der Konstituierung eines Doubles des Subjekts funktioniert. Das Fernsehen regt uns dazu an, als Subjekt der Äußerung bzw. des Aussageakts [sujet d’énonciation] zu sprechen, so als wären wir Grund und Ursache der Aussagen, während wir gleichzeitig durch dieselbe Kommunikationsmaschine als Subjekt der Aussage [sujet d’énoncé] gesprochen werden. Wenn man im Fernsehen interviewt wird (egal ob man in einer Literatursendung oder Talkshow auftritt oder aber in einer Reality-Show dem Ausdruck verleiht, was man erlebt hat), so wird man als Subjekt der Äußerung eingeführt („Sie, verehrter Zuschauer, oder Sie, lieber Fernsehgast, der das Fernsehen macht“) und einer mehrgliedrigen Interpretationsmaschine unterworfen. Zuallererst fügt man sich der Herrschaft einer nicht-diskursiven Maschine ein, die interpretiert, auswählt und normalisiert, noch bevor man zu sprechen beginnt.
Der Entwicklung der Sprachwissenschaften von der Linguistik zur Pragmatik folgend, nimmt das Fernsehen alle sprachlichen wie nicht-sprachlichen Komponenten der Äußerung in sich auf. Seine Funktionsweise geht nicht nur von einer kleinen Anzahl fix und fertiger Aussagen aus, sondern auch von der Auswahl eines bestimmten Wortschatzes, einer bestimmten Intonation, einer bestimmten Geschwindigkeit des Redeflusses, eines bestimmten Verhaltens, eines bestimmten Rhythmus, einer bestimmten Gestik, einer bestimmten Art und Weise sich zu kleiden, einer bestimmten Verteilung der Farbtöne, eines bestimmten Rahmens, in dem man spricht, einer bestimmten Bildeinstellung etc. Sobald man den Mund öffnet, geht man durch die diskursive Interpretation der JournalistIn hindurch, die mit Hilfe von ExpertInnen und Fachleuten die möglicherweise noch verbleibende Diskrepanz zwischen der spezifischen Äußerung, Subjektivierung, Bedeutungsgebung bzw. Signifikation sowie den herrschenden Aussagen, Subjektivierungen, Signifikationen überbrückt. Am Ende des Interviews ist man ein Subjekt der Aussage, ein semiotischer Effekt der Kommunikationsmaschine, der sich für ein Subjekt der Äußerung hält, sich als absoluten und individuellen Grund und Ursprung der Aussagen erlebt, obwohl er das Resultat einer Maschinerie ist, deren letzte Station er bildet. Die eigene Rede wird auf Aussagen und Ausdrucksmodalitäten heruntergebrochen, die aufgezwungen sind und einer bestimmten Erwartungshaltung entsprechen, die eigene mentale Wirklichkeit wird auf die herrschende Wirklichkeit heruntergebrochen. Ohne es zu bemerken, hat man sich den Aussagen und Äußerungen der Kommunikationsmaschine verschrieben.
Im Fernsehen aufzutreten ist immer mit dem Risiko verbunden, den herrschenden Signifikationen und Subjektivierungen bereits in die Falle gegangen zu sein, was auch immer man sagt und was auch immer man tut. Du sprichst, aber du läufst Gefahr, nichts von dem zu sagen, was dir wirklich ein Anliegen ist. Alle Äußerungsdispositive unserer demokratischen Gesellschaften sind mehr oder weniger ausgeklügelte Variationen dieser Subjektspaltung, aufgrund deren sich das Subjekt der Äußerung in einem Aussagesubjekt widerspiegeln muss: Umfragen, Marketing, Wahlen, politische und gewerkschaftliche Repräsentation, und anderes mehr. Als WählerIn wird man dazu aufgefordert, der eigenen Meinung als Subjekt der Äußerung Ausdruck zu verleihen, aber gleichzeitig wird man bereits als Subjekt der Aussage gesprochen, denn die eigene Redefreiheit beschränkt sich auf die Auswahl zwischen vorweg kodifizierten Möglichkeiten. Wahlen setzen – ebenso wie Umfragen, Marketing, gewerkschaftliche und politische Repräsentation – einen vorab hergestellten Konsens, eine Vorverständigung in Bezug auf Fragen und Probleme voraus, zu denen man nicht um die eigene Meinung gefragt wurde. Je mehr man sich ausdrückt, je mehr man spricht, je mehr man sich in die Interaktivität der Kommunikationsmaschine hineinbegibt, desto mehr verzichtet man darauf, das zu sagen, was man zu sagen gehabt hätte, weil man durch die Kommunikationsdispositive von den eigenen kollektiven Äußerungsgefügen abgeschnitten und an andere kollektive Gefüge (in diesem Fall das Fernsehen) angeschlossen wird.
Die Unterwerfung ist keine Frage der Ideologie. Sie betrifft nicht im Speziellen die Zeichen, die Sprachen, die Kommunikation, denn die Ökonomie ist eine mächtige Subjektivierungsmaschine. Es ist der Kapitalismus selbst, der als Subjektivierungsmaschine – und nicht als „Produktionsmodus“ – definiert werden kann. Für Deleuze und Guattari wirkt das Kapital als hervorragender „Subjektivierungspunkt, der die Menschen als Subjekte konstituiert, aber die einen, die ‚Kapitalisten’, sind Subjekte der Äußerung […], während die anderen, die ‚Proletarier’, Subjekte der Aussage sind, den technischen Maschinen unterworfen […]“[3].
Die durch die gegenwärtigen Managementtechniken bewerkstelligte Umwandlung der LohnempfängerInnen in „Humankapital“, in UnternehmerInnen ihrer selbst, ist die Erfüllung des Subjektivierungs- und Ausbeutungsprozesses, denn es handelt sich hier um ein und dasselbe Individuum, das sich aufspaltet. Einerseits treibt das Individuum die Subjektivierung auf die Spitze, da es die „immateriellen“ und „kognitiven“ Ressourcen seines „Selbst“ in alle seine Aktivitäten mit einbezieht; andererseits arbeitet es einer identifizierenden Subjektivierung und Ausbeutung zu, denn es ist gleichzeitig Chef seiner selbst und Sklave seiner selbst, Kapitalist und Proletarier, Subjekt der Äußerung und Subjekt der Aussage.
Die maschinische Indienstnahme
„Indienstnahme in
einem Sinn, der nahe an der Kybernetik liegt,
in anderen Worten: Fernsteuerung, Rückkoppelung und Öffnung
gegenüber neuen Linien des Möglichen.“
Félix Guattari
Die Fernsehmaschine
wirkt auch als Dispositiv der maschinischen Indienstnahme, indem sie die
grundlegende Funktionsweise perzeptiver, sensitiver, affektiver, kognitiver und
sprachlicher Verhaltensweisen besetzt und so auf die Bereiche des Lebens und
der menschlichen Aktivität selbst einwirkt.
Die maschinische Indienstnahme besteht in der Mobilisierung und Modulation der präindividuellen, präkognitiven und vorsprachlichen Komponenten der Subjektivität; sie lässt die Affekte, Wahrnehmungen und Empfindungen, die noch nicht individuiert sind und noch keinem Subjekt zugeschrieben werden können, als Bestandteile und Elemente einer Maschine funktionieren. Während die Unterwerfung Personen im Ganzen in sich einbezieht, molare subjektive Repräsentationen, die leicht manipulierbar sind, „richtet die maschinische Indienstnahme infrapersonale und infrasoziale Elemente ein, unter Berücksichtigung einer molekularen Ökonomie des Begehrens, die in stratifizierten sozialen Verhältnissen viel schwieriger zu fassen ist“ – Elemente, die individuierte Subjekte mobilisieren. Maschinische Indienstnahme ist daher nicht dasselbe wie soziale Unterwerfung. Wendet Letztere sich an die molare, individuierte Dimension der Subjektivität, so aktiviert die Erstere deren molekulare, präindividuelle, vorsprachliche und präsoziale Dimension.
In der maschinischen Indienstnahme sind wir nicht mehr die NutzerInnen des Fernsehens, sind keine „Subjekte“ mehr, die mit dem Fernsehen wie mit einem äußeren Objekt zu tun haben. In der maschinischen Indienstnahme sind wir vielmehr an das Fernsehen angegliedert und funktionieren als Bestandteile des Dispositivs, als Input/Output-Elemente, als einfache Relais des Fernsehens, die Information, Kommunikation und Zeichen durchlaufen lassen und/oder den Durchlauf verhindern. In der maschinischen Indienstnahme bilden wir mit der Maschine buchstäblich einen einzigen Körper. Die Funktionsweise der maschinischen Indienstnahme kennt keine Unterscheidung zwischen „menschlich“ und nicht-menschlich, Subjekt und Objekt, sinnlich und intelligibel. Die soziale Unterwerfung betrachtet Individuen und Maschinen als in sich selbst geschlossene Totalitäten (Subjekt und Objekt) und zieht zwischen ihnen unüberwindliche Grenzen. Die maschinische Indienstnahme hingegen betrachtet Individuen und Maschinen als offene Mannigfaltigkeiten. Das Individuum und die Maschine sind jeweils eine Gesamtheit von Elementen, Affekten, Organen, Strömen, Funktionen, die sich auf derselben Ebene halten und die sich nicht nach Maßgabe der Dualismen von Subjekt/Objekt, menschlich/nicht‑menschlich, sinnlich/intelligibel einander gegenüberstellen lassen. Die Funktionen, Organe, Kräfte des Menschen fügen sich mit bestimmten Funktionen, Organen und Kräften der technischen Maschine zusammen und bilden mit ihnen gemeinsam ein Gefüge.
Guattari zufolge gibt es einen „lebendigen“ Aspekt, ein Äußerungsvermögen, eine Reserve von Möglichem, die in der Maschine existieren und die man nur entdecken kann, wenn man sich in dieser maschinischen Dimension einnistet. Die Maschine ist nicht nur die Gesamtheit der Teile und Elemente, die sie zusammensetzen. „Sie ist die Trägerin eines Faktors von Selbstorganisation, Feedback und Selbstreferenz, sogar im mechanischen Zustand.“ Sie hat eine Macht: die Macht, schöpferische Prozesse zu eröffnen. Somit ist die „Subjektivität“, wie seltsam dies auch der Tradition des westlichen Denkens erscheinen mag, zugleich auf der Seite des Subjekts wie auch auf der Seite des Objekts zu finden.
Die gewaltige Kraft des Kapitalismus rührt von diesen beiden Dispositiven her, die wie zwei Seiten derselben Medaille funktionieren, aber es ist die maschinische Indienstnahme, die dem Kapitalismus eine Art Allmächtigkeit verleiht, nimmt sie doch ihren Weg durch die Rollen, Funktionen und Signifikationen hindurch, in denen sich die Individuen erkennen und entfremden. Durch die maschinische Indienstnahme gelingt es dem Kapital, die perzeptiven Funktionen, die Affekte, die unbewussten Verhaltensweisen, die vorsprachliche, präindividuelle Dynamik und ihre intensiven, nicht-zeitlichen, nicht-räumlichen, a-signifikanten Komponenten zum Arbeiten zu bringen. Durch diese Mechanismen bemächtigt sich das Kapital der Begehrensaufladungen, deren Trägerin die Menschheit ist.
Dieser Teil der Wirklichkeit der kapitalistischen „Produktion“ bleibt zum großen Teil unsichtbar. Selbst die Bestimmung eines Transindividuellen kann sie nicht fassen, weil man eher vom Transmaschinischen sprechen müsste, von Beziehungen, die zugleich diesseits und jenseits der sozialen und individuellen Dimension angesiedelt sind. In diesem Sinn sprechen Deleuze und Guattari von der maschinischen Zeit, von einem maschinischen Mehrwert, einer maschinischen Produktion. Jedenfalls ist dies die Grundlage für Akkumulation, Wertproduktion und Ausbeutung. Dieser „unsichtbare“ Teil der kapitalistischen Produktion ist der wichtigste, und er ist jener Teil, den die Formen, in denen über Werte Buch geführt wird, paradoxerweise niemals berücksichtigen, der jeder Bemessung entwischt.
Félix Guattari zufolge ist jener Teil der maschinischen Indienstnahme, der in die menschliche Arbeit (oder die Kommunikation) eingeht, „niemals als solcher quantifizierbar“, weil nicht zählbar. „Die subjektive Unterwerfung, die soziale Entfremdung, die mit einem Arbeitsplatz oder einer beliebigen sozialen Funktion verbunden ist, ist es dagegen vollkommen“ – denn sie ist immer zählbar. Man kann eine Anwesenheitszeit, eine Zeit der sozialen Entfremdung eines Subjekts messen, nicht aber das, was diese hervorruft, und dies im Übrigen nicht auf der Ebene des Subjekts, sondern in der maschinischen Dimension. Man kann die augenscheinliche Arbeit eines Physikers quantifizieren, seine Zeit der sozialen Entfremdung, die Zeit, die er in seinem Labor verbringt, nicht jedoch den maschinischen Wert der Formeln, die er ausarbeitet. Es ist das Paradox von Marx, eine maschinische Produktion zu beschreiben und sie aufgrund der Unterwerfung sowie anhand menschlicher Temporalitäten (Arbeitszeit des Arbeiters) bemessen zu wollen.
Das Ritornell oder die Produktion von Subjektivität
oder die abstrakte Maschine
Die Maschinerien der Indienstnahme und der Subjektivierung wirken über Beziehungen. Ihr Handeln kann, nach der Definition von Macht bei Foucault, als ein Handeln beschrieben werden, das auf ein mögliches Handeln einwirkt, als ein Handeln, das sich auf „freie“ Individuen bezieht, Individuen also, die virtuell immer anders handeln können. Das impliziert nicht nur eventuelle Misserfolge in der Unterwerfung, unvorhersehbare Ergebnisse oder die Aktivierung von Abwendungen, Listen, individuellem Widerstand, sondern auch die Möglichkeit unabhängiger, autonomer Subjektivierungsprozesse. Wir finden hier das dritte Konzept der Maschine: die „abstrakte Maschine“, deren Funktionsweise wir nach wie vor über das Fernsehen veranschaulichen werden.
Wenn ich fernsehe, existiere ich am Kreuzungspunkt verschiedener Dispositive: 1. eines Dispositivs, das man als maschinische Indienstnahme definieren könnte und das hier dargestellt werden kann als „ perzeptive Faszination, die durch das Lichtraster des Apparats hervorgerufen wird“[4], welche sich mit den Intensitäten, Zeitlichkeiten, Affekten des Körpers, Gehirns oder Gedächtnisses zusammenfügen kann, die mich durchlaufen und meine präindividuelle, molekulare Dimension ausmachen; 2. eines Verhältnisses des Eingenommenseins, das mit dem narrativen Gehalt unterhalten wird, der meine Vorstellungen, Gefühle, Gewohnheiten als Subjekt (meine molare Dimension) in Bewegung versetzt; 3. einer Welt bewusster und unbewusster Phantasmen, die meiner Träumerei innewohnen …
Trotz der Vielfältigkeit der Komponenten von Unterwerfung und Indienstnahme, trotz der Vielfältigkeit der sprachlichen und maschinischen, diskursiven und nicht‑diskursiven Ausdrucksmaterien und Äußerungssubstanzen, die mich durchqueren, bewahre ich ein relatives Gefühl der Einheit und der Geschlossenheit, der Vollendung – welches durch das verliehen wird, was Deleuze und Guattari ein Ritornell nennen. Von dieser Gesamtheit von Dispositiven löst sich ein „Motiv“ ab, ein Ritornell, das als „Anziehung“ funktioniert. „Die verschiedenen Komponenten bewahren ihre Heterogenität, werden aber dennoch von einem Ritornell erfasst“[5], das sie zusammenhält.
Das Ritornell verweist uns auf die Techniken der Produktion von Subjektivität, von jenem „Selbstverhältnis“, von dem Michel Foucault spricht. Macht- und Wissensbeziehungen lösen sich von Subjektivierungsprozessen ab, die ihnen entwischen. Das Ritornell ist die Funktionsbedingung der „abstrakten Maschine“, die trotz ihres Namens die singulärste Maschine ist, jene Maschine, der es gelingt, transversal auf diesen verschiedenen Ebenen zu funktionieren und ihnen eine nicht allein kognitive oder ästhetische, sondern zuerst existenzielle Konsistenz zu verleihen. Die abstrakte Maschine fügt materielle und semiotische Elemente zusammen, aber von einem nicht-diskursiven Punkt, einem unbenennbaren und nicht erzählbaren Punkt her, denn sie rührt an den Herd der Nicht-Diskursivität, die im Herzen der Diskursivität besteht. Sie bewirkt eine subjektive Verwandlung, indem sie existenzielle Schwellen überschreiten macht.
Guattari beschreibt auf diese Weise die „abstrakte Maschine“ Debussy: „Das ist eine Äußerung, ein Einschnitt, eine Art von nicht-diskursivem Herd. Es gibt nicht nur die musikalische Dimension, sondern auch angrenzende plastische, literarische, soziale Dimensionen (der Salon, der Nationalismus) etc. Es handelt sich also um ein heterogenes Universum mit mannigfaltigen Komponenten. Von dieser Konstellation von Universen und Welten löst sich ein Äußerungssubjekt ab, das sie auf eine neue Art und Weise zusammenhält.“
Im Ritornell, im Selbstverhältnis, in der Produktion von Subjektivität liegt die Möglichkeit, das Ereignis in Gang zu setzen, die Möglichkeit, sich der serialisierten und standardisierten Subjektivitätsproduktion zu entziehen. Aber diese Möglichkeit muss hergestellt werden. Die Optionen des Möglichen müssen erschaffen werden. In diese Richtung weist das „ästhetische Paradigma“ von Guattari: jene politischen, ökonomischen und ästhetischen Dispositive aufzubauen, in denen diese existenzielle Verwandlung erprobt werden kann. Eine Politik des Experimentierens, nicht der Repräsentation.
[1] R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften I. Erstes und zweites Buch, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 202005, S. 150.
[2] G. Deleuze / F. Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976, S. 115.
[3] G. Deleuze / F. Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin: Merve 1997, S. 634 [Übers. mod.].
[4] Vgl. (auch für das Folgende) F. Guattari, Chaosmose, Paris: Galilée 1992, S. 32.
[5] Ebd., S. 33.